Praxis-Check Bauen und Sanieren: Welche Fachkräfte werden in der Wiener Baubranche für den grünen Wandel benötigt?

18. Dezember 2023

Ambitionierte Ziele wie der EU Green Deal, der vorsieht, dass bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr ausgestoßen werden, und der Wiener Klimafahrplan, durch den die Stadt Wien bis 2040 klimaneutral werden soll, stellen die Baubranche in der Praxis vor große Herausforderungen. Neben dem funktionierenden Zusammenspiel zwischen Gewerken und Institutionen braucht es vor allem Arbeitskräfte mit den notwendigen Kompetenzen, die die grüne Transformation im Gebäudesektor umsetzen können.

Diese Arbeitskräfte fallen aber nicht vom Himmel, sondern müssen aus- und weitergebildet werden. In diesem Beitrag wird analysiert, ob die Aus- und Weiterbildungsquote in den bautechnischen Berufen und verwandten Gewerben ausreicht, um die Nachfrage nach Fachkräften zu decken. Zudem gehen wir darauf ein, welche künftigen Anforderungen an Arbeitskräfte und Unternehmen in und rund um die Baubranche gemeistert werden müssen, damit Transformation gelingt. Und wir sprechen darüber, welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind und welchen Beitrag die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik dazu leisten kann. 

Dekarbonisierung des Gebäudebestands in Wien 

Die Herausforderung der Dekarbonisierung des Gebäudebestands in Wien ist enorm: Derzeit werden fast 90 Prozent der CO2-Emissionen im Gebäudesektor durch Gasheizungen verursacht. Mit dem Programm „Raus aus Gas“, hat sich die Stadt Wien das Ziel gesetzt, den Bestand von insgesamt rund 600.000 fossilen Heizungen bis 2040 umzurüsten. Die geplante Umrüstung bedarf eines Zusammenspiels einer Vielzahl von Institutionen und Gewerken. Denn mit dem Heizungstausch allein ist es nicht getan: Gerade bei Altbauten muss der Gebäudebestand saniert werden, damit die Umstellung wirklich Sinn macht. Das Bau- und Baunebengewerbe wird daher eine zentrale Rolle spielen. Wenngleich keine Gesamtabschätzung der dafür benötigten Arbeitskräfte für den Zeitraum bis 2040 vorliegt, ist dennoch klar, dass es rasch Initiativen bedarf, damit ausreichend Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.

Bis vor Kurzem konnte sich die Baubranche kaum vor Aufträgen erwehren. In den letzten Monaten wurden die Auftragsbücher zwar dünner, doch liegt in der Dekarbonisierung des Gebäudebestandes ein riesiges Auftragspotenzial, das es in Zukunft zu nutzen gilt. Gleichzeitig ist das Klagen von Unternehmen und deren Interessenvertretungen über einen sogenannten „Fachkräftemangel“ in der Branche nicht verstummt. Alles in allem scheinen also Bedenken die Chancen zu überwiegen. Woran liegt das? Ein Blick auf die Aus- und Weiterbildungszahlen der Branche zeigt auf, wie es zu einer Fachkräftelücke kommen kann.

Status quo der Aus- und Weiterbildung in der Baubranche in Wien 

Die Baubranche ist durch eine hohe Ausbildungsbeteiligung und relativ geringe Weiterbildungsaktivitäten gekennzeichnet. Das zeigt auch die Zusammensetzung der Beschäftigten in diesem Bereich in Wien: Während 44 Prozent der Beschäftigten einen Lehrabschluss und 21 Prozent maximal einen Pflichtschulabschluss besitzen, liegt der Anteil der Akademiker:innen in der Baubranche bei 8 Prozent. Somit genießt die traditionelle Lehrausbildung einen hohen Stellenwert in diesem Wirtschaftszweig und ist zentral für die Abdeckung des Fachkräftebedarfs.

Jedoch ist die Ausbildungsaktivität in den letzten Jahren zurückgegangen und die Anzahl der Lehrbetriebe in Wien hat sich deutlich verringert: Nur 50 der über 2.000 Wirtschaftskammer-Mitgliedsbetriebe in Wien bilden derzeit Lehrlinge aus. Die ausbildenden Unternehmen sind in diesem Bereich meist Großbetriebe. Kleine und mittlere Unternehmen nehmen jedoch selten an der Lehrausbildung teil. Diese fehlende Ausbildungsbereitschaft vieler Unternehmen der Branche führt kurz- und mittelfristig zu Fachkräfte-Engpässen. Dabei wäre die Lehrlingssituation für die Wiener Baubranche gut: Es gibt derzeit eine höhere Zahl an Lehrstellensuchenden als offene Lehrstellen und mehrere hundert Jugendliche befinden sich in einer überbetrieblichen Ausbildung und könnten in eine Lehrstelle in einem Betrieb übertreten. Zudem setzt die Stadt Wien über die Klimaschutz-Lehrausbildungsprämie für Unternehmen in diesem Bereich finanzielle Anreize für die Lehrlingsausbildung.

