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Die wichtigsten Ergebnisse der GÖG-Studie:
- 420.000 Personen sind in Österreich von schwerer Ernährungsarmut betroffen – sie mussten im vergangenen Jahr Mahlzeiten ausfallen lassen oder hatten einen Tag lang nichts zu essen.
- Bei 1,1 Millionen Menschen spricht man von moderater oder leichter Ernährungsarmut – für diese Menschen ist es schwierig, sich eine ausgewogene und gesunde Ernährung zu leisten, und der Lebensmitteleinkauf ist mit Ungewissheiten verbunden.
- Verantwortlich für Ernährungsarmut sind vor allem fehlende Geldressourcen und durch Stress bedingte fehlende Zeitressourcen sowie die Leistbarkeit von Lebensmitteln.
- Betroffen sind vor allem vulnerable Gruppen, etwa arbeitslose oder chronisch kranke Menschen.
Die Folgen: kürzere Lebenserwartung und sozialer Ausschluss
Die gesundheitlichen, aber auch sozialen Folgen von Ernährungsarmut sind gravierend. Denn gemeinsame Mahlzeiten oder auch der Topfenstrudel im Kaffeehaus sind wichtige Aspekte gesellschaftlichen Lebens. Von materieller Ernährungsarmut Betroffene werden dadurch sozial exkludiert. Häufig können sie keine Essenseinladungen zu Hause aussprechen oder sich außer Haus mit Bekannten verabreden. Expert:innen sprechen in diesen Fällen von sozialer Ernährungsarmut, überproportional betroffen sind dabei Frauen, Alleinstehende und Alleinerzieher:innen.
Auch für die Gesundheit der Menschen und das Gesundheitswesen in Österreich als Ganzes ist Ernährungsarmut ein Mammutproblem. In Europa wird jeder sechste Todesfall auf schlechte Ernährungsweisen zurückgeführt, die durch Ernährungsarmut noch gefördert werden. Hier wird aber auch ein Problem in der Sichtweise von Ernährungsarmut deutlich, denn diese bedeutet eben nicht nur, zu wenig zu essen zu haben: Der erzwungene Griff zum billigsten Lebensmittel ist oft auch der zu nährstoffarmen Lebensmitteln. So bekommt man zwar genug Kalorien, eventuell sogar zu viele, aber wichtige Nährstoffe wie Vitamine oder Ballaststoffe fehlen. Das Phänomen ist auch als „Mangel im Überfluss“ bekannt und gefährdet auf Dauer die Gesundheit.
Günstige Lebensmittel und mehr Gemeinschaft als Lösungen
Corona-Krise, Teuerung, wirtschaftliche Lage: In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass eine Fortschrittserzählung immer besserer Lebensumstände vor allem für die Lohnabhängigen nicht aufrechtzuerhalten ist. Viele Menschen spüren eine Verschlechterung ihrer Alltagssituation. Ende 2023 gab etwa jede:r Fünfte an, Einkommensverluste im Vergleich zum Vorjahr erlitten zu haben und Miete, Energie und andere Fixkosten werden immer teurer. Das Problem ist, dass jene, die zum Sparen gezwungen werden, am ehesten bei den Lebensmitteln ansetzen können. Wenig überraschend, dass Tafeln und Sozialmärkte seit mehreren Jahren von der steigenden Nachfrage berichten.
Die Möglichkeit zu gesunder Ernährung ist ein Menschenrecht, ihre Ermöglichung eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Es braucht deswegen eine aktive Ernährungspolitik, die über Beratungsangebote und die Erstellung von Ernährungspyramiden hinausgehende Maßnahmen umfasst. Ernährungspolitik muss Ernährungsarmut aktiv bekämpfen – und sie könnte dabei gleichzeitig Nachhaltigkeits- und Gesundheitsziele berücksichtigen.
Fragt man von Ernährungsarmut Betroffene, so wird deutlich, dass die zwei größten Hebel zur Bekämpfung von Ernährungsarmut in der strukturellen Verbesserung von Geld- und Zeitressourcen liegen. Konkret muss die finanzielle Situation von Armutsbetroffenen verbessert werden, andererseits müssen Strukturen geschaffen werden, welche eine gesunde und gute Ernährung für die Vielen ermöglichen.
Konkrete Ansatzpunkte für Maßnahmen gegen Ernährungsarmut:
- Verbesserte Existenzsicherung und damit Erhöhung der zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen: Anhebung und regelmäßige Valorisierung von Mindestpension, Sozialhilfe/Mindestsicherung und Arbeitslosengeld; Einführung einer Kindergrundsicherung.
- Preisdatenbanken und Preiskontrollen zur Vermeidung von übermäßigen Preissteigerungen im Lebensmitteleinzelhandel.
- Kostengünstige Gemeinschaftsverpflegung: gratis Mittagessen für jedes Schulkind, qualitativ hochwertige Verpflegung in Gesundheits- und Sozialeinrichtungen.
- Programme für gesundes Frühstück in Schulen und Kindergärten.
- Förderung genossenschaftlicher Initiativen als Alternative zu Lebensmittelmärkten.
- Werbeverbot für ungesunde Lebensmittel im Umfeld von Schulen und Kindergärten.
Tolle Initiativen – aber es braucht politische Lösungen
Die Konsolidierungspläne der blau-schwarzen Koalitionsverhandler:innen lassen befürchten, dass sich die finanziellen Sorgen vieler Menschen verschärfen werden. Unter der Abschaffung des Klimabonus leiden etwa einkommensschwache Familien besonders stark. Hinweise zu einer aktiven Ernährungspolitik finden sich zudem in den Wahlprogrammen von FPÖ und ÖVP nicht. Vorsichtig hoffen lassen stattdessen aber Entwicklungen in der Kommunalpolitik und der Zivilgesellschaft. Die Stadt Wien führte 2023 etwa ein gratis Mittagessen in allen Wiener Ganztagsschulen ein, in Traiskirchen soll die Volxküche leistbare Mahlzeiten für ärmere Haushalte ermöglichen. Und auch in der Zivilgesellschaft entstehen Initiativen, die mitunter Ernährungsarmut bekämpfen wollen. In Wien eröffnen 2025 mit dem MILA Mitmachsupermarkt und Morgenrot gleich zwei genossenschaftlich organisierte Supermärkte, deren Ziel es ist, nachhaltige und gesunde Lebensmittel bereitzustellen. Das genossenschaftliche Prinzip ermöglicht demokratische Teilhabe und bietet die Möglichkeit für die Einzelnen, sich am Ernährungssystem aktiv zu beteiligen.
Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen: Ernährungsarmut ist ein strukturelles Problem, das weder über karitative Einrichtungen noch durch zivilgesellschaftliche Initiativen final gelöst werden kann. Eine gute und gesunde Ernährung ist ein universelles Recht und muss politisch ermöglicht werden!
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