Wovon hängt der Besitz eines Autos ab?

19. Januar 2023

Der Motorisierungsgrad gibt an, wie viele Autos auf jeweils 1.000 Einwohner:innen angemeldet sind. Da besessene Pkw auch gefahren werden, ist er eine gute Maßzahl für die Autoabhängigkeit einer Gesellschaft bzw. einer Region. Doch welche Faktoren steuern den Autobesitz?

Eine aktuelle Studie im Auftrag der Wiener Linien und der AK zeigt, dass es in Wien einen engen Zusammenhang zwischen dem Kauf von Jahreskarten und der Qualität der öffentlichen Verkehrsmittel (= ÖV) an der jeweiligen Wohnadresse gibt. Im Umkehrschluss kann man also davon ausgehen, dass mit schlechterer Öffi-Anbindung der Autobesitz steigt. Anderseits hängt der Motorisierungsgrad stark vom Einkommen ab: Während vom ärmsten Viertel aller Haushalte in Österreich 45 Prozent keinen Pkw besitzen, geht dieser Anteil beim reichsten Viertel auf elf Prozent zurück. Hingegen verfügen im 4. Quartil der Haushalte 43 Prozent über zwei oder mehr Autos.

Um hier mehr Klarheit über die Wirkungsmechanismen zu schaffen, wurde auf Bezirksebene der Motorisierungsgrad mit den Faktoren Öffi-Anbindung und Wohlstand in Beziehung gesetzt.

Was sind ÖV-Güteklassen?

Die Österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) hat für das gesamte Bundesgebiet erfasst, wie gut die Anbindung mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist. Diese Qualität setzt sich aus drei Kriterien zusammen: So wird (1) die Hochrangigkeit des verfügbaren Verkehrsmittels – z. B. Schnellbahn – mit (2) den durchschnittlichen Intervallen zwischen 6 und 20 Uhr in Beziehung gesetzt. Als dritter Aspekt fließt noch die Entfernung zur Haltestelle in die Bewertung ein; mit zunehmender Distanz sinkt die Güteklasse. Als Ergebnis erhält man Kategorien von A (= sehr gut) bis G. Für diese Untersuchung wurde für jeden politischen Bezirk der Bevölkerungsanteil innerhalb einer Güteklasse mit einem Faktor von 7 (= sehr gut) bis 0 (keine Öffi-Anbindung) multipliziert (siehe Tabelle). Aufsummiert ergibt dies für jeden Bezirk eine Kennzahl der Öffi-Anbindung der Wohnadressen. Je höher dieser Wert ist, desto besser stellt sich die ÖV-Versorgung dar.

Tabelle: Berechnung der Kennzahl für Öffi-Qualität anhand von fünf österreichischen Bezirken

ÖV-GüteklasseABCDEFGnichtsKennzahl für Öffi-Qualität
Multiplikator76543210
  
BezirkBevölkerungsanteil in Prozent innerhalb einer ÖV-Güteklasse 
Alsergrund (Wien)91,408,600,000,000,000,000,000,006,91
Bregenz4,7413,8026,1523,4511,479,836,564,004,01
Jennersdorf0,000,043,046,478,8512,6323,5045,471,17
Mödling2,9212,7628,4327,2817,987,053,100,484,19
Zwettl0,070,411,563,825,7713,1830,1745,021,00

Wohlstand und Autofahren

Die Integrierte Statistik der Lohn- und Einkommensteuer stellt die Einkommen aller Arbeitnehmer:innen, selbstständig Erwerbstätigen sowie der Pensionist:innen für das Jahr 2019 dar. Das entspricht 7,5 Millionen steuerlich erfassten Einkommensbezieher:innen. Zudem werden die Transferleistungen ausgewiesen (Arbeitslosengeld, Kinderbetreuungsgeld, Familienbeihilfe usw.). Den Motorisierungsgrad erhebt ebenfalls die Statistik Austria. Der VCÖ bereitet diese Daten regelmäßig auf Bezirksebene auf; es wurden jene für das Jahr 2021 verwendet.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

