Die hohen Staatsschulden sinken zügig. Es wäre an der Zeit, wieder in gesellschaftliches statt privates Vermögen zu investieren.
Zeigen die hohen Staatsschulden, wie die Konservativen argumentieren, dass wir über unseren Verhältnissen leben und der Sozialstaat pleite ist oder spiegeln sie bloß die Kosten der tiefen Finanzkrise wieder? Einigkeit herrscht zunächst bei den Fakten: Die Bruttoschulden des Staates erreichten 2015 ihren Höchststand mit knapp 300 Milliarden Euro; das entsprach 84 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – um zwanzig Prozentpunkte mehr als im Jahr 2007. Ein Teil des Anstiegs (gut dreißig Milliarden Euro) ging auf die Kapitalspritzen für marode Banken und deren Übernahme durch den Staat zurück, zwei Drittel davon für die Kärntner Hypo Alpe Adria. Der größere Rest war grosso modo das Ergebnis des tiefen Wirtschaftseinbruchs in der Finanzkrise: schrumpfende oder langsamer wachsende Produktion, Beschäftigung und Einkommen drückten die Staatseinnahmen und erhöhten die Staatsausgaben sowie das Budgetdefizit.
Zügiger Rückgang der Staatsschulden
Beide Elemente prägen nun aber auch den zügigen Rückgang der Staatsschulden. Die Bruttoschulden werden heuer nur noch etwa 74 Prozent des BIP betragen und bereits in drei Jahren das Niveau von 2007 wieder unterschreiten, womit auch im Staatshaushalt die Kosten der tiefen Banken- und Finanzkrise bewältigt wären. Dieser Rückgang wird erstens vom starken Konjunkturaufschwung getragen: Österreichs Wirtschaft ist 2017 real um gut drei Prozent gewachsen, 2018 dürfte das Wachstumstempo noch einmal höher liegen. Der Konjunkturaufschwung lässt die Steuer- und Beitragseinnahmen sprudeln und die Arbeitslosigkeit zurückgehen. Weiters schlägt sich der rasch vorankommende Abverkauf von Assets der verstaatlichten Banken in einem Rückgang der Staatsschulden nieder. Außerdem trugen die Konsolidierungsmaßnahmen der alten Bundesregierung dazu bei, das jährliche Defizit von über fünf Prozent des BIP in der Krise auf nahezu null zu reduzieren. Darüber hinaus erspart das niedrige Zinsniveau jährlich mehrere Milliarden Euro, was durch die langfristig fixierten Zinssätze noch viele Jahre anhalten wird.
Ist ein Staatsschuldenanteil von 65 Prozent des BIP zu hoch?
Für eine Antwort reicht der übliche Blick auf die Bruttoverschuldung nicht. Wie bei der Beurteilung der Solvenz eines Unternehmens muss neben den aufgenommenen Krediten auch das Vermögen in Rechnung gestellt werden. Es besteht im Fall des Staates aus Infrastruktur – von den Verkehrswegen bis zu den Krankenhäusern und Schulgebäuden, Grundstücken, Wäldern und Seen, Unternehmensbeteiligungen und Finanzanlagen. Alle diese Vermögenswerte kommen in der öffentlichen Debatte und den europäischen Fiskalvorgaben kurioserweise gar nicht vor. Sie sind manchmal auch nicht einfach zu bewerten, da es oft keinen Marktpreis gibt: Wer wollte die gesellschaftlich wertvollen Badeseen, Gebirge oder selbst Schulgebäude ökonomisch bewerten? Nach vorsichtiger Abschätzung dürfte das Vermögen des Staates insgesamt zumindest 400 Milliarden Euro betragen und damit die Schulden nennenswert übersteigen.
Vielleicht wäre es sogar eine Aufgabe für die Budgetpolitik, dieses öffentliche Vermögen zu mehren. Etwa indem der öffentliche Verkehr ausgebaut, mehr kommunale Wohnungen in den rasch wachsenden Ballungszentren errichtet, die digitale Infrastruktur entwickelt und in alternative Energiequellen investiert wird. Oder indem strategisch wichtige Unternehmen durch Staatsbeteiligung gestärkt und vor feindlicher Übernahme geschützt werden. Oder indem auf Basis eines breiteren Vermögensbegriffes in sogenanntes Humankapital, also Aus- und Weiterbildung sowie Forschung, investiert wird. Oder indem der Sozialstaat gestärkt und damit gesellschaftliches Vermögen geschaffen wird: In Österreich muss die breite Mittelschicht nicht privat für die Pension ansparen oder Wohneigentum erwerben, weil Pensionsversicherung und sozialer Wohnbau diese Leistungen solidarisch und geschützt vor Finanzmarktturbulenzen erbringen.
Vermögenszuwachs nur für die oberen fünf Prozent?
Dieser Ausbau des gesellschaftlichen Vermögens wäre dann wohl auch in Kontrast zum privaten Vermögen zu stellen, wie das auch Thomas Piketty getan hat: Das Vermögen der privaten Haushalte beträgt in Österreich laut einer Schätzung des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft auf Basis der Zahlen des Household Finance and Consumption Surveys etwa 1.300 Milliarden Euro. Es ist hoch konzentriert: Etwa 500 Milliarden (41 Prozent) entfallen auf die 38.000 Haushalte des obersten Prozent der Verteilung, weitere 200 Milliarden (15 Prozent) auf die nächsten vier Prozent. Weniger als die Hälfte bleibt für die restlichen 95 Prozent der Haushalte.