Wenn KundInnen zur Belastung werden – Arbeitsplätze im Handel sicher und gesund gestalten

11. Oktober 2022

Beschäftigte im Handel wurden während der Pandemie als SystemerhalterInnen gefeiert. Dass sie gleichzeitig hohen emotionalen und psychischen Belastungen durch den Kundenkontakt ausgesetzt waren, fand hingegen wenig Beachtung. Genervte und zum Teil aggressive KundInnen machen die Beschäftigten unmittelbar zur Zielscheibe von Unmut und Frustration.

Im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht haben ArbeitgeberInnen dafür zu sorgen, dass die Arbeit und das Arbeitsumfeld sicher gestaltet ist und die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet wird. Damit das gelingt, sind ArbeitgeberInnen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) dazu verpflichtet eine sogenannte Arbeitsplatzevaluierung vorzunehmen. Bei der Arbeitsplatzevaluierung hat der/die ArbeitgeberIn die bestehenden Gefahren für die Sicherheit und die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen zu ermitteln und zu beurteilen und entsprechende Maßnahmen zur Gefahrenverhütung zu setzen.

Evaluierung – ein dynamischer Prozess

Die Evaluierungspflicht der ArbeitgeberInnen ist aber nicht mit der einmaligen Setzung von Maßnahmen erschöpft. Im Gegenteil! Bei der Arbeitsplatzevaluierung handelt es sich um einen dynamischen, immer wiederkehrenden Prozess, der einer laufenden Kontrolle bzgl. Effektivität und Aktualität bedarf. Dabei sollten stets der präventive Aspekt und der Grundsatz, dass nicht der Mensch an die Arbeit, sondern die Arbeit an den Menschen angepasst werden sollte, im Vordergrund stehen.

Psychische Belastungen nehmen zu

Beschäftigte im Handel sind stark belastet! Auffallend ist, dass sich die psychischen Belastungen während der Pandemie nahezu vervierfacht haben. Nach Auswertungen des Arbeitsklimaindex‘ der Arbeiterkammer OÖ gaben 2018/19 nur 5,4 % der Befragten an, psychische Belastungen an ihrem Arbeitsplatz zu haben. Im Befragungszeitraum 2020/21 waren es erschreckende 19,1 %. Dazu kommt, dass nur mehr 59,3 % ihren Job als sinnvoll erachten. Vor der Pandemie (2018/19) waren es immerhin noch 66,7 %. Auch der Arbeits- sowie der Zeitdruck sind in den letzten beiden Jahren stark angestiegen. Ein alarmierendes Ergebnis, das als traurige Folge der Pandemie gewertet werden kann.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Gewalt am Arbeitsplatz

Eine besondere Form der psychischen Belastungen ist Gewalt am Arbeitsplatz. Diese kann in unterschiedlichen Formen auftreten: verbale, psychische, physische oder sexualisierte Gewalt. Eine häufige Form der Gewalt ist hier die verbale Gewalt wie etwa unangenehme Anspielungen oder sogar Beschimpfungen und Beleidigungen. Sätze wie „Von der Ausländerin lasse ich mich nicht bedienen.“ sind im Handel keine Seltenheit. Aber auch physische Gewalt wie zum Beispiel Anrempeln, Kratzen, Schläge oder Tritte von verärgerten KundInnen sind traurige Realität. Beschäftigte berichten häufig, dass sie in der Arbeit mit den Nerven am Ende sind. Der Wunsch, den Frust der KundInnen nicht an den MitarbeiterInnen auszulassen, ist verständlicherweise groß.