Hinsichtlich der Weiterbildung zeigen die Daten des sechsten EU-weiten Continuing Vocational Training Survey (CVTS 6), dass im Baugewerbe 69 Prozent der Unternehmen Weiterbildungsaktivitäten setzen. Damit liegt die Branche österreichweit an drittletzter Stelle. Unter Weiterbildungsaktivitäten versteht die CVTS-Umfrage einen sehr breiten Bereich: Weiterbildungskurse oder andere Formen der betrieblichen Weiterbildung, wie unter anderem selbstgesteuertes Lernen, geplante Ausbildungsphasen am Arbeitsplatz oder die Teilnahme an Tagungen oder Messen. 

Die Umfrage zeigt auch, dass lediglich 30 Prozent der Beschäftigen 2020 an einer dieser Weiterbildungsformen teilgenommen haben. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und Herausforderungen der Ökologisierung für die Branche ist es darüber hinaus überraschend, dass lediglich 22 Prozent der Unternehmen in der Umfrage angeben, in Zukunft einen gestiegenen Weiterbildungsbedarf zu haben. Diese geringe Zahl lässt schließen, dass noch viel Sensibilisierungsarbeit geleistet werden muss, um weitere Schritte in der Höher- und Umqualifizierung der Mitarbeiter:innen hin zu Kompetenzen für den grünen Wandel zu setzen. 

Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung 

Die EU-Initiative BUILD UP Skills (Rebusk) zur Förderung von Fachkräften im Bauwesen bildet die Kompetenzen in der Aus- und Weiterbildung (vom Bereich der Lehre bis zu den Hochschulen) im Bausektor ab. Ziel der Initiative ist die Weiterentwicklung der nationalen Planungen und Anpassung an die europäischen und nationalen Zielsetzungen, um sicherzustellen, dass 2030 alle notwendigen Kompetenzen für einen klimaneutralen Gebäudesektor zur Verfügung stehen. Hierzu wird ein Überblick über die relevanten „grünen“ Kompetenzen in den verschiedenen Ausbildungsebenen geschaffen. 

Grundsätzlich unterscheidet das Rebusk-Projekt zwischen (1) Kompetenzen zur Steigerung der Energieeffizienz und Nutzung erneuerbarer Energien im Gebäudesektor, (2) Kompetenzen zur Steigerung der Sanierungsrate und Dekarbonisierung des Gebäudebestands und (3) Kompetenzen zur Steigerung der Ressourceneffizienz und Kreislauffähigkeit. Diese drei Kompetenzfelder sind – in unterschiedlicher Tiefe – in den Ausbildungsverordnungen und Studienplänen der Aus- und Weiterbildungen im Bausektor verankert.

Aus der Rebusk-Status-quo-Analyse geht hervor, dass im österreichischen Aus- und Weiterbildungssystem insgesamt relevante Kompetenzen zur Erreichung der Energie- und Klimaziele im Gebäudesektor abgedeckt sind. Kompetenzen zur Steigerung der Kreislauffähigkeit und Sanierung sollten jedoch erweitert werden. Neben den technischen Fähigkeiten, die in der Aus- und Weiterbildung vermittelt werden, ist es zudem notwendig auch berufsübergreifende Kompetenzen zur Steigerung des Bewusstseins hin zu einer ökologischen Pädagogik zu implementieren.

Anforderungen an die Arbeitsmarktpolitik

Laut AMS waren im ersten Halbjahr 2023 insbesondere Fachkräfte für den Bereich Bauen und Sanieren gefragt. Ein Viertel aller offenen Stellen für klimarelevante Berufe richteten sich an Elektriker:innen, Elektrotechniker:innen, Gas-Wasser-Heizungsinstallateur:innen, Maurer:innen und Maschinenbautechniker:innen. Das Potenzial für Beschäftigung ist also enorm, doch arbeitssuchende Menschen verfügen vielfach noch nicht über die von den Unternehmen nachgefragten Qualifikationen. Mit den Umwälzungen im Bau- und Baunebengewerbe im Rahmen der grünen Transformation wird sich diese Situation noch verschärfen. Es sind daher sowohl die Unternehmen als auch die Arbeitsmarktpolitik gefragt, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.  

Die Arbeitsmarktpolitik mit dem AMS als größtem Auftraggeber für Aus- und Weiterbildungen wird für die Deckung des Bedarfs an qualifizierten Arbeitskräften eine entscheidende Rolle einnehmen (müssen). Bereits jetzt existieren insbesondere mit dem Fachkräftestipendium, das auch längerfristige Ausbildungen ermöglicht, Instrumente, die hierfür genutzt werden können. Die Arbeitsmarktpolitik braucht aber langfristig die nötigen Ressourcen, um Qualifizierungen nachhaltig bereitstellen zu können. 