In Österreich stellt sich das Bild folgendermaßen dar: Eine geringe Pkw-Dichte rund um 300 gibt es einerseits in den ärmeren Wiener Bezirken (z. B. Brigittenau, Rudolfsheim-Fünfhaus), aber auch im dicht besiedelten „Bobostan“ (Neubau, Josefstadt), wo es eine gute Öffi-Anbindung und wenige Parkplätze gibt. Ein sehr hoher Motorisierungsgrad um 700 und mehr ist in zersiedelten Regionen mit schlechten öffentlichen Verkehrsmitteln (Waldviertel, Süd- und Oststeiermark, Südburgenland) und geringem Wohlstand zu beobachten, was eine soziale Zeitbombe darstellt. Auf der anderen Seite haben aber auch wohlhabende Bezirke (Wien-Innere Stadt, Mödling, Mistelbach) eine hohe Pkw-Dichte. Der erste Wiener Gemeindebezirk wurde allerdings in der Grafik nicht berücksichtigt, da sich hier eine extrem gute Öffi-Anbindung mit dem höchsten Einkommen Österreichs (50.852 Euro) und – aufgrund der zahlreichen Firmenwägen – einem Motorisierungsgrad von 1.082 kombiniert.

Die Abbildung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen Öffi-Qualität und Motorisierungsgrad. Allerdings ist in den wohlhabenderen Bezirken (grün und rot) bei abnehmender Öffi-Qualität eine besonders starke Pkw-Zunahme zu beobachten. Mit anderen Worten: Bedingt durch Statusdenken und die Tatsache, dass man sich Autofahren leichter leisten kann, verfügen Wohlhabendere über mehr Autos, als es die ÖV-Anbindung ihres Wohnortes erfordern würde. Beispiele dafür sind Döbling, Hietzing und Mödling. Auch in den Landeshauptstädten Graz und Linz ist – trotz gutem ÖV-Angebot und eher durchschnittlichen Einkommen – ein überraschend hoher Autoanteil festzustellen. Das kann aber auch an den Dienstwägen der dort angesiedelten großen Unternehmen liegen.

Fazit

Der ÖAMTC hat im November 2021 errechnet, dass die durchschnittlichen Pkw-Kosten bei 460 Euro liegen. Diese haben sich seither erhöht, während die Ausgaben für öffentlichen Verkehr derzeit bei 84 Euro gedeckelt sind (Klimaticket Österreich mit 13 Monaten Laufzeit). Noch größer ist der Unterschied bezüglich der Umweltauswirkungen. Die Autoabhängigkeit zu verringern hat also sowohl finanzielle als auch ökologische Vorteile. In Regionen, die bislang schlecht mit öffentlichem Verkehr versorgt wurden, muss – schon allein aus sozialen Gründen – rasch eine Mobilitätsgarantie (abseits des eigenen Pkw) verwirklicht werden. Diese kann aus reaktivierten Bahnlinien, dichteren Busverkehren, „Mikro-ÖV“ und Anfrufsammeltaxis, Sharing-Angeboten, aber auch Radwegen bestehen.

Bei sehr guter Öffi-Erschließung – also in den dicht besiedelten Wiener Bezirken – ist der Motorisierungsgrad sehr niedrig; und zwar unabhängig vom Durchschnittseinkommen. Sobald die Anbindung an den öffentlichen Verkehr etwas abnimmt, steigt bei Wohlhabenden aber der Pkw-Besitz stark an. Diese sitzen häufig ohne tatsächliche Notwendigkeit im Auto. Hier werden auch „Preissignale“ nicht viel nützen. Vielmehr muss hier durch ordnungspolitische Maßnahmen (Rückbau von Parkplätzen, Fahrverbote, Senken der Tempolimits) dem Autofahren die Attraktivität genommen werden.

Ich bedanke mich bei den Herrn Gerald Kovacic (ÖIR) und Michael Schwendinger (VCÖ) für die Aufbereitung der notwendigen Daten und bei meinem Kollegen Thomas Hader für die spannenden Diskussionen.

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