Die Steuerreform – Eine Bewertung aus ArbeitnehmerInnensicht

13. Dezember 2021

Der Entwurf zur Steuerreform liegt vor, die wesentlichen Kritikpunkte der Bundesarbeitskammer (BAK) bleiben allerdings aufrecht: Die ArbeitnehmerInnen erhalten lediglich die bereits gezahlte kalte Progression ausgeglichen, während die Unternehmen dauerhaft entlastet werden. Und auch bei der neuen CO2-Bepreisung bleiben noch viele Fragen offen. Der Artikel liefert eine Übersicht über die wichtigsten Punkte der BAK-Stellungnahme zur Steuerreform.

Die Tarifsenkung ist positiv, kommt aber zu spät

Ab 1. Juli 2022 wird der zweite Grenzsteuersatz von 35 Prozent auf 30 Prozent gesenkt und mit 1. Juli 2023 reduziert sich der dritte Grenzsteuersatz von 42 Prozent auf 40 Prozent. Diese Steuersenkung ist die zweite Etappe der im Regierungsprogramm vorgesehenen Steuersenkung, da 2020 bereits der Eingangssteuersatz herabgesetzt wurde.

Steuerpflichtiges Einkommen abGrenzsteuersatz vor 2020Neue Grenzsteuersätze im Endausbau
11.000 €25 %20 %
18.000 €35 %30 %
31.000 €42 %40 %
60.000 €48 %48 %
90.000 €50 %50 %
1 Mio. €55 %55 %

Die Tarifsenkung ist ausdrücklich zu begrüßen, ist sie doch nicht zuletzt aufgrund der kalten Progression seit der letzten Steuerreform 2016 dringend notwendig geworden. Problematisch ist allerdings, dass der reduzierte Steuersatz jeweils erst ab 1. Juli in Kraft treten soll. Im Rahmen der monatlichen Lohn- bzw. Gehaltsverrechnung soll jeweils bis 30. Juni der bisherige Steuersatz angewendet werden und ab 1. Juli ein Mischsatz (2022: 32,5 Prozent, 2023: 41 Prozent), wobei die ArbeitgeberInnen gleichzeitig die Monate Jänner bis Juni aufzurollen, d.h. nachträglich ebenfalls nur mit 32,5 Prozent (bzw. 41 Prozent) zu versteuern, haben.

Diese Vorgangsweise stellt einen unnötigen bürokratischen Aufwand für die Lohnverrechnung dar. Hinzu kommt, dass die unterjährige Senkung des Eingangssteuersatzes 2020 gezeigt hat, dass selbst bei einer verpflichtenden Aufrollung manche ArbeitgeberInnen diese nicht oder nicht zeitgerecht durchführen und die ArbeitnehmerInnen auf die ArbeitnehmerInnenveranlagung vertrösten. Die betroffenen Personen müssen dann mehrere Monate warten, um die zu viel bezahlte Steuer rückerstattet zu bekommen. Die BAK fordert daher, dass die Tarifsenkung jeweils bereits ab 1. Jänner gilt, damit die ArbeitnehmerInnen unmittelbar profitieren können.

Auch bei der geplanten Entlastung für GeringverdienerInnen besteht Nachbesserungsbedarf. Die angedachte Senkung der Krankenversicherungsbeiträge schwächt das Versicherungsprinzip und die Selbstverwaltung der Sozialversicherung. Die Sozialpartner haben daher vorgeschlagen, die Stärkung kleiner Einkommen über eine Erweiterung der bestehenden steuerlichen Instrumente wie den Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag sowie den daran anknüpfenden SV-Bonus umzusetzen.

Die Erhöhung des Familienbonus ist wenig treffsicher

Entgegen der Ankündigung im Regierungsprogramm wird der Familienbonus für minderjährige Kinder nicht auf 1.750 € pro Kind, sondern sogar auf 2.000 € angehoben. Die Erhöhung soll auch mit 1. Juli 2022 wirksam werden. Der Kindermehrbetrag wird ebenso angehoben (2022 auf 350 € bzw. 2023 auf 450 €) und der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert.

