Beim Thema Wohnkosten fühlen sich beinahe alle Menschen angesprochen. Die inflationäre Verwendung des Begriffs „Leistbares Wohnen“ durch unterschiedlichste politische Akteur:innen birgt die Gefahr der Instrumentalisierung. Für tatsächliche wohnpolitische Verbesserungen sollte daher dringend geklärt werden, was unter leistbarem Wohnen gemeint ist.
Im Nachklang der Covid-19-Pandemie, der andauernden Teuerungskrise und des starken Wachstums von Wien als Stadt stellt sich die Wohnungsfrage erneut als soziale und zugleich politische Frage. Denn die Erfüllung des Rechts auf Wohnen als menschliches Grundbedürfnis ist die Basis für Lebensqualität, Gesundheit, Familien- und Sozialleben, aber auch für Chancen auf Bildung und Arbeit. Leistbares Wohnen wurde zum beliebten Wahlversprechen verschiedenster Parteien und führte zu einer Repolitisierung des Themas.
Ein Blick auf die Entwicklung der realen Löhne und Mietpreise zeigt, dass die Leistbarkeitslücke in den vergangenen Jahren immer größer wurde.
Die tatsächliche Belastung durch monatliche Fixkosten für das Wohnen ist jedoch innerhalb der Gesellschaft sehr unterschiedlich verteilt. Ende 2024 stellten Wohnkosten österreichweit für 15,5 Prozent eine schwere finanzielle Belastung dar (in Wien für 17,5 Prozent). Dennoch trifft es bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders: 32,9 Prozent der Haushalte, die von Arbeitslosigkeit betroffen waren, 32,5 Prozent der Personen mit geringem Haushaltseinkommen und 25,6 Prozent der Ein-Eltern-Haushalte gaben an, schwer von Wohnkosten belastet zu sein.
Ab wann gilt Wohnen als leistbar?
Grundsätzlich geht es bei der Frage der Leistbarkeit um das Verhältnis zwischen Wohnkosten und Einkommen.
Für die Messung von Leistbarkeit gibt es neben der subjektiv wahrgenommenen Wohnkostenbelastung auch den Indikator des Wohnkostenanteils: Nach EU-Definition liegt eine Wohnkostenüberbelastung vor, wenn der gesamte Wohnungsaufwand (dazu zählen etwa Miete, Betriebskosten, Heizung, Energie, Instandhaltung und Zinszahlungen für Kredite) 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens übersteigt. Für 8 Prozent der Haushalte in Österreich war das 2023 der Fall. Betrachtet man nur die Gruppe armutsgefährdeter Menschen, liegt der Anteil der Wohnkostenüberbelastung österreichweit bei 33 Prozent der Haushalte.
Während der Indikator des Wohnkostenanteils es ermöglicht, die Komplexität von Leistbarkeit auf einen klaren Grenzwert zu reduzieren, blendet dieser jedoch aus, wie viel 40 Prozent eines Haushaltseinkommens tatsächlich ausmachen und ob dieses Geld für eine Miete am realen Wohnungsmarkt reicht bzw. mit den restlichen 60 Prozent die Lebenskosten bewältigt werden können.
Wohnkosten vs. weitere Lebenshaltungskosten
Leistbarkeitsindikatoren, die ausschließlich Wohnkosten in den Blick nehmen, vernachlässigen andere Ausgaben, die maßgeblich für gesellschaftliche Teilhabe sind. Um ein ganzheitlicheres Bild über den finanziellen Rahmen zu zeichnen, bringt die Schuldnerberatung jährlich sogenannte „Referenzbudgets“ heraus. Dieses Modell zeigt für verschiedene Haushaltsformen auf, wie viel es monatlich braucht, um Fixkosten wie jene für Nahrung, Kleidung, Mobilität, Gesundheit etc. zu decken und so auch ein Mindestmaß an sozialer und kultureller Teilhabe zu erfüllen.
Diese Einschätzung ist nicht zuletzt deshalb bedeutsam, da seit dem Vorjahr die Lebenshaltungskosten stark gestiegen sind. Für einen Ein-Personen-Haushalt beträgt das Referenzbudget derzeit 1.730 Euro. Nach Abzug der laut Referenzbudget durchschnittlichen Wohnkosten von 748 Euro sollten einer Person daher 982 Euro zum Leben übrig bleiben. Der Vergleich der Referenzbudgets für verschiedene Haushaltsformen zeigt, dass Haushalte mit Kindern nach Abzug der Wohnkosten deutlich mehr Geld zum Leben brauchen. Aus diesem Grund setzen Referenzbudgets auch die Leistbarkeitsgrenze für Wohnkosten unterschiedlich an: für Ein-Personen-Haushalte bei 43 Prozent des Monatsbudgets, bei einem Paar mit zwei Kindern nur mehr 30 Prozent. Um Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben zu sichern, sollte die Leistbarkeitsgrenze auch bei Indikatoren zur Berechnung einer Wohnkostenüberbelastung an diverse Haushaltsformen angepasst werden.
Leistbarkeit, die niedrigste Einkommen einschließt
Die Definition von Leistbarkeit sollte grundsätzlich von kleinen Einkommen ausgehen. Die Sozialorganisation neunerhaus schafft Zugänge zum leistbaren Wohnungsmarkt und stellt im Rahmen des Housing-First-Ansatzes Menschen, die von Obdach- oder Wohnungslosigkeit bedroht oder betroffen sind, eine bedarfsgerechte Betreuung zur Verfügung. Die Praxiserfahrung zeigt, dass für viele Menschen das Referenzbudget mit den aktuellen Verhältnissen zwischen Einkommen und den Preisen am Wohnungsmarkt nicht erreichbar ist. Vielmehr bedarf es einer Orientierung an den kleinsten Einkommen, beispielsweise durch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Diese betrug 2024 maximal 1.156 Euro. Hinzu kommt ggf. die Mietbeihilfe mit einem Höchstsatz von 635,71 Euro.
