Export­orien­tierung – Miss­ver­ständ­nisse, Effekte und Profit­eure

18. September 2024

Die Bedeutung von Exporten wird auch in Österreich in diversen Debatten ins Feld geführt, sei es in Bezug auf Handelsabkommen, die Schaffung von Arbeitsplätzen oder die grüne Transition. Kennzahlen werden aber oft falsch verwendet und entsprechend missinterpretiert. Die Bedeutung der Exporte für die Wirtschaft wird dadurch oft überschätzt. Wie so oft in der Ökonomie ist die Exportorientierung nie pauschal „gut“ oder „schlecht“, sondern immer abhängig von den jeweiligen Bedingungen. Dieser Artikel soll dazu beitragen, mehr Klarheit in die oft emotionale Diskussion rund um die Exportorientierung zu bringen. 

Die Exportquote – ein falsches Maß? 

Die Exportquote wird oftmals ins Feld geführt, um die besondere Bedeutung von Exporten für Österreich zu betonen. Fakt ist allerdings, dass diese Quote irreführend ist – zumal es sich strenggenommen um gar keine Quote handelt.  

Was ist unter dem Begriff der Exportquote zu verstehen? Die Exportquote stellt die Exporte im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) dar. Das Bruttoinlandsprodukt wiederum steht für den Wert der Waren und Dienstleistungen, die innerhalb der Grenzen Österreichs geschaffen wurden. Da das BIP nach Landesgrenzen funktioniert, müssen für die Berechnung des BIPs, also der Produktionsleistung im Land, die Importe von den gesamt verfügbaren Gütern und Dienstleistungen im Land abgezogen werden. Ein Beispiel: Wird ein Fahrrad in Österreich gefertigt, der Rahmen des Fahrrads aber beispielsweise aus China importiert, muss der Wert des Rahmens aus dem BIP herausgerechnet werden. Schließlich wurde dieser Wert nicht im Inland, sondern in China generiert. Die Exporte folgen allerdings nicht dieser Logik, denn sie stehen für den Wert aller Produkte, die aus Österreich exportiert werden – unabhängig vom Anteil der Fertigung im In- oder Ausland.  

Es wird also klar, dass bei der Exportquote in Wahrheit Äpfel mit Birnen (oder Umsätze mit Wertschöpfung) verglichen werden. Ein Land, das massenweise beinahe fertige Produkte exportiert und nur einen Arbeitsschritt an diese Produkte anhängt, hat eine sehr hohe Exportquote, möglicherweise sogar über 100 Prozent. Das bedeutet allerdings im Umkehrschluss nicht, dass die Exporte dadurch viel Wert im Inland generieren und damit für die Volkswirtschaft von besonders großer Bedeutung sein müssen. Ein klassischer Fall dafür ist Hongkong, das als Handelsplatz enorm hohe Importe und Exporte im Vergleich zur inländischen Wertschöpfung aufweist, und so auf eine Exportquote von 193,9 % kommt. Einige Ökonom:innen schlagen deshalb alternativ zur Exportquote vor, die Exporte an der Gesamtnachfrage statt am BIP zu messen. In die Gesamtnachfrage fließen Konsumausgaben, Investitionen und auch Exporte ein, es geht also um die gesamte Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Die Grundbedingung an eine „echte“ Quote, bei der die Werte zwischen 0 und 100 % liegen müssen, wäre damit auch gegeben. In Österreich beträgt diese Quote für das Jahr 2023 38 %, immerhin ein erheblich geringerer Wert als die Exportquote von 60 %. Also rund 38 % der in Österreich angebotenen Waren und Dienstleistungen werden im Ausland nachgefragt. Die untenstehende Grafik stellt die Entwicklung der Exportquote und den Anteil der Exporte an der Gesamtnachfrage dar und führt nochmal vor Augen, wie erstere die Bedeutung der Exporte für die Wirtschaft überschätzt.  

