Armutsfestigkeit von Pensionssystemen – Deutschland und Österreich im Vergleich

24. Oktober 2017

Wie schneiden die Pensionssysteme in Österreich und Deutschland ab, wenn es darum geht, vor Armut im Alter zu schützen? Bei durchschnittlichen Einkommen sind in Deutschland aktuell knapp 41 Beitragsjahre (!) erforderlich, um eine Pension in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen. Aufgrund weiterer Absenkungen des Pensionsniveaus stellt sich die Situation mit künftig 48 Beitragsjahren noch drastischer dar. In Österreich reichen demgegenüber heute und auch in der Zukunft 26 Jahre. Für ArbeitnehmerInnen mit einem merklich niedrigeren Einkommen ist es in Deutschland daher bereits derzeit kaum möglich, eine gesetzliche Pension über der Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen.

Hintergrund: Äquivalenzprinzip dominiert

In beiden Ländern ist die Pensionsversicherung durch das Äquivalenzprinzip geprägt. Dauer und Höhe der Erwerbseinkommen spiegeln sich grundsätzlich in der Pensionshöhe. Daraus ergeben sich viele positive Effekte, aber auch das Problem, dass brüchige Einkommensverläufe, Niedrigeinkommen, lange Teilzeitphasen etc. entsprechend negativ auf die Pensionshöhe durchschlagen.

Das Problem niedriger Pensionen wird in Österreich im Vergleich zu Deutschland aus zwei Gründen merklich gemildert. Zum einen liegt das allgemeine Leistungsniveau der öffentlichen Pensionsversicherung in Österreich deutlich über jenem in Deutschland. Dieser Unterschied wird sich in Zukunft noch deutlich verschärfen, wie dieser Beitrag im weiteren Verlauf illustrieren wird. Zum anderen gewährt das österreichische System der Ausgleichszulagen nicht nur eine merklich höhere Mindestsicherung, sondern auch einen deutlich niederschwelligeren Zugang als die deutsche Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.

Um die strukturelle Armutsfestigkeit von äquivalenzorientierten Systemen zu bemessen, ist neben der Berücksichtigung von bestimmten Zeiten ohne oder mit nur sehr geringem Erwerbseinkommen (Zeiten der Kindererziehung, der Arbeitslosigkeit etc.) die relative Höhe der Ansprüche, also das Pensionsniveau, ausschlaggebend. Anders gefragt: Wie viel Prozent des (pensionsversicherten) Erwerbseinkommens werden jedes Jahr als anteilige Pension gutgeschrieben? Je höher dieser Wert liegt, desto einfacher lässt sich ein bestimmtes Zielniveau – wie etwa die Armutsgefährdungsschwelle – erreichen.

Pensionsniveaus über der Armutsgefährdungsgrenze

Die Armutsgefährdungsgrenze Alleinstehender entspricht 60 % des äquivalenzgewichteten Medianeinkommens auf Basis der verfügbaren Nettohaushaltseinkommen nach Sozialtransfers. Durch die Äquivalenzgewichtung werden die Haushaltsgröße und -zusammensetzung mitberücksichtigt. Als letztverfügbaren Wert weist EU-SILC (Europäische Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen) für das Jahr 2015 für Deutschland eine Armutsgefährdungsgrenze von 12.401 Euro (jeweils jährlich) und für Österreich von 13.956 Euro aus. Diese Daten beziehen sich auf das Erhebungsjahr 2014.

Wie hoch muss die Bruttopension ausfallen, damit sich nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge für eine alleinstehende Person eine Jahresnettopension in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze ergibt? Die Einkommenssteuer kann hierbei ausgeblendet bleiben, da bei diesen Einkommenshöhen in Österreich keine und in Deutschland zumindest aktuell (noch) keine Besteuerung erfolgt. Hierbei interessieren weniger die konkreten Eurobeträge für ein bestimmtes Jahr als die Relation der erforderlichen Bruttopension zum jeweiligen Durchschnittseinkommen, also das jeweils erforderliche (Brutto-)Pensionsniveau.

