Kaufkraftsicherung – keine Aufgabe für Pensionssysteme?

13. März 2024

„Kapitalgedeckte“ Pensionen stehen ob der Einbrüche auf den Finanzmärkten und hoher Inflationsraten erheblich unter Druck, resultieren daraus doch massive reale Wertverluste. Dass der Obmann des Fachverbandes Pensions- und Vorsorgekassen vor diesem Hintergrund von „Top-Ergebnissen“ spricht und mit Hinweis auf die (nicht ganz neue) demografische Entwicklung nun den Notstand für die öffentliche Pensionsversicherung ausrufen und als „Lösung“ gleich auch noch die verpflichtende Ausweitung des Systems (betrieblicher und überbetrieblicher) Pensionskassen umgesetzt sehen möchte, wirkt doch etwas deplatziert. Absurd ist es aber, wenn dann noch beiläufig behauptet wird, dass die Abdeckung der Inflation nicht Aufgabe von Pensionssystemen sein kann.

Das österreichische öffentliche Pensionssystem steht nach den umfassenden Reformen der letzten Jahrzehnte trotz deutlicher Alterung tatsächlich sehr gut da, und zwar sowohl was die langfristig erwartbaren Sicherungsniveaus als auch die finanzielle Nachhaltigkeit betrifft. Das wird durch die Langfristberechnungen der Alterssicherungskommission ebenso wie jene der Europäischen Kommission klar belegt. Auch die aktuellen Mittelfristprognosen bestätigen das deutlich und zwar unabhängig davon, was für den Pensionskassenverband vermeintlich „feststeht“.

Das Schwingen der Demografie-Keule als Werbemittel für mehr finanzmarktbasierte – vulgo „kapitalgedeckte“ – Pensionsvorsorge ist ein altes und häufig strapaziertes, aber letztlich sehr oberflächliches und auch falsches Argument. Bereits bei etwas näherer Betrachtung wird schnell klar, dass sich durch die Verlagerung von Finanzierungsverantwortung zu den Finanzmärkten vor dem Hintergrund der Alterung nichts gewinnen lässt. Die Zusammenhänge stellen sich hier zwar weniger offensichtlich dar als in der umlagefinanzierten öffentlichen Pensionsversicherung (PV), sind aber nicht weniger relevant. Der Irrglaube, durch „Kapitaldeckung“ Demografie-Immunität erlangen zu können, lenkt vielmehr von wirklich zielführenden Strategien – mit Fokus auf eine deutlich verbesserte Arbeitsmarktintegration – ab.

Nach diesen beiden kurzen grundsätzlichen Anmerkungen soll hier aber den Fragen nachgegangen werden, ob die Kaufkraftsicherung von Pensionen Aufgabe eines Pensionssystems sein soll und kann.

Kaufkraftsicherung als wesentliches Qualitätskriterium

Die Antwort auf die erste Frage ist eigentlich völlig klar: Natürlich ist es eine wesentliche Aufgabe von Pensionssystemen die Kaufkraft der anfangs ausbezahlten Pensionen auch in weiterer Folge möglichst weitgehend sicherzustellen. Pensionen dienen der Lebensstandardsicherung, die (laufenden) Ausgaben müssen weiterhin gedeckt, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben muss dauerhaft finanziert werden können. Das setzt selbstredend nicht nur ausreichend hohe Anfangspensionen, sondern eben auch die Sicherung ihrer Kaufkraft voraus. Kaufkraftsicherung ist also evident ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung der Qualität von Pensionssystemen, das nach Jahrzehnten sehr moderater Preissteigerungen vorübergehend zwar etwas in den Hintergrund gerückt war, sich nun aber wieder als hochrelevant bestätigt. Inwieweit Kaufkraftsicherung in den unterschiedlichen Systemen gelingt, wird im Folgenden anhand von Vergleichsberechnungen überprüft.

