Hinkte China um die Jahrtausendwende noch technologisch dem Globalen Norden hinterher, entwickelte es sich im letzten Jahrzehnt zum weltweit größten Produzenten, Exporteur und Markt für viele grüne Technologien. Damit ist China auf einem guten Weg, seine massiven Treibhausgasemissionen zu reduzieren, die im globalen Klimawandel uns alle treffen. Schließlich verlangen Maßnahmen zur Eindämmung des weltweiten Temperaturanstiegs und seiner Folgen einen Wandel der Produktionsmittel und -prozesse – traditionell der Entwicklungsmotor von Marktgesellschaften. Die ökologische Transformation ist somit eine fundamental soziale wie ökonomische Frage, wer auf welche Weise den industriellen Wandel in wessen Interesse in Gang setzt. Vor diesem Hintergrund wird die entscheidende Rolle, die Chinas Staat bei der Erreichung der globalen grünen Technologieführerschaft seiner Industrie spielte, in der europäischen Politik und Öffentlichkeit ambivalent zwischen Vorreiterschaft bei der Klimawende und Auslöser unfairer Marktverzerrungen diskutiert. Doch dabei bleiben die Fragen unbeantwortet: warum Chinas politische Elite welche Maßnahmen zur Entwicklung grüner Technologien ergriffen und ob sie im Widerspruch zum „freien Markt“ stehen?
Die Beweggründe Chinas grüner Wirtschaftspolitik
Chinas aktive Wirtschaftspolitik zur Entwicklung grüner Technologien nimmt Mitte der 1990er Jahre ihren Anfang. Sie reagierte auf Probleme, die die Expansion der chinesischen Industrie als kostengünstige „Werkbank der Welt“ neben einem enormen Wirtschaftswachstum mit sich brachte. Erstens führte ein gesteigerter industrieller Energiehunger zu teuren Ölimporten, die wiederum die Produktionskosten erhöhten. Dies schwächte die globale Wettbewerbsfähigkeit Chinas. Zweitens zogen geopolitische Spannung zwischen den ölreichen Golfstaaten und den Vereinigten Staaten politische Bedenken Chinas über seine Energie-Versorgungssicherheit und wirtschaftliche Abhängigkeit nach sich. Drittens gefährdete die massive industrielle Umweltverschmutzung den Lebensraum und die Gesundheit der Bevölkerung. Obwohl die Luftverschmutzung in China durch politische Maßnahmen bereits zurückging, schätzt die WHO, dass heute noch etwa eine Million Chines:innen jährlich an ihren Folgen sterben. Emissionen Chinas primär kohlebetriebenen Energiesektors und seiner Industrie waren 2022 mit einem Anteil von jeweils 46 und 38 Prozent die zwei größten Faktoren, die das Land nominal gesehen zum größten Treibhausgasemittenten der Welt machen.
In den 1980er Jahren diskutierte Chinas politische Elite den industriellen Energiehunger noch als Problem der Wettbewerbsfähigkeit, das sie mit Energieeinsparungen zu lösen suchte. Die weitreichenden Auswirkungen führten aber in den 1990er Jahren zu einer Wahrnehmungsverschiebung von fossil basierten Energien und Industrien als fundamentalem Entwicklungshemmnis für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Regierung setzte auf eine grüne sozioökonomische Transformation.
Der Staat schafft die Anreize zur Herausbildung eines grünen Marktes
1996 veröffentlichte Chinas Regierung ihren ersten „Nationalen Entwicklungsplan für neue und erneuerbare Energien“. In diesem zielt sie im ersten Schritt darauf ab, wirtschaftliche Entwicklung mit Umweltschutz zu harmonisieren. Im zweiten Schritt soll durch gezielte Anreize die grüne Transformation selbst zum primären Treiber des Wirtschaftswachstums werden. Das wiederum setzt einen Markt für grüne Technologien und erneuerbare Energien voraus. Die chinesische Regierung sah jedoch die damals hohen Investitions- und Produktionskosten für grüne Alternativen im Vergleich zu ihren etablierten fossilen Konkurrenten national wie global als Markthemmnis. Hohe Kosten und Preise für grüne Technologien und Produkte setzten keine Stimuli für Produzent:innen und Konsument:innen. Chinas Regierung machte daher Anreize zur Senkung von Produktionskosten zum zentralen Ziel ihrer Wirtschaftspolitik. Seit 2005 verpflichtet das „Erneuerbare Energiegesetz“ den Staat sogar, in seiner Energiepolitik auf die Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien zu fokussieren und die Voraussetzungen für die grüne Marktentwicklung zu schaffen.
