Von Abbruch zu Aufbruch: Kreislaufwirtschaft als Chance für den Bausektor

29. März 2024

Während sich die Bevölkerung in den letzten 50 Jahren fast verdoppelt hat, ist unser globaler Verbrauch an Rohstoffen fast viermal so hoch angestiegen. Beachtliche 101,4 Gigatonnen an Rohstoffen verbrauchten wir weltweit im Jahr 2021. Das entspricht in etwa dem Gewicht von 167 Millionen Elefanten oder 10.000 Kreuzfahrtschiffen, die als Ozeanriesen bekannt sind. Doch nur ein winziger Bruchteil des Ressourcenverbrauchs findet seinen Weg zurück in den Wirtschaftskreislauf: die Folgen unseres linearen Wirtschaftssystems, welches dadurch Ressourcenknappheit und gravierende Umweltverschmutzung hervorruft. Begegnen können wir diesen Entwicklungen nur durch einen drastischen Wandel hin zu einer ressourcenschonenderen Produktions- und Konsumweise, indem wir Produkte, Komponenten und Rohstoffe wiederverwerten. Die Zukunft, auch der Bauwirtschaft, ist somit nicht linear, sondern ein Kreislauf!

Die Kreislaufwirtschaft ist für ein nachhaltiges Wirtschaften mit Rohstoffen ein unverzichtbares Modell. Das Grundprinzip: Ressourcen möglichst lange wiederverwenden, etwa durch längere Lebensdauer oder die Wiederverwendung von Materialien. Neben der Reduktion von Abfall könnte eine zirkuläre Wirtschaftsweise auch bis zu 45 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen reduzieren, denn die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen ist sehr energieintensiv. Dieser Paradigmenwechsel ist aber nicht nur eine ökologische Notwendigkeit, sondern bringt auch eine tiefgreifende Transformation der Arbeitswelt mit sich.

Die Bauwirtschaft als Schlüsselsektor der Kreislaufwirtschaft

Das Konzept der Kreislaufwirtschaft gewinnt seit einigen Jahren weltweit immer mehr an Bedeutung. Der Raubbau an Ressourcen unserer Erde als auch die Erfahrungen der letzten Jahre mit dem Zusammenbruch von Lieferketten haben das Thema der Kreislaufwirtschaft nicht nur aus einer ökologischen, sondern auch aus einer Perspektive der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit hoch auf die politische Agenda katapultiert. Die EU legte deshalb zur Beförderung der europäischen Kreislaufwirtschaft einen eigenen Aktionsplan vor und auch Österreich entwickelte eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Ziel dieser Strategien und Maßnahmenpläne ist, den Übergang zu einem zirkulären und nachhaltigen Wirtschaftsmodell zu beschleunigen.

Aufgrund seiner Bedeutung für den Ressourcenverbrauch ist einer der Zielsektoren für kreislaufwirtschaftliche Ansätze und Maßnahmen der Gebäudesektor. Mit einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 19 Tonnen übersteigt der österreichische Bausektor die planetaren Grenzen für nachhaltigen Materialkonsum um ein Dreifaches. EU-weit stammen über 35 Prozent des Abfalls aus der Bauwirtschaft. Damit birgt eine Umstellung auf kreislauforientierte Prozesse im Gebäudesektor ein enormes Potenzial für einen sparsameren Umgang mit Ressourcen. Um ressourcenschonender zu bauen und Gebäude so lange wie möglich nutzen zu können, gibt es verschiedene Ansätze: Bestandsgebäude möglichst lange nutzen, sanieren statt neu bauen, wiederverwendbare und recyclingfähige Materialien einsetzen, digitale Technologien für effizientere Bauprozesse nutzen und am Ende die Gebäude fachgerecht demontieren, statt abzureißen, um Bauteile in anderen Gebäuden wiederverwenden zu können.

