Warum eine progressive Kapital­ertrag­steuer zu mehr Steuer­gerechtigkeit führen würde

18. November 2024

Im Zuge des Nationalratswahlkampfes haben sich sowohl ÖVP, FPÖ als auch NEOS für eine Einschränkung der Kapitalertragsteuer (KESt) ausgesprochen. Die ÖVP tritt beispielsweise für ein sogenanntes Vorsorgedepot ein, das eine steuerfreie Auszahlung von realisierten Veräußerungsgewinnen nach Ablauf einer bestimmten Behaltedauer vorsieht. Und auch FPÖ sowie NEOS plädieren für eine Wiedereinführung der Spekulationsfrist. Warum diese Vorhaben abzulehnen sind und welches Verbesserungspotenzial einer gerechteren Gestaltung die österreichische KESt bietet, wird im Zuge dieses Artikels erläutert.

Status quo

In Österreich unterliegen Kapitaleinkünfte, insbesondere Dividenden und Zinsen, einer speziellen Art der Einkommensteuer mit einem besonderen Steuersatz (25 Prozent für Zinsen auf Bankeinlagen, 27,5 Prozent für andere Kapitaleinkünfte), der sogenannten Kapitalertragsteuer. Diesem spezifischen Steuersatz folgt eine Abgeltungswirkung nach dem Endbesteuerungsgesetz (EndBestG), was bedeutet, dass die Einkommensteuer durch den Steuerabzug der Bank bzw. der auszahlenden Stellen beglichen ist und keine Veranlagungspflicht in weiterer Folge vorliegt. Eine Ausnahme davon bilden ausländische Kapitaleinkünfte, da diese keinem österreichischen KESt-Abzug und somit einer Veranlagungspflicht unterliegen.

Auf Antrag besteht jederzeit die Möglichkeit, in die sogenannte Regelbesteuerung zu optieren, womit die Kapitalerträge nach Tarif versteuert werden. Dies ist jedoch lediglich bei geringem Einkommen sinnvoll.

Dieser besonderen Besteuerung stehen Arbeitseinkommen gegenüber, welche mit einem Steuertarif von bis zu 55 Prozent, also deutlich über den Steuersätzen auf Kapitalvermögen, besteuert werden. Von der aktuellen Regelung profitieren somit vor allem die wohlhabendsten Haushalte. Umfragedaten zeigen nämlich, dass 80 bis 90 Prozent der Kapitalerträge in Österreich den reichsten 10 Prozent der Haushalte zufließen. Vorschläge wie das Vorsorgedepot, welche die begünstigte Besteuerung der Kapitaleinkünfte noch einmal verstärken sollen, sind daher abzulehnen, da sie nicht nur verteilungspolitisch problematisch, sondern noch dazu auch sehr teuer sind.

Aus Arbeitnehmer:innensicht gibt es zwei mögliche Umsetzungsvarianten, um die Besteuerung von Kapitaleinkünften gerechter zu gestalten. Einerseits die generelle Regelbesteuerung oder andererseits ein progressiver Sondersteuertarif. Eine klassische Regelbesteuerung gibt es beispielsweise in Kanada oder Malta, demgegenüber haben sich Dänemark, Frankreich oder auch Israel für einen progressiven Sondersteuertarif entschieden und eine Mischvariante findet man in den USA oder Finnland.

KESt in der Regelbesteuerung – eine gute Idee?

Die generelle Regelbesteuerung der Kapitaleinkünfte, dass also Kapitaleinkünfte wie Arbeitseinkommen besteuert werden, ist auf den ersten Blick sehr überzeugend, bei konkretem Hinsehen zeigen sich aber viele Probleme. Ein erstes Problem wäre, dass die Steuerbemessungsgrundlage erheblich zurückgehen würde, da bislang Ausgaben, die mit den Kapitaleinkünften in Verbindung stehen, wie beispielsweise Depotgebühren, nicht abzugsfähig sind, bei einer Regelbesteuerung aber zum Abzug zugelassen werden müssten. Weiters sind Verluste derzeit nur mit Gewinnen aus Kapitaleinkünften verrechenbar und nicht vortragsfähig. Sollte es zu einer Regelbesteuerung kommen, wären solche Kursverluste auch mit anderen Einkunftsarten (wie zum Beispiel einer unselbstständigen Tätigkeit) verrechen- und dadurch besser verwertbar.

Problem zwei wäre, dass die Steuerbelastung z. B. für Sparbuchzinsen auch für mittlere Einkommen ansteigen würde, da der besondere Steuersatz der KESt mit 25 bzw. 27,5 Prozent unter den für den mittleren Einkommensbereich geltenden Grenzsteuersätzen von 30 bzw. 40 Prozent liegt. Folglich würde dies eine Steuererhöhung für die breite Masse nach sich ziehen.

