© A&W Blog
Was ist da los an den Energiemärkten? Und was bedeutet das für die Konsument:innen? Wie die Entwicklung 2022 weitergehen wird, hängt in erster Linie von der geopolitischen Situation ab. Strom und Gas werden an Börsen gehandelt, und „der Markt“ kann mit Unsicherheit nicht gut umgehen, die Preisausschläge mehren sich. Es ist davon auszugehen, dass Energie nicht mehr so billig sein wird wie noch vor wenigen Jahren. Die Preise für Strom und Gas befanden sich aber schon vor der Eskalation in der Ukraine auf einem noch nie da gewesenen Niveau. Die Börsenpreise, allen voran jene für Erdgas, waren bereits davor in lichte Höhen geklettert – die Ursachen dafür haben die Autorinnen bereits an anderer Stelle aufgezeigt. Ein Ende der Hochpreissituation ist jedenfalls nicht absehbar, auch für das kommende Jahr 2023 erwarten sowohl die EU-Kommission, die internationale Energieagentur als auch die E-Control in ihren Analysen keine Entspannung. Das ist für „den Markt“ unangenehm, besonders dramatisch aber für die Konsument:innen.
Denn die anhaltend hohen Börsenpreise schlagen sich immer mehr auf die Tarife der Endkund:innen durch; entweder durch direkte Koppelung an den Börsenpreis bei sogenannten Floater-Verträgen oder indirekt und zumindest etwas geglättet durch die Bindung von Tarifen an Indizes (z. B. Österreichischer Strompreisindex ÖSPI und Österreichischer Gaspreisindex ÖGPI der Energieagentur – diese bilden die Großhandelspreise (reiner Energiepreis) im Vergleich zum Vormonat ab, also wie sich der Einkaufspreis für Strom/Gas im kommenden Monat aufgrund der Notierungen am Terminmarkt verändert). Manche Unternehmen versuchen diese Indexklauseln derzeit wieder loszuwerden, indem sie ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändern – was einigermaßen skurril ist, wurden diese ja erst kürzlich eingeführt; die Gründe scheinen aber recht klar: selbst nicht mehr einem Automatismus in der Preispolitik zu unterliegen bzw. wohl auch der mahnende Zeigefinger der Landespolitik. Aber was spielt sich am Endkund:innenmarkt derzeit überhaupt ab? Von welchen Größendimensionen sprechen wir? Um dies darstellen zu können, haben wir uns die Preiserhöhungen der letzten beiden Jahre für Bestandskund:innen angesehen und auch Neukund:innentarife der größten österreichischen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) genauer unter die Lupe genommen.
Was bisher geschehen ist: eine Chronologie der Preiserhöhungen Wenn wir uns seit Pandemiebeginn die Preisentwicklungen der Bestandstarife genauer ansehen, erkennen wir drei Phasen. Wir haben dazu die Darstellung der E-Control übernommen, in der die prozentuellen Erhöhungen als Erhöhungen des Netto-Energiepreises inkl. Grundpreis, jedoch ohne Steuern und Abgaben sowie Netzkosten, angegeben werden.
Phase 1: März 2020 bis Ende 2020 – Talfahrt Großhandelspreise durch die Pandemie
Mit dem Beginn der Pandemie sind im Jahr 2020 die Preise an den Energiebörsen massiv eingebrochen. Die Konsument:innen merkten von diesen Preisreduktionen jedoch nichts in ihren Geldbörsen. Seit März 2020 wurden von den großen Energieanbietern, die wir im Rahmen des Energiepreismonitorings laufend beobachten, keine für die Konsument:innen wirksamen Preissenkungen durchgeführt:
Strom:
Keine Preissenkungen durchgeführt. Es gab sogar Erhöhungen mit Einsetzen der Talfahrt der Großhandelspreise: TIWAG (+14,5 Prozent) und die Innsbrucker Kommunalbetriebe IKB (+14,4 Prozent) und VKW Illwerke im August 2020 (+12,4 Prozent). Gas:
Phase 2: ab 2021 – Großhandelspreise steigen, Rechnungen steigen
Seit 2021 erholten sich die Großhandelspreise wieder, und seit Sommer 2021 stiegen sie in lichte Höhen – mit Beginn 2022 gingen sie durch die Decke. Die EVUs zeichneten in ihren Bestandsverträgen die Erhöhungen der Großhandelspreise nach.
