Geräderte Rider: Wie der Knochenjob Fahrradkurier:in verbessert werden kann

13. April 2023

Essen bestellen und liefern lassen: Das ist für viele Teil einer entspannten Mittagspause oder eines gemütlichen Abends. Die Rider mit ihren bunten Transportboxen am Rücken sorgen dabei für die rasche Anlieferung bis zur Haustür. Wie es um deren Sicherheit und Gesundheit steht, sollte jedoch kritisch hinterfragt werden.

Die prekären Arbeitsverhältnisse in der Branche werden immer wieder medial aufgezeigt. Auseinandersetzungen um Anstellungsverhältnisse, die Bezahlung oder Arbeitszeiten stehen hier meist im Mittelpunkt. Die Gründung von Betriebsratsgremien hat dazu beigetragen, dass die Diskussion in Gang gekommen ist. Wenig Aufmerksamkeit erhalten dagegen bisher die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Arbeit. Um ein Umfeld zu schaffen, welches die Gesundheit auf Dauer sicherstellt und vor langfristigen Erkrankungen schützt, müssen die bestehenden Gefahren sowie die Einwirkungen auf die Rider genau unter die Lupe genommen werden.

Vom Wetter über Unfälle bis Lärm

Einerseits stellen Umgebungseinflüsse wie Wind und Wetter eine Herausforderung dar. Geliefert wird bei Schlechtwetter wie Wind, Regen und Schnee genauso wie im Hochsommer bei Temperaturen von 35 Grad Celsius und mehr. Gerade bei Schlechtwetter läuft das Geschäft der Essenslieferdienste auf Hochtouren, weil hier weniger Menschen gerne auf die Straße gehen. Aufgrund der Klimakrise werden sich die Extremwettersituationen in Zukunft noch verstärken. Ab wann wird die Arbeit unzumutbar, etwa bei Sturmwarnungen? Kriterien dafür gilt es vorab festzulegen.

Anderseits ist die Arbeit im Straßenverkehr mit einem hohen Unfallrisiko und einer ständigen Lärm- und Abgasexposition behaftet. Gerade im dichtbefahrenen Bereich von Städten können aufgrund der körperlichen Aktivität durch das Radfahren Schadstoffe in besonders hoher Menge aufgenommen und entsprechend tief eingeatmet werden. Umfragen in Deutschland zeigen, dass rund zwei Drittel der befragten Fahrradkurier:innen den Straßenverkehr als störende Lärmquelle empfinden. Auch wenn sie diesen Lärm nicht verursachen, müssen sie sich den ganzen Tag darin bewegen.

Transporttaschen als große Belastung

Besonders ins Auge stechen die teils überdimensionalen Transporttaschen am Rücken der Rider. Die oftmals stark nach unten hängenden Taschen machen das Problem offensichtlich. Das Gewicht am Rücken der Rider belastet ihren Muskel- und Skelettapparat und verursacht Schmerzen an Rücken, Händen oder Handgelenken. Viele Rider berichten auch über Kniegelenksschmerzen. Bei langen oder regelmäßigen Fahrten über Kopfsteinpflaster können die entstehenden Vibrationen zu einer massiven Belastung von Wirbelsäule und Handgelenken führen. Die deutsche Kommission für Arbeitsschutz und Normung setzt sich daher dafür ein, dass die Bewertung dieser Vibrationsbelastungen in der Normung aufgenommen wird. Die physische Belastung von Ridern ist enorm. Schließlich legen sie bei einer Vollzeitbeschäftigung pro Monat etwa 1.000 bis 1.500 Kilometer mit dem „Arbeitsmittel Fahrrad“ zurück.

Unfallzahlen steigen stark an

Laut einer Studie des European Centre for Social Welfare Policy and Research berichten über 84 Prozent der befragten österreichischen Rider von gefährlichen Situationen im Straßenverkehr. Dass Handlungsbedarf bei der Sicherheit im Straßenverkehr besteht, lässt sich neben der wachsenden Anzahl von Beschäftigten vor allem an den stark steigenden Unfallzahlen ablesen. Laut Allgemeiner Unfallversicherungsanstalt (AUVA) lag die Zahl der Arbeitsunfälle mit dem Fahrrad (ohne Wegunfälle) in Österreich 2018 noch bei 409 Unfällen. Im Jahr 2021 waren es mit 869 bereits mehr als doppelt so viele.

