In Aktien investieren und mit konstanten Beitragssätzen beim selben Leistungsniveau mehr Pensionist:innen bzw. Rentner:innen erhalten? – Das hat sich die deutsche Regierung vorgenommen. Ist das der Königsweg, um die Renten „finanzierbar“ zu halten? Es wäre zu schön und einfach, um wahr zu sein. Und es funktioniert auch nicht. Zu glauben, die Gesellschaft bzw. die Summe ihrer Mitglieder kann reicher werden, indem sie sich günstig verschuldet und in ertragreiche Finanztitel investiert, gleicht Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel, eine schlichtweg absurde Geschichte.
Mangelnde Einsicht in die Funktionsweise von Wirtschaft und Finanzmärkten
In Deutschland will die Regierung – wirklich will es wahrscheinlich eh nur die FDP – nun vor dem Hintergrund der Alterung der Gesellschaft Mittel in Aktien anlegen, um die Finanzierung des Rentensystems durch eine „zusätzliche Einnahmequelle“ zu unterstützen. Diese Idee hat auch in Österreich mitunter positive Resonanz erhalten. Doch wie wir ausführen, beruht dieser Vorschlag auf mangelnder Einsicht in die Funktionsweise von Wirtschaft und Finanzmärkten.
Die Geschichte wurde schon oft erzählt und ging oft daneben. Die Erfahrungen mit „kapitalgedeckten“ Zusatzrenten sind auch in Deutschland zumeist äußerst ernüchternd. Hinter der Idee steckt die falsche Vorstellung, dass Finanzmärkte Erträge bzw. Einkommen generieren. Wahr ist, dass die Finanzmärkte Erträge (um)verteilen. Anders als reale Investitionen erzeugen Finanzmärkte keine Renditen, keine zusätzlichen Einkommen, die man nur „einfahren“ muss, sondern verteilen lediglich Renditen bzw. Einkommen zwischen Schuldnern und Gläubigern bzw. zwischen Realwirtschaft und Finanzsektor (um). Einkommen entstehen dabei eigentlich nur bei den Finanzintermediären selbst, und zwar auf Kosten der Veranlagenden und der Schuldner. Ökonomisch bzw. materiell betrachtet wären diese eigentlich als Transfers statt als Einkommen zu qualifizieren, zumindest insoweit, als ihnen keine (allgemeine) Wohlstandssteigerung gegenübersteht. Insgesamt und auch individuell betrachtet geht es dabei um durchaus beträchtliche Beträge, ein Paradebeispiel hierfür war etwa die Londoner City, die ein von „der restlichen britischen Realität“ weit abgehobenes sozioökonomisches Biotop darstellte.
Spekulation auf Pump
Was ist die Ausgangslage? Der Staat steht ebenso wenig wie die Rentenversicherung vor dem „Problem“ Einnahmeüberschüsse veranlagen zu müssen. In diesem Fall würde eine Veranlagung natürlich Sinn machen, wie etwa in Norwegen, wo zeitlich begrenzte Überschüsse aus der Erdölförderung naheliegenderweise nicht irgendwo in der Erde verbuddelt werden. Wenn der Staat oder die Sozialversicherung aber auf den Finanzmärkten in Aktien anlegen wollen, dann müssen sie sich (im Normalfall) eben auf den Finanzmärkten verschulden. Es wird daher die Staatsschuld erhöht und es werden verzinste Anleihen ausgegeben, um damit in (hoffentlich) ertragreichere Aktien zu „investieren“.
Privatpersonen werden aus gutem Grund vor fremdfinanzierter Spekulation gewarnt. Denn wenn die Aktienkurse einbrechen, während die offenen Schulden stabil bleiben, wird die Nettofinanzposition verschlechtert. Und wenn etwa die Zinsen deutlich steigen und der Schuldendienst in die Höhe schnellt, kann man rasch ins Strudeln geraten. Nun kann man einwenden, dass sich der Staat im Gegensatz zu Unternehmen und Privatpersonen leichter refinanzieren kann, weil er kein Ableben hat und durch Steuererhöhungen seine Finanzposition steuern kann. Das ist zwar grundsätzlich richtig und erleichtert entsprechend schuldenfinanzierte reale Investitionen der öffentlichen Hand, ist aber kein Argument für fremdfinanzierte Spekulation.
