Auch in der Politik gibt es die Gefahr, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Der Lobbyismus für ein kapitalgedecktes Pensionssystem, das in Deutschland zur Einführung der sogenannten „Riester-Rente“ geführt hat, ist nun auch in Österreich verstärkt aktiv. Fehler sollte man nicht wiederholen, sondern aus ihnen lernen: Das Umlagesystem ermöglicht zwar weniger Gewinne für private Pensionsversicherer, aber höhere Pensionen/Renten und/oder niedrigere Beiträge für die Versicherten.
Es ist die besondere Kunst des ausgebufften Lobbyismus, seine Interessen unter einem Wust von Sach- und Fachbegriffen zu verstecken. Wenn dann noch die Bewunderung der Unkundigen für vermeintliche Intelligenz der angeblich Sachverständigen hinzutritt, haben die Geldprofiteure schon gewonnen. Sie verstecken „Geld“ hinter „Geist“ jedenfalls dem, was die „Sachverständigen“ dafür angeben.
Dem gegenüber gibt es die Kraft des gesunden Menschenverstandes zu mobilisieren, die seine Ziele gemäß der aufklärerischen Maxime formuliert: „Habe Mut, dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Das Ziel einer Alterssicherung für alle basiert auf der einfachen Wahrheit. „Immer versorgen die Jungen die Alten.“ Das war schon in der Eiszeit so und wird auch noch so bleiben, wenn Menschen den Mars besiedeln. Daran beißt jedenfalls keine Maus den Faden ab und kein System – ob umlagefinanziert oder kapitalgedeckt – kann diese Wahrheit wegrationalisieren. Die einzige Alternative dazu ist das alte Eskimo-Verfahren: Die Alten aufs Eis schieben.
Drei Generationen bilden die Generationensolidarität
Bei Licht betrachtet müssen allerdings die Jungen auch die noch Jüngeren, nämlich ihre Kinder, versorgen. Die Generationensolidarität ist also dreigliedrig. Wobei keine Generation, wenn es gerecht zugeht, überfordert wird. Denn auch die Jungen werden einmal alt und die Alten waren einmal jung. So gleicht sich die Umverteilung im Generationenvertrag aus.
Im „Schatzkästlein eines rheinischen Hausfreundes“ von Johann Peter Hebel wird das Rentensystem ganz einfach erklärt. Der Bauer beschreibt dem erstaunten Fürsten seine Einkommensverteilung. Ein Teil nimmt er, um Kredit zu gewähren, mit einem anderen Teil bezahlt er seine Schulden und einen Teil behält er schließlich für sich. „Wie das?“ sprach der Fürst, der dieses Lebensgesetz der Generationensolidarität so wenig verstand wie die Neoliberalen. Die Erklärung für das bäuerliche Grundgesetz der Generationensolidarität ist einfach:
Der Bauer gewährt seinen Kindern Kredit und zahlt bei seinen Eltern die Schulden ab. Das ist das ganze Geheimnis des uralten Generationenvertrags.
Die Illusion der Selbstversorgung
In Deutschland propagierten die Jungliberalen dagegen einst den Slogan: „Jede Generation sorgt für sich selber.“ Der Spruch ist reif für den Nobelpreis „Politische Dummheit“. Ich habe noch kein Baby gesehen, das sich selber stillt und wickelt. Von der Wiege bis zur Bahre sind wir auf andere angewiesen. Am stärksten zu Beginn und am Ende des Lebenslaufes.
Die „neoliberalen Kapitaldecker“ suggerieren eine Selbstvorsorge, die es realwirtschaftlich gar nicht gibt. Vielleicht konnte man noch in biblischen Zeiten Korn in sieben fetten Jahren speichern, um es in den mageren sieben Jahren zu verbrauchen. Unter Bedingung der modernen Gesellschaft ist dies allerdings eine Sicherheitsillusion. Alle Ansprüche der Jungen sind Ansprüche an das Sozialprodukt der zukünftigen Zeit, in der sie die Ansprüche realisieren. Es wird immer nur der Kuchen gegessen, der jetzt gebacken wird. Alles andere sind juristische Konstruktionen.
Das Kapital ist nämlich nur so viel wert, wie es im Zeitpunkt der Inanspruchnahme genutzt wird und dadurch Rendite abwirft.
