Gesellschaftlicher Wandel braucht Gestaltung! Innovation, sowohl technologisch als auch sozial, kann und wird ein wesentlicher Baustein in der Lösung komplexer Herausforderungen von der Wiederherstellung von Böden über die Durchsetzung eines digitalen Humanismus bis hin zur Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sein. Doch wie kann die Innovationspolitik dazu beitragen, die Schaffung von Neuem auf die Lösung dieser Herausforderungen auszurichten, wenn zugleich ein breites Innovationsverständnis, das soziale und technologische Aspekte gleichwertig einbezieht, hohe Anforderungen an das Innovationssystem selbst stellt? Eine Spurensuche.
Wir sind alle ein Teil von Systemen. Egal, wie groß oder klein diese sein mögen. Ausgehend von uns selbst als ein abgegrenztes System chemischer und biologischer Prozesse bis hin zu den großen sozialen und ökologischen Systemen, in denen wir Tag für Tag aufs Neue leben. Dabei haben wir im Laufe der Geschichte künstliche beziehungsweise gesellschaftliche Systeme geschaffen: ein Rechtsystem zur friedlichen Konfliktbewältigung, Arbeitsorganisation in unterschiedlichster Ausprägung und wohlfahrtsstaatliche Systeme zur Absicherung großer Lebensrisiken. Aber auch komplexe technische Systeme, mit denen wir interagieren und die ein Teil der Gesellschaft sind, haben wir im Laufe der Zeit hervorgebracht. Von der Erfindung des Fahrrads und der Entdeckung des Feuers bis hin zum autonomen Fahren und der Kernfusion war es ein rasanter und oft sprunghafter Weg.
Doch gerade die technologischen Errungenschaften, die wir erzielt haben, wurden oft auch zur Bürde. Energie- und Ressourcenverbrauch, Emissionen oder die Nutzbarmachung von Technologie zur Kriegsführung sind die Kehrseite der Medaille. Doch eines haben all diese technologischen Entwicklungen gemeinsam. Sie lassen sich selbst nur als System, nämlich als Zusammenspiel aus Menschen, Technologien und Organisationsprozessen, verstehen. Man spricht in diesem Zusammenhang von sozio-technischen Systemen. Diese Systeme bestehen nicht nur aus Akteur:innen, sondern auch aus Normen, Vorschriften, Standards und materiellen Ressourcen. In welche Richtung sie sich entwickeln und zu welchen Entwicklungen sie in ihrer Kombination beitragen können, ist eine Frage der Gestaltung.
„Missionen“ und die gerichtete Gestaltung des Wandels
Damit wir unsere sozio-technischen Systeme gezielt verändern können, ist jedenfalls eine koordinierte Zusammenarbeit verschiedener Akteur:innen und Politikfelder notwendig. Die gezielte Gestaltung umfasst sowohl Technologien und Organisationen, aber genauso die Märkte, auf denen sie gehandelt, und die sozialen Praktiken, auf deren Basis sie angewendet werden. Darüber hinaus darf der Blick nicht nur auf einzelne Technologien gerichtet werden, sondern muss ganze Produktions- und Konsumnetzwerke betrachten. Doch was heißt das praktisch?
Ein prominentes Beispiel für eine missionsorientierte Innovations- und Technologiepolitik ist die europäische Mission für klimaneutrale Städte im Rahmen von Horizon Europe, dem Forschungs- und Innovationsprogramm der Europäischen Union. Diese Mission verfolgt bis 2030 das Ziel, 100 klimaneutrale und smarte Städte zu schaffen. Das bedeutet einerseits die Entwicklung und Umsetzung von Strategien, die es Städten ermöglichen, klimaneutral zu werden, wobei diese als Test- und Innovationszentren dienen sollen. Andererseits sollen die daraus gewonnenen Erkenntnisse zur Skalierung von Lösungen in ganz Europa herangezogen werden. Zum Beispiel wurde die Stadt Mannheim als eine von fünf „Living Labs“ als Best-Practice-Beispiel ausgezeichnet. Die Stadt zeichnet sich durch innovative Steuerungsmechanismen wie den „Local Green Deal“ aus, welcher sektorübergreifend Maßnahmen in Bereichen wie Mobilität, Energie, Industrie und Biodiversität zusammenführt. Dazu setzt man auf eine breite Mitwirkung von Bürger:innen, Unternehmen und anderen lokalen Akteuren. Unterstützt wird die Stadt durch die EU-Missionsplattform, die technische und finanzielle Hilfestellungen bietet.
Ein anderes Beispiel ist die Challenge Wasser & Boden: eine Initiative der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft, welche darauf abzielt, bahnbrechende Innovationen in den Bereichen der Bodengesundheit, des Katastrophenschutzes oder der Wasserspeicherung zu fördern. Hier werden neben Entwicklungsinhalten auch die Auswirkungen für die Bewirtschaftung betrachtet und beispielsweise rechtliche Unklarheiten oder angestrebte Veränderungen im Verhalten der Anwender:innen von vornherein berücksichtigt. So zahlt dieser Förderansatz auf die europäischen Missionen Wasser und Boden ein und bewirkt gleichzeitig, dass bei den Lösungsansätzen auch beispielsweise rechtliche Umsetzungsrisiken, Anwendungshürden und die Akzeptanz von Nutzer:innen zentrale Elemente im Entwicklungsprozess darstellen.
