Energiecharta-Vertrag: EU geht von Bord, Öster­reich bleibt auf dem sinken­den Schiff

04. Juli 2024

Die Zukunft des wenig bekannten, aber hochriskanten Energiecharta-Vertrags (ECT) wurde von den EU-Staaten in den letzten Jahren kontrovers diskutiert: Reformieren oder aussteigen? Der ECT gibt ausländischen Investor:innen die Möglichkeit, Staaten auf Schadenersatz zu klagen, wenn ihre Geschäftsinteressen etwa durch eine Übergewinnsteuer eingeschränkt werden. Neben vielen europäischen Ländern steigt nun auch die EU aus. Österreich schweigt und bleibt. Das bringt viele Probleme mit sich – und könnte teuer werden.

Zuletzt haben das Vereinigte Königreich, Spanien und Portugal ihren jeweiligen Ausstieg aus dem in der Zivilgesellschaft als Klimakiller bekannten Vertrag erklärt. Damit reihen sie sich in eine lange Liste von europäischen Ländern ein, die nach eingehender Risikoabschätzung einen Ausstieg aus dem ECT als einzig valide Option erkannt haben. Nach einem zweijährigen Patt wurde nun auch auf europäischer Ebene ein Kompromiss gefunden: Die EU steigt aus dem Vertragswerk aus, während es den EU-Mitgliedsländern offengelassen wird, in einem modernisierten Vertrag zu bleiben.

Die Rolle der EU-Kommission: dafür, dagegen, let’s get it over with!

Die EU-Kommission hat rund um den ECT einige Volten hinter sich: Als Initiatorin einer Modernisierung des ECT galt sie zunächst als glühende Verfechterin eines reformierten Vertrags. Die Modernisierung wurde jedoch nicht von der notwendigen Anzahl an EU-Mitgliedsstaaten unterstützt und scheiterte im November 2022 im EU-Ministerrat. Nach mehreren Monaten der Lösungssuche nahm die EU-Kommission dann eine 180-Grad-Wende vor und präsentierte als rechtlich sauberste Lösung einen Vorschlag, der den koordinierten Ausstieg der EU und aller EU-Mitgliedsstaaten vorsah. Genau das hatten Gewerkschaften und Zivilgesellschaft jahrelang gefordert! Leider fanden sich auch für diese Lösung nicht ausreichend viele Unterstützer:innen unter den Mitgliedsstaaten. Nach zähem Ringen wurde jetzt ein politischer Kompromiss erreicht, der für viele offene Fragen und so manches rechtliche Problem sorgen wird: Während die EU und EURATOM aus dem ECT aussteigen, wird es den EU-Mitgliedsstaaten freigestellt, im Vertrag zu bleiben, wenn sie einer Modernisierung des Vertrags nicht im Wege stehen.

Die österreichische Bundesregierung: ISDS-freundlich und stumm nach außen

Während Österreich im gesamten Verhandlungsverlauf eine aktive Rolle einnahm, blieb es in der Öffentlichkeit auffallend stumm. Nur kein Thema daraus machen, dass die österreichische Bundesregierung Wirtschaftsinteressen über die Interessen der Allgemeinheit stellt; dass das Risiko horrender Strafzahlungen auf dem Rücken der Steuerzahler:innen in Kauf genommen wird. Während sich Klimaschutzministerin Gewessler im Jahr 2023 eindeutig für den Ausstieg Österreichs aus dem ECT positionierte, bleibt das mitzuständige Arbeits- und Wirtschaftsministerium stumm. Wirtschaftsminister Kocher unterstützte die Modernisierung des ECT und ließ lediglich nach dem Scheitern der Modernisierungsverhandlungen verlauten, die Mitgliedschaft Österreichs im Vertrag einer Prüfung zu unterziehen. Seither ist das Wirtschaftsministerium jedoch auf Tauchstation, um eine öffentliche Debatte zum ECT zu vermeiden. Das Arbeits- und Wirtschaftsministerium sieht Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) sehr positiv. Bis dato wurde Österreich nur einmal aufgrund eines bilateralen Investitionsschutzabkommens geklagt, konnte jedoch das Verfahren gewinnen. Dennoch durften die österreichischen Steuerzahler:innen für Verfahrenskosten in Höhe von rund 5 Millionen Euro aufkommen.


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Von Klimaschutz bis Übergewinnsteuer: ein Vertrag, sie zu knechten

Es stellt sich aber die Frage, ob die österreichische Regierung bisher die Risiken der Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit unterschätzt hat. Typischerweise sahen bislang entwickelte Länder Investitionsschutzabkommen immer einseitig aus dem Blickwinkel ihrer heimischen Unternehmen, die im Ausland investieren und dabei eine möglichst vorteilhafte Absicherung ihrer Risiken einforderten. Investitionsschutzabkommen sind jedoch keine Einbahnstraße. Dies mussten viele europäische Länder in den vergangenen Jahren schmerzhaft erfahren: Spanien, welches nach der Finanzkrise aufgrund fehlender Mittel Subventionen für erneuerbare Energien zurückfahren musste, handelte sich bis dato beispielsweise über 50 Verfahren ein. Die großen Richtungsentscheidungen im Energiebereich der letzten Jahre, wie etwa der Ausstieg Deutschlands aus der Atomstromerzeugung oder der Niederlande zum Ende der Kohleverstromung, zogen ebenso Schiedsverfahren nach sich.

