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Auskommen mit dem Einkommen: eine Frage des Kontextes
Ob und inwiefern ein Auskommen mit dem Einkommen während der Erwerbsarbeitslosigkeit möglich ist, hängt vor allem von den begleitenden Kontextfaktoren ab. Vorteilhaft wirkt sich ein (finanziell) unterstützendes Umfeld, ein (vergleichsweise) hohes Arbeitslosengeld oder die Möglichkeit des Rückgriffs auf Ersparnisse aus. Sind derartige Unterstützungen gegeben, bedarf es für ein Auskommen mit dem Einkommen keiner bis geringer Einschränkungen (Typ 1 und Typ 2).
„Ich bekomm Arbeitslosengeld, ich hab ja sehr lange Vollzeit gearbeitet. Nachdem mein Partner gut verdient, wäre es nicht das Thema, dass ich jetzt ganz arm bin oder mir gar nichts leisten kann. Wir wohnen gut.“ (IP_17, Typ 1)
Anders erlebt wird die Situation von Betroffenen mit Betreuungspflichten, längerer Dauer der Arbeitslosigkeit oder gesundheitlichen Einschränkungen. Teilweise gestaltet sich das „Über-die-Runden-Kommen“ in der Erwerbsarbeitslosigkeit unter solchen Bedingungen als Drahtseilakt, der nicht für alle bewältigbar ist (Typ 3 und Typ 4).
„Also, gerade wenn das Geld so knapp ist ... also die letzten Monate musste ich mir aussuchen: Zahl ich die Miete oder kaufe ich Essen für meine Kinder? Das ist die Wahrheit.“ (IP_4, Typ 4)
Zur Rolle vorhergehender Beschäftigungsverhältnisse und Arbeitsbedingungen
Personen, die kaum oder nicht mehr über die Runden kommen (Typ 3 und 4), arbeiteten vor der Erwerbsarbeitslosigkeit häufig in körperlich fordernder Hilfsarbeit (z. B. Möbeltransport), im serviceorientierten Dienstleistungssektor (z. B. Gastronomie) oder im Pflege- oder Heimhilfebereich. Aus dem Lohnniveau bzw. dem oft niedrigeren Arbeitszeitausmaß (Teilzeit) dieser Branchen ergibt sich ein vergleichsweise niedriges Arbeitslosengeld. Außerdem gehen belastende Arbeitsbedingungen oft nicht spurlos an den Betroffenen vorüber. Sich daraus ergebende gesundheitliche Einschränkungen limitieren Zukunftsperspektiven auf die Berufstätigkeit, was als Belastung erlebt wird.
Vorteilhafter stellt sich die Situation für Interviewte dar, die zuvor als Facharbeitskräfte, in Leitungsfunktionen oder Berufen „gehobenerer“ Dienstleistungsbereiche (z. B. Werbebranche) beschäftigt waren (Typ 1 oder Typ 2). Dies liegt zum einen an einer komfortableren finanziellen Situation, die unter anderem auf das vergleichsweise höhere Arbeitslosengeld zurückzuführen ist. Zum anderen bestehen hier intakte berufliche Zukunftsperspektiven. Erwerbsarbeitslosigkeit wird eher als eine vorübergehende „Phase“ erlebt, einer Rückkehr in den zuvor ausgeübten Beruf stehen meist keine gesundheitlichen Einschränkungen im Weg.
Ungleicher Zugang zum Arbeitsmarkt
Bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung sehen sich vor allem ältere, gesundheitlich eingeschränkte sowie Personen mit Migrationshintergrund mit Vorurteilen und Diskriminierung konfrontiert. Hinzu kommt die mangelnde „Betreuungskompatibilität“ von Arbeitsplätzen als limitierender Faktor bei gegebenen Betreuungspflichten. Vor allem Interviewte, die zuvor in eher niedrig qualifizierten Bereichen gearbeitet hatten, berichten von nicht erfüllten Wünschen nach Höher- oder Umqualifizierung seitens des AMS. Stattdessen sehen sie sich durch Stellenangebote im bisherigen Tätigkeitsfeld in Berufe (zurück-)gedrängt, die aufgrund belastender Arbeitsbedingungen als nicht mehr tragbar empfunden werden. Vor allem bei kurzer Dauer der Erwerbsarbeitslosigkeit und qualifikationsbedingt guten Berufsperspektiven wird der Kontakt mit dem AMS aber tendenziell positiv oder zumindest neutral beschrieben.
Erwerbsarbeitslosigkeit als psychische und soziale Belastung
Finanzielle Unsicherheit verschärft oftmals psychische Problemlagen. Betroffene berichten von Existenzängsten, Stress, geringem Selbstwert und negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit während der Erwerbsarbeitslosigkeit. Außerdem kommt es zu einer Einschränkung der sozialen Teilhabe. Kostenpflichtige Aktivitäten sind teilweise nicht mehr leistbar, was zu einer Einschränkung der Freizeitaktivitäten führt. Hierunter leiden besonders Kinder, aber auch Freundschaften und Partnerschaften.