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Handwerk und Hightech: Arbeit am Bau im Wandel

Die Baubranche ist mit knapp 8 Prozent aller Beschäftigten in Österreich ein bedeutender Wirtschaftszweig. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft wird hier zu tiefgreifenden Veränderungen führen. Während sich politische Initiativen und öffentliche Diskussionen allerdings vornehmlich auf ökologische und ökonomische Aspekte der Kreislaufwirtschaft konzentrieren, finden die sozialen Auswirkungen, die mit diesem Übergang einhergehen, oft weniger Beachtung. Dabei beeinflusst dieser Wandel die Arbeitsmarktstruktur erheblich, indem er einerseits bestimmte Berufe verdrängt, andererseits aber auch neue Berufsfelder und Entwicklungsmöglichkeiten schafft. Wenn weniger neu gebaut und dafür mehr saniert wird, sinkt etwa die Nachfrage nach bestimmten Primärrohstoffen wie Sand und Kies. In der Folge könnten Arbeitsplätze im Rohstoffabbau wegfallen. Gleichzeitig entstehen neue Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wiederverwendung und im Recycling von Baumaterialien. Laut der International Labour Organisation (ILO) wird die Orientierung hin zu einer Kreislaufwirtschaft zu einem Beschäftigungsplus von rund 700.000 Arbeitsplätzen in der EU bis 2030 beitragen.

Neue Qualifikationen gefragt

Eine vorausschauende Politik sollte diesen Wandel aktiv durch Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen begleiten. Bestehende Ausbildungen müssen um Kreislaufthemen ergänzt und neue Qualifizierungen geschaffen werden. Dabei gilt es, Übergänge zwischen Berufen zu erleichtern und vulnerable Gruppen besonders zu unterstützen, damit niemand auf der Strecke bleibt. Das erfordert Umschulungen und Weiterbildungsmöglichkeiten, um den Strukturwandel zu bewältigen und die Chancen für den Arbeitsmarkt optimal zu nutzen.

Facharbeiter:innen am zirkulären Bau müssen daher nicht nur in der Lage sein, Bauteile fachgerecht zu demontieren, sondern auch deren Qualität und Wiederverwendbarkeit zu beurteilen. Sie brauchen ein Verständnis für verschiedene Materialien, Verbindungstechniken und Konstruktionsweisen, um Gebäude so zu errichten, dass eine spätere Rückführung in den Kreislauf möglich wird. Auch in der Planung sind neue Kompetenzen gefragt. Architekt:innen und Bauingenieur:innen müssen kreativ mit vorhandenen Materialien umgehen und gleichzeitig die Nachhaltigkeit und Langlebigkeit ihrer Entwürfe sicherstellen. Projektmanager:innen spielen eine Schlüsselrolle in der Koordination dieser komplexen Prozesse und benötigen daher Kenntnisse in Bereichen wie Logistik und Materialflussmanagement. Neben technischem Know-how werden digitale Kompetenzen immer wichtiger, etwa für den Einsatz von Building Information Modeling (BIM) zur Dokumentation verbauter Materialien. Es wird deutlich: Die Kreislaufwirtschaft erfordert neue Berufsbilder mit vielfältigen Kompetenzen.

Kreislaufwirtschaft als Chance für soziale Inklusion

Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft im Bausektor birgt insgesamt ein beachtliches Arbeitsplatzpotenzial, insbesondere in arbeitsintensiven Bereichen wie dem Rückbau, der Wiederverwendung, der Aufbereitung und der Renovierung. Eine Studie zeigt, dass pro 1.000 Tonnen Material, die für die Wiederverwendung gesammelt werden, durchschnittlich 70 Arbeitsplätze entstehen können. Besonders vielversprechend ist der Bereich Urban Mining, bei dem Sekundärrohstoffe aus Abbruchgebäuden für die Wiederverwertung identifiziert und aufbereitet werden. Diese Arbeitsprozesse lassen sich nur schwer automatisieren, da sie ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Materialien, Bauteile und deren Zustand erfordern. Handwerkliche Fähigkeiten bleiben daher auch im zirkulären Bau unverzichtbar. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die berufliche Praxisausbildung in diesem Bereich zu stärken und attraktiver zu gestalten.

Hier liegt eine große Chance, auch benachteiligte Gruppen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Kreislaufwirtschaft im Bausektor schafft ein breites Spektrum an Beschäftigungsmöglichkeiten, von manuellen Tätigkeiten über serviceorientierte Dienstleistungen bis hin zu hochtechnischen Berufen. Gerade für Langzeitarbeitslose oder andere benachteiligte Gruppen können sich damit neue Perspektiven eröffnen.