Auch bei den Unfallzahlen der Essenslieferdienste selbst ist diese Entwicklung nachverfolgbar. Hier kam es – auch wegen des massiven Anstiegs der Beschäftigtenzahlen – zwischen 2019 und 2020 zu einer Vervierfachung der Unfallzahlen. Im folgenden Jahr 2021 haben sich die Unfälle nochmals verdoppelt. Nicht außer Acht lassen sollte man auch die psychischen Belastungen der Rider. Diese entstehen etwa durch Entgrenzung von Betrieb und Kolleg:innen, Zeitdruck und Kontakt mit Kund:innen. Beinahe 50 Prozent der Studienbefragten gaben an, bei ihrer Arbeit erniedrigendem Verhalten oder Beleidigungen ausgesetzt zu sein.

Lasten runter – statt hinauf

Eines ist klar, die Arbeit als Rider ist schon jetzt ein echter Knochenjob. Der Druck und die Belastungen könnten aber noch weiter ansteigen. Denn als Trends zeichnen sich besonders kurze Lieferzeiten und immer höhere Gewichte, Stichwort Zustellung für den Lebensmittelhandel, ab. Dabei bestehen bereits jetzt Probleme, die es zu beheben gilt. Im Mittelpunkt stehen die Transportboxen mit ihren rucksackähnlichen Trägern, die großflächig eingesetzt werden. Einige Ausführungen können ihr Volumen mittels Reißverschluss nochmals zur XL-Version vergrößern.

Über die maximale Beladung der Rucksäcke gibt es seit ihrer Einführung massive Diskussionen und Bedenken. Eines ist jedoch klar: Ergonomisch ist diese Transportart keinesfalls. Volumen und Beladung beeinflussen auch das Fahrverhalten und somit die Verkehrssicherheit. Transportrucksäcke sollten nicht bei der Fahrt, sondern lediglich für den Transport auf den letzten Metern zu den Kund:innen angelegt werden. Die Gewichte und zusätzlich auftretende Hebelwirkungen belasten die Wirbelsäule, eine Verlagerung des Schwerpunktes nach oben sorgt für negative Auswirkungen auf die Fahrsicherheit. Ein eingeschränkter Schulterblick erhöht genauso wie das Gewicht das Unfallrisiko. Generell gilt: Mit Ausnahme von kleinen, eng anliegenden Botentaschen sollten Lasten generell am Fahrzeug gesichert und transportiert werden.

Die Bandscheiben als Stoßdämpfer

Gesundheitlich unbedenkliche und sinnvolle Alternativen wären also ein Transport der Waren am Gepäckträger (etwa in Packtaschen oder Körben) oder bei größeren Lasten per Anhänger oder Lastenrad. Solange die Gewichte weiterhin am Rücken der Rider lasten, so lange müssen deren Bandscheiben anstelle der Fahrrad-Stoßdämpfer jede Bodenwelle ausgleichen. Während einzelne kleine Unternehmen hier seit Jahren auf innovative Lösungen wie beheizte Boxen für Pizzen am Gepäckträger setzen, gehen die großen Anbieter bisher kaum auf die Beschwerden der Rider ein. Die Last unhinterfragt am Rücken der Rider zu transportieren widerspricht jedenfalls dem Arbeitnehmer:innenschutzgesetz. Dort ist vorgesehen, dass Gefahren zuvorderst mit technischen, dann mit organisatorischen und erst zuletzt mit persönlichen Maßnahmen vermieden werden müssen. Das als TOP-Prinzip bekannte System muss auch hier angewandt werden.