© A&W Blog


Ausland ist nicht gleich Ausland 

Die Exportquote fällt oft auch im Zusammenhang mit bilateralen Abkommen der EU mit Drittstaaten. So betonte die Industriellenvereinigung die Bedeutung von Abkommen wie EU-Chile für den Wohlstand Österreichs mit der österreichischen Exportquote – die ja immerhin bei 60 % liegt. Klingt grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings ist auch diese Darstellung in mehrfacher Hinsicht verzerrt. Zum einen besteht die Problematik mit der Exportquote, wie oben skizziert. Zum anderen beziehen sich die Freihandelsabkommen der EU nur auf den Handel mit Drittstaaten, nicht jenen zwischen EU-Ländern – das regelt ja bekanntlich bereits die EU. Bei der Exportquote Österreichs sind allerdings auch die Exporte innerhalb der EU miteinbezogen. Rechnet man diese heraus, so betragen die Exporte an Drittländer nur mehr 19 % des BIP. Betrachtet man den Anteil der Extra-EU Exporte anteilig an der gesamten österreichischen Nachfrage, kommt man sogar nur auf 12 %. Also lediglich 12 % der in Österreich angebotenen Waren und Dienstleistungen werden im EU-Ausland nachgefragt. Die Bedeutung der Handelsabkommen für die österreichische Wirtschaft lässt sich also schwer mit der Exportquote argumentieren und wird dementsprechend oft massiv überschätzt.  

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Wertschöpfung als entscheidender Indikator 

Zwar erfüllt der oben beschriebene Anteil der Exporte an der Gesamtnachfrage im Gegensatz zur Exportquote die Anforderungen an eine tatsächliche Quote, doch bleibt auch hier die Inlandswertschöpfung in Wahrheit unberücksichtigt. Um nochmal zu betonen: Nur weil Waren oder Dienstleistungen mit einem gewissen Wert Österreich verlassen, bedeutet das nicht, dass ihr Anteil an der österreichischen Wertschöpfung groß sein muss und entsprechend viele Arbeitsplätze in Österreich an diesen Produkten hängen. Laut Berechnungen des Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft (FIW) wurden 2021 beispielsweise im Schnitt nur rund 60 % des Warenwertes der Exporte in Österreich gefertigt. Was heißt das konkret? Gehen wir zurück zu unserem Beispiel: Ein Fahrrad, das beispielsweise 1000 Euro kostet und aus Österreich exportiert wird, erscheint exakt mit diesen 1000 Euro in den österreichischen Exporten. Tatsächlich wurde aber der Rahmen im Wert von 400 Euro aus China importiert und nur die restlichen 600 Euro an Wert in Österreich geschaffen – z. B. für die Herstellung der Reifen, des Lacks etc. Tatsächlich dürften also nur jene 600 Euro in die Darstellung der Bedeutung von Exporten einfließen, die auch in Österreich gefertigt wurden. Berechnet man diesen Anteil für die gesamten Exporte für das Jahr 2021 kommt man auf rund 30 %, deutlich niedriger als der Anteil der allgemeinen Exporte am BIP für das Jahr mit 51,4 %. 

Wer profitiert von der Exportorientierung? 

Die Frage, wer von der Exportorientierung profitiert, ist nur über Umwege zu ermitteln. Wenn ein Land Produkte exportiert, ist es zunächst einmal relevant, wie sich die Preise der Exporte im Verhältnis zu den Preisen der Importe entwickeln. Dieses Verhältnis nennt man „Terms of Trade“. Es gibt an, wie viel ein Land für seine Importe aufwenden muss und wie viel es im Gegenzug durch seine Exporte einnimmt. Die Terms of Trade stellen dabei aber kein absolutes Verhältnis dar, sondern bilden lediglich die Entwicklung des Tauschverhältnisses eines Landes ab. Schließlich sind die Import- und Exportgüter nicht immer direkt miteinander vergleichbar, es ist also schwer zu sagen, ob ein Tauschverhältnis allgemein „gut“ oder „schlecht“ ist.  

