Lange Zeit zeigten Regierungen wenig Interesse daran, wer sich in Schlüsselbereiche von Wirtschaft und Gesellschaft einkauft. Nun gilt diese Sorglosigkeit immer mehr als Risiko. Die neue Wachsamkeit für die Frage „Wer kauft sich da eigentlich ein?“ ist untrennbar mit den Rufen nach mehr Resilienz, „strategischer Autonomie“ oder zuletzt auch „ökonomischer Sicherheit“ verbunden. Dafür sind nicht nur verschärfte geoökonomische Rivalitäten im Dreieck USA-China-EU verantwortlich. Die fortlaufende Vielfachkrise erhöht den Druck, für einen besseren Schutz kritischer Infrastruktur und der „Lebensadern unserer Gesellschaft“ zu sorgen.
Trendumkehr für mehr Kontrolle
Die COVID-19-Krise führte dazu, dass viele Regierungen Aufkäufe in gesundheitsrelevanten Versorgungs-, Forschungs- und Produktionsbereichen (z. B. Medikamente, Impfstoffe) mittlerweile genauer unter die Lupe nehmen. Deutschland schärfte beispielsweise seine Schutzvorkehrungen nach, nachdem das US-amerikanische Interesse am Aufkauf des Pharmaunternehmens CureVac kontrovers diskutiert worden war. Davor hatten bereits wachsende Sorgen um den Abfluss kritischer Technologien in Bereichen wie Robotik (sogenannte „technology leakage“), die Versorgungssicherheit in der Grundstoffindustrie (z. B. Energieressourcen) und fehlende Kontrolle über kritische Infrastrukturen (z. B. Verkehrsknotenpunkte) eine Trendumkehr eingeläutet.
Lernen aus der Krise?
Vor diesem Hintergrund treten auch Fehlentwicklungen der Vergangenheit offener zutage. Diskussionen wie etwa zum Aufstieg eines neuen Resilienzparadigmas rücken in den Blick, wie die vorrangige Orientierung auf Marktliberalisierung Krisenanfälligkeit erhöht und gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gekostet hat. Darüber hinaus werden in Europa nochmals Schatten auf die radikalen Spar- und Privatisierungsauflagen nach der Finanzkrise 2008f. geworfen. Als Teil der sogenannten „Troika“ drängte die Europäische Kommission (EK) damals beispielsweise Griechenland dazu, den Hafen von Piräus zu veräußern. Daraus resultierte ein „Privatisierungsparadox“, dessen Nachwirkungen bis heute hoch relevant sind. Die Privatisierung dieses strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkts erfolgte 2016 an den chinesischen Staatskonzern COSCO. Während die EK also mit ihrer Austeritätspolitik den Einzug gewichtiger chinesischer Investoren in kritische Infrastrukturen befördert hat, warnt sie heute vor Abhängigkeiten. Das geschieht vordergründig im Namen des Schutzes von Sicherheit und Ordnung.
Weltwirtschaft: Drum prüfe, wer sich bindet
Doch die aktuellen Umbrüche machen deutlich: Die öffentlichen Schutzinteressen, die den neuen Staatsinterventionismus in der Vielfachkrise vorantreiben, lassen sich auch innerhalb einer neoliberalen Verfasstheit der EU immer weniger abbilden. Wie wird etwa künftig mit Aufkäufen in kritischen Bereichen umgegangen, bei denen es vordergründig wenig um geopolitisch aufgeladene Sicherheitsrisiken, sondern um den Schutz sozialer Infrastruktur (siehe dazu z. B. die Expansion von problematischen Finanzinvestoren im Pflegebereich) oder alternative Antworten wie den dauerhaften öffentlichen Einstieg in kritische Industrieunternehmen für den sozial-ökologischen Umbau geht? Derartige offene Baustellen und Widersprüche prägen gerade auch die drastischen Veränderungen, die in den letzten Jahren weltweit zu einer Neuentdeckung strategischer Außenwirtschaftspolitik geführt haben. In einer Weltwirtschaft, die sich zwischen Deglobalisierung und Geoökonomie bewegt, gilt daher immer mehr das Motto: „Drum prüfe, wer sich bindet.“ Das zeigt sich nicht zuletzt bei der vermehrten Prüfung internationaler Investoren, wenn es um die Kontrolle und Entwicklungsperspektiven von kritischen Infrastrukturen, Technologien und Ressourcen geht.
Starkes Momentum für Investitionskontrollen
Sogenannte „Investitionskontrollen“ – oder auch „Investitionsprüfungen“ oder „Investment Screenings“ genannt – sind in den vergangenen 20 Jahren weltweit im Vormarsch. Sie ermöglichen, genauer hinzusehen, wenn ausländische Investoren Anteile an gesellschaftlich zentralen Unternehmen erwerben wollen. Neben der eigentlichen Prüfmöglichkeit und Genehmigungspflicht (als Grundlage für erweiterte Informationen und Risikoeinschätzungen) können davon im kritischen Fall verbindliche Auflagen an den Investor (z. B. Verbot einer Sitzverlegung) umfasst sein – bis hin zu einer tatsächlichen Untersagung des gesamten Erwerbsvorgangs. Für Investitionsprüfungen bleibt dabei nicht zuletzt herausfordernd, Licht in die tatsächlichen Einflussstrukturen hinter ausländischen Direktinvestitionen (FDI) und transnationalen Eigentumsketten zu bringen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht davon aus, dass mittlerweile um die 60 Prozent der globalen FDI-Flüsse potenziell unter die Reichweite von Investitionskontrollen fallen. Im Zeitverlauf zeigt sich ein gradueller Anstieg seit Mitte der 2000er-Jahre, der zuletzt in der COVID-19-Krise einen markanten Ausschlag nach oben erfahren hat.
Investitionskontrollen gehören mittlerweile in immer mehr Staaten zum Standardrepertoire strategischer Außenwirtschaftspolitik, wenn es um die Überprüfbarkeit bis Abwehr von strittigen Aufkäufen in kritischen Bereichen wie etwa Transportnetze, Finanzwesen, Telekommunikation oder auch Energieinfrastruktur geht. Regierungen versuchen damit nicht zuletzt, ein Gegengewicht zum wirtschaftspolitischen Kontrollverlust herzustellen, der aufgrund vormals vorgenommener Privatisierungen von staatlichem Eigentum und infrastrukturrelevanten Unternehmen besteht. Die Zunahme von Investitionskontrollen zeigt sich besonders stark im OECD-Raum. Es ist mittlerweile die Ausnahme, keinen Mechanismus zur vertiefenden Überprüfung von ausländischen Direktinvestitionen zu haben. Bei Nachzüglern, wie etwa der Schweiz oder Griechenland, gilt die Einführung zumindest als vorangeschritten. Die Anzahl der Prüfmechanismen hat sich unter den OECD-Staaten im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt.