Budgetpolitik auf Kosten der Langzeitarbeitslosen

21. März 2018

Politik sollte man danach beurteilen, wie sie mit den Schwächsten in einer Gesellschaft umgeht. Die Gruppe der Langzeitarbeitslosen ist hier ein guter Gradmesser aufgrund ihrer schwachen Position am Arbeitsmarkt. Die Regierung verordnet nun Kürzungen im AMS-Budget zulasten genau dieser Gruppe und rechtfertigt dies mit der Zielsetzung eines Nulldefizites – eine Scheinbegründung angesichts der angekündigten noch höheren Steuersenkungen.

Dieses Vorhaben stellt der österreichischen Politik ein äußerst schlechtes Sozialzeugnis aus. Die Kürzungen sind aber auch ökonomisch unvernünftig, da gerade jetzt die Arbeitsmarktpolitik für Langzeitarbeitslose intensiviert und bedarfsgerecht ausgebaut werden sollte. Denn Langzeitarbeitslose profitieren nicht automatisch vom Konjunkturaufschwung.

Langzeitarbeitslosigkeit bleibt zentrales Problem

Im zweiten Halbjahr 2017 verfestigte sich der Konjunkturaufschwung, der zu mehr offenen Stellen und zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führte. Die Arbeitslosigkeitsreduktion ist erfreulich, sollte aber nicht über den Umstand hinwegtäuschen, dass derzeit rund 150.000 mehr Menschen arbeitslos oder in Schulung sind als vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise. Die aktuell zu beobachtende Reduktion der Arbeitslosigkeit betrifft fast alle arbeitslosen Menschen, lediglich die Langzeitarbeitslosigkeit hinkt hinterher. Im Jahr 2017 ist die Zahl der Arbeitslosen mit einer Arbeitslosigkeitsdauer von über einem Jahr erneut gestiegen und war mit 58.537 mehr als zehnmal so hoch wie noch vor der Finanz- und Wirtschaftskrise. Damit war rund jede/r sechste Arbeitslose in Österreich langzeitarbeitslos. Die durchschnittliche Verweildauer in Arbeitslosigkeit stieg von 88 Tagen im Jahr 2008 auf 127 Tage im Jahr 2017.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Charakteristika von Langzeitarbeitslosen

Frauen sind mit 37,2 Prozent unter den Langzeitarbeitslosen im Jahr 2017 unterrepräsentiert. Dies liegt vor allem am Umstand, dass bei der Notstandshilfe, die nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldes gewährt wird, das Einkommen des Partners/der Partnerin für die Beurteilung der Notlage berücksichtigt wird (diese Regelung ist noch bis Ende Juni 2018 in Kraft). Entfällt aufgrund der Anrechnung des Partner/-inneneinkommens der Anspruch auf Notstandshilfe, werden sich diese Personen, meist Frauen, kaum mehr beim Arbeitsmarktservice melden und scheinen somit in den Registerdaten nicht mehr als langzeitarbeitslos auf.

Das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit steigt mit zunehmenden Alter stark an. So weist den höchsten Anteil an den Langzeitarbeitslosen die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen auf. Rund 31 Prozent der Langzeitarbeitslosen zählen zu dieser Altersgruppe. Insgesamt – das heißt unter allen Arbeitslosen – ist der Anteil der 55- bis 64-Jährigen deutlich niedriger (17 Prozent), was auf die überdurchschnittliche Betroffenheit von Langzeitarbeitslosigkeit dieser Altersgruppe hinweist. Der Bericht des Europäischen Beschäftigungsobservatoriums identifiziert das Alter einer arbeitslosen Person als Haupterklärungsfaktor für das Langzeitarbeitslosigkeitsrisiko. Er führt dies auf eine negative Haltung der Arbeitgeber/-innen gegenüber älteren Arbeitnehmer/-innen zurück, was zu Diskriminierung bei Einstellungsverfahren führen kann. Hinzu kommen zum Teil veraltete Qualifikationen unter älteren Menschen sowie eine Überrepräsentation von älteren Menschen in Branchen, die vom Strukturwandel betroffen sind.

Ein ähnlicher Befund trifft auf Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen zu. Rund 38 Prozent der Langzeitarbeitslosen (das sind 22.415 Menschen) haben gesundheitliche Vermittlungseinschränkungen, wo anzunehmen ist, dass es keine geeigneten Arbeitsplätze für diese Zielgruppe gibt und dies der Grund für die lange Arbeitslosigkeitsdauer ist.

In Bezug auf das Bildungsniveau von Langzeitarbeitslosen verschärft sich der bekannte Zusammenhang zwischen Ausbildung und Arbeitslosigkeitsrisiko. Rund jede/r zweite Langzeitarbeitslose hat maximal eine Pflichtschulausbildung. Dieser Werte liegt höher als im Durchschnitt aller Arbeitslosen (44,5 Prozent). Es sollte jedoch nicht die zweite Hälfte übersehen werden, wo Menschen trotz Berufsausbildung ein Jahr oder länger arbeitslos sind und das vorhandene Fachkräftepotenzial nicht genutzt wird. Knapp 16 Prozent der Langzeitarbeitslosen bzw. 9.257 Menschen haben sogar eine höhere bzw. akademische Bildung. Es erscheint regelrecht als ökonomischer Irrsinn, dieses Potenzial nicht zu aktivieren und eine Entwertung durch die lange Arbeitslosigkeitsdauer zu riskieren.

