Akademische Bildung und Migration – die (Un-)Sichtbarkeit akademischer MigrantInnen in österreichischen Medien

07. August 2019

Aktuelle mediale Debatten um Migration und Integration tendieren dazu, auf Defizite zu fokussieren. So attestieren sie MigrantInnen etwa pauschalisierend geringe Bildungs- und Leistungsorientierung. Im Gegensatz dazu sind Darstellungen von gut gebildeten MigrantInnen gar nicht so einfach auffindbar und kommen oft nur in Nebensätzen vor. Wenn migrantische AkademikerInnen als Hauptpersonen vorkommen, dann meist als Ausnahmefiguren.

Angesichts der einseitigen Präsentation von MigrantInnen in den Medien ging eine aktuelle Studie der Frage nach, wie MigrantInnen mit akademischer Bildungslaufbahn in österreichischen Nachrichtenmedien repräsentiert werden und welche Bilder von „gebildeten“ MigrantInnen dabei transportiert werden.

Diskursive Bilder von MigrantInnen und der Bildungserfolg

Wenn wir darüber sprechen, wie MigrantInnen im medialen Diskurs vorkommen, muss zunächst einmal geklärt werden, was Diskurse eigentlich sind und wie sie wirken?

Diskurse sind nach Michel Foucault gesellschaftliche Praktiken der Wissensproduktion, über die soziale Wirklichkeit (mit-)konstituiert wird. In unseren täglichen Bemühungen, uns in der Welt zurechtzufinden, greifen wir (ob bewusst oder nicht) auf diskursiv hergestellte Wissensbestände zurück. Diskursiv hergestelltes Wissen ist in dieser Perspektive wesentlich für die Art und Weise, wie wir uns selbst und unser Verhältnis zur Welt auslegen. Pointiert gesagt: Wie „man“ als Frau, als Mann, als Studierende(r), als (nicht) Arbeitende(r), als PartnerIn, Mutter, Vater, als MigrantIn usw. zu sein hat bzw. sein kann, ist maßgeblich durch gesellschaftliche Diskurse bestimmt.

Natürlich stehen Diskurse nicht außerhalb gesellschaftlicher Hierarchie- und Machtverhältnisse. Mit den diskursiven Bildern sind bestimmte Vorstellungen des Seins und Handelns verbunden. Diese Vorstellungen legitimieren auch den Zugang zu Ressourcen, Mitbestimmungschancen und die Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen.

Bilder von MigrantInnen verstellen den Blick auf die Wirklichkeit

Bezogen auf Debatten um Migration und Integration zeigt sich dies etwa an der Konstruktion von „Fremdheit“: So werden Ausschlüsse, etwa vom Zugang zum Arbeitsmarkt, legitimiert. Zentral hierbei ist, dass diskursive Bilder den Blick auf die „realen“ Umstände verstellen können. So kann etwa der Fokus auf die mangelhafte Bildung von MigrantInnen dazu führen, dass im Ausland erworbene Bildungserfolge entweder nicht – oder wenigstens nicht als gleichwertig – wahrgenommen werden.

Gerade vor dem Hintergrund der „Dominanz von Negativbildern“ in Bezug auf MigrantInnen ist es wichtig, sich auf die Suche nach Bildern zu machen, die dem etwas entgegensetzen – also etwa gut gebildete MigrantInnen sichtbar zu machen. Dabei ist es zentral, diese in ein Verhältnis zu dominanten Bildern von MigrantInnen zu setzen und so kritisch die Bedingungen der Sichtbarkeit zu analysieren.

Unsere Analyse nutzte die Werkzeuge der kritischen Diskursanalyse (nach Jäger). Mittels dieser Methode untersuchten wir die mediale Darstellung statistisch relevanter MigrantInnen-Gruppen, nämlich

  • „People of Colour“,
  • MigrantInnen „muslimischer“ Herkunft sowie
  • MigrantInnen aus den „neuen Ost-EU-Beitrittsländern“.

Analysiert wurden Artikel aus dem unmittelbar vor Projektbeginn liegenden Zeitraum (April bis Dezember 2017), die in den österreichischen Medien „Kronen Zeitung“, „Der Standard“, „News“ und „Falter“ veröffentlicht wurden.

Wer ist eigentlich ein bildungserfolgreicher Migrant bzw. eine bildungserfolgreiche Migrantin?

