Wie wirken betriebliche Rahmenbedingungen auf den Arbeitseinsatz der Arbeitnehmer*innen?

12. November 2020

Ein schneller Blick in die E-Mails, ein kurzer Anruf bei der Kollegin – und all das in der Freizeit. Auch der Urlaub wird lieber nicht verbraucht, da die anstehenden Aufgaben nur von einem selbst erledigt werden können. Sogar krank arbeiten zu gehen ist für die Mehrheit nichts Ungewöhnliches. Dieser Beitrag präsentiert auf Basis der Ergebnisse einer Studie, wie sich die Entgrenzung der Arbeit auf die Neigung zur Mehrleistung durch Erwerbstätige auswirkt. Die Analyse zeigt, dass die betrieblichen Rahmenbedingungen, unter denen gearbeitet wird, maßgeblich dafür verantwortlich sind, wie intensiv die Erwerbstätigen bereit sind, ihren Arbeitseinsatz zu steigern.

Herausforderungen durch selbst organisierte Arbeit und Eigenverantwortlichkeit

Zwar hat die Bedeutung von Homeoffice schon in den letzten Jahren zugenommen, allerdings wurde erst durch die jüngsten Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie eine Notwendigkeit dazu geschaffen. Viele Tätigkeiten in Unternehmen waren plötzlich durch die Zurverfügungstellung von Softwarelösungen telearbeitsfähig, was ortsungebundenes Arbeiten ermöglichte. Dadurch waren viele Arbeitnehmer*innen einer völlig neuen Situation gegenübergestellt. Doch auch für Beschäftigte, deren Arbeitsabläufe schon vor der COVID-19-Pandemie – und damit unabhängig vom Arbeitsort – von selbst organisierten Abläufen, Eigenverantwortlichkeit und Abstimmungsprozessen geprägt waren, stellen diese Merkmale eine Herausforderung in Bezug auf die Work-Life-Balance dar.

Denn nicht nur vonseiten der Arbeitgeber bestehen hohe Erwartungen, die sich etwa in eingeforderter Flexibilität ausdrücken, sondern auch vonseiten der Beschäftigten, sich verstärkt in Arbeitsprozessen zu engagieren. Dadurch bringen Arbeitnehmer*innen immer mehr persönliche Eigenschaften, wie Kreativität oder Interpretationsfähigkeit, ein und sind darüber hinaus bereit, stärker in ihre Arbeit involviert zu sein. Durch eine starke Identifikation mit der ausgeübten Tätigkeit kann es zu einem ausgedehnten Zugriff auf das Leben und somit zu einem verstärkten Arbeitseinsatz der Erwerbstätigen kommen.

Die Studie zeigt, dass die betrieblichen Rahmenbedingungen einen großen Einfluss darauf haben, inwieweit die Erwerbstätigen bereit sind, ihren Arbeitseinsatz zu steigern. Die Ergebnisse variieren nicht nach dem Bildungsstand, Alter sowie Geschlecht. Einerseits beziehen sich diese Bedingungen auf zeitliche Entgrenzung, die sich in ausufernden Arbeitszeiten aufgrund von Zeitdruck und hohem Arbeitsvolumen ergeben; andererseits auf den Bedarf der inhaltlichen, fachlichen und bereichsübergreifenden Koordinierung, um Aufgaben erledigen zu können. Weiters führen auch die Möglichkeit des externen Zugriffs auf Unternehmensinhalte, Homeoffice und mobiles Arbeiten dazu, dass Erwerbstätige bereit sind, ihren Arbeitseinsatz zu erhöhen.

Diese Mehrarbeit kann sich nicht nur als Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit ausdrücken, sondern auch durch Vermeidung von Krankenständen, Ansammlung offener Urlaubsansprüche, starkes Arbeitsengagement sowie Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit entstehen. All diese Handlungen können zum Teil von der/dem Arbeitnehmer*in selbst gesteuert werden.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Dezentrales Arbeiten und Koordinationsbedarf als treibende Faktoren für verstärkten Arbeitseinsatz

Die Datengrundlage der Studie liefert eine Umfrage der Arbeiterkammer, an der Arbeitnehmer*innen zu ihrer Arbeitssituation befragt wurden.