Erst vor wenigen Monaten zeigte sich erneut, wie weitreichend ECT-Klagen in den Handlungsspielraum von Staaten eingreifen können: Im Herbst 2023 wurden drei Klagen gegen die EU, Deutschland und Dänemark wegen der Übergewinnsteuer eingereicht. Zur Erinnerung: Die nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stark ansteigenden Energiepreise führten zu gigantischen Gewinnen bei Energiekonzernen, während große Teile der Bevölkerung durch die steigenden Preise immer größere Schwierigkeiten hatten, mit ihrem Einkommen auszukommen. In der Folge erließ die EU Notfallmaßnahmen, die unter anderem eine Solidaritätsabgabe zur finanziellen Unterstützung von Haushalten und Unternehmen vorsahen. Genau dagegen geht nun ein fossiler Investor vor. Aufgrund der Intransparenz rund um private Schiedsverfahren ist bisher lediglich bekannt, dass Schadenersatzzahlungen in Höhe von rund 95 Millionen Euro im Raum stehen. Der Investor behauptet, die EU habe den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und die hohen Strompreise im Jahr 2022 als Vorwand benutzt, um die Wettbewerbsfähigkeit von fossilen Unternehmen einzuschränken. Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit des Investors müssen indes keine aufkommen: Dieser erwirtschaftete im gegenständlichen Jahr 2022 einen Nettogewinn von 357 Millionen Euro, was einer Steigerung von 2.280 Prozent entspricht. Auch die österreichische Übergewinnsteuer zur Finanzierung der Strompreisbremse könnte so durch den ECT angefochten werden.

Modernisierung – doch nicht so einfach?

Durch den Ausstieg der EU und vieler EU-Mitgliedsstaaten wird der problematische Verbleib im ECT noch fragwürdiger und bringt weitere Problemstellungen mit sich. So ist der alte Energiecharta-Vertrag – wie alle Seiten offen anerkennen – unionsrechtswidrig. Es ist aber alles andere als klar, ob eine Modernisierung des ECT angenommen werden wird und, wenn ja, wann dieser neue ECT in Kraft treten könnte. Derzeit ist geplant, die Mitglieder des ECT noch im Herbst 2024 über die Modernisierung abstimmen zu lassen. Die Annahme durch die derzeit noch 49 Vertragsparteien hat einstimmig zu erfolgen. Mit der Annahme würde jedoch lediglich eine Bestimmung automatisch in Kraft treten, die für die im Vertrag verbleibenden EU-Mitgliedsstaaten vorsieht, dass keine Klagen für neue fossile Investitionenmehr möglich sein werden. Die übrigen Vertragsbestimmungen etwa zu bereits bestehenden fossilen Investitionen werden erst in Kraft gesetzt, wenn ¾ aller Vertragsparteien ratifiziert haben. Zuletzt wurde immer wieder betont, dass diesem Problem mit einer Bestimmung über die vorläufige Anwendbarkeit des ECT beizukommen wäre. Für Österreich ist eine unmittelbare vorläufige Anwendbarkeit nicht möglich: Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist zuvor die Genehmigung durch den Nationalrat einzuholen. Die vorläufige Anwendbarkeit kann im Übrigen von jeder Vertragspartei jederzeit beendet werden.

Damit ist ein Vertragschaos vorprogrammiert: Der alte sowie der neue ECT werden parallel anwendbar sein, je nachdem, welche Länder ihn vorläufig anwenden wollen oder ratifiziert haben und welche nicht. Ratifikationsprozesse aus der Vergangenheit zeigen, dass es viele Jahre dauert bzw. gänzlich ungewiss ist, ob ein Inkrafttreten erfolgen wird. Offen ist, wie die EU-Kommission vorgehen wird, wenn ein rasches Inkrafttreten nicht absehbar ist: Mit der offensichtlichen Unionsrechtswidrigkeit des unreformierten ECT droht Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren, welches Strafzahlungen in Millionenhöhe nach sich ziehen kann.

Ein gemischtes Abkommen ohne die EU?

Eine weitere ungeklärte Frage ist, wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten damit umgehen werden, dass fortan die EU nicht mehr Teil dieses gemischten Abkommens ist, welches über weite Teile exklusive Zuständigkeiten der EU etwa im Bereich der Direktinvestitionen enthält, aber mit Portfolioinvestitionen und ISDS auch geteilte Zuständigkeiten erfasst. Aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist in jedem Fall ableitbar, dass es eine fortwährende enge Abstimmung der Mitgliedsstaaten mit der EU braucht. Wie ein solcher ständiger Koordinierungsmechanismus aussehen könnte, ist unklar. Zudem riskieren im ECT verbleibende EU-Mitgliedsstaaten wie Österreich, in Zukunft haftbar gemacht werden zu können, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Umsetzung von Unionsrechtsakten in nationales Recht nachkommen.

Fazit

Mit dem Austritt zahlreicher EU-Mitgliedsstaaten und der EU aus dem Energiecharta-Vertrag ist Österreichs „Schweige- und Bleibe-Politik“ nicht nur rechtlich äußerst problematisch, sondern schlichtweg wider die Vernunft. Es gibt nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Österreich muss jetzt die Reißleine ziehen und das sinkende Schiff ebenfalls rasch verlassen.

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