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Interessanterweise ist der Anteil der nicht österreichischen Staatsbürger/-innen unter den Langzeitarbeitslosen geringer als unter allen Arbeitslosen. Rund 21 Prozent bzw. 12.166 Langzeitarbeitslose haben keine österreichische Staatsbürgerschaft. Der Ausländer/-innenanteil unter allen Arbeitslosen liegt bei knapp 30 Prozent. Dies ist vor allem durch die unterschiedliche Altersstruktur zwischen Inländer/-innen und Ausländer/-innen zu erklären. Da Zuwanderung hauptsächlich im Haupterwerbsalter stattfindet, ist die nicht österreichische Bevölkerung mit durchschnittlich 34,6 Jahren jünger als die österreichische (43,9 Jahre) (Statistik Austria 2017). Damit sind Ausländer/-innen zumindest von einem zentralen Risikofaktor für Langzeitarbeitslosigkeit (höheres Alter) weniger betroffen.

Langzeitarbeitslosigkeit als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise

Die hohe Langzeitarbeitslosigkeit ist vor allem eine ökonomische Konsequenz der Finanz- und Wirtschaftskrise. Jene Menschen, die in der großen Rezession ihren Job verloren haben, hatten es in den Folgejahren aufgrund der extremen Knappheit an Arbeitsplätzen besonders schwer, einen Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu finden. Auch in den Jahren der konjunkturellen Erholung (2011 und dann ab 2016) konnten Langzeitarbeitslose aufgrund von Hysterese-Effekten nur begrenzt bzw. stark zeitverzögert vom Wirtschaftswachstum profitieren. Mit Hysterese ist gemeint, dass die hohe, anhaltende Arbeitslosigkeit bei vielen Menschen zu Dequalifizierung, Demotivation und gesundheitlichen Problemen führt und somit die Wiedereingliederungschancen sinken. Hinzu kommt, dass die Arbeitslosigkeitsdauer als ein Stigma den Lebensläufen der Arbeitssuchenden anhaftet. Für Deutschland hat Patrick Nüß beeindruckend nachgewiesen, dass bei einer Arbeitslosigkeitsdauer von zehn Monaten die Einladungsrate zu einem Vorstellungsgespräch um bis zu 35 Prozent sinkt. Anders ausgedrückt, müssen sich Langzeitarbeitslose ganz hinten in der Schlange um die verfügbaren Jobs anstellen – von Unternehmen vorgereiht werden Personen ohne oder mit sehr kurzen Arbeitslosigkeitserfahrungen.

Was wäre zu tun?

Die von der Regierung angekündigten Kürzungen des AMS-Förderbudgets treffen überwiegend Langzeitarbeitslose. Nachdem die Aktion 20.000 sistiert wurde, wird es nun zu weiteren Kürzungen des AMS-Förderbudgets in diesem Bereich kommen. Auch die anderen geplanten Maßnahmen im Regierungsprogramm (u. a. Abschaffung der Notstandshilfe, Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, mehr Sanktionen) werden die Langzeitarbeitslosigkeit nicht senken. Denn es sind rein angebotsseitige Therapievorschläge, die an den Problemlagen von Langzeitarbeitslosen vorbeigehen. Anders ausgedrückt: Wie sollen Arbeitslose nach Jobs suchen, wenn es für sie keine passenden gibt.

Aus unserer Sicht braucht es zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit eine Kombination von nachfrageschaffenden Maßnahmen speziell für Langzeitarbeitslose und eine intensivierte, bedarfsgerechte aktive Arbeitsmarktpolitik. Ersteres wäre durch die Aktion 20.000 gelungen. Hier eröffnete der Staat für Menschen, die in der Privatwirtschaft keine Chance erhalten, eine sinnvolle Perspektive. Die Zwischenevaluierung verweist auf erste positive Effekte. Durch das Einstellen dieser Maßnahme verzichtet die Regierung auf ein wirksames Instrument der Arbeitsmarktpolitik.

Die Regierungsstrategie, mehr Druck und Sanktionen auf Arbeitslose auszuüben, wird ebenfalls nicht fruchten, da dies empirisch bereits widerlegt ist. Die WIFO-Studie zeigt ganz klar, dass ein häufigerer Einsatz von Sanktionen nicht die Beschäftigungsintegration von Arbeitslosen verbessert, sondern allenfalls einen vermehrten Rückzug aus dem Arbeitsmarkt verursacht. Sinnvoller sind Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die z. B. durch Weiterbildungen bzw. Umschulungen dem digitalen Strukturwandel entgegenwirken. Der Erfolg dabei hängt von passgenauen, individuellen Lösungen ab und davon, inwieweit es gelingt, die Motivation und das Selbstvertrauen von Langzeitarbeitslosen zu stärken.

Hier stößt das AMS immer wieder an seine, durch Ressourcenknappheit bedingten, Grenzen. Zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit wären daher dringend mehr personelle und finanzielle Ressourcen für das AMS nötig. Als weitere wichtige Strategie erscheint der Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes. Hier werden von sozialökonomischen Betrieben und gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten Menschen eingestellt, um sie so zu qualifizieren, ihnen Arbeit zu ermöglichen und sie bei der Suche nach einer dauerhaften Beschäftigung am regulären Arbeitsmarkt zu unterstützen. Durch Erwerbsarbeit und regelmäßige soziale Kontakte wird Resignation, Demoralisierung und Demotivation vorgebeugt, da Langzeitarbeitslose weiterhin in die Gesellschaft eingegliedert bleiben und das Gefühl bekommen, etwas Sinnvolles zu leisten.

Entscheidend ist der nachhaltige, anhaltende Effekt; es geht darum, die Ursachen der Arbeitslosigkeit bei jedem/-r Arbeitslosen zu beseitigen und nicht nur die Symptome. Daher sind Einstellbeihilfen und Lohnsubventionen nur sehr gezielt und selektiv ein taugliches Instrument; je undifferenzierter sie verwendet werden, umso massiver sind die Mitnahme- und Verdrängungseffekte.