Alterssicherungskommission: Gutachten auf Basis des abwegigen „Schüssel-Pfades“

01. Dezember 2021

Gestern wurde das neue Langfristgutachten der Alterssicherungskommission (ASK) zu den Pensionen mit den 10 Regierungs- und ÖVP-nahen Stimmen angenommen. Auch wenn die zentralen Ergebnisse neuerlich als klare Entwarnung gelesen werden können, liefert das Gutachten vorprogrammiert auch Material für Alarmismus, denn die Arbeit der ASK beruht nach wie vor auf dem abwegigen „Schüssel-Pfad“, der die drastische Schwächung des öffentlichen Pensionssystems zugunsten privater, finanzmarktbasierter Vorsorge zum Ziel hatte. Obwohl diese Politik bekanntlich längst abgewählt wurde, hat die Kommission auch gut eineinhalb Jahrzehnte danach immer noch Abweichungen von diesen Zielvorgaben und einen sich daraus ergebenden „Handlungsbedarf“ festzustellen, ein österreichischer Anachronismus.

Im Jahr 2000 wurde die „Kommission zur langfristigen Pensionssicherung“ unter der damaligen schwarz- blauen Regierung Schüssel eingerichtet. 2017 wurde sie durch die Alterssicherungskommission (ASK) ersetzt.

Der gesetzliche Auftrag in Bezug auf die langfristigen Finanzierungsperspektiven und die zentralen Bewertungsgrundlagen hierfür blieben jedoch de facto unverändert. Demnach hat die Kommission in ihrem Langfristgutachten (bis 2050) weiterhin Abweichungen von einem 2003/2004 politisch festgelegten Referenzpfad („Schüssel-Pfad“) festzustellen und „Mehraufwendungen“ gleichmäßig auf die Parameter Beitragssatz, Kontoprozentsatz, Anfallsalter, Pensionsanpassung und Bundesbeitrag aufzuteilen. Diese rein mechanistische Vorgabe ignoriert nicht nur völlig die Ursachen möglicher „Abweichungen“, etwa die massiven Auswirkungen der Pandemie, sondern auch die je nach „Parameter“ höchst unterschiedlichen zeitlichen Wirkungsketten und erweist sich dadurch als ohnehin nicht vollziehbar. Vor allem aber wird durch den gesetzlich vorgegebenen „Schüssel-Pfad“ weiterhin eine politisch längst abgewählte Zielsetzung – die drastische Kürzung der öffentlichen Pensionen – als Maßstab für die Arbeit der Kommission vorgegeben.

Abgesehen von inhaltlichen Schwächen – aufgrund deutlich zu pessimistischen Annahmen weicht etwa die Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts bereits 2026 um sechs Prozentpunkte vom Wert der aktuellen WIFO- Mittelfristprognose (und um knapp fünf Prozentpunkte von jenem des zeitgleich erschienen Mittelfristgutachtens) nach unten ab – basiert das aktuelle Langfristgutachten somit auf einem massiven, bis dato nicht korrigierten Konstruktionsfehler in der Rechtsgrundlage.

Die Umsetzung des Schüssel-Pfades würde Altersarmut statt sicherer Pensionen bedeuten

Ein Pensionssystem hat zuallererst eine Aufgabe: eine gute und verlässliche Absicherung im Alter und damit ein Leben in Würde für die älteren Menschen in unserer Gesellschaft zu gewährleisten und das auch unter sich demografisch bedingt erschwerenden Rahmenbedingungen. Die „finanzielle Nachhaltigkeit“ ist dabei insofern natürlich von Bedeutung, als die Verlässlichkeit der in Aussicht gestellten Leistungen voraussetzt, dass sich deren künftige Finanzierung auch darstellen lässt. „Finanzielle Nachhaltigkeit“ bedeutet dabei nichts Anderes als dass heutige Leistungsversprechen in Zukunft auch eingelöst, d. h. finanziert werden können. Dabei geht es in erster Linie natürlich um eine gesellschaftspolitische Frage.