Die Rechte des Betriebsrates nützen: durch Mitwirkungsrechte

Die Hauptverantwortung für gute Arbeitsbedingungen liegt ganz klar beim/bei der ArbeitgeberIn. In Betrieben, in denen ein Betriebsrat eingerichtet ist, soll zusätzlich von dessen Rechten Gebrauch gemacht werden. Dem Betriebsrat kommen durch die §§ 89 ff Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) umfassende Mitwirkungsrechte in Form von Überwachungs-, Informations-, Interventions-, Beratungs- und Anhörungsrechten zu. Das Überwachungsrecht ermöglicht es z.B. betriebliche Räumlichkeiten zu besichtigen. Im Zuge dieses Mitwirkungsrechtes können räumlich ungünstige Gegebenheiten (z.B. fehlende Rückzugsmöglichkeiten) aufgedeckt werden, die einen starken Einfluss auf die Entstehung von Gewalt, Konflikten und Mobbing am Arbeitsplatz haben.

Durch das allgemeine Interventionsrecht in § 90 Abs. 1 ArbVG haben Betriebsräte die Möglichkeit, von ArbeitgeberInnen, und gegebenenfalls auch von den zuständigen Stellen außerhalb des Betriebes wie bei der AUVA oder dem Arbeitsinspektorat, entsprechende Maßnahmen zu beantragen und die Beseitigung von Mängeln zu verlangen. Vor allem ist der Betriebsrat aufgrund seines Interventionsrechtes auch dazu berechtigt, Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, zur Verhütung von Unfällen sowie zur menschengerechten Arbeitsgestaltung zu erstatten. Maßgeblich ist aber, dass dem Betriebsrat keine Befugnis zukommt, selbständig Maßnahmen zu setzen, um Missstände zu beseitigen.

Mit § 92a ArbVG wird dem Betriebsrat ein umfassendes Anhörungs- und Beratungsrecht in allen Angelegenheiten der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes eingeräumt. Beispielsweise hat der Betriebsrat ein Anhörungs- und Beratungsrecht bei der Planung und Einführung neuer Technologien oder der Auswahl der persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Betriebsräte sind ein wichtiges Bindeglied zwischen ArbeitgeberInnen, anderen inner- und außerbetrieblichen AkteurInnen und Beschäftigten und können besonders bei Konflikten als VermittlerInnen fungieren.

Mitwirkung durch Betriebsvereinbarungen

Neben diesen allgemeinen Mitwirkungsrechten wird den Betriebsräten durch die Möglichkeit des Abschlusses von Betriebsvereinbarungen zusätzlich ein wichtiges Instrumentarium zur innerbetrieblichen Mitbestimmung in die Hand gelegt. Sie können Betriebsvereinbarungen über allgemeine Ordnungsvorschriften abschließen, damit kann ganz allgemein das Verhalten der ArbeitnehmerInnen im Betrieb geregelt werden, dazu gehören beispielsweise Regelungen betreffend Alkoholkonsum am Arbeitsplatz, über allgemeine Bekleidungsvorschriften oder auch die Vereinbarung wie im Falle von Gewalt und Mobbing vorzugehen ist. Überdies besteht auch die Möglichkeit, Betriebsvereinbarungen zum Schutz der Gesundheit der Beschäftigten abzuschließen.

Bei der Prävention ansetzen

Der Arbeitnehmerschutz für Beschäftigte mit Kundenkontakt ist leider noch immer ein vernachlässigter Bereich in Betrieben. Es ist höchste Zeit, diese Arbeitsplätze menschengerecht zu gestalten. Der Fokus soll auf die Prävention gelegt werden, vor allem durch klare Zielvorgaben für die psychische Entlastung der Beschäftigten. Hierbei ist die Beteiligung von ArbeitspsychologenInnen in sämtlichen betrieblichen Präventionsaspekten ein wichtiger Aspekt, der verpflichtend vorgesehen sein müsste. Bildungsmaßnahmen und zusätzliche Personalressourcen können die steigenden Anforderungen an die Beschäftigten ausgleichen. Mitwirkungsrechte von Betriebsräten sind ein wichtiges Instrumentarium. Damit diese in der Praxis voll ausgeschöpft werden können, sind sie auszubauen und zu stärken.