Grundsätzliche Anmerkungen zum System der Pensionskassen

Die Pensionskassen bewerben ihre scheinbare Attraktivität mit einer im langjährigen Schnitt angeblich relativ hohen (nominalen) Performance. Diese hat aber eine nur sehr eingeschränkte Aussagekraft für die Entwicklung des Pensionsniveaus. Pensionskassen gibt es in Österreich seit Anfang der 1990er Jahre. Die Pensionskassen geben an, seither langfristig im Schnitt 4,95 Prozent Ertrag erzielt zu haben. In diese Betrachtung gehen die sehr hohen Veranlagungserträge aus den 1990er Jahren ein, als oft um die 10 Prozent (Aktienhausse bis zum Platzen der Dotcom-Blase) erzielt wurden. Diese Werte sind allerdings kaum relevant, da damals noch sehr wenige Menschen in Pensionskassen einbezogen waren und das veranlagte Kapital dementsprechend auch sehr gering war. Während gegenwärtig knapp über eine Million Menschen einbezogen sind, waren es 1999 231.000, bis Mitte der 90er-Jahre weniger als 100.000. Der Anteil der Anwartschaftsberechtigten an allen unselbstständig Erwerbstätigen liegt aktuell bei rund 23 Prozent, im Schnitt der 90er-Jahre lag dieser bei 3 Prozent (von 0,7% 1991 auf 6,5% 1999 steigend) und überschritt erst 2003 knapp die 10-Prozent-Marke.

Wesentlich ist in diesem Zusammenhang, dass ein Plus bei der nominalen Performance nicht bedeutet, dass es zu Pensionserhöhungen kommt und natürlich schon gar nicht, dass dadurch die Kaufkraft gesichert wäre. Pensionskassen unterstellen bei der Verrentung des Kapitals eine Ertragsentwicklung in Höhe des Rechnungszinssatzes, wodurch die Startpension höher ausfällt. Eine Verzinsung im Ausmaß des Rechenzinssatzes wird also bei der Pensionsberechnung bereits eingepreist, also vorweggenommen. Wird dieser erreicht, so kann die Pension weiter in gleicher Höhe bezahlt werden, wird er verfehlt, muss gekürzt werden, wird er übertroffen, kann erhöht werden. Eine Kaufkraftsicherung setzt darüber hinaus voraus, dass die Erhöhungen zumindest im Ausmaß der Inflation erfolgen.

Bis 2003 waren Rechnungszinsen von über 5 Prozent möglich, dann wurden diese für neue Anwartschaften schrittweise auf 3,5%, 3%, 2,5% und seit 2020 auf 2% gesenkt. Viele Menschen, die derzeit von Pensionskassen Pensionen erhalten oder neu Pensionen antreten, haben noch einen (sehr) hohen Rechnungszins. In den letzten 10 Jahren war die Performance im Schnitt bei 3,2 Prozent und damit für viele unterhalb des Rechnungszinses. Pensionen aus Pensionskassen mussten daher nominal gekürzt werden. Wenn man die Inflation berücksichtigt, ergeben sich erhebliche und drastische Kaufkraftverluste.

Vergleich der Pensionsentwicklung in Pensionskassen und der öffentlichen Pensionsversicherung

Im Folgenden wird die Entwicklung der inflationsbereinigten Pensionen im System der Pensionskassen und in der PV für Pensionsantritte in den Jahren 2000, 2005, 2010, 2015 und 2020 verglichen.

Zugrunde gelegt wurden für die PV der jeweilige Medianwert für Alterspensionen und die folgenden Pensionsanpassungen. Bei den Pensionskassen wurde die jeweilige durchschnittliche Jahresperformance laut Fachverband bzw. Kontrollbank und ein Rechenzins von 3,5 Prozent angenommen. Schließlich wurde mit dem VPI die kaufkraftgewichtete Entwicklung berechnet.

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Die Ergebnisse sind eindeutig: Während im Umlageverfahren der öffentlichen PV in der Regel die Kaufkraft (nahezu) voll erhalten bleibt, ist die Kaufkraft der Pensionskassenpensionen je nach Antrittsjahr um ein Viertel bis mehr als die Hälfte eingebrochen!

Die mitunter leichten Kaufkraftverluste im öffentlichen PV-System sind darauf zurückzuführen, dass die Pensionsanpassungen in den 2010er Jahren zweimal um (knapp) einen Prozentpunkt unter der Inflation lagen (Beitrag der Bestandspensionen zur Budgetkonsolidierung) und es Antritte gab, bei denen die Regelung galt, dass bei neuen Pensionen die erste Pensionsanpassung ausgelassen wird. Für das Pensionsantrittsjahr 2000 kommt hinzu, dass bis 2004 noch das System der Nettoanpassung zur Anwendung kam und erst ab 2005 die gesetzlich vorgesehene Anpassung mit einer unmittelbaren Bezugnahme auf die durchschnittliche Inflationsrate erfolgt.

Man sieht jedenfalls eindeutig, dass die Pensionskassenpensionist:innen das volle Inflationsrisiko zu tragen haben und mit einer laufenden massiven Entwertung ihrer Pension konfrontiert sind.