Auf Basis dieses Beispiels wird der Charakter von „Missionen“ deutlich: Soziale & technologische Innovation, Umsetzung von Pilotprojekten, Koordinierung und Kooperation zwischen den unterschiedlichen Akteur:innen und eine breite Einbindung in die Umsetzung von Maßnahmen. Neu eingerichtete Stellen sollen die vielfältigen Voraussetzungen für diese Anforderungen unterstützen und eine Vielfalt an Perspektiven und Disziplinen herstellen. Darüber hinaus wird die Umsetzung von Missionen durch EU-Fördermittel und Expertise im Rahmen von Horizon Europe unterstützt. Damit werden auch die Erfolgsfaktoren und Herausforderungen in der Umsetzung von Missionen deutlich. Während klare Zielsetzungen, sektorübergreifende Ansätze und die Integration von Stakeholdern wesentliche Faktoren für den Erfolg von Missionen darstellen, sind die Komplexität der Koordination, die notwendigen Anpassungen an die lokalen Gegebenheiten und eine ausreichende Ressourcenbereitstellung herausfordernd.
Dunkle Wolken am Horizont der Missionen: Zielkonflikte in der Innovationspolitik
Die Kombination von klassischen Zielen der Innovationspolitik, wie zum Beispiel die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Maximierung kurzfristigen Outputs oder inkrementelle Innovationen zur Effizienzsteigerung in veralteten Produktionssystemen, mit den gesellschaftlichen Transformationszielen bergen jedoch das Potenzial für Spannungen. Dazu gehören interne Zielkonflikte in Organisationen und zwischen verschiedenen Stakeholdern, etwa bei der Vereinbarkeit von Wirtschaftswachstum und Umweltzielen oder zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Zielen. Solche Spannungen verdeutlichen die Bedeutung einer aktiven Moderation von Interessen und Vorstellungen im Innovationsprozess.
Transformationen können zudem zu Ungerechtigkeiten führen oder diese verstärken, während mangelnde soziale Akzeptanz den Fortschritt behindern kann. Unterschiedliche Stakeholder und auch Wissenschaftler:innen teilen nicht immer die gleichen Vorstellungen davon, wie gesellschaftliche Strukturen durch Innovationen verändert werden sollten. Um diese Divergenzen besser zu managen, gilt es, Lernprozesse zu initiieren, die unterschiedliche und geteilte Visionen erfassen und reflektieren. Missionen und ein gemeinsames Verständnis aktueller Herausforderungen und Ziele können dabei helfen, das Verständnis zwischen den Akteur:innen zu fördern, auch wenn nicht alle Widersprüche aufgelöst werden können.
Missionsorientierte Innovation: mehr als nur Technik
Innovationen spielen in der Umsetzung von Missionen eine tragende Rolle. Grundsätzlich lassen sich Politiken, welche zum Ziel haben, Innovation zu befördern und in der Gesellschaft zu verbreiten, entlang eines Spektrums einordnen. Dieses Spektrum orientiert sich an drei Fragen:
- Wer sind die Akteure der Innovation?
- Welche Aktivitäten tragen zu Innovation bei?
- Welche Formen des Lernens und Wissens werden genutzt?
Die Beantwortung dieser Fragen beeinflusst, ob sich staatliche Akteure stärker auf technische oder soziale Innovation konzentrieren. Ein breites Innovationsverständnis stellt die dominante Rolle der Wissenschaft infrage, indem es betont, dass Innovation mehr ist als der Wissenstransfer von Forschung in die Wirtschaft. Vielmehr geht es darum, dass komplexe Netzwerke von Organisationen und Institutionen und Akteuren Innovationen entwickeln, verbreiten und nutzen. Ein solcher Ansatz betont die Bedeutung nicht-technischer Innovationen und den verstärkten Einsatz von Kooperation und Partnerschaften.
Auf den Menschen kommt es an: soziale Innovation im Fokus
Damit Innovationen auch transformativ wirken, das heißt, bestehende Strukturen von Grunde auf neu erfinden, braucht es sowohl die technologische als auch soziale Innovation. Nur wenn Technologien auch praktikabel und für die Menschen, welche sie verwenden sollen, inklusiv sind, werden sie sich in der Gesellschaft durchsetzen können. Man spricht hier im Allgemeinen von der Diffusion von Technologien. Möchte man gesellschaftliche Ziele durch Innovation rasch erreichen, müssen daher sowohl Technologien als auch ihre Interaktion mit den Menschen berücksichtigt werden. Doch wir Menschen sind kompliziert und vielschichtig. Interessen, Vorlieben, Werte, Normen, kulturelle Vorstellungen sind ganz unterschiedlich. Im Rahmen einer missionsorientierten Innovationspolitik kann diese Vielfältigkeit im Innovationsprozess berücksichtigt werden. Kooperation, Austausch, Wissenstransfer und die Einbindung der unterschiedlichen Stakeholder sind die Schlagworte dafür. Gleichzeitig muss es auch um die Akzeptanz von sozialen und technologischen Lösungen in der Gesellschaft gehen. Es braucht deshalb ein Auge auf die Auswirkungen von transformativer Innovation auf soziale Ungleichheiten und Teilhabechancen.
Die Berücksichtigung sozialer Aspekte im Innovationsprozess ist damit von zentraler Bedeutung. Denn Veränderungen wirken nicht nur auf Technologien selbst, sondern auch auf gesellschaftliche Verhaltensweisen, Normen und Institutionen. Und ohne eine Berücksichtigung der sozialen Dimension von Technologie und Innovation können dauerhafte, transformative Veränderungen kaum gezielt unterstützt werden. Die Verbindung von technologischem Fortschritt mit sozialen Bedürfnissen bietet die Chance, das Innovationssystem grundlegend zu transformieren – erfordert jedoch eine neue Balance zwischen ökonomischen, sozialen und ökologischen Zielen, die aktiv von der Innovationspolitik gefördert werden muss. Die Umsetzung einer Missionsorientierung in den Innovationssystemen ist dazu ein erster Schritt.