Bei der physischen Belastung kommt das Tragen der Rucksäcke in den Häusern hinzu, vor allem wenn es keine Aufzüge gibt. Weiters macht es für die körperliche Belastung von Ridern auch einen Unterschied, ob ein E-Bike zum Einsatz kommt oder ob ausschließlich Muskelkraft zum Antrieb verwendet werden muss. Eine fachgerechte, durch Ergonom:innen durchgeführte Arbeitsplatzevaluierung, die alle physischen Belastungen miteinbezieht, würde wohl aufzeigen, dass in vielen Fällen die Grenzen der Belastbarkeit bereits überschritten werden.

Arbeitsmittel Fahrrad: prüfen, informieren, unterweisen

Generell müssen die als Arbeitsmittel eingesetzten Fahrräder der Straßenverkehrsordnung und der Fahrradverordnung entsprechen. Sie dürfen keine Mängel aufweisen und müssen regelmäßig überprüft werden. Das gilt für Fahrräder, Pedelecs oder E-Bikes gleichermaßen. Fahrräder mit elektrischem Antrieb gelten laut Arbeitsmittelverordnung als selbstfahrende Arbeitsmittel und sind daher zumindest einmal jährlich, längstens im Abstand von 15 Monaten nachweislich zu prüfen. Zu beachten sind auch die von den Herstellern vorgegebenen Wartungsintervalle.

Vor jedem Fahrtbeginn sollten Rider also ihr Fahrrad kontrollieren. Diese Sicht- und Funktionsprüfung soll die wichtigsten Elemente und Bauteile umfassen. Neben der Sicherheit des Fahrrads ist auch das Beherrschen des Fahrrads an sich eine wichtige Voraussetzung, um sicher unterwegs zu sein. Arbeitgeber haben in diesem Zusammenhang Informations- und Unterweisungspflichten. Diese sind aufgrund der Diversität bei Ridern entsprechend anzupassen, etwa an ihre Sprachkenntnisse.

Persönliche Schutzausrüstung gehört dazu

Rider sind allen nur erdenklichen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Arbeitgeber: haben daher entsprechende persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung zu stellen. Auf Basis verschiedener Normen und der Verordnung Persönliche Schutzausrüstung sind diese Gegenstände auf Kosten der Arbeitgeber bereitzustellen, instand zu halten und im Bedarfsfall (Verschleiß, Schäden usw.) zu erneuern. Hierzu zählen neben dem Radhelm auch Schutzbekleidungen, welche vor Kälte und Nässe, aber auch vor UV-Strahlung schützen sollen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Fazit: Erkenntnisse umsetzen – Rider schützen

Die Unfallstatistiken, Befragungen und Rückmeldungen von Ridern zeigen, dass Handlungsbedarf besteht, wenn es um die Sicherheit und Gesundheit von Ridern geht. Unfallversicherungsträger, Arbeitsinspektionen und Organisationen, die sich mit Verkehrssicherheit beschäftigen, haben dies bereits erkannt. Bisherige Arbeitsplatzevaluierungen haben die Problemfelder offensichtlich nicht entsprechend bearbeitet oder rechtliche Grundlagen aus dem Arbeitnehmer:innenschutz nicht als solche erkannt. Neue Informationen und Unterlagen wie etwa das AUVA-Merkblatt M.plus 801, Informationen der Arbeitsinspektion oder neue Studienergebnisse werden hier für klare Handlungsanleitungen und Vorgaben sorgen.

Eines muss dabei klar sein: Die riesigen Rucksäcke mit ihren Lasten müssen runter vom Rücken. Der Job als Rider ist ohnedies belastend genug. Arbeitnehmer:innenschutz und Vorgaben aus dem Verkehrsrecht müssen in Zukunft auf betrieblicher Ebene ihre volle Wirkung entfalten, um Unfälle und langfristig arbeitsbedingte Erkrankungen zu vermeiden. Entsprechende Kontrollen der Behörden müssen weiters dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten und die Rider geschützt werden.

Weiterführende Informationen zur Studie „Arbeitnehmer*innen-Vertretung in der Gig Economy – Erfahrungen von Fahrradzusteller*innen in Österreich“ und zur Interessenvertretung Riders Collective.

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