Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat sind der Kapitalseite eigentlich unterlegen – schon allein, weil sie weniger sind. Ein Forschungsprojekt zeigt auf, wie sie trotzdem erfolgreich Einfluss nehmen und mitbestimmen können: mit strategischen Werkzeugen, informellen Kanälen – und trotz struktureller Unterlegenheit.
Die historischen Grundpfeiler
Dass Vertreter:innen der Beschäftigten überhaupt im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzen, ist im internationalen Vergleich gar nicht selbstverständlich. Österreich hat hier vor mehr als 100 Jahren eine Vorreiterrolle eingenommen. Seit dem Betriebsrätegesetz von 1919 müssen Mitglieder der Betriebsräte in Kontrollgremien entsandt werden. Welche Ziele damit verfolgt werden, hat sich seither immer wieder gravierend geändert. Das liegt vor allem an globalen wirtschaftlichen und politischen Umbrüchen.
In der Ersten Republik war das Betriebsrätegesetz von einer „Sozialisierungskommission“ unter den Sozialdemokraten Otto Bauer und Ferdinand Hanusch entworfen worden. Die Kommission sollte nach Möglichkeiten suchen, das Wirtschaftsleben in der jungen österreichischen Republik zu demokratisieren. Eines Tages sollten Arbeiter:innen und Angestellte konkrete und strategische Produktionsentscheidungen treffen und selbst die Leitung der Betriebe übernehmen. Dementsprechend war die Überlegung, dass Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat nicht nur die Unternehmensführung mitüberwachen, sondern auch lernen, was es heißt, ein Unternehmen zu führen. Diese weitreichenden Ansprüche konnten jedoch nie umgesetzt werden. Schon ein Jahr nach Einführung des Betriebsrätegesetzes stellte die Sozialisierungskommission ihre Arbeit ein. Das Ziel einer demokratisch geführten Wirtschaft mit vergesellschafteten Unternehmen rückte in den Hintergrund. Geblieben ist zunächst aber das Recht, zwei Mitglieder des Betriebsrats in „Verwaltungsräte“ (Aufsichtsräte) bei Aktiengesellschaften zu entsenden.
Zweite Republik und neue Bedingungen
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurden im Jahr 1947 die Institutionen der Mitbestimmung im Kontext der Sozialpartnerschaft wieder errichtet. Eine weitere Errungenschaft der Arbeiter:innenbewegung war das Arbeitsverfassungsgesetz von 1974, das die gesetzliche Kontrollmacht der Betriebsräte sogar ausweitete. Seitdem sind Betriebsräte drittelparitätisch in Aufsichtsräten von Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften und GmbHs) vertreten. Ein Ziel, das nun verfolgt wurde, war, die Unternehmen auf ein Geschäftsgebaren zu verpflichten, das auch einem gesamtgesellschaftlichen Interesse dient. Das erwies sich angesichts der strukturellen Übermacht der Kapitalseite aber oft als unrealistisch. Seither hat die Globalisierung des Neoliberalismus die Bedingungen, unter denen Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat agieren, noch weiter verschärft. Durch eine qualitative Befragung habe ich versucht, die aktuellen Herausforderungen und Konflikte zu ermitteln, mit denen die Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat heutzutage konfrontiert sind.
Was ist Erfolg?
Welche Ziele können Betriebsräte heute verfolgen und wie können sie diese realisieren?
Die Zielvorstellungen der von mir interviewten Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat können in zwei relevante Erfolgsdefinitionen zusammengefasst werden. Das interessenpolitische Erfolgsverständnis verfolgt das Ziel, die unmittelbaren Interessen der Belegschaft durchzusetzen. Allerdings übersteigt es die rein betriebsinternen Bestrebungen. Dementsprechend wird nicht nur versucht bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, sondern zum gesamtgesellschaftlichen Wohl beizutragen. Aus dieser Perspektive werden im Aufsichtsrat selbst nur selten direkte Erfolge erzielt. Gleichwohl ist die Arbeit im Aufsichtsrat wichtig, um solche Erfolge im Rahmen der allgemeinen Betriebsratsarbeit zu erringen. Denn im Aufsichtsrat erhalten Betriebsratsmitglieder frühzeitig wichtige Informationen und haben Zugang zu Geschäftsführung, Vorstand und Kapitalvertreter:innen. Eine andere Erfolgsdefinition ist das Ko-Management. In dieser Kategorie beschreiben die Mitglieder der Betriebsräte das Einnehmen und Verstehen der unternehmerischen Sicht als Erfolg. Hier können Mitglieder der Betriebsräte die langfristigen Entwicklungen und Strategien im Unternehmen erkennen, antizipieren und mitgestalten. Zudem werden die Betriebsratsmitglieder in die Gestaltung von Maßnahmen um die strategische Ausrichtung des Unternehmens eingebunden. Diese Einbindung hilft dann, Maßnahmen abzumildern. Beispielsweise bei Standortschließungen durch das Ausverhandeln von Sozialplänen. Allerdings wird anerkannt, dass die Zielrichtung der Geschäftsführer:innen nicht geändert werden kann. Lediglich Begleitmaßnahmen, wie die Einrichtung einer Arbeitsstiftung, können im Sinne der Belegschaft eine Verbesserung oder Abmilderung bewirken.
