Smombies in der Fake-News-Bubble?!: Politische Partizipation von Jugendlichen

24. Juni 2024

„Fridays for Future“-Aktivist:innen im Gymnasium, „Smombies in der Fake News Bubble“ beim AMS? In dem kürzlich abgeschlossenen Forschungsprojekt „Smombie in der Fake-News-Bubble?!“ wurden derartige klassistische Zuschreibungen auf den Prüfstand gestellt. Unsere Untersuchung zur politischen Partizipation sozial benachteiligter Jugendlicher im digitalen Raum macht deutlich, dass unterschiedlichste politische Praktiken auch dort anzutreffen sind, wo manch eine:r sie nicht vermuten würde.

Ob Menschen politisch partizipieren können, hängt mit dem Ein- oder Ausschluss bei Wahlen aufgrund der Staatsbürgerschaft, aber auch ihrer Ausstattung mit sozioökonomischen Ressourcen – finanzielle Mittel, formale Bildungsabschlüsse oder Berufsprestige – zusammen. Dies zeigt beispielhaft eine Studie zur Wahlbeteiligung in Wien. Politische Partizipation beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Abgeben der Stimme bei Wahlen, sondern umfasst auch Interesse an Informationen und Diskussionen zu Politischem oder die Beteiligung an Bürger:innenbeteiligungsprozessen.

Politische Partizipation und soziale Ungleichheit im Kontext der Digitalisierung

Mit der Digitalisierung findet politische Partizipation – oder der Ausschluss von dieser – zunehmend im digitalen Raum statt. Damit werden neue Ressourcen für den Zugang notwendig, wobei vor allem digitale Kompetenzen (z. B. kritische Medienkompetenz) an Bedeutung gewinnen. Auch diese Ressourcen sind ungleich verteilt. Diese Ungleichverteilung zeigt sich bereits bei Jugendlichen. Digitale Kompetenzen gerechter zu verteilen wird damit zu einer wichtigen Grundvoraussetzung für das Schaffen egalitärer Zugangsmöglichkeiten zum demokratischen System. Medienpädagogische Ansätze, die sich speziell an Jugendliche aus benachteiligten sozialen Lagen richten, stellen eine Methode dar, um diese Schieflage zu überwinden. Das Projekt „Smombie in der Fake-News-Bubble?!“ widmete sich der Entwicklung eines solchen Ansatzes.

Alles Smombies?

Während Jugendlichen aus bildungsaffinen Haushalten politisches Handeln on- und offline attestiert wird, sind Jugendliche aus bildungsfernen Haushalten häufig mit Zuschreibungen wie „konsumorientiert“ und „wenig politisch involviert“ charakterisiert. Auch wenn es evident ist, dass der Zugang zu digitalen Informationen, digitalen Kompetenzen und der digitalen Hardware abhängig von sozioökonomischen Faktoren ist, bergen klassistische Pauschalisierungen wie die der „digital Abgehängten“ die Gefahr von Abwertung und Diskriminierung.

Möchte man Jugendliche mit medienpädagogischen Angeboten dort abholen, wo sie sind, gilt es, an bestehenden Praktiken politischer Online-Partizipation anzusetzen und klassistische Zuschreibungen empirisch auf den Prüfstand zu stellen.

Überbetriebliche Lehrausbildung als Feld

Mit unserem Forschungsprojekt widmeten wir uns Jugendlichen, die im Rahmen der „AusBildung bis 18“ eine überbetriebliche Lehre (ÜBA) besuchten. Die überbetriebliche Lehre stellt für Jugendliche, die am regulären Lehrstellenmarkt keinen Ausbildungsplatz bekommen, eine Möglichkeit dar, eine Lehre im Rahmen einer Schulungseinrichtung abschließen zu können. Die Entscheidung, mit Teilnehmer:innen aus der „AusBildung bis 18“ bzw. konkret aus der überbetrieblichen Lehrausbildung zu arbeiten, wurde auf Basis von Evaluierungen getroffen, die zeigen, dass diese großteils aus sozial benachteiligten Lagen kommen. Gleichzeitig kann ein Fehlen systematischer Vermittlung digitaler Kompetenzen bzw. kritischer Medienkompetenz in diesen Angeboten konstatiert werden.

