Wenn der Klassenkampf von oben mit größerer Brutalität geführt wird, droht der „Nebenwiderspruch“ Geschlecht wieder an den Rand gedrängt zu werden. Dabei lässt sich das eine vom anderen gar nicht trennen. Die Struktur unserer Gesellschaft wird nämlich sowohl aus unterschiedlichen Klassen wie auch aus Geschlecht gewebt. Wer sie verändern will, muss an beiden Fäden ziehen.
Der Klassenkampf beginnt mit Cookies. Zumindest in der Online-Version des Duden. Nach Akzeptanz derselbigen wird man unterrichtet, dass es sich dabei um den „Kampf zwischen den gegensätzlichen Klassen um die Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft“ handelt. Die Arbeit gegen Kapital, um es klassisch mit Marx zu sagen. Alles andere ist Nebensache.
Das scheint auch zutreffend, wenn man auf ein jüngeres Beispiel amerikanischer Politik blickt. „Class trumps gender“ – Klasse sticht Geschlecht –, war eine der standardmäßigen Erklärungen, warum bei der Präsidentschaftswahl mehr Frauen Trump als Clinton gewählt hatten – trotz der frauenfeindlichen Ausritte des republikanischen Kandidaten. Letzten Endes wären Frauen aus der Arbeiterschicht eben zuerst einmal Arbeiterinnen und erst in zweiter Linie Frauen. Der soziale Unterschied zwischen den Geschlechtern: doch nur ein Nebenschauplatz im Vergleich zur Auseinandersetzung zwischen den Klassen auf der Hauptbühne.
Wer sein Geld für sich arbeiten lassen kann …
Was unterscheidet diese Klassen denn eigentlich, könnte man an dieser Stelle fragen. Da lässt sich zuallererst der Faktor Vermögen anführen. Wer sein Geld für sich arbeiten lassen kann, wird schwerlich einer ArbeiterInnen-Klasse zuzurechnen sein. Zudem besitzt so jemand in der Regel nicht nur materielle Werte, sondern mit ihnen auch mehr Macht und Einfluss als Besitzlose. Unterschiede im Vermögen sind nicht nur schichtspezifisch, sie existieren auch zwischen Männern und Frauen. Frauen besitzen im Schnitt um 23 Prozent weniger Nettovermögen als Männer. Diese Durchschnittszahl soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unterschiede zulasten der Frauen vor allem am oberen Rand der Vermögensverteilung zu finden sind. Genau bei diesen Haushalten besteht das Vermögen zu einem großen Teil aus Unternehmenseigentum. Damit geht auch wirtschaftliche und politische Macht einher. Und da haben Männer die Nase deutlich vorne.
Frauen bei den Einkommen benachteiligt
Innerhalb der arbeitenden Menschen macht vor allem die Höhe des Einkommens den Unterschied zwischen den Klassen, also Mittel- und Unterschicht, aus. Ein um 37 Prozent geringerer Verdienst sollte reichen, um die Grenze zwischen den beiden sozialen Gruppen zu ziehen. So hoch ist der Unterschied beim jährlichen Bruttoeinkommen zwischen Frauen und Männern – unbereinigt um Teilzeit, Berufe oder Branchen. Schließlich geht es hier nicht in erster Linie um Fragen der fairen Entlohnung (obwohl die natürlich auch wichtig ist), sondern darum, welche finanziellen Mittel am Ende des Tages tatsächlich zur Verfügung stehen, um sein Leben zu bestreiten.
Gerade am unteren Rand der Einkommensskala sind weibliche Beschäftigte verstärkt zu finden: Der Anteil der Niedriglohnbeschäftigung ist bei Frauen dreimal so hoch wie bei Männern. Zudem arbeiten Frauen insgesamt mehr, nämlich 65 Stunden jede Woche im Vergleich zu 63 bei den Männern – unbezahlte Arbeit inklusive. Arbeit – noch dazu sehr dringend notwendige – ist es trotzdem.
Frauen als Klasse?
Sind Frauen also eine eigene Klasse? Das sind sie natürlich nicht. Jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit. Aber sie sind gewissermaßen innerhalb ihrer jeweiligen Klassen unterprivilegiert. Das hat auch die Frauenbewegung hervorgebracht, die gegen die systematische Schlechterstellung ihres Geschlechts angekämpft hat. Dieser Kampf lässt sich auch am Beispiel von Cookies illustrieren, diesmal im kulinarischen Sinne. Noch einmal ein Blick in die amerikanische Politik: Wir schreiben das Jahr 1992. Der Ehemann der späteren Präsidentschaftskandidatin Clinton rittert selbst um die Präsidentschaft. Frau Clinton reagiert auf einen Vorwurf, sie hätte als Anwältin die Position ihres Gatten als Gouverneur ausgenutzt, ärgerlich: „Ich nehme an, ich hätte zu Hause bleiben sollen und Cookies backen.“
Die Gesponsin des Gegenkandidaten, Barbara Bush, forderte sie daraufhin zu einem Backwettbewerb heraus. Clinton war unwillig, musste sich aber dem überwältigenden Druck des Wahlkampfteams beugen: Die amerikanische Öffentlichkeit wollte keksebackende Ehefrauen sehen. Nur ein Mann, der eine solche Frau an seiner Seite hat, so schien es, konnte auch ernsthaft als Präsident in Erwägung gezogen werden.
Klassenkampf statt Cookies
Was diese Geschichte vom Klassenkampf unterscheidet? Es geht hier nicht um Arbeit gegen Kapital, nicht einmal um obere Mittelschicht (Clintons) gegen echten Reichtum (Bushs), sondern um backfreudige versus karriereorientierte Frau. Oder anders: um zwei völlig unterschiedliche Frauenbilder. Und damit um die zentrale Frage, wo Frauen ihren Platz haben. Im Privaten, friedlich am Herd mit der vorrangigen Aufgabe, den Ehemann und seine Nachkommenschaft zu betreuen und ihm den Rücken freizuhalten für seinen Kampf in der Welt draußen? Oder soll die Frau selbst hinausziehen und ihren Platz in Politik oder Wirtschaft finden, sich dabei mit Männern messen und diese unter Umständen auch ausstechen?
Dass die spezifische Interessenlage von Frauen immer auch geprägt ist von ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, daran kann kein Zweifel bestehen. Das war schon im Ursprung der Frauenbewegung so, nicht umsonst gab es eine bürgerliche und eine Arbeiterinnen-Frauenbewegung. Diese haben jedoch auch zusammengefunden, wenn es Anliegen gab, bei denen Frausein bestimmender war als die soziale Herkunft. Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts 1907 gab dafür Anlass. Die eine oder andere gutgestellte Frau, die zuvor in ihrer Kurie wählen durfte, verlor nun dieses Recht und sah sich plötzlich in der gleichen Situation wie die gewöhnliche Arbeiterin, mit der sie sonst wenig verband. Sie war rechtlos geworden in Bezug auf die demokratische Mitbestimmung, ausgeschlossen aufgrund ihres Geschlechts. Gemeinsam erkämpften Frauen beider Klassen schließlich 1918 jenes Wahlrecht, das dann endlich beide Geschlechter zur Gänze umfasste.
Beides zwängt in Rolle: Klasse und Geschlecht
Die Geschichte zeigt noch an vielen anderen Stellen, dass die Struktur unserer Gesellschaft aus Klasse und Geschlecht gewebt wird. Beides sind Prinzipien, nach denen konkrete Rollen, aber auch Chancen verteilt werden. Beides führt zu Ungleichheiten und vor allem auch zu Ungerechtigkeiten. Wer das ändern will, muss an beiden Fäden ziehen. Es geht nicht um Entweder-oder, sondern schlicht um eine gerechte Gesellschaft, in der alle faire Chancen haben und ein Existenzrecht auch dann, wenn sie den vorgefertigten Rollen nicht entsprechen oder nicht so funktionieren, wie es erwartet wird. Wie strikt diese Rollenzuteilung ist, hat immer einen sozialen und einen Gender-Aspekt. Feministische VordenkerInnen weisen auch zu Recht darauf hin, dass der Kapitalismus eine patriarchale Struktur hat.
Weil diese Aspekte miteinander verwoben sind, haben schon in den siebziger Jahren unterschiedlichste Bewegungen für eine gerechte Gesellschaft gekämpft: für die Gleichstellung von Frauen und Männern, gegen Rassismus, für soziale Gerechtigkeit, für die Umwelt und den Frieden. Obwohl das Ziel letzten Endes ein gemeinsames war, zogen diese Bewegungen zwar an unterschiedlichen Fäden, aber nicht immer an einem Strang. Debatten um die Priorität der Anliegen und Eifersüchteleien gab es genauso wie großartige Erfolge. Wie etwa das rechtliche Konstrukt des „Familienoberhaupts“, das 1975 im Zuge der Familienrechtsreform entsorgt wurde. Eine Befreiung nicht nur für Frauen, sondern auch für die Kinder. Im gleichen Jahr wurde die 40-Stunden-Woche eingeführt, sodass die von der Lohnarbeit ein Stück mehr Befreiten sich auch politischen Anliegen widmen konnten, und das neue Universitätsorganisationsgesetz nahm den Professoren die exklusive Kontrolle und band Mittelbau und StudentInnen in die Entscheidungen mit ein. Ein Bruch in der bis dahin festgefügten Standes- und Klassenlogik.
Neue Allianzen
Noch einmal kurz ein Exkurs über den Großen Teich: Die Wahl Trumps zum Präsidenten hat eine riesige Mobilisierung hervorgerufen. BeobachterInnen sprechen davon, dass dabei neue Kooperationen zwischen unterschiedlichen Bewegungen entstünden, die bislang wenig üblich waren. So bot der Women’s March ein Dach für unterschiedliche Frauenbewegungen, aber auch für viele Menschen, die bislang mit der Frauenbewegung an sich wenig am Hut hatten, jedoch keine Gesellschaft wollen, wie sie Trump symbolisiert. Man kann ihnen nur jede Menge Kraft wünschen und dass sie die Fäden in die Hand bekommen, die die alten und neuen Einschnürungen lösen werden.