Bleiben wir bei unserem (vereinfachten) Beispiel: Ein Land exportiert insgesamt ein Fahrrad für 1000 Euro in die USA und importiert dafür einen Fahrradrahmen aus China für 400 Euro. Das ist in unserem Fall die Ausgangssituation. In dem Basisjahr kann das Land sich für ein verkauftes Fahrrad also 2,5 Rahmen kaufen. Nehmen wir nun an, dass der Rahmen aus China aber auf einen Schlag teurer wird und von 400 auf 600 steigt. Damit verschlechtern sich die Terms of Trade – für ein Fahrrad können nur noch 1,5 Rahmen getauscht werden. In dem Fall kann sich das Land weniger Rahmen für das exportierte Fahrrad kaufen. Wann ein Land also von der Exportorientierung profitiert, ist eng damit verknüpft, wie sich die Import- und Exportpreise entwickeln.  

In Zeiten der Teuerungskrise in Österreich beispielsweise sanken die Terms of Trade rasant, denn die Importe wurden aufgrund der gestiegenen Energiepreise schlagartig teurer. Diese Dynamik ließ sich besonders am Anfang der Teuerung im Jahr 2022 beobachten, wo die Preise der inländischen Produzenten noch nicht auf die erhöhten Importpreise angepasst wurden. Diese Entwicklung kehrte sich jedoch im Jahr 2023 um, als die Importpreise wieder fielen, während die Exportpreise für österreichische Waren und Dienstleistungen nach oben angepasst wurden. Daraus resultierte das niedrigste Handelsdefizit (Differenz zwischen Exporten und Importen) seit mehr als 16 Jahren. 

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Es lässt sich also festhalten, dass Länder darauf abzielen, mehr für ihre Exporte zu bekommen und weniger für ihre Importe zu zahlen. Aber wer exportiert eigentlich genau? In den oben angeführten Beispielen wurde der Einfachheit halber angenommen, dass ein Land als Ganzes exportiert und importiert. Tatsächlich sind es im Normalfall allerdings verschiedene Unternehmen innerhalb eines Landes, die mit Waren oder Dienstleistungen handeln. Dabei lässt sich in Österreich eine Ungleichverteilung zwischen den Unternehmen beobachten. Während von den Unternehmen mit 0-9 Mitarbeiter:innen von 2013 bis 2020 im Schnitt rund 20 % exportiert oder importiert haben, waren es bei den Unternehmen mit 10-49 Beschäftigten mit rund 42 % mehr als doppelt so viele und bei jenen mit mehr als 250 Mitarbeiter:innen sogar etwa 91 %. Große Unternehmen und Konzerne mit hohem Umsatz sind also in der Regel stärker (direkt) in den Handel verwickelt als Klein- oder Mittelbetriebe. Das deutet darauf hin, dass nicht alle Unternehmen gleichermaßen von Schocks in den Lieferketten bzw. am internationalen Markt betroffen sind und diese entsprechend Verteilungseffekte nach sich ziehen können.  

Fazit 

Die Exportorientierung polarisiert – dabei wäre ein differenzierter Zugang gerade in dieser Frage wichtig. Die weit verbreitete Exportquote ist in jedem Fall ein ungeeignetes Maß, um die Bedeutung der Exporte für ein Land zu erfassen. Sie vergleicht Äpfel mit Birnen und sollte daher durch aussagekräftigere Kennzahlen ersetzt werden. Ein wichtiger Aspekt wäre beispielsweise die Betrachtung der inländischen Wertschöpfung, die durch Exporte erzielt wird. Darüber bestimmt sich die wirtschaftliche Relevanz der Exporte und der Anteil der Arbeitsplätze, die durch Exporte im Inland generiert werden. Dabei ist auch entscheidend, wer an dieser Wertschöpfung beteiligt ist und welche Verteilungseffekte eine zunehmende Exportorientierung im Allgemeinen nach sich ziehen. In Österreich wird mit einem Blick auf die Zahlen klar, dass gerade große Unternehmen besonders in den Handel verwickelt sind. Auch das sollte in der Debatte rund um Exporte berücksichtigt werden. 

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