Um klassistische Zuschreibungen auf den Prüfstand zu stellen, wurde ein partizipatives Forschungsdesign mit Jugendlichen umgesetzt. In Gruppendiskussionen mit Jugendlichen aus unterschiedlichen Ausbildungsberufen sprachen wir über ihr Online-Verhalten und ihre Meinung zu Themen rund um politische Online-Partizipation, die von den Jugendlichen als relevant erachtet wurden. Bei der Auswertung des Datenmaterials stellte sich heraus, dass die Jugendlichen in Sachen politischer Online-Partizipation keineswegs einen homogenen Block darstellen, sondern sich in ihrer Nutzung digitaler Medien stark voneinander unterscheiden.

Vielfältige Handlungsweisen von Jugendlichen

Vier idealtypische – und damit verallgemeinernde – Handlungstypen ließen sich bilden. Konstruiert wurden diese Handlungstypen entlang von vier Themenbereichen, die in den Gruppendiskussion eine wichtige Rolle spielten: politische Inhalte in digitalen Medien, Bewertung des Wahrheitsgehaltes von Informationen, Umgang mit Hass im Netz sowie Positionierung zu Aushandlungen um Geschlechterverhältnisse und Sexualität im Internet. Benannt wurden die Typen nach Aussagen, die die Haltung der Jugendlichen zu digitalen Medien widerspiegeln.

Am geringsten ausgeprägt stellt sich die politische Online-Partizipation bei Typ 1 („Lasst mich in Ruhe!“) dar. Dieser Typ zeichnet sich durch eine ausgeprägte Vermeidung der Auseinandersetzung mit politischen Inhalten in digitalen Medien aus. Information wird pauschal misstraut, wobei diesem Misstrauen keine kritische Medienkompetenz, sondern diffuses „Bauchgefühl“ zugrunde liegt. Hass im Netz wird zwar problematisiert, Praktiken der digitalen Zivilcourage bleiben jedoch aus. Aushandlungen um Geschlechterverhältnisse und Sexualität im Internet werden generell als störend klassifiziert.

I: „Einer redet so und der andere redet so. Ich will es mir nicht anhören.“

Typ 2 („Ich schau nur.“) rezipiert politische Inhalte in digitalen Medien zwar, bringt sich jedoch nicht aktiv in Diskussionen ein. Auch hier werden Informationen auf Basis von „Bauchgefühl“ beziehungsweise „Hausverstand“ bewertet, es kommt jedoch zu einer Differenzierung zwischen glaubwürdigen und unglaubwürdigen Informationsquellen. Gegenstrategien zu Hass im Netz, wie Melden und Blockieren, gehören zwar zum Handlungsrepertoire, werden jedoch nicht als besonders effektiv betrachtet. Aushandlungsprozesse zu Geschlechterverhältnissen und Sexualität werden eher passiv beobachtet und positiv bewertete Beiträge geliked, eigene Beiträge werden jedoch nicht in Diskussionen eingebracht

I: „Ich schaue es mir nur an, weil ich will da nicht irgendwie reinkommen, und da wird jemand beleidigt, also schaue ich es mir lieber an.“

Für Typ 3 steht „Spaß haben und authentisch bleiben!“ im Mittelpunkt der Online-Aktivitäten. Politische Inhalte werden als positiv wahrgenommen, wenn deren Übermittler:innen als authentisch und unterhaltsam wahrgenommen werden. Auch Informationsquellen werden nach diesem Kriterium bewertet. Hass im Netz gehört für diesen Typ „einfach dazu“, Nutzer:innen digitaler Medien müssten lernen, mit diesem Phänomen „klarzukommen“. Für Betroffene von Hass im Netz wird etwa im Rahmen von Aushandlungsprozessen von Geschlechterverhältnissen und Sexualität zwar Partei ergriffen, hierbei stehen jedoch keine politischen Motive im Vordergrund.

I: „Mmm, von Marco Pogo habe ich gerade zuletzt so ein lustiges Video gesehen, wo er ein bisschen mit Comedy da so gemacht hat oder erklärt hat, was er machen möchte.“

Das Diskutieren, Teilen und Erstellen politischer Inhalte ist fester Bestandteil des Handlungsrepertoires von Typ 4 („Es muss nicht so sein, wie es ist!“). Wissenschaftliche Fundierung und journalistische Qualität wird zur Bewertung des Wahrheitsgehalts von Informationen herangezogen. Blocken und Melden zählen ebenso zu Umgangsformen bezüglich Hass im Netz wie das Kontern entsprechender Inhalte. Im Zusammenhang mit Aushandlungen zu Geschlechterverhältnissen und Sexualität werden Sexismus und Queerfeindlichkeit als gesellschaftliche Grundlage für identifizierte Probleme beschrieben, deren Überwindung Zielsetzung von Online-Partizipation ist.