Umfassende, komplementäre staatliche Anreize setzen die grüne Marktbildung in Gang
Das wichtigste Instrument Chinas grüner Wirtschaftspolitik ist eine aufeinander aufbauende Phasenplanung, jeweils in einem Umfang von etwa zehn Jahren. In der ersten Phase Ende der 1990er Jahre setzte die Regierung Anreize zur Lokalisierung und Skalierung von Produktionskapazitäten entlang der gesamten Lieferkette. Sie zielte damit auf Senkung der Produktionskosten sowohl durch Chinas vergleichsweise günstige lokale Arbeitskosten sowie durch Skaleneffekte der Massenproduktion. Deshalb wurden grüne Technologien wie Solar-Paneele um die Jahrtausendwende in Chinas nationale Forschungs- und Entwicklungs-Programme aufgenommen. Großangelegte staatliche Demonstrationsprojekte mit Regierungsausschreibungen spielten bei Investitionen jedoch die bedeutendere Rolle. Beispielsweise wurden von 2002 bis 2010 Regierungspläne zur Elektrifizierung abgelegener und wirtschaftlich abgehängter Gebiete des Westens umgesetzt, die zugleich reich an Sonne und Wind sind. Allein 2004 flossen umgerechnet 1,11 Milliarden Euro in das Staatsprojekt. Es umfasste öffentliche Ausschreibungen für die Errichtung von Windparks, Solarkraftwerken und vor allem PV-Modul-Installationen an Dächern. Zusätzlich garantierte die Regierung Auftragnehmern für erneuerbare Energieanlagen die Abnahme des gesamten erzeugten Stroms in Kombination mit profitablen Einspeisetarifen. Gleichzeitig band sie die Auftragsvergabe z. B. bei Windkraftanlagen an die Verwendung von bis zu 70 Prozent an lokal gefertigten Teilen. Zeitweise wurden solche Lokalisierungsgrade auch zur Bedingung von Genehmigungen für erneuerbare Energieprojekte.
Regierungsausschreibungen schafften so die initiale Nachfrage für grüne Technologien. Gebunden an Lokalisierungsanforderungen wurden eine massive Vergrößerung der heimischen Produktionskapazitäten, der Aufbau einer basalen Industriekette und technologisches Upgrading in Gang gesetzt.
Scheinen die lokalen Produktionskapazitäten entlang der gesamten Industriekette ausreichend aufgebaut, setzt die chinesische Regierung in ihrer zweiten Planphase auf Anreize zur Kommerzialisierung grüner Technologien. So wird die Regierung 2007 dazu verpflichtet, bei Beschaffungen zu eigenständigen chinesischen Produktinnovationen zu greifen, wenn diese Marktreife, aber noch keinen Markteintritt erlangt haben. In der EV-Industrie führte die Regierung zwischen 2010 und 2022 Kaufprämien ein, um technologische Fortschritte bei Lithium-Ionen-Batterien anzureizen, deren niedriger Standard Konsument:innen wenig zu bieten hatte. Nur Hersteller von E-Autos, die sukzessiv höhere Anforderungen an Effizienz und Reichweite der Batterie erfüllten, qualifizierten sich für die staatlichen Zuschüsse. Begrenzt auf wenige Städte lag ihr Höchstwert zu Beginn bei 7.798 Euro. Dieser nahm aber schrittweise auf 1.637 Euro im letzten Jahr ab, inzwischen ausgedehnt auf das ganze Land. Zusätzlich verlangten die Subventionsbedingungen ab 2020 einen Verkaufspreis für ein E-Auto von umgerechnet weniger als 38.885 Euro, um bezahlbare E-Fahrzeuge zu fördern. Trotz dieser monetären Anreize zeigt eine Umfrage jedoch: Erschwerte Zulassungsbedingungen und Fahrbeschränkungen für Benzinautos, die Stadtregierungen zur Einhaltung von Emissionsstandards einführten, sind für chinesische Konsument:innen der wichtigste Faktor, sich für davon ausgenommene E-Autos zu entscheiden. Die Reichweite des E-Fahrzeugs ist der zweitwichtigste Anreiz für Käufer:innen.
