Was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Arbeitslosenversicherung erwarten

13. Juni 2018

Zwei wichtige Erwartungen haben die in der Arbeitslosenversicherung Versicherten an diesen Bereich der sozialen Absicherung in Österreich: Das sind zunächst Geldleistungen in einer Höhe, die nicht sofort zu empfindlichen Einschränkungen in der Lebenshaltung führt – besonders wichtig für AlleinerzieherInnen und für Mehrkindfamilien. Und dann geht es den Versicherten auch darum, auf eine gute Unterstützung beim beruflichen Neustart durch die Arbeitslosenversicherung bauen zu können. Damit sind zwei Wegmarken für die von der Bundesregierung angekündigte Reform der Arbeitslosenversicherung und damit verbunden auch der Arbeitsmarktförderung gezeichnet. Die Ankündigungen der Bundesregierung setzen sich davon aber deutlich ab: Mehr existenzieller Druck in der Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsmarktförderung, die sich weitestgehend an kurzfristigen Bedarfen der Unternehmen orientiert.

Sonderauswertung des Arbeitsklima-Index bildet Erwartungen an die Arbeitslosenversicherung ab

Im Rahmen der regelmäßigen Befragungen für den Arbeitsklima-Index wurden 2017 3.902 aktuell beschäftigte und repräsentativ ausgewählte ArbeitnehmerInnen zu ihren Erwartungen an die Arbeitslosenversicherung befragt. Zum Zeitpunkt der Beauftragung war die hohe Arbeitsmarktdynamik in Österreich das Kernmotiv für diese Zusatzfragen, die ja auch von einer hohen Betroffenheit von Arbeitslosigkeit begleitet ist. 2017 wechselten rund 523.000 ArbeitnehmerInnen – das sind rund 14 Prozent der unselbstständig Beschäftigten des Jahres 2017 – zumindest einmal von unselbstständiger Aktivbeschäftigung in AMS-Vormerkung, wurden also arbeitslos und waren zur Absicherung ihrer Existenz im Durchschnitt etwas mehr als vier Monate auf die Leistungen der Arbeitslosenversicherung angewiesen.

Mit dem Arbeitsprogramm der neuen Bundesregierung hat diese Erhebung aber zusätzliche Bedeutung und Aktualität gewonnen – denn noch heuer sollen ja die Vorstellungen hinter dem Vorhaben eines „Arbeitslosengeldes neu“ präzisiert werden. Umso wichtiger ist es, die Erwartungen von Beschäftigten an die Sozialversicherung genauer zu kennen, die sie vor den individuellen Folgen der Arbeitslosigkeit und bei deren Bewältigung so gut wie möglich schützen bzw. unterstützen soll.

Realistisches Bild über die Leistungskraft der Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung

Die Beschäftigten haben zunächst ein recht realistisches Bild von der Leistungskraft der Arbeitslosenversicherung. Die Ersatzrate von 55 % des Nettoeinkommens vor der Arbeitslosigkeit beim Arbeitslosengeld lässt wohl niemanden wirklich Milch und Honig beim Verlust des Arbeitsplatzes erwarten. So rechnen 51 % der Befragten mit einem starken Absinken ihres Lebensstandards, weitere 34 % meinen, ihr Lebensstandard würde merklich sinken. Nur acht Prozent der Befragten meinen, sie würden ihren Lebensstandard halten können. Niemanden wird es wundern, dass 92 % der GeringverdienerInnen (Einkommen bis € 1.550,- brutto) und Beschäftigten mit Kindern ein merkliches oder starkes Absinken ihres Lebensstandards befürchten. Interessant ist, dass es kaum Unterschiede bei dieser Erwartung nach dem Bildungsstand gibt: 93 % der Beschäftigten mit Pflichtschulabschluss als höchstem Bildungsabschluss, 91 % derjenigen mit Lehrausbildung und 91 % der AkademikerInnen erwarten deutliche Einschnitte in der Lebenshaltung bei Arbeitslosigkeit.

Diese Befunde decken sich mit den Ergebnissen einer qualitativen Studie, in der Wiener ArbeitnehmerInnen über ihre Erfahrungen mit der Höhe der Leistungen der Arbeitslosenversicherung und ihre Strategien beim Umgang damit befragt wurden – Aufbrauchen der Ersparnisse, so überhaupt vorhanden, höhere Abhängigkeit vom Partner, Geldausleihen bei Verwandten und drastische Ausgabenreduktionen im Lebensalltag gerade für AlleinerzieherInnen und für Mehrkindfamilien prägen die Lebensrealität von Arbeitslosen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Bezugsdauer und Einkommensschutz sollten ausgebaut werden

Das Arbeitslosengeld Neu wurde ja auch mit dem Bemerken angekündigt, dass sich längere Versicherungszeiten in längere Bezugsdauern beim Arbeitslosengeld niederschlagen sollten. Damit trifft die Bundesregierung die Erwartungen insbesondere der Beschäftigtengruppen mit niedrigem und mittlerem Einkommen. So sollten für immerhin 39 % aller Befragten 20 Versicherungsjahre zu 78 Wochen Arbeitslosengeld führen, für weitere 37 % zu einem Jahr. Nur zur Erinnerung: 52 Wochen Arbeitslosengeldbezug ist das Maximum an Arbeitslosengeldbezug für Arbeitsuchende (78 Wochen Arbeitslosengeld sieht das AlVG nur für AN vor, die nach einer beruflichen Rehabilitation, die ab dem 1.1.2011 erfolgt ist, arbeitslos wurden), die das 50. Lebensjahr überschritten haben und die in den letzten 15 Jahren vor der Arbeitslosigkeit 468 Wochen (neun Jahre) arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt waren. Damit korrespondieren auch die Antworten nach dem Einkommensschutz bei den Zumutbarkeitsbestimmungen: 82 % aller Befragten empfinden es als ungerecht, dass nach 120 Tagen eine Beschäftigung zum jeweiligen kollektivvertraglichen Mindestlohn zumutbar ist. Dass es unter den Befragten mit höchstens Pflichtschulabschluss nur 71 % sind, die das als ungerecht empfinden, ist wohl ein Spiegel der Lebensrealitäten dieser Beschäftigtengruppe: Für sie sind Überzahlungen auf den Kollektivvertragslohn schon lange Geschichte und Arbeit zum KV-Mindestlohn ganz einfach üblich und nichts Außergewöhnliches.