Angesichts der demografischen Entwicklung sollte man meinen, dass es – wenn man das Schlagwort der Generationengerechtigkeit ernst nimmt – eigentlich auf der Hand liegt, dass für die anteilsmäßig deutlich wachsende Bevölkerungsgruppe der Älteren zukünftig zumindest auch ein etwas größeres Stück des (wachsenden) Gesamtkuchens reserviert werden sollte, um auch den heute Jüngeren gute Sicherungsniveaus gewährleisten zu können und steigende Altersarmut zu vermeiden. Jeden auch noch so moderaten Anstieg öffentlicher Pensionsausgaben als Ausdruck „mangelnder finanzieller Nachhaltigkeit“ zu diskreditieren, hat jedenfalls keine sachliche Begründung, sondern belegt vielmehr eine politische Werthaltung, die angesichts des Ausmaßes der demografischen Verschiebungen nur als widersinnig bezeichnet werden kann.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Die Abwegigkeit des „Schüssel-Pfades“ ist nun leicht erklärt: Trotz massiven Anstiegs des Anteils Älterer an der Gesamtbevölkerung um 44% bis 2050 sieht der Schüsselpfad bis dahin sogar eine deutliche Reduktion der öffentlichen Pensionsausgaben als Zielvorgabe vor. 2050 sollen demnach die öffentlichen Pensionsausgaben um fast 3 Prozentpunkte des BIP geringer ausfallen als aktuell. Das ist gegenüber dem aktuellen Anteil ein Minus von 24%!

Für einen deutlich wachsenden Anteil Älterer soll also ein deutlich schrumpfendes (!) Stück vom verfügbaren Gesamtkuchen – dem BIP – reserviert werden. Die Folgen davon sind leicht absehbar: deutlich niedrigere Pensionsniveaus und kaum noch sozialer Ausgleich. Altersarmut für breite Teile der Bevölkerung statt verlässlicher Pensionen wäre die Folge.

Auf Basis der bestehenden Vorgaben dient die ASK nicht der sachlichen Aufbereitung von Entscheidungsgrundlagen in Fragen der langfristigen Angemessenheit und Finanzierbarkeit der Alterssicherung, sondern als Vehikel jener, die die Rolle der öffentlichen Sicherungssysteme massiv reduzieren wollen.

Prognosen sind eine fehleranfällige Kunst

Im Zuge der Pensionsdebatten stellte die ÖVP im Herbst 2003 ihre Klubklausur unter den Titel: “Zukunft als Erster wagen”. Zu Gast war unter anderem Zukunftsforscher Matthias Horx, der zwei Jahre davor voraussagte, dass das „Internet kein Massenmedium wird“. Diese Anekdote illustriert, wie schwierig es ist die Zukunft vorauszusagen.

Obwohl aus seriöser Quelle, erwiesen sich auch die Vorhersagen für den Schüsselpfad als wenig treffsicher. So rechnete die Statistik Austria 2004 mit einer Gesamtbevölkerung von 8,4 Mio. im Jahr 2020. Tatsächlich wuchs die Bevölkerung deutlich stärker, sodass 2020 bereits mehr als 8,9 Mio. Menschen in Österreich lebten. Ein ähnliches Bild zeigen die Erwerbsquoten: Ging man damals von einer Erwerbsquote der Altersgruppe 55-64 von 40 % aus, so betrug diese 2020 tatsächlich 59% und lag damit um die Hälfte höher als angenommen. Auch die Annahmen über das Verhältnis von Erwerbspersonen insgesamt zur Gesamtbevölkerung wurde deutlich zu pessimistisch eingeschätzt.

Das muss nicht verwundern, denn Vieles ist einfach kaum vorhersehbar gewesen. Als der Schüssel-Pfad 2004 festgelegt wurde, war noch nicht einmal das Smartphone erfunden. Und eine Corona-Pandemie hätte sich niemand vorstellen können.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Trotzdem die Wirklichkeit die Prognosen längst widerlegt hat, werden die falschen Annahmen weiterhin Kraft Gesetz als Maßstab für Entwicklungen bei den Pensionen herangezogen.

Die Eliminierung des Schüssel-Pfads aus dem Gesetz ist längst überfällig

Deutliche Abweichungen vom „Schüssel-Pfad“ eignen sich zwar bestens für Verunsicherungen, tatsächlich sollten diese aber als beruhigend wahrgenommen werden. Sie bedeuten nämlich nichts anderes als, dass in unserer deutlich alternden Gesellschaft auch künftig nicht deutlich weniger von BIP für die öffentliche Alterssicherung reserviert wird und das ist auch gut so. Es ist längst überfällig die Arbeit der Alterssicherungskommission nunmehr auf eine vernünftige rechtliche Grundlage zu stellen und den abwegigen Schüsselpfad als längst überwundenes Relikt aus der Vergangenheit endlich aus dem Gesetzt zu eliminieren.

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