Strom:
Den Reigen der Erhöhungen startete die Salzburg AG im August 2021 (+8,6 Prozent). Seit November 2021 kamen weitere Erhöhungen dazu – von 18 Prozent bis knapp über 20 Prozent (Energie Steiermark, Energie Graz, KELAG). Die von der Anzahl der betroffenen Kunden bedeutsamste – und damit auch medial am meisten beleuchtete – Erhöhung wurde von der Energieallianz vollzogen: Wien Energie, EVN und Energie Burgenland. Die Energieallianz stellte ihre Bestandskund:innenverträge über eine Änderung der allgemeinen Lieferbedingungen auf eine langfristige Indexierung um. Hier wird der Dezember-Wert des Österreichischen Stromgroßhandelspreisindex ÖSPI des laufenden Jahres mit dem Dezember-Wert des Vorjahres verglichen. Ist der ÖSPI um mehr als vier Punkte im Vergleich zum Vorjahr gestiegen/gesunken, werden die Verbrauchspreise im Jänner des nächsten Jahres im Ausmaß der Indexänderung erhöht/gesenkt. Beim verbrauchsunabhängigen Grundpreis wird dieselbe Übung mit dem VPI vollzogen. Diesen Weg haben mittlerweile andere Energieanbieter nachvollzogen, und ihre Energieverträge im Bestand indiziert – nach dem Muster der Energieallianz. Erhöhungen Energieallianz 1.1.2022Wien Energie +44,8 Prozent Energie Burgenland +43,9 Prozent In dieser Phase setzte erstmals eine Entwicklung ein, die, wie anhand der später gezeigten Grafiken ersichtlich, zu einer massiven Spreizung zwischen Bestandskund:innen- und Neukund:innenerträgen führte.
So verlangt aktuell z. B. Energie AG von Neukunden Anfang April 2022 40,9 Cent/kWh – verglichen mit einem Bestandstarif von 8,75 Cent/kWh; die Kelag 34,7 im Vergleich zu 11 Cent/kWh.
Gas:
VKW und Salzburg AG haben im Jahr 2021 sogar noch ihre Gaspreise gesenkt: VKW im April um 12,8 Prozent und die Salzburg AG im August um 7 Prozent. Ab Jänner 2022 starteten großflächig die Erhöhungen: Energie Steiermark +29,7 Prozent, Energie Graz +29,5 Prozent, Kelag +30,2 Prozent. Die Energieallianz stellte auch beim Gas auf Indexierung um – was im Februar 2022 Erhöhungen von 40,6 Prozent bei der Wien Energie, 40,5 Prozent bei der Energie Burgenland und 40,4 Prozent bei der EVN auslöste. Wie beim Strom ist ein West-Ost-Gefälle zu bemerken (mit Ausschlägen bei KELAG und Energie Steiermark); die Befunde zur Tarifspreizung sind ähnlich wie beim Strom. Ausblick: aktuelle und kommende Preiserhöhungen
Strom:
Erhöhungen im April 2022 nahmen die Salzburg AG um 51 Prozent, die Kelag um 39,6 Prozent und die Energie Klagenfurt um 51,7 Prozent vor.
Weitere Erhöhungen sind bereits angekündigt: Illwerke VKW im Mai 2022 um +40,88 Prozent, ebenso Verbund, Energie Steiermark und Energie Graz. Die TIWAG wird im Juni um 13,8 Prozent erhöhen.
Gas:
Im April erhöhten die Energie Klagenfurt um 39,8 Prozent und die Salzburg AG um 53,6 Prozent.
Die Illwerke VKW werden mit Mai um 46,9 Prozent erhöhen, auch Verbund und TIGAS haben Erhöhungen angekündigt.
Besonders kritisch zu sehen: der immer größer werdende Gap zwischen Bestands- und Neukund:innenverträgen Besonders eklatant sind die Preisunterschiede allerdings bei Neukund:innenverträgen im Vergleich zu Bestandstarifen. Aktuell sieht es wie in den folgenden Diagrammen dargestellt aus. Die Daten stammen aus dem Tarifkalkulator E-Control , wir haben Bestandstarife und Neukund:innentarife der wichtigsten Anbieter gegenübergestellt und dabei erneut den Netto-Energiepreis in Cent/kWh (inkl. Arbeitspreis und Grundpauschale) herangezogen: Die blauen Balken sind die aktuellen Bestandstarife Anfang April 2022 – diese beinhalten die im vorigen Kapitel bereits beschriebenen Erhöhungen. Wirklich dramatisch ist die Höhe der Neukund:innentarife, die orangen Balken.
