Von Raketen­wissen­schaft und Büro­kratie: Öster­reichs Innovations­system am Weg zu den gesell­schaft­lichen Missionen?

12. Juli 2024

Der österreichische Satiriker Karl Kraus soll gesagt haben: „Wenn die Welt untergeht, dann gehe ich nach Wien. Dort passiert alles zehn Jahre später.“ Ein Befund über das weltanschauliche Lokalkolorit Österreichs und im Einklang mit dem berühmten „Schau ma’ mal“. Doch in einer stürmischen Zeit der Veränderung droht dieser gewohnte Ansatz krachend zu scheitern. Klimakrise, Digitalisierung, Demografie und Gesundheitsrisiken stellen Wirtschaft, Industriestandort und Innovationsysteme Österreichs in bisher ungeahntem Ausmaß und Geschwindigkeit vor Herausforderungen. Eine stärker auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ausgerichtete Innovationspolitik kann in deren Lösung helfen. Doch was braucht es dazu?

Gesellschaftliche Missionen: ante portas

Die aktuellen und mitunter globalen gesellschaftlichen Herausforderungen von Klimakrise, Demografie und Gesundheit verlangen aufgrund ihrer Komplexität von uns neue Antworten. Denn die althergebrachten Lösungen erweisen sich immer mehr als unzureichend. Unsere wirtschafts- und innovationspolitischen Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit müssen ebenso vielschichtig sein wie sie selbst. Es ist höchste Zeit, sich an integrative Lösungen zu wagen, politische Missionen zu definieren und diese auf Ziele, Akteure und Instrumente herunterzubrechen. Dabei geht es nicht nur darum, technische oder ökonomische Probleme zu lösen, sondern den Wandel selbst einzuleiten und negative soziale Auswirkungen der Veränderung aktiv zu vermeiden.

Das Innovationssystem kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten, indem es auf die großen gesellschaftlichen Missionen ausgerichtet wird und die relevanten wirtschaftspolitischen Akteure in ihrer Koordinierung und Abstimmung unterstützt. Dazu braucht es eine Ausrichtung an gemeinsamen Zielen, welche von Hochschulen über Förderagenturen bis hin zu den Unternehmen und den angewandt Forschenden selbst verfolgt werden, und die entsprechenden Strukturen sowie finanzielle und organisatorische Kapazitäten, um diese zu koordinieren. Auch müssen Missionen sektorübergreifend angelegt werden, damit sie der Komplexität der Herausforderungen gerecht werden können. So sind bestehende Silos im Organisationssalat aus Verwaltung, Förderagenturen, Universitäten und Leitbetrieben zu überwinden, um bereits vorhandene Technologien und bewährte Verfahren rascher zu diffundieren und gleichzeitig Raum für Experimente zu schaffen.

Missionen, wie bitte?

Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Missionen haben zum Ziel, Ressourcen zu bündeln, Politikinstrumente abzustimmen, negative Nebeneffekte zu vermeiden und Akteure zu koordinieren. Zum Beispiel verfolgt die Europäische Union im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon Europe fünf zentrale Missionen, welche in der Folge auch in Österreich umgesetzt werden sollen. Die Europäische Kommission benennt als europäische Missionen fünf Themenfelder:

  1. Mission CANCER: Krebs besiegen – Mission Possible
  2. Mission CLIMATE: Ein resilientes Europa, um dem Klimawandel zu begegnen
  3. Mission OCEAN: Mission Starfish: Unsere Meere und Gewässer bis 2030 regenerieren
  4. Mission CITIES: 100 klimaneutrale Städte bis 2030 – mit und für die Gesellschaft
  5. Mission SOIL: Gesunde Böden für ein gesundes Leben

Um diese Missionen erfolgreich in den bestehenden verwaltungstechnischen und organisatorischen Rahmen umzusetzen, braucht es nicht nur den politischen Willen zur Gestaltung sowie personelle wie finanzielle Ressourcen, sondern auch die Beteiligung der unterschiedlichsten Akteure und politischen Umsetzungsebenen. Neue und vielfältige Aufgaben kommen damit auf die Verwaltung zu. Sie muss fit für ihre Rolle als Entwicklerin, Fördererin und Ziel-Überwacherin werden.