Arbeitslosenversicherung: Neben Geldleistungen wird auch Unterstützung beim Neustart erwartet

Doch die Versicherten in der Arbeitslosenversicherung erwarten nicht nur Geldleistungen bei Arbeitslosigkeit, es geht ihnen in der großen Mehrheit auch um den Erhalt oder eine Verbesserung des erreichten beruflichen Status. Fast 90 % der Befragten wollen eine aktive Unterstützung durch das AMS, wenn eine berufliche Neuorientierung notwendig ist. Hingegen meinen nur sieben Prozent, es solle jede mögliche Arbeit angenommen werden müssen, egal, ob sie den erworbenen beruflichen Kenntnissen und Fähigkeit entspricht, egal, welche weitere Entwicklung der beruflichen Karriere damit verbunden ist.

Diese Anforderung der überwältigenden Mehrheit der ArbeitnehmerInnen, nämlich intensiv bei einem guten beruflichen Neustart bei eingetretener Arbeitslosigkeit unterstützt zu werden, ist ja auch nach überwiegender Ansicht der Arbeitsmarktforschung das Gebot der Stunde: Zum einen sollte durch Investitionen in das berufliche Wissen und Können Arbeitsuchenden dabei geholfen werden, wieder gut auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Damit könnte auch zu einem stärkeren Rückgang der Arbeitslosigkeit durch mehr Beschäftigung von Arbeitslosen auf den in der aktuellen Wirtschaftsentwicklung entstehenden zusätzlichen Arbeitsplätzen beigetragen werden. Zum anderen ist ja auch die Arbeitsmarktpolitik gefordert, zur Bewältigung des digitalen Wandels und zur Bewältigung des Fachkräftebedarfs der heimischen Wirtschaft beizutragen und wichtige strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt wie etwa den hohen Anteil von Geringqualifizierten an der Arbeitslosigkeit oder die Diskriminierungen von Frauen, Älteren und Personen mit Migrationshintergrund zurückzudrängen.

Arbeitslosengeld Neu und Effizienzsteigerung in der Arbeitsmarktförderung – Ausrichtung der Bundesregierung geht an Erwartungen der Beschäftigten vorbei

In ihrem Arbeitsübereinkommen hat sich die Bundesregierung eine Neugestaltung der Arbeitslosenversicherung unter dem Titel „Arbeitslosengeld Neu“ vorgenommen. Die Formulierungen zu diesem Abschnitt erwecken den Eindruck, dass es dabei vor allem um einen erhöhten existenziellen Druck auf Arbeitslose geht, möglichst rasch möglichst jedes Arbeitsangebot auch anzunehmen. Dieser Eindruck wurde etwa durch die Interpretationen dieser Formulierungen durch die Regierungsspitze bei der Regierungsklausur am 5.1.2018 bestätigt und verstärkt. Dabei gibt es robuste Evidenz dafür, dass mehr Druck auf Arbeitslose deren Probleme auf dem Arbeitsmarkt nicht löst, zu keiner rascheren und vor allem zu keiner für die Betroffenen im Sinne von Einkommen, Arbeitsbedingungen und Beschäftigungsstabilität guten Beendigung der Arbeitslosigkeit führt.

Außerdem soll es unter dem Schlagwort „Effizienzsteigerung in der Arbeitsmarktförderung und im AMS“ anscheinend darum gehen, die Arbeitsmarktförderung ausschließlich an kurzfristigen Bedarfen der Unternehmen auszurichten und sich aus der Zurückdrängung struktureller Arbeitsmarktprobleme und der Bewältigung des technologischen Wandels in der Wirtschaft zurückzuziehen. Die Aus- und Weiterbildungsangebote des AMS sollen ja überwiegend „arbeitsplatznah“ ausgerichtet werden. Das heißt auch, die jeweiligen individuellen Interessen von Arbeitsuchenden bei einer nachhaltigen Verbesserung der beruflichen Laufbahn im AMS-Schulungsgeschehen so gut wie nicht mehr zu berücksichtigen. Die damit einhergehende Kürzung des Förderbudgets des AMS in den Jahren 2018 und 2019 und insbesondere die Streichung der Mittel für die Beschäftigungsaktion +20.000 sowie des Integrationsjahrs sind ja schon budgetärer Ausdruck dieser Politik.

Mit einer solchen Arbeitsmarktpolitik aber negiert die Bundesregierung die Meinung und die Erwartungen der weitaus überwiegenden Zahl der Beschäftigten, die von ihrer Arbeitslosenversicherung zweierlei wollen: Eine Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit, die nicht sofort zu erheblichen Einschränkungen in der Lebensführung der Betroffenen und ihrer Familien führt und eine gute Unterstützung beim Neustart auf dem Arbeitsmarkt.