Hinsichtlich des Familienbonus ist zu betonen, dass dieser bereits in der bisherigen Höhe problematische Verteilungswirkungen entfaltet, da für die Wirksamkeit des vollen Bonus ein entsprechend hohes Einkommen notwendig ist. Das gilt umso mehr bei mehreren Kindern. Durch die Erhöhung des Familienbonus bei gleichzeitiger Senkung der Steuersätze verschärft sich die Problematik zusätzlich. Konkret bedarf es bereits für ein minderjähriges Kind ein monatliches Bruttoeinkommen von über 2.000 €. Laut Lohnsteuerstatistik verdienen knapp 30 Prozent aller ArbeitnehmerInnen mit ganzjährigen Bezügen weniger als 2.000 € brutto monatlich. Bei Frauen ist der Anteil bei knapp 50 Prozent. Bei zwei oder mehr Kindern kann auch für MittelverdienerInnen der finanzielle Vorteil der Erhöhung gering ausfallen. Die Hauptprofiteure des Familienbonus sind Familien mit hohen Einkommen, im Speziellen Männer. Laut Lohnsteuerstatistik kommen knapp 80 Prozent der Entlastungswirkung Männern zugute. Aus Sicht von einkommensschwächeren Familien und Frauen wären andere Maßnahmen wie z. B. der Ausbau der Kinderbetreuung wesentlich dringlicher gewesen.

Die BAK bekennt sich ausdrücklich zur Förderung von Familien mit Kindern. Anstelle der Erhöhung des Familienbonus bzw. Kindermehrbetrags wäre es allerdings unbürokratischer und treffsicherer, alle Familien unabhängig vom Einkommen zu fördern, z. B. durch eine Anhebung der Familienbeihilfe oder den Ausbau der Kinderbetreuungsangebote.

Problematische Steuergeschenke für Unternehmen und Selbstständige

Während bei den ArbeitnehmerInnen gerade einmal die kalte Progression ausgeglichen wird, gibt es für Unternehmen und Selbstständige nachhaltige Steuergeschenke, insbesondere durch die Einführung eines Investitionsfreibetrages und die Senkung der Körperschaftsteuer.

Mit der Einführung des Investitionsfreibetrages sollen grundsätzlich 10 Prozent bzw. für klimafreundliche Investitionen 15 Prozent der Investitionssumme im Jahr der Anschaffung oder Herstellung zusätzlich zur Abschreibung gewinn- bzw. steuermindernd geltend gemacht werden können. Keinen Investitionsfreibetrag soll es für klimaschädliche Investitionen geben. Investitionsförderungen sind – im Gegensatz zur reinen Senkung des Körperschaftsteuersatzes – durchaus geeignet, um Investitionsanreize zu setzen. Es wäre aber sinnvoller gewesen, die bereits bestehende Investitionsprämie für Ökoinvestitionen befristetet zu verlängern. Die Infrastruktur zur Abwicklung beim Austria Wirtschaftsservice (aws) besteht hier bereits und die Betriebe sind mit der Abwicklung vertraut.

Das größte Steuergeschenk für Unternehmen ist die Senkung der Körperschaftsteuer. Sie soll in zwei Etappen bis 2024 von aktuell 25 auf 23 Prozent gesenkt werden. Das wird zu Einnahmeausfällen von kurzfristig 700 Mio. € jährlich führen. Den hohen Kosten stehen kaum positive ökonomische Effekte gegenüber. Studien zeigen regelmäßig, dass die Wachstums- und Beschäftigungseffekte von Steuersatzsenkungen ungünstiger sind als bei spezifischen Investitionsförderungen (z. B. bessere Abschreibungsregeln). Verstärkt wird das Problem hier noch durch den Umstand, dass knapp zwei Drittel  der Steuersenkung dem gewinnstärksten 1 Prozent der Kapitalgesellschaften zugutekommen werden (siehe Grafik). Höhere Gewinnausschüttungen sind daher wahrscheinlicher als zusätzliche Investitionen.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

