Sanktionen im Arbeitslosenversicherungsrecht – Verwaltungspraxis ohne gesetzliche Grundlage

24. April 2024

Die schwarz-grüne Regierung hat sich in ihrem Regierungsprogramm 2020–2024 zum Ziel gesetzt, die Arbeitslosenversicherung zu reformieren. Diese Reform ist gescheitert. Dennoch wurde eine Verschärfung der Sanktionen ohne Beteiligung des Parlaments durch eine Weisung des zuständigen Arbeitsministeriums vom Juni 2023 umgesetzt, die die Wirkung von Sanktionen verbessern soll. Insbesondere soll der temporäre Verlust des Arbeitslosengeldes zeitnah nach einer Pflichtverletzung eintreten und es sollen parallele Sanktionen und Kontrollmeldetermine während eines Leistungsausschlusses möglich sein. Diese gesetzwidrige Verwaltungspraxis widerspricht der Rechtsstaatlichkeit.

Was ist eine Sanktion?

Eine Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ist die Arbeitswilligkeit, welche in § 9 AlVG definiert wird und Kriterien für die Bestimmungen der Zumutbarkeit einer durch das Arbeitsmarktservice (AMS) vermittelten Beschäftigung enthält. Vereinfacht gesagt, müssen arbeitslose Personen stets ihre Arbeitswilligkeit unter Beweis stellen, um Leistungen beziehen zu können. § 10 AlVG sanktioniert durch einen befristeten Leistungsausschluss das Verhalten der arbeitslosen Person, die die Beendigung des Zustandes der Arbeitslosigkeit schuldhaft vereitelt oder die Arbeitsaufnahme verweigert. Der befristete Verlust des Leistungsanspruches tritt beispielsweise ein, wenn sich die arbeitslose Person weigert, eine zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt.

Eine Weigerung liegt vor, wenn die arbeitslose Person ausdrücklich oder schlüssig erklärt, eine zugewiesene zumutbare Beschäftigung nicht anzunehmen. Setzt die arbeitslose Person ein Verhalten, das für das Nichtzustandekommen der Beschäftigung ursächlich ist, und ist das Verhalten auf den Eintritt dieser Wirkung gerichtet, liegt ebenfalls eine Vereitelung vor. Die arbeitslose Person muss den Eintritt der Wirkung zumindest in Kauf nehmen und das Verhalten muss kausal für das Nichtzustandekommen sein.

Grundsätzlich verlangt jede Sanktion, dass die arbeitslose Person vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz ausreicht. Ein bloß fahrlässiges Handeln, d. h. das Außer-Acht-Lassen der pflichtgemäßen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht aus. In der AMS-Praxis wird die Frage, ob Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorliegt, bereits sehr weit ausgelegt und führt zu vielen Sanktionen.

Befristeter Leistungsausschluss

Liegt ein Sanktionstatbestand vor, so verliert die arbeitslose Person für die Dauer von sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Die Mindestdauer des Leistungsausschlusses erhöht sich mit einer zweiten Pflichtverletzung auf acht Wochen. Ab der dritten Sanktion ist überdies ein genereller Verlust des Leistungsanspruches mangels Arbeitswilligkeit möglich.

Während des Leistungsausschlusses besteht gemäß § 10 AlVG keine ausdrücklich im Gesetz verankerte Verpflichtung, sich auf zugewiesene Beschäftigungen zu bewerben: Dem Gesetz sind keine expliziten Regelungen zu entnehmen, die Verpflichtungen wie Verfügbarkeit, Arbeitswilligkeit oder Meldepflichten während des Leistungsausschlusses festhalten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob ein Verhalten sanktionierbar ist, welches im Sanktionszeitraum gesetzt wurde.

Bis zum Erlass des Arbeitsministeriums war es nicht möglich, Personen innerhalb eines Sanktionszeitraums erneut zu sperren. Darüber hinaus waren sie nicht verpflichtet, im Sanktionszeitraum dem AMS zur Verfügung zu stehen. Diese Verwaltungspraxis wurde nun verändert. Die von Sanktionen betroffenen Personen müssen nun auch innerhalb des gesperrten Zeitraums dem AMS zur Verfügung stehen. Unserem Rechtsverständnis nach ist diese neue Verwaltungspraxis rechtswidrig.

Die Durchführungsweisung zu § 10 AlVG

In der Folge wird die Durchführungsweisung mit dem Titel „Durchführungsweisung zu § 10 AlVG: Verbesserung der Wirkung von Sanktionen“ vom Juni 2023 im Detail vorgestellt. Diese trifft Regelungen, die die Verwaltungspraxis des AMS verschärft.

In Abkehr von der bislang ausgeübten Verwaltungspraxis müssen nach Rechtsmeinung des Arbeitsministeriums arbeitslose Personen der Arbeitsvermittlung nunmehr auch während einer Ausschlussfrist nach § 10 AlVG zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, eine angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen. Im Falle einer Weigerung oder Vereitelung ist ein weiterer, die bereits verhängte Sperre dann teilweise überlagernder Anspruchsverlust auszusprechen, sofern aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht schon die Annahme genereller Arbeitsunwilligkeit gerechtfertigt ist.