© A&W Blog
Die Stromtarife, die Anbieter aktuell ihren Neukund:innen gewähren, sind teilweise über 360 Prozent höher als jene für die Bestandskund:innen, im Durchschnitt um 135 Prozent. Aktuell gewähren zu diesem Zeitpunkt bloß drei österreichische Stromanbieter Neukund:innen dieselben Konditionen wie Bestandskund:innen.
Durchschnittlich sind die Bestandstarife im April 2022 um 28 Prozent gegenüber April 2021 gestiegen.
© A&W Blog
Beim Gas zeigt sich ein ähnliches Bild: Auch hier sind die Neukund:innentarife teils über 450 Prozent höher als die Tarife für Bestandskund:innen – im Fall eines Anbieters gar um 900 Prozent, im Durchschnitt über die Gasanbieter um 230 Prozent. Die Steigerung der Bestandstarife von April 2021 auf April 2022 beträgt im Schnitt 18 Prozent.
Fazit ist, dass die Konsument:innen derzeit ihre blauen Wunder erleben, wenn sie den Anbieter wechseln wollen oder müssen:
Etwa weil sie hoffen, sich aus ihren immer teurer werdenden Energieverträgen lösen zu können und ihre Kosten zu optimieren – z. B. weil sie einen Floater-Vertrag abgeschlossen haben. Oder weil sie von ihrem Lieferanten gekündigt wurden und sich binnen einer 3-Monats-Frist einen neuen Anbieter suchen müssen – z. B. weil dieser sein Endkundengeschäft einstellt, da sich das Geschäftsmodell vieler kleiner Händler ohne Erzeugung nicht mehr rechnet und manche sich sogar in Insolvenz befinden; oder weil z. B. ein örtlicher Kleinwasserkraftbetreiber beschließt, dass er seine Produktion, mit der er bis jetzt Haushalte im Umfeld versorgt hat, gewinnbringender verkaufen kann, wenn er in den „Handel“ einsteigt (weil die Margen besser sind). Oder weil die Konsument:innen umziehen und ihr bisheriger Lieferant sie an der neuen Adresse nur mit Neukund:innenkonditionen versorgt. Oder gar weil sich Konsument:innen im Todesfall der Partnerin oder des Partners bei Vertragsübernahme plötzlich statt im Bestandsvertrag im Neukund:innenvertrag wiederfinden. Die Vorteile einer freien Anbieterwahl in einem liberalisierten Energiemarkt sind für die Konsument:innen derzeit schlicht nicht gegeben. Denn der Wettbewerb zwischen den Lieferanten ist vollkommen zum Erliegen gekommen. Es scheint sogar Gegenteiliges zu passieren: Die teilweise angebotenen Höhen bei Neukund:innentarifen lassen nur einen Schluss zu – viele Energieanbieter wollen derzeit schlicht keine neuen Kund:innen.
Wie geht es jetzt weiter? Zeit, neue Maßstäbe zu setzen Wie oben beschrieben sind viele Bestandsverträge indexiert. Somit sind weitere Erhöhungen „vorprogrammiert“, wenn der Index am Stichtag oder in der Zeitraumbetrachtung das Vorjahr überschreitet. Und da die Indizes ÖGPI und ÖSPI nach einer sehr kurzen Stagnations- bzw. Erholungsphase vor dem Ukraine-Krieg wieder im Höhenflug sind und kein Ende des Hochs der Großhandelspreise in Sicht ist, werden sich diese bald auf die Tarife durchschlagen. Die Diskussion um teure Energieverträge und Kosten, die sich die Menschen nicht leisten können, wird – wenn diese Anpassungen erfolgen – noch um einiges virulenter werden; bei den Neukund:innenverträgen ist sie es jetzt schon. Auf der anderen Seite stellen nun die EVUs selbst die Indizierungen infrage – vermutlich, weil die Eigentümer (an den großen EVUs hält die öffentliche Hand, Bund und Länder die Mehrheit) eine politische Lose-lose-Situation auf sich zukommen sehen, während in manchen EVUs die Kassen klingeln.
Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, eine Abfederung der hohen Preissteigerungen für die Konsument:innen zu erreichen. Beispielsweise durch Abschöpfen der sogenannten „windfall profits“. Das sind Überschussgewinne, die aufgrund des Merit-Order-Effekts entstehen: Weil sich die Erzeugungskosten von Anlagen, die Strom auf Basis von erneuerbaren Energieträgern erzeugen (Wind, PV und Wasserkraft), in letzter Zeit nicht geändert haben, entstehen massive Überschussgewinne, denn die zu den gleichen Kosten erzeugte Energie kann jetzt viel teurer verkauft werden. Auch die Erzeugung in Gaskraftwerken selbst basiert auf langfristigen Lieferverträgen – die Gaspreise am Spotmarkt schlagen nicht sofort 1:1 auf die Kosten durch. Die internationale Energieagentur schätzt, dass sich diese Überschussgewinne in ganz Europa auf ca. 200 Mrd. Euro belaufen, und schlägt ebenso wie die EU-Kommission vor, diese zur Entlastung der Haushalte zu verwenden.
Was also tun? In einigen Bundesländern wurde bereits bekannt gegeben, dass die an die Länder auszuschüttenden Dividenden (aufgrund deren Beteiligung an den jeweiligen Landes-EVUs) mittels Sonderunterstützungen an jene Kund:innen weitergegeben werden, die sich ihre Energieversorgung nicht mehr leisten können. Auch eine Steuer auf die Überschussgewinne, wie in Spanien bereits umgesetzt, wäre möglich. Gleichzeitig wäre es ein Leichtes, Gutscheine und Gratisenergietage vonseiten der Lieferanten anzubieten, um die Kosten bei den Endkund:innen zumindest ein wenig abzufedern – das verbietet kein Gesetz. Oder man kann – so wie bisher – als Landes- oder Bundespolitik Einmalzahlungen verteilen, damit die Löcher in den Taschen der Kund:innen gestopft werden, die ihnen die Energierechnungen hineingerissen haben. Wobei zielgerichtete Erhöhungen von Sozialleistungen, gerade zur Unterstützung besonders betroffener Haushalte, anstatt anlassbezogener Einmalzahlungen, die rasch verpuffen, viel besser wären. Man könnte auch ganz oben ansetzen und das Marktmodell ändern – das Merit-Order-Prinzip ist nicht in Stein gemeißelt, es gibt andere Marktmodelle. Die jetzige Phase zwingt uns, ernsthaft über Alternativen nachzudenken. Die Europäische Kommission selbst tut dies bereits und überlegt mögliche Adaptionen – sowohl bei Strom als auch bei Gas.
Fest steht jedenfalls: Auch die nächsten Monate werden – vor allem ab dem kommenden Herbst/Winter, wenn die nächsten Erhöhungen aufgrund der aufgelaufenen Kosten oder Indexierungen ins Haus stehen – ungemütlich werden. Es ist daher höchste Zeit, über kurzfristige Brandbekämpfungsmaßnahmen hinauszukommen und endlich tätig zu werden – die Märkte sind zu regulieren, die Politik hat das Instrumentarium anzupassen, um die massiven Ausschläge, die wir aktuell erleben und die zumindest in the short run Normalzustand sein werden, einzufangen. Einkommensschwache und energiearme Haushalte sind bereits jetzt am Limit. Die breitflächigen Erhöhungen der Teilleistungsbeiträge und massive Nachzahlungen stellen zunehmend aber auch Mittelverdiener:innen oder Pensionist:innenhaushalte, für die sich bisher nie die Frage nach der Leistbarkeit von Strom, Gas und Wärme stellte, vor zunehmende Probleme. Abfederungsmaßnahmen braucht es vor allem auch, damit Energie als zentraler Teil der Daseinsvorsorge leistbar bleibt. Nur so kann die notwendige Akzeptanz für die Energiewende – die wir gerade angesichts des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine dringender denn je brauchen – entstehen und erhalten bleiben.
Mehr zum Thema Energiekrise in der Zeitschrift Wirtschaft und Umwelt 1/2022 , die sich in ihrer aktuellen Ausgabe diesem Thema widmet.
Creative-Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0: Dieser Beitrag ist
unter einer Creative-Commons-Lizenz vom Typ Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
International zugänglich. Um eine Kopie dieser Lizenz einzusehen, konsultieren Sie http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/ .
Weitere Informationen https://awblog.at/ueberdiesenblog/open-access-zielsetzung-und-verwendung
Beitrag teilen
Nichts mehr verpassen! Jetzt zu unserem Newsletter anmelden!