Der von der Bundesregierung vorgebrachte Verweis auf die ost- und südosteuropäischen Nachbarstaaten und deren niedrige Steuersätze ist wenig zielführend, weil sich die Stärke des Wirtschaftsstandortes Österreich nicht über niedrige Dumpingsteuersätze, sondern Innovation, Fachkräfte und Infrastruktur definieren sollte. Zudem haben sich Anfang Oktober 2021 136 Staaten auf einen Mindeststeuersatz bei der internationalen Konzernbesteuerung geeinigt. Die Senkung des Körperschaftsteuersatzes ist auch in diesem Kontext ein völlig falsches Signal.

Bei der CO2-Bepreisung gibt es durchaus noch Nachbesserungsbedarf

Mit 1. Juli 2022 soll eine stufenweise nationale Bepreisung der Treibhausgasemissionen bestimmter in Verkehr gebrachter fossiler Energieträger (Benzin, Diesel, Erdgas, Heizöl, Kohle) eingeführt werden. Da der große Bereich des EU-Emissionshandels davon befreit ist und die von der Bepreisung betroffenen Unternehmen die höheren Produktionskosten weitgehend überwälzen werden, wird die Bepreisung (abgesehen von ausländischen AkteurInnen) vor allem die CO2-Emissionen inländischer VerbraucherInnen in den Bereichen Raumwärme und Verkehr treffen.

Die CO2-Bepreisung startet mit 1. Juli 2022 mit 30 € pro Tonne CO2. Der Fixpreis steigt bis 2025 in mehreren Schritten auf 55 € pro Tonne, ab 2026 soll dann ein (nationales) Emissionszertifikatehandelsystem starten. Emissionshandelsysteme sehen – ausgehend von einer, an den Klimazielen orientierten, fixen Emissionsmenge (Mengen-Cap) – eine freie Marktpreisbildung gemäß Angebot und Nachfrage vor. Die Anwendung solcher Systeme auf Grundbedürfnisse wie Heizen oder Mobilität ist problematisch, weil sie die Verantwortung für die Erreichung der Klimaziele faktisch an die VerbraucherInnen auslagern. Wer den Ausstieg aus den fossilen Technologien nicht rechtzeitig vollzieht, muss mit drastisch höheren Preisen rechnen. Es ist zu befürchten, dass Klein- und MittelverdienerInnen hier im Nachteil sind, weil sie sich die hohen Anschaffungskosten alternativer Technologien nicht oder schwerer leisten können. Eine weitgehend freie Marktpreisbildung lässt außerdem eine gewisse Volatilität des CO2-Preises befürchten, was die soziale Abfederung erschwert. Die BAK fordert daher auch über 2025 hinaus bei einem Fixpreissystem zu bleiben.

Weiters ist darauf hinzuweisen, dass die Lenkungswirkung der CO2-Bepreisung stark vom Zugang zu ökologischen Alternativen abhängt. Im Sinne einer wirksamen CO2-Bepreisung sind die politischen Anstrengungen zur öffentlichen Bereitstellung und Förderung dieser Alternativen – z. B. durch den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs – weiter zu forcieren. Für energiearme Haushalte braucht es neben einer umfassenden finanziellen Hilfe (100 Prozent Förderquote) zudem ein niederschwelliges Beratungsangebot für Fragen zum Heizungstausch, das möglichst flächendeckend sowie kostenfrei und unabhängig zur Verfügung steht.

Weiters hat die BAK angemerkt, dass der Gesetzesentwurf („Nationales Emissionszertifikatehandelsgesetz 2022“) bei 34 Paragraphen ganze 16 Verordnungsverpflichtungen bzw. -ermächtigungen enthält. Sehr viele – zum Teil auch inhaltliche – Punkte werden somit erst durch den Verordnungsgeber genauer determiniert. Im Sinne einer gesamthaften Begutachtung sollten diese zahlreichen Verordnungsentwürfe eigentlich mit vorgelegt werden.