Die Initiative BauKarussell zeigt, wie Langzeitarbeitslose durch maßgeschneiderte Qualifizierungs- und Beschäftigungsprogramme im Bereich Rückbau und Materialaufbereitung fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden können. Die Teilnehmer:innen erhalten nicht nur fachliche Kompetenzen, sondern auch wichtige Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit oder Pünktlichkeit. Damit werden die Chancen auf eine langfristige Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt deutlich erhöht. Solche Programme haben Vorbildcharakter, denn sie verbessern nicht nur die wirtschaftliche Situation der Beschäftigten, sondern adressieren auch psychische und gesundheitliche Probleme, die oft mit Langzeitarbeitslosigkeit einhergehen. Denn Arbeit gibt den Menschen Struktur, Sinn und soziale Kontakte. Sie stärkt das Selbstwertgefühl und die gesellschaftliche Teilhabe. Soziale Unternehmen, die im Bereich Kreislaufwirtschaft aktiv sind, können neben ökologischem auch sozialen Mehrwert schaffen. Allerdings braucht es für solche Initiativen auch entsprechende Rahmenbedingungen und Förderungen.

Nachhaltig und leistbar wohnen – nicht unbedingt ein Widerspruch

Um den Übergang zu einem kreislaufwirtschaftlichen Gebäudesektor sozial verträglich zu gestalten, muss gezielt auch die Schaffung leistbaren Wohnraums verfolgt werden. Expert:innen sind optimistisch, dass Kreislaufkonzepte langfristig sogar Wohnkosten senken können. Zwar steigen im zirkulären Bau die Kosten im Neubau, aber längere Nutzungszyklen und geringere Instandhaltungskosten wirken diesem Effekt entgegen. Ein vielversprechender Ansatz ist die Wiederverwendung von Leerstand. Durch die Sanierung und Umnutzung ungenutzter Gebäude lassen sich preisgünstige Wohnungen schaffen, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln.

Wenn soziale Aspekte nicht berücksichtigt werden, besteht die Gefahr, dass zirkuläres Bauen vor allem hochpreisige Immobilien für einkommensstarke Schichten hervorbringt, während ärmere Bevölkerungsgruppen leer ausgehen. Eine solche Entwicklung würde den Prinzipien eines gerechten Übergangs zuwiderlaufen. Angesichts der aktuellen Wirtschaftslage wäre es sinnvoll, die öffentliche Wohnbauförderung neu auszurichten. Statt den Neubau von Einfamilienhäusern zu subventionieren, wie erst kürzlich zur Ankurbelung der Bauwirtschaft angedacht, sollten gezielt Anreize für die Sanierung, Leerstandsaktivierung und den gemeinnützigen Wohnungsbau gesetzt werden, wie die Bundeskammer der Ziviltechniker:innen erst kürzlich forderte. Auf diese Weise ließen sich Arbeitsplätze im Bau sichern und zugleich die Transformation zur Kreislaufwirtschaft unterstützen.

Kreislaufwirtschaft – kein Selbstläufer

Um das volle Potenzial der Kreislaufwirtschaft im Bausektor für den Arbeitsmarkt zu erschließen, bedarf es gezielter Förderungen und Anreize. Ohne entsprechende Unterstützung besteht die Gefahr, dass sich kreislauforientierte Praktiken nur langsam durchsetzen und somit auch die positiven Beschäftigungseffekte ausbleiben. Förderprogramme sollten insbesondere auf arbeitsintensive Bereiche wie Renovierung, Rückbau und Urban Mining abzielen. Ein solches Umdenken erfordert allerdings auch eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Baustandards und Normen müssen angepasst werden, um kreislauffähiges Bauen zu erleichtern. Gleichzeitig braucht es klare Vorgaben für die Wiederverwendung von Bauteilen und Materialien sowie Anreize für nachhaltiges Planen und Bauen. Nur so gelingt es, die Kreislaufwirtschaft zu stärken und aufzubauen. Außerdem braucht es Investitionen in Ausbildung und Qualifizierung, um den Anforderungen gerecht zu werden. Nur so lässt sich das Jobpotenzial der Kreislaufwirtschaft voll ausschöpfen.

Kreislaufwirtschaft am Bau: quo vadis?

Insgesamt wird deutlich: Die Kreislaufwirtschaft im Bausektor hat das Potenzial, ökologische und soziale Ziele zu verbinden. Sie kann nicht nur Ressourcen schonen und Emissionen senken, sondern auch nachhaltige und zukunftsorientierte Arbeitsplätze schaffen und neue Chancen eröffnen. Allerdings bringt dieser Wandel auch Herausforderungen mit sich, die durch gezielte Maßnahmen und eine vorausschauende Politik gemeistert werden müssen. Denn eine gerechte Transition ist nur möglich, wenn auch die vulnerabelsten Gruppen mitgenommen werden.

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