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Zaghafte Bemühungen in der Umsetzung von Missionen

Während die Europäische Kommission in die Umsetzung der Missionen startet und diese teilweise bereits in ihren eigenen organisatorischen Strukturen verankert hat und andere Länder schon jahrelang Erfahrung mit Missionen und Innovationsagenturen gesammelt haben, ist man in Österreich noch zögerlich. Gleichzeitig führen wir medial-öffentlich große Debatten um eine vermeintliche Technologieoffenheit und gegen thematische Schwerpunktsetzungen in Forschung und Entwicklung. Dies zeugt von einem deutlichen Missverständnis in Österreichs Politik darüber, was Missionen eigentlich bedeuten, und verzögert die Ausrichtung des österreichischen Innovationssystems.

Zwar entwickeln sich in Österreich die ersten zaghaften Bemühungen, die europäischen Missionen ins nationale Innovationssystem zu überführen, von einer Ausrichtung des Innovationssystems an gesellschaftlichen Herausforderungen kann aber noch lange nicht die Rede sein. So definierten die FTI-Ministerien (BMK, BMAW, BMBWF) einen Umsetzungsrahmen für die europäischen Missionen. Dieser Umsetzungsrahmen skizziert die Abläufe, Akteure und Strukturen, die Missionen in Österreich implementieren zu können. Klar ist von Anfang an, dass die Umsetzung der Missionen eine umfassende Zusammenarbeit zwischen Sektoren, Ebenen, Disziplinen und staatlichen Einrichtungen brauchen wird. Darauf aufbauend werden derzeit „Aktionspläne“ mit entsprechenden „Wirkungspfaden“ von sogenannten „Mission Action Groups“ ausgearbeitet. Ein erster Schritt in Richtung Missionsorientierung in Österreichs Innovationssystem. Doch es ist noch ein weiter Weg.

Eines der ersten Praxisbeispiele ist die nationale „Mission: klimaneutrale Stadt“. In der Zusammenarbeit aus BMK und den Förderagenturen, dem Klima- und Energiefonds (KLIEN) und der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) versucht man mit dieser Mission, österreichische Städte dabei zu unterstützen, mithilfe von Forschung und Entwicklung rascher klimaneutral zu werden. Kooperation, Experimentieren, Lernen: das sind die Kernelemente, die die Basis für eine erfolgreiche Umsetzung von Missionen erst schaffen. Zum Beispiel erfordert die „Mission: klimaneutrale Stadt“, dass Akteure aus unterschiedlichsten Sektoren zusammenarbeiten, um Gebäude und die städtischen Energie- und Mobilitätssysteme in eine klimaneutrale Zukunft zu führen. Zum Teil gibt es hierfür bereits Lösungen. Sie müssen nur rascher ausgebaut werden. Zum Teil braucht es aber noch Innovation, um etwa bessere Kreisläufe in der Wasser- und Ressourcennutzung oder intelligent aufeinander abgestimmte digitale und lokale Energiesysteme zu entwickeln und in Anwendung zu bringen. Hier gilt es, Ressourcen und Neugier hinzulenken. Im Rahmen der öffentlich-öffentlichen Partnerschaft mit „Pionierstädten“ ist man dabei einen Schritt in die richtige Richtung gegangen, um Kapazitäten in der Verwaltung aufzubauen, Austausch zu fördern und Strukturen zu schaffen, die es braucht, um klimarelevante Entscheidungen auch über Sektorengrenzen hinweg als solche zu identifizieren und entsprechend zu berücksichtigen. Das entstehende Wissen und die möglichen Lösungen können und sollen auch von anderen Gemeinden und Städten genutzt werden. Schließlich sollen sie sich möglichst rasch in der Gesellschaft durchsetzen.

Einen Gang zulegen und Missionen umsetzen

Schenkt man dem Satiriker Kraus Glauben, passiert in Österreich alles immer etwas später als anderswo in der Welt. Oft ist dies auch ein Vorteil, da man nicht jeden Trend, welcher auch ein Fehlschlag sein kann, sofort mitmacht. In Zeiten der dynamischen und radikalen Veränderung könnte es aber auch ein Hemmschuh sein, um mit den globalen Entwicklungen mitzuhalten. Damit es nicht so kommt, müssen wir unser Innovationssystem fit für die Zukunft machen und Missionen rascher umsetzen, liegt doch in ihnen viel Potenzial, um die großen Herausforderungen gemeinsam und lösungsorientiert anzugehen. Oft steht den Missionen jedoch eine zu enge technisch-wirtschaftliche Denkweise im Weg. Sie verhindert, dass die Herausforderungen unserer Zeit effektiv angegangen werden. Transformative Politikgestaltung bedeutet daher, soziale, technische und wirtschaftliche Belange gleichzeitig in den Blick zu nehmen. Missionen können uns dabei helfen, dies zu tun.

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