Vergleich der Anspruchsentwicklung

Die vorige Darstellung hat sich auf die Entwicklung der Pensionen in der Leistungsphase beschränkt. Nun könnte jemand auf die Idee kommen zu argumentieren, dass das mit der Kaufkraftsicherung in finanzmarktbasierten Systemen zwar offensichtlich nicht so richtig klappt, aber dafür ja auch die Einstiegspensionen wegen „des Renditevorteils“ deutlich höher wären. Aber ist das tatsächlich so?

Im Folgenden wird daher gegenübergestellt, wie sich die Ansprüche im Pensionskonto der öffentlichen PV im Vergleich zu jenen in Pensionskassen seit 2000 entwickelt hätten. Dazu wird unterstellt, dass die Pensionsversicherungsbeiträge in Höhe von 22,8 Prozent der Beitragsgrundlagen in einer „durchschnittlichen“ Pensionskasse veranlagt worden wären. Es wird also neuerlich die durchschnittliche Performance der Pensionskassen herangezogen und mittels Verrentung (wieder auf Basis eines Rechenzinses von 3,5 Prozent) sowie anhand des Pensionsrechners der Bundespensionskasse die Pensionshöhe ermittelt. Bei einem Vergleich von Startpensionen aus unterschiedlichen Systemen ist sicherzustellen, dass hinsichtlich des jeweiligen Leistungsumfangs zumindest eine annähernde Vergleichbarkeit gegeben ist, um nicht Äpfel und Birnen gegenüberzustellen. Die Bundespensionskasse gewährt wie das gesetzliche System auch eine Hinterbliebenenversorgung und Leistungen bei Berufsunfähigkeit, wenn auch nicht in gleichem Ausmaß wie die PV.

Nachdem eine durchgehende Beitragsleistung aus Erwerbstätigkeit angenommen wird, bleibt hier ausgeblendet, dass in der öffentlichen PV auch für Zeiten der Arbeitslosigkeit, des Krankengeldbezuges, der Kindererziehung etc. Pensionsansprüche gutgeschrieben werden. Zu bedenken ist auch, das sich der angenommene relativ hohe Rechenzinssatz von 3,5 Prozent zwar entsprechend positiv auf die Höhe der so ermittelten Erstpension auswirkt, aber in weiterer Folge eben auch entsprechend negative Effekte hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit von künftigen Pensionsanpassungen zeitigt. Auf Basis der durchschnittlichen Performance seit Ende 1997, die nahezu exakt der Höhe des angenommenen Rechenzinssatzes entspricht, wäre vielmehr keine Anpassung zu erwarten, unter Berücksichtigung künftiger versicherungstechnischer Ergebnisse wohl viel eher nominale Kürzungen.

Die so ermittelte Startpension in der „durchschnittlichen“ Pensionskasse würde auf Basis von Beitragszahlungen von 2000 bis 2023 bei einem Antritt zum Regelpensionsalter im Jahr 2024 bei einem 65-jährigen Mann um 31 Prozent und einer 60,5-jährigen Frau 37 Prozent unter der Pensionskontopension in der öffentlichen PV liegen!

Das bedeutet aber nicht nur, dass man in Pensionskassen mit einer erheblich niedrigeren Startpension in die Pension geht, sondern dass diese dann noch durch laufende Kaufkraftverluste real entwertet wird, während die Pensionskontopension auf Dauer wertgesichert bleibt.


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Fazit

Die möglichst weitgehende Sicherung der Kaufkraft ist also zweifellos eine wesentliche Aufgabe von Pensionssystemen und die Frage, inwieweit das gelingt, ein dementsprechend wichtiges Qualitätskriterium. Es liegt eigentlich im Wesen von finanzmarktbasierten Systemen, dass sich damit eine verlässliche Kaufkraftsicherung nicht gewährleisten lässt. Anders stellt sich das in öffentlichen umlagefinanzierten Pensionssystemen dar, hier ist eine verlässliche und dauerhafte Kaufkraftsicherung nicht nur grundsätzlich möglich, sie führt auch zu keinen finanziellen Verwerfungen, solange es starken Gewerkschaften gelingt, einen fairen Anteil am Wohlstandszuwachs für die Beschäftigten sicherzustellen. Das ist ihnen in der Vergangenheit – selbst in Zeiten schwerer multipler Krisen – gut gelungen und das wird auch in Zukunft so sein.

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