Das Spannungsfeld Aufsichtsrat
Die beiden Erfolgsdefinitionen sind nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern stellen das Spannungsfeld dar, in dem Betriebsratsmitglieder agieren. Auf der einen Seite steht der Auftrag, die Belegschaftsinteressen zu vertreten, auf der anderen Seite steht die strukturelle Übermacht der Kapitalseite im Aufsichtsrat. Diese Übermacht ist nicht nur numerisch (ein Drittel gegen zwei Drittel), sondern drückt sich auch in kulturellen Dynamiken und einer „Logik der Klassenkultur“ im Aufsichtsrat aus. Unterschiede in Sprache, Kleidungsstil etc. zwischen Arbeitnehmervertreter:innen auf der einen, Kapitaleigner:innen und Management auf der anderen Seite zeigen oftmals das Machtgefälle in „natürlichen kulturellen Unterschieden“ an. Insgesamt hält die Arbeit im Aufsichtsrat alle Mitglieder – und damit eben auch die Belegschaftsvertreter:innen – dazu an, den Blickwinkel des Unternehmens einzunehmen. Eine Voraussetzung, um als Vertreter:in der Belegschaft erfolgreich zu agieren, ist sich dieses Spannungsfelds und der darin wirkenden Kräfte bewusst zu sein.
Praktische Arbeit für Erfolg
Welche Erfolgsdefinition auch immer gerade im Vordergrund steht – für Erfolge im Aufsichtsrat sind vor allem ganz praktische Dinge notwendig. Dazu gehören Werkzeuge wie:
- umfangreiche Vorbereitung
- detaillierte Protokollierung
- Wissen über betriebsinterne Abläufe und
- Fortbildungen und Beratungen (durch AK und Gewerkschaft) für wirtschaftliches und rechtliches Basiswissen
Allerdings ist bei den schwierigen Voraussetzungen, unter denen Betriebsratsmitglieder agieren müssen, ein bedachtes und strategisches Vorgehen wichtig. Als erfolgsversprechend haben sich jedenfalls erwiesen:
- das Aufbauen und Ausüben von Druck und Kontrolle beispielsweise durch unangenehme Fragen an die Geschäftsleitung vor den Kapitalvertreter:innen
- Vorabgespräche zu heiklen Themen mit Eigentümervertreter:innen und Vorständen
- informelle Gespräche und Aufbau einer Vertrauens-/Beziehungsebene
Diese informellen Kanäle und Strukturen dürfen nicht unterschätzt werden. Einige Interviewpartner:innen berichten, dass informelle Gespräche vor, nach und zwischen den offiziellen Sitzungen besonders wichtig, wenn nicht sogar wichtiger als die Sitzungen selbst sind. Die ausgetauschten Informationen umfassen die Metaebene mit Einschätzungen zur Branche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen sowie konkrete Informationen zu Konzern/Betrieb oder der Aufsichtsratssitzungen. Die informellen Strukturen können also eine demokratisierende Wirkung haben. Sie sind oft die Wege, um Mitbestimmung tatsächlich umzusetzen in einem Gremium, das strukturell die Kapitalseite bevorzugt. Allein die Tatsache, dass Betriebsratsmitglieder im Aufsichtsrat mitbestimmen, lässt das gesamte Gremium bedachter agieren. Weiters stärkt der Zugang zu Informationen und Personen die Arbeit der Betriebsratsmitglieder und kann so wiederum zu Erfolgen – auch in Unterzahl – führen.