Als Ausgleich der Mehrkosten für die privaten Haushalte soll ein Klimabonus eingeführt werden, der sich aus einem Sockelbetrag (100 € pro Person pro Jahr für 2022) und regional unterschiedlichen Zuschlägen von bis zu 100 Prozent (Regionalausgleich) zusammensetzt. Für haushaltszugehörige Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre steht der jeweils halbe Klimabonus zu.

Der Klimabonus wird ausdrücklich begrüßt, da eine Pro-Kopf-Pauschale im Vergleich zu anderen Rückerstattungsoptionen – bei kleinen und mittleren Einkommen stärker wirkt und somit das verteilungspolitisch beste Instrument zur sozialen Abfederung der CO2-Bepreisung darstellt, auch wenn die regionale Staffelung zu gewissen Unschärfen führt. Nachbesserungsbedarf sieht die BAK im Hinblick auf besonders betroffene Gruppen ohne Alternativen wie etwa PendlerInnen ohne zumutbaren Öffentlichen Verkehr und MieterInnen mit einer Öl- oder Gasheizung:

  • Der Ausgleich der Mehrkosten der PendlerInnen sollte mit einer Strukturreform des Pendlerpauschales verknüpft werden, sodass die steuerliche Berücksichtigung der Pendelkosten einfacher, gerechter und ökologischer wird. Schon länger fordert die BAK einen kilometerabhängigen Absetzbetrag (der somit für alle PendlerInnen einkommensunabhängig gleich wirkt) kombiniert mit positiven Umstiegsanreizen auf ökologische Mobilitätsalternativen. Natürlich begleitet von einem (weiteren) Ausbau des Öffentlichen Verkehrs (mehr Routen, bessere Intervalle etc.).
  • Für MieterInnen bedarf es einer 50-prozentigen Kostenbeteiligung der VermieterInnen am CO2-Preis, da sie nicht über das in der Wohnung verwendete Heizsystem entscheiden können, über die Energielieferverträge aber in aller Regel direkt von der neuen Bepreisung betroffen sind. Das verursacht nicht nur soziale, sondern auch ökologische Probleme, weil das Preissignal nicht bei dem/der VermieterIn ankommt und dadurch kein Lenkungsanreiz für einen Heizungstausch oder andere Energieeffizienzmaßnahmen entstehen kann.

Fazit  

Aus ArbeitnehmerInnensicht fällt die Bewertung der ökosozialen Steuerreform zwiespältig aus. Der Ausgleich der kalten Progression durch die Tarifsenkung ist sicher positiv, wegen der nachhaltigen Steuergeschenke für Unternehmen werden die ArbeitnehmerInnen in Zukunft aber wohl einen noch größeren Teil des Steuerkuchens tragen müssen. Das ist problematisch, weil der Steuerbeitrag von Unternehmensgewinnen und Vermögen im internationalen Vergleich ohnedies zu niedrig ist. Hier würden Maßnahmen wie eine Millionärsabgabe helfen, die im Rahmen der Steuerreform aber nicht einmal diskutiert worden sind. Budgetär heißt das, dass wir statt Zukunftsinvestitionen in den Sozialstaat z. B. im Pflegebereich eher Leistungskürzungen befürchten müssen. Nämlich dann, wenn die konjunkturellen Erwartungen wegen COVID-19 oder anderen gesamtwirtschaftlichen Risiken schwächer ausfallen als erwartet. Die BAK wird diese Fragen aufmerksam beobachten und wenn notwendig dagegenhalten. Bei der CO2-Bepreisung sind die sozialen und ökologischen Effekte noch schwer abzuschätzen. Entscheidend ist letztlich, dass alle Bevölkerungsgruppen einen Zugang zu brauchbaren ökologischen Alternativen erhalten. Hierauf müssen sich die klimapolitischen Anstrengungen der nächsten Jahre fokussieren.

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