Am Wohnungsmarkt gibt es Wohnungen in einem Preissegment, das auch für kleine Einkommen leistbar wäre. Allerdings nicht ausreichend und für viele nicht zugänglich.
Leistbarkeit auf längere Sicht
Bei einer gewöhnlichen Mietvertragsunterzeichnung interessiert Vermieter:innen eine Momentaufnahme des aktuellen Haushaltseinkommens. Um eine sozial nachhaltige Perspektive zu schaffen, ist es gerade bei Menschen mit geringem Einkommen und keinen Ersparnissen wichtig, in die Frage der Leistbarkeit auch Risiken und unerwartete Ausgaben miteinzuschließen. neunerhaus berücksichtigt bei der Berechnung der individuellen Leistbarkeit neben dem Status quo (u. a. Wohn-, Energiekosten-Annahmen, Raten/Ansparungen bei MA 40) auch zukünftige, absehbare individuelle Entwicklungen (z. B. Auszug von Kindern). Denn ohne Ersparnisse können bereits kleine, unvorhergesehene Mehrausgaben dazu führen, dass die Miete nicht mehr bezahlt werden kann. Je kleiner das monatliche Budget, desto schneller gerät eine stabile Lebenssituation durch unvorhersehbare Krisen (Krankheit, Jobverlust, Verschuldung etc.) ins Wanken.
Wo Angebot und Nachfrage in puncto Leistbarkeit nicht zusammenfinden
Die Erfahrung aus der Praxis im Feld der Wohnungslosenhilfe zeigt, dass jene Menschen, die dringend leistbaren Wohnraum suchen, entweder keinen passenden finden oder aufgrund diverser Hürden keinen Zugang haben. Finanzielle Unterstützungsmaßnahmen, die dem Wohnen zweckgewidmet sind, erhöhen entweder das Haushaltseinkommen um einen gewissen Betrag, sodass Wohnen leistbar wird, bzw. tilgen angehäufte Wohnschulden. Sie sollten jedoch als Hilfe in individuellen Krisen gesehen werden und nicht langfristig kompensieren, wenn Wohnen grundsätzlich nicht leistbar ist. Derartige sozialstaatliche Ausgaben fehlen an anderer Stelle für wohnpolitische Maßnahmen zur Erweiterung des leistbaren Wohnungsangebots. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Versagen des Wohnungsmarktes zur Erzeugung einer Bedürftigkeit führt, die in der Verantwortungsverschiebung von der Wohnungs- in die Sozialpolitik sichtbar wird.
Zu einer sozial gerechten Definition von Leistbarkeit
Als Grundlage für sozial gerechte wohnpolitische Maßnahmen sollte eine Definition von Leistbarkeit in Bezug auf Wohnen auch niedrige Einkommen berücksichtigen.
- Der gängige Indikator der Wohnkostenüberbelastung nach EU-SILC bildet bei niedrigen Einkommen und bei gewissen Haushaltsformen (wie z. B. Alleinerziehenden bzw. Familien) nicht die Lebensrealität ab. Um soziale Teilhabe sicherzustellen, ist es notwendig, bei Einkommen innerhalb des untersten Quartils bereits unter 40 Prozent anzusetzen, um eine Wohnkostenüberbelastung festzustellen.
- Bei niedrigen Einkommen ist die Leistbarkeit des Wohnens häufig fragil. Die „Waage“ zwischen verfügbarem Einkommen und den Wohnkosten kommt aus dem Gleichgewicht, sobald Risiken wie Mieterhöhungen, Reparaturen oder Einbußen beim Einkommen eintreten. Daher ist es entscheidend, Leistbarkeit sowohl pro Monat als auch auf längere Zeit, etwa auf zwei Jahre, zu rechnen.
Erst durch eine Differenzierung und somit Neudefinition der Wohnkostenüberbelastung ist es in weiterer Folge möglich, den realen Bedarf an leistbarem Wohnraum zu erheben und entsprechend zur Verfügung zu stellen.
Um eine nachhaltige Versorgung mit leistbarem Wohnraum für alle Zielgruppen sicherzustellen, braucht es:
- Leistbares Wohnungsangebot auf realen Bedarf abstimmen: Es braucht eine Vielfalt an Wohnungsgrößen und Grundrissen, die den Bedürfnissen diverser Haushaltsformen entsprechen.
- Zugang zu sozialem Wohnbau sozial gerecht gestalten: Streichung der Voraussetzung einer durchgängigen zweijährigen Meldedauer an der aktuellen Wiener Wohnadresse und Einführung des Zugangskriteriums „Wohnkostenüberbelastung“.
- Verbindliches Kontingent an Housing-First-Wohnungen aus allen Segmenten des Wohnungsmarktes.
- Privaten Markt in die Pflicht nehmen: Errichtung eines verpflichtenden Anteils an leistbaren Wohnungen in frei finanzierten Neubau- und Nachverdichtungsprojekten sowie bei städtebaulichen Verträgen.
- Mehr geförderter Wohnbau mit kleinen Eigenmittelbeiträgen: Erweiterung des geförderten Segments mit Zugänglichkeit auch für kleine Einkommen ohne Ersparnisse.