AMS-Sanktionen: mental ungesund und gesellschaftlich teuer

07. Juni 2022

Sanktionen, die zu einer Sperre des Arbeitslosengeldes führen, haben in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Druck auf Arbeitssuchende steigt. Sanktionen reduzieren jedoch weder Ausmaß noch Dauer von Arbeitslosigkeit, werden oft ungerechtfertigt verhängt, können das Lohnniveau senken und sind für Betroffene eine massive Belastung. Sie führen zu einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit und kommen so auch der Allgemeinheit teuer. Statt Sanktionen braucht es einen arbeitsmarktpolitischen Kurswechsel, der Mut statt Druck macht und mehr Geld und Personal für das AMS bereitstellt.

Wie AMS-Sanktionen funktionieren

Wer Arbeitslosengeld bezieht, bekommt eine verdiente Versicherungsleistung. Das Arbeitslosengeld ist an die Bedingung geknüpft u. a. „arbeitswillig“ zu sein. Wer das – laut AMS – nicht ist, kann sanktioniert werden. Dabei wird das Arbeitslosengeld entweder tageweise, bis zu acht Wochen oder gänzlich gesperrt. Neben verpassten Kontrollterminen, dem Fehlen bei AMS-Schulungen und Selbstkündigung gibt es auch Sanktionsmaßnahmen bei der Vereitelung der Arbeitsaufnahme oder „genereller Arbeitsunwilligkeit“ etc. Bei der Vereitelung können z. B. „unmotivierte“ Bewerbungen oder auch zu kritische Fragen beim Vorstellungsgespräch ausschlaggebend sein. Eine Arbeitsunwilligkeit liegt beispielsweise vor, wenn Angebote – weil das Gehalt zu niedrig ist oder der Job sich in einem anderen Bundesland befindet – abgelehnt werden.

Steigende Sanktionen haben politischen Ursprung

Von Konservativen wird oft der Eindruck erweckt, dass arbeitssuchende Menschen gar keine Lust auf eine Anstellung hätten. Dabei zeigen AMS-Daten, dass lediglich 0,1 Prozent der Arbeitslosen wegen „Arbeitsunwilligkeit“ sanktioniert wurden. Fast 85 Prozent wurden nie sanktioniert. Auch wenn die Sanktionszahlen insgesamt niedrig sind, sind sie in den letzten Jahren stark angestiegen. In absoluten Zahlen haben sich die Sanktionen aufgrund von „genereller Arbeitsunwilligkeit“ (§ 9 AlVG) von 197 im Jahr 2014 auf 952 im Jahr 2021 verfünffacht. Sanktionen bezüglich „vereitelter Arbeitsaufnahme“ (§ 10 exkl. Abs 4) haben sich von rund 13.500 auf 28.000 mehr als verdoppelt. Und auch im Verhältnis zur Arbeitslosigkeit sind Sanktionen stark gestiegen. Was steckt also hinter dem Anstieg? Vor allem ein falsches Verständnis von Arbeitslosigkeit und politische Signale für mehr Druckausübung. Dabei zeigt sich, dass die Dauer der Arbeitslosigkeit sowie die Anzahl der Langzeitarbeitslosen stetig steigt. Trotz steigender Sanktionen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Individuelles Verhalten ist nicht immer Grund für Sanktion

Sanktionen variieren außerdem stark zwischen den Bundesländern und sogar zwischen Bezirken. Eindeutige Zusammenhänge zwischen Sanktionen und der Arbeitslosenrate sind aber kaum, auch nicht auf regionaler Ebene, feststellbar. Es scheint deshalb, dass Sanktionen unter anderem von der speziellen Handhabung einzelner AMS-Geschäftsstellen geprägt sein könnten. Das individuelle Verhalten von Arbeitssuchenden muss also nicht immer der Grund für eine Sanktionierung sein. Dies zeigt sich auch bei einem Blick auf Einspruchsentscheidungen. Über ein Drittel der Einsprüche (lt. AMS OÖ) gegen Sperren aufgrund von „Arbeitsunwilligkeit“ wurden 2020 in Oberösterreich zugunsten Arbeitssuchender entschieden. Dieser hohe Anteil muss auch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass die rechtliche Lage schwer durchschaubar ist und sich Betroffene ihrer Möglichkeiten nicht bewusst sind. Deshalb gibt es insgesamt nur wenige Einsprüche gegen AMS-Bescheide. Generell gilt: Haben AMS-MitarbeiterInnen – wegen Personalmangel und fehlender Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik – wenig Zeit für gute Beratungen und die Anliegen ihrer KlientInnen, können nicht passende Jobs zu einem Anstieg der Sanktionen führen.

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Sanktionen verfehlen ihr Ziel und führen zu niedrigeren Löhnen

Sanktionen haben laut BefürworterInnen den Sinn, Menschen schneller wieder in Beschäftigung zu bringen. Internationale Studien sind sich darüber nicht ganz einig. Ein Großteil bestätigt zwar einen leicht positiven Effekt zwischen Sanktionen und steigender Beschäftigung. Gleichzeitig steigt aber auch das Risiko, sich gänzlich vom Arbeitsmarkt zu verabschieden. Eine WIFO-Studie für Österreich im Auftrag des AMS kam zum Ergebnis, dass strengere Sanktionen einen negativen Effekt haben. Betroffene würden durch Sanktionen weniger häufig wieder in Beschäftigung kommen. Wenn nach oder durch Sanktionen trotzdem ein Job angenommen wird, ist dieser häufig schlechter bezahlt und mit schlechteren Arbeitsbedingungen als der Job vor der Arbeitslosigkeit verknüpft.

Sanktionen haben negative Effekte auf die mentale Gesundheit

Arbeitslosigkeit führt zu einer schlechteren psychischen Gesundheit. Arbeitslose Personen sind viel häufiger von Symptomen wie Depressionen, Angstzuständen oder geringerem Selbstwertgefühl betroffen. In Ländern mit unzureichender oder lückenhafter Absicherung für Arbeitslose ist die Lage der mentalen Gesundheit noch angespannter. Sanktionen können diese negativen Folgen weiter verstärken. Einerseits führt eine Sperre des Arbeitslosengeldes zu einem weiteren Einkommensverlust, der für Betroffene natürlich sehr belastend ist. Andererseits fühlen sich Betroffene durch Sanktionen oft ungerecht behandelt und machtlos. Dass dieses Gefühl nicht unberechtigt ist, haben die Einspruchsentscheidungen bereits gezeigt.

All dies führt zu einer massiven psychologischen Belastung und resultiert in einer schlechteren mentalen Gesundheit. In Großbritannien stiegen beispielsweise in Regionen mit vielen Sanktionen die Verschreibungen von Antidepressiva. Auch eine US-amerikanische Studie liefert Hinweise darauf, dass strengere Regeln bei Sanktionen und bei der Jobsuche im Allgemeinen mit schlechterer mentaler Gesundheit einhergehen. Dies ist besonders bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, wie alleinerziehenden und niedrig gebildeten Frauen, auffallend. Eine Arbeit aus Finnland untersuchte den Effekt von aufgezwungen Trainings zur Jobsuche, bei denen Sanktionen drohen, im Vergleich zu freiwilligen Trainings ohne Sanktionen. Ein zentrales Ergebnis ist, dass der eigentlich positive Effekt von Schulungsmaßnahmen auf die Psyche durch den Zwang und die Androhung von Sanktionen zunichtegemacht wird. Während TeilnehmerInnen in freiwilligen Trainings psychisch profitierten, war bei jenen unter Zwang kein positiver Effekt bemerkbar.

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Sanktionen führen zu Kosten für die Allgemeinheit

Sanktionen führen nicht nur zu immensem persönlichem Leid, sondern verursachen auch hohe Kosten für die Allgemeinheit. Wer in schlechter psychischer Verfassung ist, hat es schwerer, Erwerbsarbeit nachzugehen, und braucht oft mehr Leistungen aus dem Sozialsystem. Die Gesamtkosten des Staates für psychische Erkrankungen machten 2018 bereits über 4,3 Prozent des BIP aus. Zusätzlich ist durch die Corona-Pandemie ein starker Anstieg an psychischen Erkrankungen zu beobachten. Somit werden auch die Kosten weiter steigen. Gerade jetzt wäre es der völlig falsche Weg, durch vermehrte Sanktionen weiter Öl ins Feuer zu gießen und die mentale Gesundheit von Tausenden zu gefährden.

Fazit: Es braucht einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik!

Sanktionen wirken sich negativ auf die mentale Gesundheit von Betroffenen aus. Sie sind keine geeignete Maßnahme, um mehr Personen in Beschäftigung zu bringen, senken obendrein das Lohnniveau und sorgen für schlechtere Arbeitsbedingungen. Es braucht daher einen Paradigmenwechsel: weg vom sanktionsbasierten Angstregime, hin zum Mut-Machen. Nur so werden sich Arbeitssuchende auf Veränderungsprozesse einlassen. Dazu braucht das AMS vor allem mehr Ressourcen, Personal und den gesetzlichen Auftrag, dass die psychische Gesundheit von Arbeitssuchenden erhalten bzw. gefördert werden muss.

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