I: „Und wenn ich dachte: Okay, das Thema ist mir jetzt wichtig; oder es ist irgendwas passiert, was schlimm war, und ich will, dass jeder davon erfährt, dann trage ich das halt in die Story und warte dann auf Reaktionen, auf Meinungen.“

Praktische Anwendung – typensensibler medienpädagogischer Zugang

Die Studienergebnisse machen deutlich, dass pauschale Zuschreibungen gegenüber Jugendlichen in arbeitsmarktpolitischen Angeboten dem Abgleich mit der Realität nicht standhalten. Für die medienpädagogische Praxis bedeutet dies, dass „One size fits all“-Zugänge bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen keinen geeigneten Ansatz zur Förderung politischer Online-Partizipation durch Jugendliche der Zielgruppe darstellen. Um der Heterogenität angemessen zu begegnen, bedarf es eines typensensiblen Ansatzes.

Ein solcher Ansatz wurde im Rahmen des Projektes entwickelt und in einer Handreichung für Trainer:innen zur Förderung der Online-Partizipation von Jugendlichen dargestellt. Neben einem Überblick über die Studienergebnisse enthält diese Handreichung Übungen zu vier Themenbereichen: Fake News, Politik in digitalen Medien, Hass im Netz sowie Geschlechterverhältnisse und Sexualität. Die Handreichung enthält zu jedem Thema eine Übung zur Vermittlung digitaler Kompetenzen im Sinne der Förderung von Online-Partizipation. Pro Übung wird für jeden Typ sowohl ein bestärkendes bzw. affirmatives als auch ein entwicklungsorientiertes bzw. transformatives Lernergebnis formuliert, wie das folgende Beispiel zeigt.


© A&W Blog


Affirmative Lernziele unterstützen Jugendliche dabei, sich die eigene Handlungsorientierung in digitalen Medien bewusst zu machen, diese anzuerkennen sowie jene Kompetenzen zu stärken, die bei bestehender Handlungsorientierung wünschenswerte Ergebnisse mit sich bringen. Transformative Lernziele unterstützen Jugendliche beim kritischen Hinterfragen der eigenen partizipativen Praxis in digitalen Medien, indem Veränderungsbedarf in Bezug auf die eigene Handlungsorientierung der partizipativen Praxis erkennbar gemacht wird. In diesem Fall werden neue Fähigkeiten erworben und die Weiterentwicklung der eigenen Handlungsorientierung unterstützt.

Politische Online-Partizipation ermöglichen

Im Rahmen des Projektes wurde mit dem Sichtbarmachen der Heterogenität bezüglich Praktiken politischer Online-Partizipation bei Jugendlichen der überbetrieblichen Lehre die Grundlage für einen medienpädagogischen Ansatz entwickelt, mit dem bei der Vermittlung digitaler Kompetenzen zur Förderung politischer Online-Partizipation auf bereits bestehende Praktiken aufgebaut werden kann. Dreh- und Angelpunkt des erarbeiteten medienpädagogischen Ansatzes sind damit die Jugendlichen selbst. In diesem selbstermächtigenden Sinne können pädagogische Interventionen sowohl Anlässe für Kritik an Medieninstitutionen und für das Sichtbarmachen von Machtstrukturen sein als auch Gestaltungsräume für einen partizipativen und kritischen Mediengebrauch eröffnen.

Selbstermächtigende medienpädagogische Ansätze stellen aber nur einen kleinen Puzzlestein dafür dar, tatsächliche politische Teilhabe und Teilnahme zu ermöglichen. Sie gleichen etwa nicht den Ausschluss von demokratischen Wahlen aus, mit dem viele Jugendliche arbeitsmarktpolitischer Angebote konfrontiert sind.

I1: „Also, ich will unbedingt Staatsbürgerschaft, wirklich.“

Cf: „Ich habe eine Frage: Wir dürfen hier Führerschein machen, aber wir dürfen nicht wählen, wieso?“

Zudem braucht es die Schaffung von Raum und Zeit zur politischen Auseinandersetzung in schulischen wie außerschulischen Kontexten, um Gestaltungsmöglichkeiten des analogen und digitalen Raums greifbar zu machen. Schließlich prägen neben der Ressourcenausstattung auch die in der Arbeitswelt vorgefundenen Umstände die Möglichkeit der demokratischen Teilhabe.

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