Eine Aktie eines Unternehmens ist z.B. im Zustand einer Insolvenz wenig wert. Die Immobilie die keine Mieter findet, bringt keine Einnahmen.
Es führt kein Weg an der Mackenroth‘schen Erkenntnis vorbei: „Alle soziale Sicherheit schöpft aus laufende Sozialprodukte“.
Arbeit ist der Schlüssel der Alterssicherheit
Am Schicksal der Arbeit hängt zu guter Letzt jeder Sozialstaat.
Die Kapitaldeckung hat gegenüber dem arbeitsbezogenen Umlandverfahren einen Vorteil: Sie ist nicht auf das nationale Quellgebot der Einnahmen angewiesen, sondern kann weltweit anlegen und abschöpfen. Doch diese Stärke verwandelt sich, wie die letzten Jahre jedem vor Augen geführt haben, in ein elementares Debakel. Kaptaldeckung ist nämlich von den Turbulenzen der globalen Finanzenarbeit abhängig.
Es ist übrigens fraglich, ob die Länder der Dritten Welt auf Dauer mit unserem Kapital die Zinsen erwirtschaften, mit denen unsere Alten ihr Alter finanzieren.
Das weltweite Erwachen
Weltweit kamen die kapitalgedeckten Systeme ins Schleudern und viele Privatsysteme brachen wie Kartenhäuser zusammen, darunter das Mustermodell der Chicago Boys, nämlich Chile, das mit Pinochet auf die Verheißung der Kapitaldeckung hineingefallen war.
Die Staaten mussten weltweit die Finanzsysteme, von denen die Kapitaldeckung ein Teil ist, mit viel, viel Geld aus der Misere ziehen. Die Privatisierer verdanken ihre Rettung den Staaten, die sie ersetzen wollten.
Wer 2015 noch Kapitaldeckung als Rettung der Rentenversicherung anpreist, muss entweder dumm oder böswillig sein (oder er hat die letzten 10 Jahre auf einem Eisberg ohne Funkverbindung aus der Welt gelebt).
Kapitaldeckung und Demografie
Auf die demografische Entwicklung hat die Kapitaldeckung jedenfalls keine ausreichende Antwort.
Wenn die Zahl der Beitragszahler zurückgeht, muss die Privatversicherung reagieren wie die Sozialversicherung, denn beide erhalten ihr Geld nicht vom lieben Gott, sondern von Beitragszahlern. Sie muss Beiträge erhöhen oder Leistungen kürzen.
Die Zahl der Geburten ist für eine Umlage der Alterssicherung weniger ausschlaggebend als die Zahl der Erwerbstätigen und die Entwicklung von deren Produktivität.
Die Zahl der Geburten und Zahl der Erwerbstätigen stehen nicht in festem Zusammenhang. Selbst wenn die Zahl der Geburten ansteigt, aber nicht die Zahl der Erwerbstätigen, ist für die Rente noch nichts gewonnen. Und selbst wenn die Zahl der Erwerbstätigen sinkt, aber die Produktivität der Erwerbstätigen steigt, ist das ein Gewinn für die Rentenversicherung.
Das liegt am Vorteil des Umlagesystems. Es ist auf die Entwicklung der Menschen und ihrer Arbeit und nicht von der Flatterhaftigkeit des Kapitals abhängig.
Der Zusammenhang von Geburtenzahl und Produktivität wird durch einen Blick zurück plausibel: 1900 ernährte ein Bauer in Deutschland drei Nichtbauern. Hundert Jahre später waren es 80. Jetzt müssten wir nach der demografischen Kopfzahltheorie alle verhungert sein. Sind wir aber nicht! Und zwar deshalb nicht, weil die Ergiebigkeit der landwirtschaftlichen Arbeit gestiegen ist.
Wenn also das Ergebnis der Arbeit dank technischen Fortschritts z.B. zehnmal so hoch ist, wie es in den Jahren war, in denen die Geburtenzahl höher lagen, kann der Beitragszahler auch zehnmal mehr Alte als damals ernähren.