Sind grüne Produkte wettbewerbsfähig, zieht sich der Staat aus dem Markt zurück
Die International Energy Agency berichtet in ihrem diesjährigen „Global EV Outlook“, dass der durchschnittliche Preis von E-Autos in China in den letzten Jahren unter den vergleichbarer benzinbetriebener Modelle gefallen ist. Im wettbewerbsfähigen Preis sieht sie den zentralen Motor, um die Transformation zur Elektromobilität global schnell voranzutreiben. Auch laut chinesischer Regierung sind viele grüne Technologien bereits in einer „Entwicklungsphase des günstigen und unsubventionierten Preises“ angelangt. Der Staat zieht sich sukzessive aus dem grünen Markt zurück und setzt auf Formen des Emissionshandels. Staatliche Kaufprämien sind bereits ausgelaufen, Steuern für E-Autos werden zunehmend erhöht. 2018 wurden protektionistische Maßnahmen aufgehoben, die internationale Autohersteller in China zu Joint-Ventures mit heimischen Produzenten verpflichteten. Die chinesische Regierung fördert nun den internationalen Wettbewerb, der ineffiziente und insbesonders technologisch rückständige Hersteller vom Markt drängt. Die staatlichen Anreize haben zu einem Überfluss an chinesischen EV-Produzenten geführt, deren Preiskampf seit dem Wegfall staatlicher Unterstützung nicht nur härter geworden ist, sie stehen auch im Wettbewerb um technologische Fortschritte. Laut Bloomberg verzeichnete China im Jahre 2019 etwa 500 E-Auto-Hersteller, 2023 nur noch ca. 100. 2022 wurden im Land der Mitte insgesamt rund 7,1 Mio. in China sogenannter „Neue-Energie-Fahrzeuge“ (reine E-Autos, Plug-in-Hybride und Brennstoffzellenfahrzeuge) produziert und 6,9 Mio. davon verkauft. Bloomberg befindet, Amerikas und Europas gegenwärtige Diskussion zu Chinas Überkapazitäten bei E-Autos ist großteils nicht durch Daten gestützt. Sie vernachlässigt die mittlerweile hohe Effizienz chinesischer E-Auto-Hersteller.
Staat vs. „freier Markt“
Chinas staatliche Eingriffe zur Entwicklung eines grünen Marktes entsprechen nicht dem Idealbild von privaten Unternehmen als zentralen Akteuren einer „creative destruction“ (Joseph Schumpeter), die in ihrem Profitinteresse technologische Neuerungen in Gang setzen und veraltete Geschäftsmodelle vom Markt drängen. Wie die anerkannte Ökonomin Mariana Mazzucato in ihren historischen Arbeiten zeigte, scheuen Unternehmen das Risiko, in unsichere Technologieentwicklung zu investieren, und lassen breite Grundlagenforschung außer Acht. In der Geschichte sind Staaten die treibende Kraft hinter Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, die später durch Unternehmen privatisiert und kommerzialisiert werden. Wie die chinesische Regierung sah auch der Harvard-Ökonom Dan Rodrik vergleichsweise hohe Produktionskosten für grüne Technologien als zentrales Problem der grünen Marktentwicklung. Im Vergleich zu fossil basierten Technologien hohe Konsumentenpreise müssten diese Kosten ausgleichen. Die Erwartung an Nachfrage, den Schlüsselfaktor, ob Unternehmen in neue Geschäftsmodelle investieren, ist daher gering. Zusätzlich macht es die Komplexität des Aufbaus einer einheitlichen und flächendeckenden grünen Energie-, Produktions- und Verkehrsinfrastruktur unwahrscheinlich, dass einzelne private Unternehmen dies ohne staatliche Anreize in Konkurrenz zueinander und im Wettlauf gegen den Klimawandel zeitgerecht leisten könnten.
Dennoch zeigen Beispiele Chinas grüner Wirtschaftspolitik auch, dass der Eingriff des Staates hohe gesellschaftliche Investitionen abverlangt, zu Marktfehlern und ihr Erfolg zu Spannungen in der globalen Wirtschaftsordnung führen kann. Das United Nations Environment Programme argumentierte bereits 2003, dass die notwendigen staatlichen Investitionen, um Anreize für eine schnelle grüne Transformation zu schaffen, in Konflikt mit freien Marktregeln treten. Die zu erwartenden immensen sozialen und wirtschaftlichen Kosten durch einen beschleunigten Klimawandel rechtfertigen jedoch staatliches Eingreifen.