Die Analyse der insgesamt 59 erhobenen Texte zeigte, dass Darstellungen bildungserfolgreicher MigrantInnen gar nicht so einfach auffindbar sind. In einem Großteil der Artikel kamen diese nur in Nebensätzen vor, wurden sozusagen mit-erwähnt. Entsprechend dem bereits erwähnten defizitorientierten Mainstream aktueller Migrationsdebatten, waren (akademisch) gebildete MigrantInnen nur in einem knappen Drittel der erhobenen Artikel Hauptthema (siehe nachfolgende Grafik):

Die mediale Repräsentation von migrantischen AkademikerInnen in österreichischen Zeitungen © A&W Blog
© A&W Blog

Was die Suche nach passenden Artikeln in den Medien dabei massiv erschwerte, war der Umstand, dass Bildungserfolge, was für sich ja schon ein mehrdeutiger Begriff ist, von MigrantInnen auf sprachlicher Ebene mehrdeutig und ambivalent präsentiert wurden: Die Bezeichnungen changierten zwischen höherer Bildung bzw. hohen Bildungsabschlüssen bis hin zur undifferenzierten Erwähnung von hohen Fähigkeiten. Was hier jeweils mit höherer Bildung oder Fähigkeiten gemeint ist, wird dabei nicht näher bestimmt.

Die Heterogenität bei der Bezeichnung von Bildung bzw. Qualifizierung lässt in den meisten Fällen offen, was damit je konkret gemeint ist. Bildungserfolg wird somit ununterscheidbar von verschiedensten (bildungsunabhängigen) Fähigkeiten und Fertigkeiten (so wird etwa von den „Fähigsten“, der „besseren Qualifizierung“ beispielsweise gegenüber dem „geringen Bildungskapital“ gesprochen – aber dezidiert ausgeführt, worum es sich dabei je handelt, wurde es nicht). Das führt dazu, dass der Fokus auf Defizite auch durch die (seltene) Erwähnung höher gebildeter MigrantInnen nicht wirkungsvoll relativiert werden kann.

„Gebildete“ MigrantInnen als „Ausnahmefiguren“

Ein weiteres wiederkehrendes Merkmal der untersuchten Diskurse ist, dass Bildung von MigrantInnen stets im Verhältnis zur Nicht-Bildung verhandelt wird. Hauptthema des Diskurses um Bildung und Migration bleibt somit der Mangel an Bildung. Gebildete MigrantInnen fungieren dabei regelmäßig als Ausnahme, die letztlich die (diskursive) Regel bestätigt. An den (wenigen) Stellen, an denen im Rahmen der Studie migrantische AkademikerInnen dezidiert als Hauptpersonen in Artikeln vorkamen, wurde vor allem ein zentrales Bild von ihnen gezeichnet: das der Heldin/des Helden.

Nun stellen HeldInnen grundsätzlich Ausnahmefiguren dar, deren Handeln kaum Rückschlüsse auf andere zulässt. In unseren Analysen zeigte sich, dass das Bild der HeldIn gerade nicht auf die Bildung der migrantischen AkteurInnen – etwa eine außergewöhnliche akademische Karriere – bezogen wurde. Vielmehr wurden sie mehrfach in ihrer Rolle als politische AktivistInnen sichtbar. Insbesondere betraf das die Darstellung von muslimischen MigrantInnen, die als WiderstandskämpferInnen oder AktivistInnen gegen einen rigiden Islam präsentiert wurden, nicht aber als gebildete Mitglieder der (österreichischen) Gesellschaft.

HeldInnen – aber nicht aufgrund der Bildung

War es nicht die politische Aktivität, so traten muslimische AkademikerInnen vor allem dann in Erscheinung, wenn sie zum Vorteil der österreichischen Mehrheitsgesellschaft handelten. Beispielhaft sei hier auf einen Artikel um Dr. Bekas Darwesch verwiesen, der „vor 30 Jahren aus Syrien zu uns [kam]. Er ist Kurde und studierte hier Medizin. Jetzt betreut er in seiner Freizeit viele Flüchtlinge.“ Der Arzt erhält in dieser Darstellung vor allem dadurch seine ausgezeichnete Stellung, da er eine Art Pufferfunktion erfüllt, die es ihm möglich macht, Flüchtlinge vor Ort zu betreuen und damit gerade weitere Migrationsbewegungen nach Österreich zu verhindern.