Für Deutschland entspricht die notwendige Bruttorente 40 % des durchschnittlichen Bruttojahresentgelts, für Österreich rund 45 %. Das Bruttopensionsniveau, das aktuell erforderlich ist, um eine Jahresnettopension in der Höhe der Armutsgefährdungsgrenze zu erhalten, liegt in Österreich damit merklich höher als in Deutschland. Das hat zwei Gründe: Einerseits liegt das äquivalenzgewichtete Medianeinkommen und damit die Armutsgefährdungsgrenze in Österreich höher als in Deutschland. Andererseits sind die durchschnittlichen deutschen Bruttoentgelte höher, was zumindest teilweise aus der höheren Höchstbeitragsgrundlage in der deutschen Rentenversicherung resultiert.

Diese Zielniveaus können auch als Orientierungsgröße für die Zukunft herangezogen werden. Es erscheint plausibel, dass Durchschnittseinkommen und Armutsgefährdungsgrenzen (bzw. die diesen zugrundeliegenden Medianeinkommen) sich weitgehend parallel entwickeln werden. Wie lange brauchen Personen nun, um diese Pensionsniveaus in Deutschland und Österreich zu erreichen?

Wie viel Pension erhält man pro Erwerbsjahr?

Aktuell (2016) errechnet sich in der deutschen Rentenversicherung bei einem Pensionsantritt zum Regelpensionsalter ein jährlicher Pensionsanspruch von 0,9867 % des versicherten Einkommens. Pro Erwerbsjahr wird also nur knapp 1 % des beitragspflichtigen Erwerbseinkommens als Bruttopension gutgeschrieben. Laut OECD-Projektionen (OECD 2015, Pensions at a Glance) wird sich der jährliche Pensionsanspruch für 20-Jährige BerufseinsteigerInnen weiter auf 0,8333 % des versicherten Einkommens vermindern.

Der Kontoprozentsatz in der österreichischen Pensionsversicherung beträgt 1,78 %. Jedes Versicherungsjahr werden also 1,78 % des Einkommens (der Jahresbeitragsgrundlage) als Pensionsanspruch zum Regelpensionsalter gutgeschrieben. Der bereits erworbene Kontostand wird dabei jährlich im Ausmaß der durchschnittlichen Einkommensentwicklung aufgewertet. Im Jahr des Pensionsantritts erfolgt allerdings keine Aufwertung mehr, weshalb der (effektive) relative Anspruch pro Jahr mit 1,7356 % pro Jahr (OECD 2015) etwas niedriger ausfällt als der Kontoprozentsatz. Dieser Wert gebührt im österreichischen Pensionskontorecht, das für Geburtsjahrgänge ab 1955 zur Anwendung kommt.

Unter welchen Voraussetzungen können Personen eine Pension oberhalb der Armutsgefährdungsschwelle erwarten?

Dekoratives Bild © A&W Blog
Quelle: Türk/Blank in Soziale Sicherheit 7-8/2017, S. 288. © A&W Blog
Quelle: Türk/Blank in Soziale Sicherheit 7-8/2017, S. 288.

Bei einem Einkommen in der Höhe des Durchschnittseinkommens über das gesamte Erwerbsleben betrachtet sind demzufolge in Deutschland aktuell rund 41 Beitragsjahre erforderlich, um eine Pension in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen. Liegt das Einkommen bei 75 % des Durchschnittseinkommens, dann steigt der Wert auf rund 54 Jahre. Geht man von 45 Beitragsjahren aus, dann braucht es aktuell ein Einkommen in der Höhe von zumindest 90 % des Durchschnittseinkommens, bei 35 Beitragsjahren von rund 116 %.