„Also, es ist dann der Geldaspekt immer dahinter. Wenn man dann sagt: Ja, ich kann das nicht bezahlen; zum Beispiel letztens eine Bekannte will mal ins Kino gehen, sage ich: Ja, ich muss erst schauen, ob ich mir das alles leisten kann.“ (IP_32, Typ 3)
Bei Personen mit einer gewissen finanziellen Absicherung und einer Perspektive auf einen Arbeitsplatz in näherer Zukunft sind negative, psychische und soziale Auswirkungen nicht oder weniger wahrnehmbar.
Durchgängiger Wunsch nach Arbeit
Erwerbsarbeit fungiert in unserer Gesellschaft zudem als zentrale Grundlage für Status und Identität. Ohne Erwerbstätigkeit bricht eine wesentliche Quelle sozialer Anerkennung weg, was vor allem bei längerfristig Erwerbsarbeitslosen zu Selbstzweifeln führt.Außerdemwerden die fehlende Tagesstruktur und Perspektivlosigkeit als Belastung empfunden. Die Interviewpartner:innen äußern den starken Wunsch nach Aufnahme einer Beschäftigung.
„Ich will nicht zu Hause bleiben. Ich mag nicht zu Hause sitzen. […] Aber ich will Arbeit.“ (IP_35, Typ 3)
Anders stellt sich die Situation einzig bei Interviewpartner:innen dar, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation keine Perspektive mehr auf einen Arbeitsplatz sehen und für die die permanente Erfolglosigkeit bei der Arbeitssuche eine zusätzliche Belastung darstellt.
Desillusion statt Vision?
Hinsichtlich „der Politik“ und der Einschätzung, inwiefern ein Einsatz zur Verbesserung der Situation arbeitsuchender Menschen erwartet wird, äußern viele Interviewpartner:innen Skepsis und zeigen sich desillusioniert. In Zweifel gezogen wird etwa, dass sich Politiker:innen für die Situation erwerbsarbeitsloser Menschen interessieren oder sich vorstellen können, was es heißt, mit sehr wenig Geld auszukommen. Äußerst unterschiedliche Positionen kamen betreffend des gewünschten Umgangs mit Erwerbsarbeitslosigkeit zum Ausdruck: Zum einen forderten manche Interviewte den Ausbau sozialstaatlicher Leistungen bis hin zu einem Grundeinkommen. Andere äußerten wiederum den Wunsch nach stärkeren Sanktionen bei nicht regelkonformem Verhalten, verbunden mit der Sorge, dass „die anderen“ das System ausnützen könnten.
Damit bedienen sich auch Erwerbsarbeitslose selbst der im medialen und politischen Diskurs vorherrschenden Dynamik der Abgrenzung „nach unten“. Moralische Wertvorstellungen und soziale Hierarchien prägen die Einstellung zu Anspruchsberechtigung, wie etwa auch Steffen Mau und Kollegen in ihrem Buch „Triggerpunkte“ beschreiben. Für die Umsetzung einer gerechteren Sozialpolitik stellt dieses Spannungsfeld eine zentrale Herausforderung dar.
Bessere Arbeitsbedingungen und Erhöhung der Ersatzrate statt zunehmendem Druck auf Einzelne
Tatsächlich scheiden sich an der Frage nach dem „richtigen“ Umgang mit Erwerbsarbeitslosen auch die (politischen) Geister. Ein Vorschlag, der diesbezüglich immer wieder in den Diskurs eingebracht wird, ist jener des degressiven Arbeitslosengeldes. Ein mit der Dauer der Erwerbsarbeitslosigkeit sinkendes Arbeitslosengeld schaffe demnach Anreize, schnell wieder in Beschäftigung zu kommen. Vor dem Hintergrund unserer Studienergebnisse stellt sich jedoch die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Erhöhung des Drucks auf arbeitsuchende Personen. Gerade für jene, die mit dem Einkommen nicht auskommen, stellen die prekäre finanzielle Lage und die damit einhergehenden psychischen und sozialen Belastungen eher ein Hindernis für die Wiederaufnahme einer Beschäftigung als einen Anreiz dar. Da die prekäre Lebenslage während der Arbeitslosigkeit oft mit den Bedingungen der vorangegangenen Berufstätigkeit zusammenhängt, wird die Bedeutung der Durchsetzung guter Arbeitsbedingungen in allen Branchen als zentrale Präventionsmaßnahme gegen die negativen (finanziellen) Folgen von Erwerbsarbeitslosigkeit deutlich, bei gleichzeitiger Forderung nach Erhöhung der Ersatzrate während der Arbeitslosigkeit.
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