Zu beachten ist außerdem die Körperschaftssteuer (KÖSt), da die Besteuerung von ausgeschütteten Unternehmensgewinnen zweistufig erfolgt: Zuerst wird KÖSt in Höhe von 23 Prozent und anschließend KESt in Höhe von 27,5 Prozent abgezogen. Dies ergibt eine kombinierte Steuerbelastung von knapp 45 Prozent. Um eine gleichmäßige Besteuerung der Unternehmensgewinne über alle Rechtsformen hinweg sicherzustellen, müsste bei einer Regelbesteuerung der Dividenden bis 55 Prozent die vorher abgezogene KÖSt entsprechend angerechnet werden, was nicht nur einen ordentlichen administrativen Aufwand erzeugt, sondern auch das potenzielle Mehraufkommen schwächen würde.

Ganz generell würde der Verwaltungsaufwand ansteigen, weil der Steuerabzug durch die Bank bzw. die auszahlende Stelle wegfällt und alle Steuerpflichtigen die Kapitalerträge in der Steuererklärung angeben müssten. Und wenn es nur ein paar Euro aus dem Girokonto wären.

Summa summarum wäre die Regelbesteuerung daher mit einigen Problemen bzw. großen Herausforderungen verbunden, weshalb von diesem Modell aus Arbeitnehmer:innensicht abzuraten ist.

Modell Dänemark: Implementierung eines progressiven Sondertarifs für Kapitalerträge

Wesentlich zielführender wäre es, die derzeitige Endbesteuerung beizubehalten, diese jedoch zugleich progressiv auszugestalten. Hierbei könnte man sich an Dänemark orientieren:

Dort unterliegen Kapitaleinkünfte einer Quellensteuer von 27 Prozent mit Abgeltungswirkung für die Einkommensteuer, ähnlich wie in Österreich. Ergänzend kommt aber ein Pflichtveranlagungstatbestand für besonders hohe Kapitaleinkünfte zur Anwendung. Im Jahr 2024 ab Einkünften aus Kapitalvermögen von über 61.000 DK, also ca. 8.180 Euro. Im Zuge der verpflichtenden Veranlagung werden dann die den Grenzbetrag übersteigenden Kapitaleinkünfte mit einem erhöhten besonderen Steuersatz von 42 Prozent besteuert. Umgelegt auf Österreich könnten durch einen derartigen Sondertarif Mehreinnahmen von schätzungsweise rund 300 Mio. Euro (je nach Höhe der Zinsen und Gewinne) lukriert werden.

Durch eine progressiv ausgestaltete KESt werden jedenfalls, im Gegensatz zur aktuell gültigen Flat Tax, treffsicher vermögendere Personen höher besteuert, gleichzeitig aber die Nachteile einer Regelbesteuerung (höhere Belastung auch für mittlere Einkommen, enormer administrativer Aufwand) vermieden.

Herausforderungen durch das Endbesteuerungsgesetz

Ein großes politisches Hindernis bei der Umsetzung eines progressiv ausgestalteten Modells ist das Endbesteuerungsgesetz. Dieses legt mit Verfassungsmehrheit fest, dass die Besteuerung der Kapitaleinkünfte durch die KESt „nicht weniger als 20% und nicht mehr als 27,5% betragen darf“. Das bedeutet, dass Änderungen im Nationalrat einer Zweidrittelmehrheit bedürfen, was die politische Umsetzung entsprechend erschwert.

Aufgrund dieser schwierigen Gemengelage müssen auch andere Reformoptionen in Bezug auf die KESt in Augenschein genommen werden, wie beispielsweise der sogenannte „Altbestand“ im Rahmen der Wertpapier-KESt. Wertpapiere, die vor März 2012 erworben wurden, zählen als Altbestand und unterliegen beim gewinnbringenden Verkauf keinem KESt-Abzug. Das ist eine Ungleichbehandlung zur Immobilienertragsteuer, wo Altbestands-Grundstücke sehr wohl einer Besteuerung unterliegen. Im Sinne der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wäre anzudenken, eine Besteuerung von Altbestands-Wertpapieren einzuführen. Eine solche Reform würde dem EndBestG nicht entgegenstehen, da die Besteuerung der realisierten Wertzuwächse vom EndBestG gedeckt ist. Eine Chance, welche die nächste Bundesregierung angesichts der schwierigen budgetären Rahmenbedingungen dringend nutzen sollte.

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