Übernehmen die Unternehmen die Gesetzgebung? Im demokratischen Rechtsstaat erlässt das Parlament die Gesetze, die Verwaltung vollzieht sie; soweit die verfassungsgesetzlichen Vorgaben in Österreich. Das klassische Verwaltungsmodell verändert sich aber beständig; derzeit zu einem post-demokratischen Modell von Rechtssetzung und –vollziehung durch private Akteure im Europäischen Verwaltungsverbund. Eine Forschungsstudie der AK widmet sich der Vermessung dieser neuen rechtlichen Welt.
Ein Beispiel: Der Coporate Governance Kodex
Das Unternehmensrecht legt (trans)staatliche Regeln für Unternehmen fest. Demgegenüber wurde vor 10 Jahren der sogenannte „Coporate Governance Kodex“ als freiwillige Verhaltensregel für Unternehmen eingeführt. Allerdings verfasste diesen Kodex, worunter allgemein ein Gesetzbuch verstanden wird, nicht der Gesetzgeber, sondern der private „österr. Arbeitskreis für Corporate Governance“. Diesem „Arbeitskreis“ gehören wiederum größtenteils andere Vereinigungen an, die letztlich als wirtschaftliche Interessenvertreter qualifiziert werden können. Der Corporate Governance Kodex sagt Unternehmen, wie sie sich in bestimmten Fragen verhalten sollen. Verbindlich ist er nicht. Rechtliche relevant wird er dadurch, dass Gesetze wie das Börsegesetz auf diesen verweisen oder dieser zur Konkretisierung des Aktiengesetzes herangezogen wird. Nicht das Parlament allein, sondern private Vereinigungen setzen Recht. Auch wenn sich derartige Phänomene schon in der Rechtsgeschichte identifizieren lassen, so sind diese zunehmend von Relevanz.
Von der Organisationsprivatisierung zur Rechtsprivatisierung
In den 1990er Jahren wurden Verwaltungseinheiten in private Aktiengesellschaften oder GmbHs umgewandelt. Der Staat hat sich in privaten Organisationsformen gekleidet. Diesbezüglich ist von Organisationsprivatisierung die Rede. Die intensive Phase der Organisationsprivatisierungen ist vorbei. Das nun verstärkt auftretende Phänomen der Erzeugung allgemein verbindlichen Verhaltensregeln durch Private, könnte man als Rechtsprivatisierung bezeichnen. Der Private macht die Regeln, der Staat erklärt sie für verbindlich.
Demokratische Transparenz statt technokratische Textualität
Das interessengesteurte Wirtschaftsrecht durch Private begünstigt die Interessendurchsetzung der Unternehmer. Vor allem unter dem Deckmantel technischen Sachverstandes und betriebswirtschaftlichen Effizienzdenkens werden private Texte zum Zwecke staatlicher Rechtssubstitution produziert und auf europäischer aber auch österreichischer Ebene zunehmend legitimiert bzw als legitim betrachtet. Nicht nur die Quantität der Texte sondern auch ihre Rechtserheblichkeit wächst.
Was bleibt zu tun? Sich der verfassungsrechtlichen Wurzeln zu besinnen und Demokratie einzufordern. Diese beginnt bei der Öffentlichkeit: einer öffentlichen Wahrnehmung der Veränderungen, einer öffentlichen Diskussion über Rechtssetzung durch Private und einem Öffentlichen machen von Entscheidungsstrukturen. Mit demokratischer Transparenz ausgestattet, liegt es am Gesetzgeber die Entwicklungen kritisch zu hinterfragen, um die eingangs gestellte Frage, wer über das Recht bestimmt, vielleicht doch wieder anders zu beantworten.
Siehe dazu auch den Beitrag Lachmayer, Technokratische Rechtssetzung Privater, juridikum 2013 – www.juridikum.at.