Sozialbericht 2024: Privat­eigentum und Zugang zu Ressourcen: Wege zu einer egali­tären Gesell­schaft in Österreich

30. September 2024

Vermögen und Privateigentum in Österreich sind sehr stark konzentriert – das zeigt eine neue Studie im Rahmen des Sozialberichtes 2024 im Band II Sozialpolitische Analysen des Sozialministeriums. Wie könnte der damit einhergehenden Ungleichheit und den daraus folgenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen begegnet werden? Die beiden Experten der Nationalbank Martin Schürz und Pirmin Fessler analysieren im Sozialbericht die neuesten Daten und schlagen eine Besteuerung von Bodenrenten, Erbschaften und Vermögen vor.

Ein hoher Anteil der in Österreich Befragten wünscht sich eine egalitärere Gesellschaft

In Österreich gibt es über 300.000 Millionärshaushalte und ein paar Dutzend Milliardär:innen. Laut Schätzungen auf Basis des Household Finance and Consumption Survey (HFCS) der Oesterreichischen Nationalbank besitzen die reichsten 10 Prozent weit über 50 Prozent des gesamten Nettovermögens, die ärmsten 50 Prozent besitzen hingegen nur 4,6 Prozent – andere Studien stellen sogar noch größere Ungleichheit fest. Unabhängig von den eigenen Vermögensverhältnissen haben die Befragten des HFCS ganz ähnliche Vorstellungen von Fairness: Den unteren 50 Prozent wird ein Anteil von 30 Prozent am Gesamtvermögen als fair zugestanden und dies quer über alle Einkommens- und Vermögensverhältnisse. Die Gruppe, die sowohl bei den Vermögen als auch bei den Einkommen zur unteren Hälfte gehört und stark vom Sozialstaat abhängig ist, macht fast ein Drittel der Bevölkerung aus. Da diese Personen weniger an politischen Prozessen teilhaben und ihre Anliegen schwächer wahrgenommen werden, sprechen die Studienautoren von einem „unsichtbaren Drittel“.

Auch an der Spitze der Verteilung gibt es eine nahezu unsichtbare Gruppe, denn besonders vermögende Haushalte sind nämlich nur unzureichend erfasst, da sie meist eine Offenlegung ihrer Vermögenswerte ablehnen. Eine Erfassung und Zuordnung der Kapitaleinkommen zu Personen und ein Vermögensregister wären jedoch eine notwendige Basis für eine sachliche Auseinandersetzung.

Privateigentum und die Rolle des Staates – Subventionierung von leistungslosem Einkommen fördert in Österreich die Ungleichheit und verstärkt gesellschaftliche Schieflagen

Die Studie geht auch auf die besonderen Zusammenhänge zwischen Vermögen und Macht ein. Privateigentum bedeutet, über die Kontrolle über bestimmte Dinge verfügen und andere davon ausschließen zu können. Während die Folgen von Armut laut den Autoren direkt diejenigen Menschen betreffen, die arm sind, ist das bei Reichtum anders. „Übermäßiger“ Reichtum (z. B. bei Milliardär:innen) wirkt sich auch auf andere aus. Das umfasst den Ausschluss von Bodennutzung, Beeinträchtigungen der Demokratie durch ungleiche Machtverteilung (Besitz von Medien, Einfluss auf politische Entscheidungen etc.) und eine Verzerrung des Wettbewerbs durch Konzentration von Vermögen, was zu gesellschaftlichen Schieflagen führen kann.

Doch die Benachteiligung weiter Teile der Gesellschaft durch Eigentum fängt nicht erst bei Milliardär:innen an. Beispiele sind ungenutzte Autos in Städten, die öffentlichen Raum einnehmen, sowie Umweltprobleme durch Zersiedelung und Bodenversiegelung durch Einfamilienhäuser oder Einkaufszentren am Land. Land und Boden sind begrenzte Ressourcen und sowohl aus ökologischer als auch sozialer Sicht von zentraler Bedeutung. Die Zersiedelung und der damit verbundene Mangel an kompakteren Wohnformen treiben oftmals die Mietpreise in die Höhe oder führen zu einer höheren Bodenversiegelung (mit häufig ineffizient genutzter Wohnfläche) und erhöhten Infrastrukturkosten. Subventionen, welche dem Umweltschutz dienen sollten, haben dann oftmals einen fragwürdigen Effekt auf diesen: Während viele Familien mit Kindern zur Miete in kleineren Wohnungen leben, fließen Umweltförderungen an kleinere Haushalte (häufig Personen, welche nicht mehr mit ihren Kindern zusammenleben) in großen Einfamilienhäusern. Doch neben den genannten Umweltsubventionen werden Eigenheime in Österreich auch anderweitig gefördert. Beispielsweise müssen Mieter:innen zehn Prozent Mehrwertsteuer auf ihre Miete aufwenden, während für die sogenannte imputierte Miete (fiktiver Mietwert) bei Eigenheimbesitz keine Steuer zu entrichten ist. Darüber hinaus wird das Geld der Allgemeinheit zum Infrastrukturausbau genutzt. So kann die öffentlich finanzierte Errichtung einer neuen U-Bahn oder Straße den Wert einer Immobilie erhöhen – von der steigenden Bodenrente profitieren allerdings die Eigentümer:innen.