Zudem besteht auf Weiterbildungsförderungen des AMS kein Rechtsanspruch und noch immer ist die Existenzsicherung – vor allem für längere Ausbildungen – zu gering. Ein Ausbau des Fachkräftestipendiums zu einem Instrument, das die notwendige Transformation noch besser unterstützt und den Bezieher:innen eine tatsächliche Existenzsicherung ermöglicht, wäre daher ein wichtiger Ansatz.

Auf Wiener Ebene wird nun mit ersten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen – etwa über das Öko-Booster Projekt von waff, AK Wien und AMS Wien – sehr konkret auf die Herausforderung des künftigen Arbeitskräftebedarfs für die Gebäudesanierung eingegangen. So absolvieren im Projekt vorwiegend junge Menschen mit Migrationshintergrund eine verkürzte Lehrausbildung im Bereich Installations- und Gebäudetechnik, samt Zusatzangeboten wie Sprachkursen. Damit wird eine Win-win-Situation geschaffen: Menschen, die es bisher nicht leicht am Arbeitsmarkt hatten, bekommen eine Perspektive und Unternehmen gut qualifizierte Arbeitskräfte.

Die Rolle der Unternehmen

Die innovativsten Projekte und besten Förderinstrumente nützen wenig, wenn nicht auch Betriebe ihren Beitrag für die Aus- und Weiterbildungen ihrer Arbeitnehmer:innen leisten und mehr Verantwortung in der aktiven Arbeitsmarktpolitik übernehmen. Dazu gehört, Menschen Qualifizierungen zu ermöglichen und jenen, die in Ausbildung sind, Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig gilt es, auch jenen Menschen beruflich eine Chance zu geben, die es bisher schwer am Arbeitsmarkt hatten, etwa weil sie älter oder schon länger arbeitslos sind oder noch über wenig Berufserfahrung verfügen. Klar ist, dass es dafür Geduld und mehr Offenheit braucht. Solange jedoch Unternehmen an einem „Nice to have“ im Recruiting festhalten, wird sich an der aktuellen Situation wenig ändern.

Notwendige gesetzliche Rahmenbedingungen 

Das ursprünglich sehr ambitionierte Erneuerbare-Wärme-Gesetz wurde bedauerlicherweise verwässert, indem nun kein verpflichtender Heizungstausch im Gebäudebestand vorgesehen ist. Zwar dürfen künftig im Neubau keine fossilen Systeme mehr eingebaut werden, die Umstellung im Bestand soll aber vorwiegend über ein Anreizsystem erfolgen. Ob ein Anreizsystem ausreicht, um dieser großen Herausforderung gerecht zu werden, ist jedoch mehr als fraglich. Sozial verträgliche ordnungspolitische Initiativen erscheinen daher angebracht. Es braucht unbedingt eine bessere rechtliche Absicherung, die vor allem auch die Finanzierung der Bau- und Sanierungsmaßnahmen für Bauträger und Haushalte regelt. Nur so können Bauträger bzw. Eigentümer:innen die notwendigen Sanierungen vornehmen und Mieter:innen kann weiterhin leistbarer Wohnraum zur Verfügung stehen. 

Fazit 

Auf der Ebene der Aus- und Weiterbildung braucht es vermehrt Anreize für Unternehmen, die sich aus der Lehrausbildung zurückgezogen haben oder noch nicht daran teilnehmen. Es ist zentral zur Schließung der Fachkräftelücke, diese als Ausbildungsunternehmen zu gewinnen. Zudem ist es notwendig, verstärkt in die Weiterbildung und Qualifizierung von Arbeitnehmer:innen in der Baubranche zu investieren.

Im Feld der Arbeitsmarktpolitik sind Instrumente für eine erfolgreiche Transformation bereits jetzt vorhanden, es gilt sie aber auszubauen. So bedarf es einer ausreichenden Existenzsicherung bei längeren Ausbildungen. Außerdem soll es einen Rechtsanspruch auf Qualifizierungen, gepaart mit einer Qualifizierungsberatung durch das AMS, geben. Klar ist, dass es hierfür ausreichend finanzielle Mittel und Personal braucht.

Auch die Unternehmen müssen ihrer Verantwortung im Bereich der Aus- und Weiterbildung nachkommen und im Recruiting offener werden. Das kann vor allem dann gelingen, wenn Unternehmen die grüne Transformation des Bausektors als Chance begreifen, die für Jahre Aufträge und Arbeitsplätze sichert. All das benötigt aber einen entsprechenden rechtlichen Rahmen, der Bauträger, Eigentümer:innen und Mieter:innen absichert, ein Anreizsystem allein ist zu wenig.  

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