Diese Verschärfung der Sanktionen liegt im Trend der letzten Jahre, arbeitslose Personen häufiger zu sanktionieren (siehe hier, hier und hier). So belegen die Zahlen, dass sich die Sperren seit 2017 verdoppelt haben (mit Ausnahme eines kurzen Corona-Einbruchs). Hierbei stellt sich ohnehin die Frage, ob Sanktionen das richtige arbeitsmarktpolitische Instrument zur Integration von Beschäftigten in den Arbeitsmarkt sind. Wie die Durchführungsweisung vor diesem Hintergrund die Wirkung von Sanktionen tatsächlich verbessern soll, ist daher nicht nachvollziehbar.

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Verwaltungspraxis ohne gesetzliche Grundlage rechtswidrig

Nachdem der Inhalt der Durchführungsweisung erläutert wurde, wird diese nunmehr dahingehend überprüft, ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang steht. Wie sich zeigen wird, findet die in der Durchführungsweisung festgelegte Verwaltungspraxis keine ausdrückliche Deckung im AlVG und ist daher rechtswidrig.

Bei der Durchführungsweisung des Arbeitsministeriums handelt es sich um eine Weisung iSd Art 20 Abs 1 B-VG. Weisungen wirken im Innenverhältnis, da es sich dabei um eine Anordnung an eine untergeordnete Behörde handelt. In diesem Fall geht die Weisung vom Arbeitsministerium in der Hierarchiekette an das AMS. Eine Weisung stellt jedoch keine taugliche Rechtsgrundlage für einen weiteren Verwaltungsakt wie einen Bescheid (wie etwa einen Sanktionsbescheid des AMS) dar (siehe hier und hier).

Folglich ist ein Bescheid, der sich auf die Durchführungsweisung stützt, gesetzlich nicht gedeckt und somit rechtswidrig. Dies kann von betroffenen Personen nur im Rechtsmittelweg aufgegriffen und sollte vom BVwG aufgehoben werden.

Keine Vermittlung während einer Leistungssperre

Die Sanktion gem § 10 AlVG führt dazu, dass die Leistung für einen festgelegten Zeitraum verloren geht, sodass sich der zuerkannte Leistungszeitraum um den Sanktionszeitraum verkürzt. § 7 Abs 1 AlVG normiert u. a. für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, dass Arbeitslose der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehen müssen. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf sowie arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist. Gem § 9 Abs 1 AlVG ist arbeitswillig, wer bereit ist, eine durch das AMS zugewiesene zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Für die Arbeitswilligkeit und den damit verbundenen Leistungsanspruch müssen daher alle diese Beurteilungskriterien erfüllt sein. Eine Sanktion gem § 10 AlVG wird ausgesprochen, wenn ein Verhalten der arbeitslosen Person dazu führt, dass eine der Voraussetzungen für die Arbeitswilligkeit nicht erfüllt ist, z. B. eine arbeitslose Person eine zumutbare Beschäftigung nicht angenommen hat (siehe oben). Den gesetzlichen Regelungen kann nicht entnommen werden, dass die Arbeitswilligkeit auch während des Leistungsausschlusses, der als Sanktion für die fehlende Arbeitswilligkeit gesehen wird, weiterhin aufrecht sein muss: Mit einer Sperre gem § 10 Abs 1 AlVG wird festgestellt, dass für den Sanktionszeitraum der Leistungsanspruch gerade wegen der fehlenden Voraussetzungen für den Leistungsbezug verloren geht. Damit sind aber die oben angeführten Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 AlVG gemeint. Daher muss gelten, dass Arbeitslose der Vermittlung nicht zur Verfügung stehen müssen, wenn diese Voraussetzungen (temporär) nicht erfüllt sind. Mit der neuen Verwaltungspraxis wird aber verlangt, dass die Arbeitswilligkeit weiterhin nachgewiesen werden muss, obwohl dies nach § 7 Abs 1 AlVG e contrario mangels Leistungsanspruchs nicht verlangt werden darf.

Das bedeutet in der Praxis: Eine Person, die aufgrund von Sanktionen keine Leistungen bezieht, muss dem AMS nicht zur Verfügung stehen. Erst mit der Wiederaufnahme der Leistungsbezüge treten die Pflichten gegenüber dem AMS wieder in Kraft.

Fazit

Die Durchführungsweisung des Arbeitsministeriums zu § 10 AlVG verstößt in einigen relevanten Punkten gegen das AlVG und führt daher zur Rechtswidrigkeit von AMS-Bescheiden, die sich darauf stützen. Folglich ist die derzeitige Verwaltungspraxis des AMS – basierend auf der Durchführungsweisung – in diesen Punkten rechtswidrig. Im vorliegenden Beitrag wurden insbesondere die Verpflichtungen während einer Sanktion thematisiert, weshalb keine Vermittlung innerhalb der Ausschlussfrist stattfinden darf. Aus rechtsstaatlicher Perspektive ist diese gesetzwidrige Verwaltungspraxis schnellstmöglich zu beheben.

Eine ausführliche Fassung des Beitrags mit Nachweisen finden Sie hier: Hinterberger/Sdoutz, Sanktionen im Arbeitslosenversicherungsrecht – Verwaltungspraxis ohne gesetzliche Grundlage, DRdA-Infas 2024, S. 126–131.

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