10 Jahre „Reha vor Pension“ – wenig Erfolge, viele Baustellen

28. Mai 2024

Mit 1. Jänner 2024 „feierte“ die Einführung der Invaliditätspension Neu zehnjähriges Jubiläum. Ein erster Blick zeigt, dass es für gesundheitlich beeinträchtige Menschen viel schwieriger wurde, eine Leistung zu erhalten. Und auch der erhoffte Erfolg der schnellen Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt blieb aus. Aus rechtlicher Sicht birgt das aktuelle Reha-System im Bereich des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit einige Probleme, die bei den Betroffenen zu großer Unzufriedenheit führen.

Grund der Gesetzesänderung

Durch das Sozialrechtsänderungsgesetz 2012 (SRÄG 2012) kam es zu gesetzlichen Änderungen im Bereich der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension. Das Hauptziel dieser Änderung war „Rehabilitation vor Pension“. Man wollte dadurch die Menschen nach ihren Erkrankungen wieder schneller am Arbeitsmarkt eingliedern. Ab 1.1.2014 wurde die befristete Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension abgeschafft und durch zwei neue Leistungen, nämlich das Rehabilitationsgeld und das Umschulungsgeld, ersetzt. Nur mehr Personen, bei denen eine dauerhafte Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit festgestellt wird, erhalten eine Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension. Nun, zehn Jahre später, möchten wir einen kritischen Blick auf dieses System werfen:

Antragstellung

Aktuell muss ein Antrag auf Gewährung einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bei der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) gestellt werden. Aufgrund einer gesetzlichen „Fiktion“ (§ 361 ASVG) wird dieser Antrag vorrangig als Reha-Antrag gewertet. Im aktuellen System erhalten die Antragsteller:innen unter Umständen eine ganz andere Leistung zugesprochen als ursprünglich beantragt. Dies führt bei den Antragsteller:innen zu Verwirrung. Oft stellen sie sich deshalb auf ein anderes Ziel – die Erreichung der Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit – ein. Stellt sich heraus, dass Reha-Maßnahmen zumutbar und zweckmäßig sind und damit von den Antragsteller:innen in Anspruch genommen werden müssen, so ist es schwierig, dass die Versicherten wieder vom „Pensionsziel“ abrücken und zurück auf das ursprüngliche Bestreben – Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt – geleitet werden.

Trennung der beruflichen und medizinischen Reha-Maßnahmen

Weiters ist die Trennung zwischen beruflicher und medizinischer Reha kontraproduktiv. Aktuell werden die Voraussetzungen der beruflichen und medizinischen Reha nacheinander geprüft. Sind die Maßnahmen der beruflichen Reha zumutbar und zweckmäßig, so hat der bzw. die Antragsteller:in Anspruch auf diese Maßnahmen. Lediglich wenn dies nicht der Fall ist, werden die Voraussetzungen der medizinischen Rehabilitation geprüft. Könnten die Maßnahmen aus diesen beiden Bereichen parallel in Anspruch genommen werden, so würde besser auf die individuellen Bedürfnisse der Versicherten eingegangen werden.

Viel Rehageld-Bezug, kaum Umschulungsgeld-Bezug

Die Trennung zwischen medizinischer und beruflicher Reha spielt vermutlich eine Rolle, warum es bis dato zu keinen bzw. fast keinen Gewährungen beruflicher Reha-Maßnahmen gekommen ist.

Von der PVA wird monatlich nur ein geringer Anteil an Maßnahmen der beruflichen Reha bewilligt. Laut Pensionsversicherungsanstalt konnten 55 Prozent der Personen, welche die Maßnahmen erfolgreich beendet hatten, am Arbeitsmarkt wieder Fuß fassen.

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Anders sieht es hingegen bei den Rehabilitationsgeldbezieher:innen aus. Im Dezember 2021 wurden insgesamt 17.068 Personen verzeichnet.

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Wer landet wieder auf dem Arbeitsmarkt?

Die Entwicklung 2016 bis 2021 zeigt sehr deutlich, dass das vorrangige Ziel, Personen mit gesundheitlichen Problemen erfolgreich zu rehabilitieren und sofort wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern, in den meisten Fällen nicht erreicht wird. Die Mehrheit aller Personen, welche aus dem Rehabilitations- bzw. Umschulungsgeld ausscheiden, erhalten im Anschluss eine dauernde Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension.

