Die schwarz-grüne Regierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm 2020–2024 zum Ziel gesetzt, die Arbeitslosenversicherung zu reformieren. Diese Reform ist gescheitert. Dennoch wurde eine Verschärfung der Sanktionen ohne Beteiligung des Parlaments durch eine Weisung des zuständigen Arbeitsministeriums vom Juni 2023 umgesetzt, die die Wirkung von Sanktionen verbessern soll. Insbesondere soll der temporäre Verlust des Arbeitslosengeldes zeitnah nach einer Pflichtverletzung eintreten und es sollen parallele Sanktionen und Kontrollmeldetermine während eines Leistungsausschlusses möglich sein. Diese gesetzwidrige Verwaltungspraxis widerspricht der Rechtsstaatlichkeit.
Was ist eine Sanktion?
Eine Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ist die Arbeitswilligkeit, welche in § 9 AlVG definiert wird und Kriterien für die Bestimmungen der Zumutbarkeit einer durch das Arbeitsmarktservice (AMS) vermittelten Beschäftigung enthält. Vereinfacht gesagt, müssen arbeitslose Personen stets ihre Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen, um Leistungen beziehen zu können. § 10 AlVG sanktioniert durch einen befristeten Leistungsausschluss das Verhalten der arbeitslosen Person, die die Beendigung des Zustandes der Arbeitslosigkeit schuldhaft vereitelt oder die Arbeitsaufnahme verweigert. Der befristete Verlust des Leistungsanspruches tritt beispielsweise ein, wenn sich die arbeitslose Person weigert, eine zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt.
Eine Weigerung liegt vor, wenn die arbeitslose Person ausdrücklich oder schlüssig erklärt, eine zugewiesene zumutbare Beschäftigung nicht anzunehmen. Setzt die arbeitslose Person ein Verhalten, das für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung ursächlich ist, und ist das Verhalten auf den Eintritt dieser Wirkung gerichtet, liegt ebenfalls eine Vereitelung vor. Die arbeitslose Person muss den Eintritt der Wirkung zumindest in Kauf nehmen und das Verhalten muss kausal für das Nichtzustandekommen sein.
Grundsätzlich verlangt jede Sanktion, dass die arbeitslose Person vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Ein bloß fahrlässiges Handeln, d. h. das Außer-Acht-Lassen der pflichtgemäßen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht aus. In der AMS-Praxis wird die Frage, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, bereits sehr weit ausgelegt und führt zu vielen Sanktionen.
Befristeter Leistungsausschluss
Liegt ein Sanktionstatbestand vor, so verliert die arbeitslose Person für die Dauer von sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Die Mindestdauer des Leistungsausschlusses erhöht sich mit einer zweiten Pflichtverletzung auf acht Wochen. Ab der dritten Sanktion ist überdies ein genereller Verlust des Leistungsanspruches mangels Arbeitswilligkeit möglich.
Während des Leistungsausschlusses besteht gemäß § 10 AlVG keine ausdrücklich im Gesetz verankerte Verpflichtung, sich auf zugewiesene Beschäftigungen zu bewerben: Dem Gesetz sind keine expliziten Regelungen zu entnehmen, die Verpflichtungen wie Verfügbarkeit, Arbeitswilligkeit oder Meldepflichten während des Leistungsausschlusses festhalten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob ein Verhalten sanktionierbar ist, welches im Sanktionszeitraum gesetzt wurde.
Bis zum Erlass des Arbeitsministeriums war es nicht möglich, Personen innerhalb eines Sanktionszeitraums erneut zu sperren. Darüber hinaus waren sie nicht verpflichtet, im Sanktionszeitraum dem AMS zur Verfügung zu stehen. Diese Verwaltungspraxis wurde nun verändert. Die von Sanktionen betroffenen Personen müssen nun auch innerhalb des gesperrten Zeitraums dem AMS zur Verfügung stehen. Unserem Rechtsverständnis nach ist diese neue Verwaltungspraxis rechtswidrig.
Die Durchführungsweisung zu § 10 AlVG
In der Folge wird die Durchführungsweisung mit dem Titel „Durchführungsweisung zu § 10 AlVG: Verbesserung der Wirkung von Sanktionen“ vom Juni 2023 im Detail vorgestellt. Diese trifft Regelungen, die die Verwaltungspraxis des AMS verschärft.
In Abkehr von der bislang ausgeübten Verwaltungspraxis müssen nach Rechtsmeinung des Arbeitsministeriums arbeitslose Personen der Arbeitsvermittlung nunmehr auch während einer Ausschlussfrist nach § 10 AlVG zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, eine angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Im Falle einer Weigerung oder Vereitelung ist ein weiterer, die bereits verhängte Sperre dann teilweise überlagernder Anspruchsverlust auszusprechen, sofern aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht schon die Annahme genereller Arbeitsunwilligkeit gerechtfertigt ist.
Diese Verschärfung der Sanktionen liegt im Trend der letzten Jahre, arbeitslose Personen häufiger zu sanktionieren (siehe hier, hier und hier). So belegen die Zahlen, dass sich die Sperren seit 2017 verdoppelt haben (mit Ausnahme eines kurzen Corona-Einbruchs). Hierbei stellt sich ohnehin die Frage, ob Sanktionen das richtige arbeitsmarktpolitische Instrument zur Integration von Beschäftigten in den Arbeitsmarkt sind. Wie die Durchführungsweisung vor diesem Hintergrund die Wirkung von Sanktionen tatsächlich verbessern soll, ist daher nicht nachvollziehbar.