Dabei wird deutlich, dass die Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit stark verbreitet ist. 60 Prozent der Befragten sind weitgehend für KollegInnen per E-Mail oder Telefon auch abseits der Dienstzeit verfügbar. Ebenso arbeitet knapp jede/jeder Zehnte am Weg zur Arbeit sowie am Heimweg. Durch die ständige Erreichbarkeit erhoffen sich 15 Prozent Vorteile für ihre berufliche Tätigkeit. Andererseits finden 85 Prozent der Befragten, dass sie keine beruflichen Nachteile haben, wenn sie nach Dienstschluss nicht mehr greifbar sind.

Auch abseits der Arbeit möchten sich Erwerbstätige verbessern, denn das Erlernen neuer Kenntnisse ist für viele selbstverständlich. 27 Prozent der Befragten haben eine selbst finanzierte berufliche Weiterbildung außerhalb der Arbeitszeit absolviert. Für weitere 14 Prozent, die ihre Freizeit dafür aufwenden, wird zumindest ein Teil dieser Kosten vom Arbeitgeber ersetzt. Die Gründe für die freiwilligen Fortbildungen liegen vor allem in der Erwartung, die aktuelle Tätigkeit besser ausüben oder neue Aufgaben übernehmen zu können.

Ein weiterer Aspekt von überhöhtem Leistungseinsatz ist, dass 17 Prozent der Beschäftigten angeben, trotz Krankheit grundsätzlich arbeiten zu gehen. Für weitere 38 Prozent trifft dies zumindest gelegentlich zu. Hierbei zeigt sich, wie drastisch Arbeitnehmer*innen ihre eigenen Bedürfnisse der beruflichen Tätigkeit unterordnen.

Besonders starken Effekt auf diesen beschriebenen überbordenden Arbeitseinsatz haben die Möglichkeit des Zugriffs auf Unternehmensdaten abseits des Arbeitsplatzes sowie das Ausmaß an Koordination, das erforderlich ist, um sich zwischen Kolleg*innen abzustimmen. Dies erzeugt die Notwendigkeit für intensive Kommunikation, was ein Grund für Erreichbarkeit auch außerhalb der Arbeitszeit und für Präsentismus – das Arbeiten trotz Krankheit – sein kann. Denn zur erfolgreichen Abstimmung zwischen den Kolleg*innen ist Anwesenheit oder zumindest Erreichbarkeit eine notwendige Voraussetzung. Der dadurch erzeugte Druck bewirkt, dass Arbeitnehmer*innen diesen an sich selbst weitergeben und sich dazu entscheiden, ihr eigenes Wohlbefinden hintanzustellen, um sicherzustellen, dass sie ihren Job gut machen.

Gesetzliche Rahmenbedingungen notwendig

Einige der oben beschriebenen Methoden, die durch Arbeitnehmer*innen angewendet werden, sind rechtlich nur schwer zu definieren und befinden sich daher im Graubereich. Am Beispiel von Homeoffice könnten klarere Regelungen gefunden werden, um die Trennung von Privat- und Berufsleben zu unterstützen, denn dort, wo gesetzliche Bestimmungen möglich sind, sollten diese auch festgelegt werden.

Mitarbeiter*innen müssen vor Überarbeitung geschützt werden, und es muss sichergestellt sein, dass Ruhezeiten adäquat eingehalten werden (können). Hier sind betriebliche Unterstützungsmaßnahmen sowie arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen notwendig, da sich eine steigende Tendenz zu dezentralisiertem Arbeiten und damit einhergehendem Koordinationsaufwand – auch abseits von Lockdown-Maßnahmen – abzeichnet. Die Erkenntnisse der vergangenen Monate könnten daher gut genutzt werden, um die Umsetzung entsprechender Gesetze voranzubringen.

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