(Neo-)klassischer Trugschluss der Verallgemeinerung
Bei der Vorstellung, der Staat könne durch die Differenz zwischen niedrigen Kreditzinsen und höheren Aktienrenditen seine Finanzierungsposition verbessern, handelt es sich letztlich um einen klassischen Trugschluss der Verallgemeinerung. Die öffentliche Altersvorsorge ist eine gesellschaftliche Aufgabe und es geht daher um gesamtgesellschaftliche bzw. makroökonomische Dimensionen. Zu glauben, die Gesellschaft bzw. die Summe ihrer Mitglieder kann reicher werden, indem sie sich günstig verschuldet und in ertragreiche Finanztitel investiert, ist absurd.
Ein weitverbreiteter Irrtum besteht zum einen darin, dass man gesamtgesellschaftlich durch jetzige Veranlagung in Finanztitel makroökonomisch künftige Zahlungen vorfinanzieren könne. Auch hier wird die individuelle mit der gesamtwirtschaftlichen Ebene verwechselt. Ein Irrtum, den Ökonom:innen nicht begehen sollten, den aber neoklassische Ökonom:innen regelmäßig machen, weil sie die Gesellschaft als Summe repräsentativer Individuen betrachten statt als aus verschiedenen Sektoren bestehend, bei denen sich Überschüsse der einen und Defizite der anderen eben ausgleichen müssen.
Individuell kann man durch Ersparnisse oder Verschuldung das Einkommen bzw. den Konsum zwischen verschiedenen Lebensabschnitten verschieben. Gesamtgesellschaftlich stellt sich das anders dar. Finanzmärkte verteilen makroökonomisch zwischen z. B. Gläubigern und Schuldnern und nicht zwischen der Gegenwart und der Zukunft. Gesamtwirtschaftlich stehen den Zinserträgen bzw. Vermögen der Sparer:innen die Zinsaufwendungen bzw. Schulden der Schuldner:innen gegenüber. Was für die bzw. den Einzelne:n den Eindruck erweckt, Einkommen über die Lebenszeit zu verteilen, stellt gesamtwirtschaftlich betrachtet einen Transfer zwischen Sparer:innen und Schuldner:innen dar.
Finanzmärkte sind keine Quelle der allgemeinen Wohlstandsmehrung
Ein weiterer nicht weniger gravierender Irrtum besteht darin, zu glauben, dass durch Veranlagungen auf den Finanzmärkten makroökonomisch betrachtet zusätzliche Einkommensquellen erschlossen würden und man nur ausreichend Mittel veranlagen müsse, um diese „Quelle der allgemeinen Wohlstandsmehrung“ auch entsprechend nutzen zu können. Wäre es so einfach, dass man nur günstige Kredite aufnehmen muss, um in ertragreiche Aktien zu investieren, um reale Probleme zu lösen, gäbe es keinen Grund, sich dabei auf Rentensysteme zu beschränken. Man könnte viel größer denken und damit das Problem der Staatsschulden in überschaubarer Zeit überhaupt aus der Welt schaffen. Alle Staaten („aus eigener Kraft“ zumindest jene mit guter Bonität) könnten kurzfristig ihre Staatsschuld erhöhen und die aufgenommenen Mittel in Aktien investieren. In der Folge würde aus dem Renditevorteil der Aktien gegenüber den Zinsen, die für die Staatsanleihen gezahlt werden müssen, die Verschuldung zurückgeführt werden. Oder warum nicht gleich auch die Armut durch Ausnutzung der vermeintlich sicheren Rendite-Zins-Arbitrage aus der Welt schaffen? Es ist offensichtlich, dass das nicht funktionieren kann. Jede Rendite beruht auf Verteilung erwirtschafteter Einkommen innerhalb der Gesellschaft und nicht auf zusätzlichem Einkommen, das einfach so vom Himmel fällt. Womit wir wieder bei Münchhausens Ritt auf der Kanonenkugel wären.
Die Finanzmärkte sind keine Institutionen, die der Gesellschaft zusätzliche Erträge liefern, sondern ein Handelsplatz bzw. eine Plattform, auf der zwischen Akteur:innen mit höchst unterschiedlichen Vermögenspositionen sowie unterschiedlichen Liquiditätsbedürfnissen und Erwartungen gehandelt und erwirtschaftetes Einkommen (um)verteilt wird. Wer glaubt, dass etwa steigende Aktienkurse gleichbedeutend mit erwirtschaftetem zusätzlichem Einkommen wären, das dann auch zusätzlich verteilt werden kann, übersieht diesen grundlegenden Zusammenhang.