Die Subventionierung von Eigentum bzw. leistungslosem Einkommen entspricht, den Autoren nach, nicht dem in unserer Gesellschaft geltenden Leistungsprinzip und dem Verständnis, dass Leistung und Arbeit zu individuellem Wohlstand führen sollten. Dass große Vermögen in der Regel nicht aus Arbeit kommen, zeigen die Autoren plakativ an folgendem fiktiven Beispiel (S. 303): „Unter der Annahme, dass ein Mensch einen beachtlichen Stundenlohn von 60 Euro hat, von Geburt an Tag und Nacht arbeitet, keine Steuer bezahlen muss und auch nichts für Konsum ausgibt, würde das Einkommen nach einem Jahr 525.600 Euro betragen. Nach hundert Jahren durchgehender Arbeit ohne Schlaf und Pause hätte man 52 Mio. Euro. 1 Mrd. Euro würden erst nach etwa 1.900 Jahren erreicht werden.“

Vielfältige gesellschaftliche Herausforderungen werden in Zukunft erhebliche Kosten verursachen. Wie könnte das finanziert werden?

In der Studie diskutieren die Autoren die aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen und kommen zu dem Schluss, dass nicht nur die soziale Ungleichheit, sondern auch die Klimakrise immense gesellschaftliche Herausforderungen darstellt. Die Umstellung auf eine klimafreundlichere Wirtschaft ist mit erheblichen Kosten verbunden – vielfältige Krisen erfordern eine Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Wirtschaft und Staat. Investitionen in Bereichen wie Pflege, Kinderbetreuung, Bildung sowie in die Infrastruktur sind dafür notwendig. Zur Zielerreichung müsse das Steuersystem so reformiert werden, dass es stärker auf das Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgestimmt ist und gleichzeitig einen ressourcenschonenden Umgang, insbesondere mit Grund und Boden, fördert.

Im HFCS wurden sämtliche Teilnehmer:innen zu ihren Steuerpräferenzen befragt. Über Einkommens- und Vermögensgruppen hinweg wünschen sich die Menschen am ehesten eine Besteuerung von Vermögen (45,1 Prozent) und umweltschädigendem Verhalten (33,9 Prozent). Steuern auf Konsum (2,7 Prozent) und Arbeit (1,6 Prozent) – auf die das österreichische Steuersystem vor allem setzt – wurden weitestgehend abgelehnt. Der Wunsch, keine weiteren Steuern auf den Faktor Arbeit zu erheben und stattdessen Vermögen und klimaschädliches Verhalten zu besteuern, ist somit in Österreich klar festzumachen. Auf Basis dieser Erkenntnisse schlagen die beiden Autoren insgesamt drei Maßnahmen zur Besteuerung von Vermögen vor. Dies umfasst eine Besteuerung der Bodenrente, eine Erbschaftssteuer und eine Steuer auf das Nettovermögen. Diese Steuern würden sich in ihren Funktionen und Zielen ergänzen und sollten nicht unabhängig voneinander eingeführt werden.

Wie könnte laut der Studie die Besteuerung von Vermögen in Österreich gestaltet sein?

Besteuerung der Bodenrente

Eine Besteuerung der Bodenrente ist in der Ökonomie kein neues oder unbekanntes Thema. Sie wird über verschiedene – ansonsten sehr gegensätzliche – ökonomische Denkschulen hinweg unterstützt, von marktliberalen Ökonomen wie Milton Friedman und Fred E. Foldvary bis hin zu keynesianisch orientierten Volkswirten wie William Vickrey und Joseph Stiglitz. Es stellt sich die Frage: Wie müsste eine Bodenrente ausgestaltet sein und warum wurde sie nicht bereits umgesetzt? In Österreich gibt es schon seit langer Zeit eine Grundsteuer, ihr Aufkommen ist allerdings gering und betrug 2021 insgesamt 760 Mio. Euro. Das geringe Steueraufkommen ist die Folge der Bewertung der Grundstücke mit Einheitswerten, die weit weg vom tatsächlichen Marktwert der Grundstücke liegen. Die Bewertung von Grundstücken ist relativ komplex, was auch historisch ein Grund dafür war, warum häufig auf Steuern beim Erwerb von Immobilien ausgewichen wurde. In der heutigen Zeit wäre eine solche Bewertung jedoch sinnvoll administrier- und umsetzbar.