Nach den bereits umgesetzten Absenkungen des Pensionsniveaus ist es in Deutschland schon heute selbst bei durchschnittlichem Einkommen schwierig, eine Pension über der Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen. Für Personen, deren durchschnittliches Einkommen über die gesamte Erwerbsphase betrachtet merklich unter dem Durchschnittseinkommen liegt, sind Pensionshöhen über der Armutsgefährdungsgrenze realistisch gesehen schon derzeit kaum erreichbar.

In der Zukunft stellt sich die Situation noch drastischer dar: Werden die Kalkulationen der OECD zum künftigen Pensionsniveau zugrunde gelegt, wären bei einem Durchschnittseinkommen 48 Beitragsjahre für eine Pension über der Armutsgefährdungsgrenze erforderlich, bei einem Einkommen in der Höhe von 75 % des Durchschnittseinkommens unerreichbare 64 Beitragsjahre.

In Deutschland wird demnach eine deutlich steigende Zahl an Personen allein mit einer Pension aus der gesetzlichen Rentenversicherung kein Alterseinkommen über der Armutsgefährdungsgrenze mehr erreichen. Eine merkliche Entschärfung dieser Problematik durch kapitalgedeckte Zusatzpensionen ist dabei nicht zu erwarten, denn gerade für BezieherInnen niedriger Einkommen ist es in der Regel besonders schwierig, Zusatzpensionsansprüche in nennenswertem Ausmaß zu erwerben.

In Österreich stellt sich demgegenüber die Situation aktuell und zukünftig deutlich positiver dar. Ein Durchschnittseinkommen führt nach 26 Erwerbsjahren zu einer Pension in Höhe der Armutsgefährdungsgrenze. Bei einem Einkommen von 75 % des Durchschnittseinkommens verlängert sich dieser Zeitraum auf knapp 35 Jahre. Das Risiko, bei Pensionsantritt zum Regelalter nur eine Pension unter der Armutsgefährdungsgrenze zu erreichen, konzentriert sich damit auf Risikogruppen wie Personen mit langjährig niedrigen Einkommen und größeren Versicherungslücken. Dieses Risiko sollte nicht vernachlässigt werden. Insbesondere Frauen laufen aufgrund der nach wie vor bestehenden geschlechtsspezifischen Benachteiligung bei den Einkommenshöhen und dem Ausmaß der Erwerbsbeteiligung Gefahr, Pensionen unter der Armutsgefährdungsschwelle zu erhalten.

Nicht übersehen werden sollte zudem, dass sich diese Vergleichsberechnungen in beiden Ländern auf abschlagfreie Pensionsantritte zum jeweiligen Regelpensionsalter beziehen. Wenn die Leistungen bereits vor dem Regelalter bezogen werden bzw. bezogen werden müssen, dann fallen diese aufgrund der Abschläge niedriger aus, wodurch sich die erforderlichen Erwerbsdauern bzw. Einkommenshöhen entsprechend erhöhen.

Fazit

In Deutschland ist es mittlerweile wesentlich schwieriger, allein mit einer Pension der Pensionsversicherung die Armutsrisikogrenze zu überschreiten, als in Österreich. Und diese Problematik wird sich angesichts des in Deutschland stetig sinkenden Pensionsniveaus weiter zuspitzen. Österreich fährt im Vergleich deutlich besser. Wenn auch das allgemeine Pensionsniveau kein explizites Instrument gegen Altersarmut darstellt, zeigt dieser Beitrag, dass von einem – in Österreich realisierten, für Deutschland wünschenswerten – höheren Niveau auch entsprechend positive Effekte für die Bekämpfung von Altersarmut zu erwarten sind.

Dieser Beitrag stellt eine gekürzte Fassung des Beitrages „Niedrigrenten, Mindestsicherung und Armutsgefährdung Älterer. Ein Vergleich zwischen Österreich und Deutschland (Teil1)“, in: Soziale Sicherheit 7-8/2017, Bund Verlag, S. 286-289, dar. Das Abstract des Beitrags findet sich hier.