Wenn die Geburtenzahl der entscheidende Faktor der Alterssicherung wäre, müssten z.B. die Kongolesen und die Amazonasbewohner eine hervorragende Alterssicherung besitzen. Dort ist die Geburtenrate hoch. Die Alterssicherung ist niedrig, weil ihre Arbeit nicht produktiv genug ist, und so das Ergebnis der Arbeit zum Teilen zu wenig hergibt.
Die Wahrheit: Beiträge steigen
Allerdings gehört zum neuen Wohlstand, dass der Arbeitnehmer mehr von seinem Arbeitsergebnis abgeben und höhere Beiträge zahlen muss. Es verbleibt ihm dennoch ein höherer Wohlstand, weil sein Lohn auch gestiegen ist. Trotz höherer Beiträge steigt das verfügbare Einkommen. Meine Eltern hatten mit 10 Prozent Rentenbeitrag weniger Geld für sich als ihre Enkel mit rund 20 Prozent Rentenbeitrag.
Wozu Geld für Hedge-Pensionsfonds etc.?
Sollen die Arbeitnehmer mit ihren Beiträgen auch noch ihre Metzger finanzieren, die mit ihren Spekulationen die reale Wirtschaft ruinieren? Die großen Pensionsfonds jedenfalls haben viele Arbeitsplätze mit ihrem Finanzgebaren ruiniert.
Im Übrigen gibt es gar nicht so viel Kapitalbedarf, um mit Kapital die gesamte Alterssicherung zu gewährleisten.
Arbeit als Zentrum der Gesellschaft
Die Chancen der Arbeit entscheiden den Chancen der Alterssicherung, das ist die einfache Wahrheit, die dem Rentensystem zugrunde liegt.
Eine Gesellschaft, deren Angelpunkte die Arbeit bietet, ist menschenfreundlicher als eine Wirtschaft, die sich um das Kapital dreht.
Die Bedeutung des Kapitals nimmt im Zeitalter der Informatik rapide ab. Innovation und Wissen wird wichtiger als Kapital. Allerdings wandelt sich der Arbeitsbegriff. Arbeit ist nicht nur die alte Lohnarbeit. Auf die Veränderung der Arbeit muss das Rentensystem reagieren.
Die Grundsatzfrage: Zukunft der Arbeit
Es geht bei der Alternativen „Kapitaldeckung oder Umlage“ nicht nur um eine Rentenfrage, sondern um eine Wertentscheidung, welche die Zukunft der Gesellschaft prägt.
Resümee: Kapitaldeckung – eine Sackgasse
Kapitalgedeckte Privatversicherung hat keine ausreichende Antwort auf das Risiko der Arbeitslosigkeit, der Erwerbsunfähigkeit, Krankheit etc. und keinen Sinn für Familie. Ihr fehlt dafür der Mechanismus des Solidarausgleichs.
Deutschland macht miserable Erfahrung mit der Riester-Rente. Der Kater kommt noch, wenn die heutigen Rentner in die Rente kommen. Dann werden sie feststellen, dass die Riester-Rente das Loch nicht schließt, das sie mit der von ihr bewirkten Absenkung des Rentenniveaus in das gesetzliche Rentensystem gerissen hat.
Gewinner der Riester-Rente sind die Versicherungskonzerne und die Arbeitgeber, die zur Riester-Rente keinen Arbeitgeber-Beitrag zahlen.
Niedrigere Rente für mehr Beiträge
Am Ende der Riester-Rente steht das paradoxe Ergebnis: Niedrigere Alterseinkommen und höhere Beiträge.
Diese „Verrücktheit“: Mehr „Beitrag“ für weniger „Rente“ kommt auch deshalb zustande, weil die Arbeitgeber keine Beiträge zur Riester-Rente zahlen und die „Verwaltungskosten“ der Privatversicherung sehr viel höher sind, als die Rentenversicherung. (1,5 Prozent – 15 Prozent/25 Prozent).
Die staatlichen Zuschüsse werden von den Kosten der Verwaltung und der Rendite aufgefressen, welche die Versicherungs-Konzerne für sich abzweigen.
Kapitalgedeckte Alterssicherung ist kein Ersatz für die solidarische Rente. Die Privatversicherung kann die Sozialversicherung ergänzen, aber nicht ersetzen.
Die Kapitaldeckung ist die Sackgasse für die Rentensicherung.