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Es gibt mehrere Ansatzpunkte, wie man das System verbessern könnte:

Bezeichnung der Geldleistungen:

Die unterschiedlichen Bezeichnungen der Geldleistungen führen zu Unklarheiten bei den Versicherten. Aktuell wird im gegenständlichen Zusammenhang zwischen Krankengeld, Umschulungsgeld, Reha-Geld und Übergangsgeld unterschieden. Für die Auszahlung dieser unterschiedlichen Geldleistungen sind verschiedene Einrichtungen zuständig. Aufgrund der Unterscheidung zwischen dem Versicherungsfall der „Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit“ und der „geminderten Arbeitsfähigkeit“ bedarf es jedenfalls weiterhin einer klaren Trennung zwischen Geldleistungen aus den einzelnen Versicherungsfällen. Angedacht werden könnte eine Umgestaltung des Umschulungsgeldes und des Reha-Geldes. Diese beiden Geldleistungen stammen aus dem Versicherungsfall der „geminderten Arbeitsfähigkeit“ und könnten durch eine Vereinheitlichung hinsichtlich der Bezeichnung und der Zuständigkeit zu mehr Klarheit für die Betroffenen führen.

Schnittstelle Krankengeld und Reha-Geld:

Ebenso könnte die Schnittstelle zwischen Krankengeld und Reha-Geld optimiert werden. So würde die Gewährung des Krankengeldes in einer veränderten befristeten Form Fälle der Aussteuerung verhindern: Solange die Versicherten einen Anspruch auf Entgelt vom Arbeitgeber haben oder aber eine andere Versicherungsleistung erhalten, sollte es gewährt werden.

Befristete Zuerkennung der Geldleistungen:

Außerdem sollte überdacht werden, ob eine unbefristete oder befristete Gewährung der Geldleistung für die Betroffenen mehr Sicherheit bietet. Die Systemumstellung brachte die Gewährung von Reha-Geld in unbefristeter Form. Auch wenn diese Änderung auf den ersten Blick als positive Veränderung für die Betroffenen wirkt, zeigt die Praxis ein anderes Bild. Die PVA kann das Reha-Geld nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen entziehen und darum wird die Leistung sehr „vorsichtig“ gewährt.

Präventionsmaßnahmen:

Des Weiteren muss das aktuell wenig ausgeprägte System an Präventionsmaßnahmen angeführt werden. Im derzeitigen System fehlen wirksame Maßnahmen im Bereich der Prävention. Gerade eine vorbeugende Beratung und ein früher Start von Maßnahmen erhöht die Erfolgschancen auf die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. Auch die Kosten würden dadurch sinken.

Entgeltschutz kombiniert mit Berufsschutz:

Zuletzt ist zu überlegen, ob der aktuell konzipierte Berufsschutz nicht überholt ist. Angedacht werden könnte ein echter Entgeltschutz, kombiniert mit einem modifizierten Berufsschutz, um die Zahl der Versicherten, denen ein Schutz geboten wird, zu erhöhen.

Schlussfolgerungen

Nach zehn Jahren „Rehabilitation vor Pension“ zeigt sich, dass das erhoffte Ziel, Personen mit vorübergehenden medizinischen Problemen nach kurzer Zeit zu rehabilitieren und anschließend auf dem Arbeitsmarkt wieder einzugliedern, in den meisten Fällen nicht erreicht wurde. Der Großteil der Personen, welche aus dem Rehabilitationsgeld ausscheiden, erhalten im Anschluss eine Pensionsleistung. Es zeigt sich deutlich, dass das Gesetz einige Baustellen aufweist, weshalb die Umstellung auf „IP Neu“ bis dato nicht so erfolgreich war wie erhofft. Mit kleinen Änderungen, wie oben bereits erwähnt, könnte sich das aber schnell ändern. Denn grundsätzlich wäre das Ziel, die Menschen so schnell wie möglich am Arbeitsmarkt wieder einzugliedern bzw. so lange wie möglich am Arbeitsmarkt zu halten, für alle von Vorteil.

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