Die Bodenrentenbesteuerung zielt auf eine gerechte Verteilung von Wertsteigerungen des Vermögensbestands ab, die durch öffentliche Investitionen und somit aus Mitteln der Allgemeinheit entstehen. Das Steueraufkommen durch eine Bodenrentenbesteuerung könnte wiederum in Infrastruktur investiert werden (z. B. in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs), wodurch Grundstücke in weiterer Folge aufgewertet werden und die Allgemeinheit gleichzeitig etwas zurückbekommt. Die Besteuerung der Bodenrente könnte spekulativen Landkäufen entgegenwirken, die in vielen Städten zu einer Verknappung und Verteuerung des Wohnraums führen, und könnte somit für eine nachhaltigere Landnutzung sorgen. Ein großer Vorteil einer Bodenwertbesteuerung ist, dass sie nicht umgangen werden kann. Folglich sind sinkende Grundstückspreise zu erwarten, was bedeutet, dass Haushalte weniger Mittel zum Erwerb von Grundstücken benötigen bzw. fallende Mieten zu erwarten sind. Die Bewertung der Grundstücke sollte in regelmäßigen Abständen erfolgen.

Erbschaftssteuer

Die Autoren schildern, dass in früheren Generationen akkumuliertes, vererbtes Vermögen relativ zu dem im eigenen Leben erarbeiteten Einkommen an Bedeutung zunimmt. Der Stellenwert von Erwerbsarbeit verliert somit an Bedeutung und die gegenwärtigen Bestrebungen von Menschen, weniger arbeiten zu wollen, passen folglich zu der immer kleiner werdenden Bedeutung von Arbeitseinkommen und Sparen für die eigene Position innerhalb der Vermögensver­teilung. Deswegen wird in der Studie zusätzlich zur Bodenrente eine Erbschaftssteuer vorgeschlagen. Eine Erbschaftssteuerstärkt die soziale Mobilität und Chancengleichheit und vermindert die Zunahme der Vermögenskonzentration. Um effektiv zu sein, sollte eine Erbschaftssteuer bereits ab einer Bagatellgrenze einsetzen und alle Vermögensbestandteile einbeziehen. Eine Steuerbefreiung für Betriebsvermögen sollte es aus Sicht der Autoren nicht geben, denn Ausnahmen würden Steuerschlupflöcher ermöglichen. Vermögende halten ihr Vermögen nicht hauptsächlich in Luxusgütern, sondern in unternehmerischem Vermögen. Eine progressiv ausgestaltete Steuer, die mit niedrigen Sätzen bei kleinen Erbschaften beginnt und mit hohen Steuersätzen bei großen Erbschaften endet, kann in Österreich ein Aufkommen von mehreren Milliarden Euro pro Jahr generieren.

Nettovermögenssteuer

Laut der Studie ist eine Steuer auf sehr hohe Nettovermögen entscheidend, um einer übermäßigen Konzentration von Vermögen und Macht entgegenzuwirken. Eine Steuer auf das Nettovermögen wäre jährlich zu entrichten und hat das gesamte persönliche Nettovermögen als Steuergrundlage. Laut Berechnungen der Ökonomen Saez und Zucman bringt eine Vermögenssteuer auf das reichste Prozent der Haushalte (je Prozentpunkt Steuersatz) circa ein Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung an Steueraufkommen. In der Studie wird herausgearbeitet, dass eine Vermögenssteuer substanziell und progressiv ausgestaltet werden, einen hohen Freibetrag aufweisen, eine breite Bemessungsgrundlage haben und möglichst ohne Ausnahmen sein sollte. Dem Gegenargument der administrativen Kosten kann entgegengesetzt werden, dass die Kosten lediglich bei einem Bruchteil der Steuereinnahmen liegen würden.

Zur Bewältigung von Vermögenskonzentration werden viele unterschiedliche Maßnahmen benötigt und zahlreiche Details müssen berücksichtigt werden. Die Ergebnisse der beiden Autoren sind eine gute Grundlage, um den Diskurs betreffend Vermögensungleichheit und entgegenwirkenden Maßnahmen in Österreich voranzubringen.

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