Arbeitskräfte fehlen, darunter viele Fachkräfte. Jahrelang wurde politisches Handeln und Steuern in Sachen vorausschauende (Aus-)Bildung und Fachkräfterekrutierung von Regierung und Unternehmen vernachlässigt – auch von öffentlichen Unternehmen. Betriebe ziehen sich seit Jahren aus der Aus- und Weiterbildung zurück. In den kommenden Jahren gehen Tausende Fachkräfte in Pension. Dabei bräuchten wir zur Bewältigung der Klimakrise und natürlich auch für die Digitalisierung deutlich mehr zeitgemäß qualifizierte Arbeitnehmer:innen. Und wir benötigen dringlichst Fachkräfte, die unsere Kinder bilden und unsere Alten pflegen.
Viele Kolleg:innen spüren den Druck bereits enorm: Personalengpässe führen zur erhöhter Nachfrage nach dem Leisten von Überstunden, nach Einspringen und Mehrarbeit.
Aber: Wie viele Fachkräfte, wie viele Arbeitskräfte fehlen? – Ehrliche Antwort: Niemand weiß es genau. Verschiedene Quellen, verschiedene Berechnungsmethoden kommen zu höchst unterschiedlichen und nur fragmentarischen Angaben.
Unattraktive Löhne und Arbeitsbedingungen schaffen Mangel
Der Bedarf an Arbeitskräften wird jedenfalls ideologisch bewusst verzerrt dargestellt, das sollte in der ganzen Auseinandersetzung nicht übersehen werden: Denn häufig wird behauptet, es würden qualifizierte Fachkräfte fehlen, wenn eigentlich Arbeitskräfte gesucht werden; dort, wo durch bessere Arbeitsbedingungen, durch höhere Löhne Arbeitskräfte jedenfalls zu finden wären.
Prominentestes Beispiel, das jede:r kennt: die Gastronomie.
Die WKÖ hat ihre Mitglieder befragt, mit dem Ergebnis, dass in ganz Österreich und quer durch alle Branchen rund 200.000 Fachkräfte fehlen würden. Angeführt wird der Ruf nach Arbeitskräften/Fachkräften vom Tourismus (72 Prozent). Der Beruf Koch/Köchin steht an der Spitze jener mit den größten Rekrutierungsschwierigkeiten. An zweiter Stelle steht der Handel.
Beide Branchen zeichnen sich durch gelinde gesagt verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen und unterdurchschnittliche Bezahlung aus. Der erhobene „Mangel“ liegt wohl vorrangig an Mängeln der Branche puncto Bezahlung und Arbeitsbedingungen und nicht am Mangel an qualifizierten Arbeitnehmer:innen.
Demgegenüber stehen die Ergebnisse der IHS-Fachkräftestudie 2023, in der klar zum Ausdruck kommt, dass es sich im Fall der Gastronomie nicht um einen „echten Mangel“ handelt, sondern um saisonale Engpässe. („In Berufen mit saisonal stark schwankender Beschäftigung wie z. B. in der Gastronomie und Hotellerie ergeben die auf Jahresdurchschnitten basierenden Indikatoren keine Hinweise auf einen Mangel. Bei einer gesonderten Betrachtung zeigen sich jedoch saisonale Engpässe, etwa bei Köch:innen und Kellner:innen, vor allem im beschäftigungsstarken dritten Quartal.“)
Tatsächliche Lücken, also echten Bedarf an Fachkräften ermittelt das IHS:
• in technischen Berufen (Systemanalyse, Softwareentwicklung, Elektrotechnik und -mechanik sowie in einigen weiteren Ingenieurbereichen),
• Berufen der Baubranche und in der
• Krankenpflege sowie Pflegehilfe.
Was lässt sich aus der Altersstruktur der Belegschaften für die Arbeitskräftebedarfe der Zukunft ableiten, fragt das WIFO und stellt in einem weiteren Schritt der demografischen Struktur die neuen Anforderungen aus Digitalisierung und Ökologisierung gegenüber. Daraus lassen sich aufstrebende und abschmelzende Berufe und Berufsfelder ableiten.
Planlosigkeit und wenig Wissen
Die viele Fachkräfte also heute fehlen, weiß derzeit niemand. Wenn wir nicht wissen, wie viele Fachkräfte derzeit wo fehlen, und umso weniger wissen, wie viele künftig fehlen werden, ist es natürlich überaus schwer, die richtigen Maßnahmen für die richtige Qualifizierung und Rekrutierung der Fach-/Arbeitskräfte zu setzen.
Regierung im Blindflug in die qualifikatorische Zukunft
Der Fachkräftebedarf bremst die Wirtschaftsentwicklung und den gesellschaftlichen Wandlungsprozess. Denn ohne Fachkräfte können Unternehmen Aufträge nicht oder nicht voll umfänglich annehmen. In Zeiten großer Veränderungen stockt die Umsetzung.
Digitalisierung und sozial-ökologischer Umbau sind heute die zentralen Herausforderungen an die Arbeitswelt und die Gesellschaft. Die Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter:innen verändern sich damit grundlegend.
Der digitale Wandel erfasst (nahezu) alle Tätigkeitsbereiche und Berufe. Auch jene Arbeitnehmer:innen, die kurz vor der Pension stehen, müssen mit digitalen Geräten, Methoden, Arbeitsweisen umgehen lernen.
Damit der gewünschte soziale und ökologische Umbau hin zu nachhaltigem Wirtschaften gelingen kann, benötigen die Arbeitnehmer:innen neue oder veränderte Qualifikationen. Der Umstieg zu erneuerbaren Energiesystemen, zu veränderter Mobilität, zu Sanierung und Wiederverwendung und viele Bereiche mehr verlangen ein Umdenken und in der Folge zumeist ein Aufsetzen neuer, veränderter Qualifikationen auf bestehende Kompetenzen. Es geht weniger um gänzlich neue Berufe und Tätigkeiten.
Konkret am Beispiel Heizungstausch:
Einer der nachgefragtesten Berufe in ganz Europa ist der/die Installateur:in. Soll die Energiewende hin zu erneuerbarer Energie gelingen, müssen beispielsweise allein in Wien 440.000 Gasheizungen ersetzt werden.
Das Tempo des Umstiegs hängt vom Vorhandensein einer ausreichenden Zahl qualifizierter Fachkräfte und deren zeitgemäßer Qualifikation ab. Jetzt gibt es sie definitiv so nicht.