Gegenüber der Darstellung muslimischer MigrantInnen stellte sich die Darstellung von migrantischen AkademikerInnen aus den „neuen Ost-EU-Beitrittsländern“ etwas anders dar: Sie wurden relativ ähnlich wie österreichische AkademikerInnen mit einem Fokus auf ihr spezifisches Wissen präsentiert. Allerdings war der Anteil an Erwähnungen im untersuchten Diskursausschnitt deutlich geringer als der von muslimischen MigrantInnen. Letztere wurden in 32,2 Prozent der untersuchten Artikel erwähnt, AkademikerInnen aus „neuen Ost-EU-Beitrittsländern“ dagegen nur in 10,2 Prozent).

Verstärkte „Unsichtbarkeiten“: gebildete Migrantinnen

Vor allem weibliche gebildete Migrantinnen waren in den untersuchten Artikeln kaum präsent. Im gesamten untersuchten Korpus kam nur eine weibliche migrantische Akademikerin als zentrale Protagonistin in einem Artikel vor. Auch sie wurde als Heldin vorgestellt, die als Psychiaterin speziell MigrantInnen behandelt und zwischen „uns“ (also der österreichischen Mehrheitsgesellschaft) und den „anderen“ vermitteln kann. Ihre Besonderheit besteht neuerlich nicht primär in ihrer medizinisch-psychiatrischen Expertise, sondern darin, dass sie beschäftigt, was MigrantInnen „brauchen“. Pointiert lässt sich sagen, dass sie sich gerade mit den Defiziten von MigrantInnen auseinandersetzt und diese auszugleichen sucht.

Die zweite Gruppe von MigrantInnen, die eine verstärkte „Unsichtbarkeit“ aufwies, war die Gruppe akademischer „People of Colour“. Lediglich in einem Artikel des gesamten Samples kommen VertreterInnen dieser Gruppe als Hauptthema vor.

Wie mit dem Problem der (Un-)Sichtbarkeit umgehen?

Abschließend kann festgestellt werden, dass die Mehrdeutigkeit der verwendeten Begrifflichkeiten bei der Bezeichnung von Bildung und Qualifizierung die Unsichtbarkeit akademischer MigrantInnen im untersuchten Diskursausschnitt begünstigte. Auch die Präsentation gebildeter MigrantInnen vordringlich als HeldInnen bzw. politisch/aktivistische KämpferInnen mindert die direkte Sichtbarkeit als Gebildete, denn einerseits erscheinen sie kontinuierlich als Ausnahmen, andererseits wird nicht ihr Wissen, sondern ihre politische Agenda fokussiert.

Wie also kann Sichtbarkeit erhöht werden? Die hier vorgestellten Ergebnisse sollen im Rahmen eines ExpertInnen-Workshops mit JournalistInnen und VertreterInnen aus Bildungseinrichtungen im Herbst 2019 diskutiert werden. Zentral wird dabei die gemeinsame Behandlung der folgenden Fragen sein:

  1. Wie können konkrete, an Bildungsabschlüssen orientierte Formulierungen in Migrationsdebatten Eingang finden und so mehr Klarheit bei den Bildungs- und Qualifizierungsbegriffen geschaffen werden?
  2. Können „Uni-Serien“, die österreichische Akademikerinnen vorstellen, migrantische AkademikerInnen zu gleichen Teilen wie mehrheitsgesellschaftliche repräsentieren? Wie kann hier mehr Verpflichtung zur „diversen“ Darstellung erwirkt werden?
  3. Wie kann der Leerstelle der Repräsentation migrantischer AkademikerInnen of Colour entgegengewirkt werden?
  4. Wie können „direktere“ Sprechmöglichkeiten (z. B. Interviews) in Nachrichtenmedien für migrantische AkademikerInnen geschaffen werden?
  5. Wie kann Repräsentation überhaupt stattfinden? Wie kann Interviewführung zur vielfältigeren Repräsentation akademischer MigrantInnen beitragen?

Diesen Fragen weiter nachzugehen, erachten wir als zentral, um der Unsichtbarkeit migrantischer AkademikerInnen in diskursiven Debatten um Migration in der Zukunft entgegenwirken zu können.

 

Das Projekt „Im Spannungsfeld hegemonialer Zuschreibungen: Die mediale Repräsentation von migrantischen AkademikerInnen in österreichischen Zeitungen“ wurde durch die Arbeiterkammer Wien, Frauen und Familie in Auftrag gegeben und finanziert.