Mehr Frauen für Berufe in der Naturwissenschaft und Technik zu rekrutieren, ist das Ziel vieler Firmen. Kein Wunder, denn bis 2020 sollen in Österreich 40.000 neue Stellen im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich laut Industriellenvereinigung entstehen. Viele Unternehmen haben jetzt schon Schwierigkeiten, die aktuell offenen Positionen zu besetzen. Welche Ansatzpunkte und Hindernisse es für Unternehmen gibt, Frauen zu gewinnen, zeigt eine neue Befragung im Auftrag der AK Wien.
Der Mangel an Fachkräften mit technisch-naturwissenschaftlicher Ausbildung lädt Unternehmen verstärkt dazu ein, nicht nur nach männlichen Bewerbern Ausschau zu halten, sondern auch Technikerinnen mehr Chancen einzuräumen. Außerdem ist Diversität in der Belegschaft mittlerweile vielen Organisationen ein Anliegen – Stichwort Innovationsfähigkeit.
Dennoch zögern viele Frauen, sich für eine technische Ausbildung zu entscheiden. Tun sie es dann doch, berichten sie von Schwierigkeiten beim Berufseinstieg, z. B. suchen sie länger oder haben den Eindruck, dass eigentlich Männer mit derselben Qualifikation gesucht werden. Auch verlaufen ihre Karrieren weniger steil als bei ihren männlichen Pendants. Zudem geben viele Frauen ihren technischen Beruf nach einiger Zeit wieder auf: Es kommt zum sogenannten „Drehtüreffekt“, sodass sich der Frauenanteil nur langsam erhöht.
Was hält Frauen von der Technik fern?
Im Sommer und Herbst 2017 wurden im Auftrag der Arbeiterkammer Wien eine Reihe von Unternehmen, hauptsächlich mit Sitz in Wien, befragt, warum das so ist. Zusätzlich wollte man herausfinden, welche Chancen und Herausforderungen Unternehmen sehen und wie sie diesen begegnen. Anhand der Erfahrungen mit konkreten Maßnahmen sollten Best Practices herausgearbeitet werden, die andere Unternehmen zu eigenen Initiativen inspirieren.
Der Status quo in den Unternehmen
Fast alle befragten Unternehmen geben an, nach Frauen in Naturwissenschaft und Technik zu suchen, und zwar vom Lehrling bis zur Akademikerin. Oft jedoch nur mit bescheidenem Erfolg: Mit Ausnahme der Pharmaindustrie, deren Beschäftigte auch im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich knapp zur Hälfte Frauen sind, verharren die Frauenanteile zwischen zehn und 20 Prozent.
Diese Zahlen könnten auch daher rühren, dass es in den befragten Unternehmen – bis auf eine Ausnahme – keine konkreten quantitativen Ziele zum Frauenanteil gibt. Oft hört man, dass man mit diesem Thema besser leise auftritt, da dadurch aktuelle Machtverhältnisse in Organisationen hinterfragt werden. Die Ausnahme bildet eine Organisation, die sich teils in Staatseigentum befindet. Dadurch ist es möglich, Projektbudgets an die Einhaltung bestimmter Quoten zu knüpfen. Interessant war auch, dass alle Ansprechpersonen in den Unternehmen Frauen waren. Scheinbar ist es immer noch nicht möglich, auch Männer für dieses Thema zu gewinnen.
Löcher in der Pipeline: wo Frauen verloren gehen
Ein beständiges Problem ist die „Leaking Pipeline“, das Leck in der Pipeline: Ab dem Zeitpunkt der Berufswahl gehen Frauen der Technik verloren. Viele biegen auf Nebengleise wie koordinierende Rollen ab, die sich leichter mit den Lebensrealitäten der Frauen vereinbaren lassen (z. B. Möglichkeit für Teilzeitarbeit, weniger Dienstreisen, Arbeitszeiten im Rahmen der Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen).
Dies liegt nach Aussagen der Befragten begründet in
- der Gesellschaft: Vorurteile gegenüber Frauen in technischen Berufen bestehen nach wie vor, und zwar in den Köpfen der Frauen selbst und der Personen in ihrem Umfeld – bei jungen Frauen auch in den Köpfen der Eltern!
- den Frauen selbst: Bekanntermaßen bewerben sich Frauen nicht, wenn sie nicht alle Kriterien in einer Stellenausschreibung erfüllen, und sie treten im Bewerbungsgespräch leiser auf.
- den Unternehmen: Stellenausschreibungen und Recruitingprozesse sprechen Frauen nicht (genügend) an und die Unternehmenskultur drängt Frauen aus der Technik. Dazu Genaueres weiter unten.
Viel Motivation und Engagement
Trotz der Schwierigkeiten gehen die meisten befragten Unternehmen mit viel Motivation und Engagement an das Thema heran und setzen Maßnahmen an den unterschiedlichen Stationen einer Berufsbiografie: von der Berufswahl über die Orientierung und die Bewerbung bis zum Verbleib der Frauen im Unternehmen.
So wird in Maßnahmen gegen die gängigen Vorurteile zu „Frau und Technik“ investiert, z. B. führt man Mädchen im betriebseigenen Kindergarten an MINT-Fächer heran oder unterstützt den Töchtertag. In Informationsveranstaltungen versucht man, Eltern von den Vorteilen eines technischen Lehrberufs für Mädchen zu überzeugen.
Viel nachgedacht und ausprobiert wird auch beim Thema Ansprache von Frauen. So ist mittlerweile gut erforscht, dass in Stellenausschreibungen eher männliche Begrifflichkeiten wie „durchsetzungsstark“ oder „Zug zum Tor“ bzw. eine hohe Anzahl von Anforderungen Frauen von einer Bewerbung abhalten (siehe dazu diesen Beitrag). Zusätzlich versucht man, Frauen für das eigene Unternehmen im direkten Kontakt zu gewinnen. Hier besteht noch Potenzial.
Knackpunkt: Recruiting
Manche Unternehmen übertragen die Verantwortung für die Einstellung von Frauen an Headhunter, indem sie Quoten vorgeben. Die eigenen Prozesse gestalten sie mithilfe der HR-Abteilung fairer und transparenter: Man macht sich bewusst, dass Frauen in Bewerbungsgesprächen ihre Stärken nicht genug betonen und deshalb oft weniger qualifiziert wirken als Männer.
Durch ein strukturiertes Recruiting begegnet man der Tatsache, dass Männer in der Belegschaft immer wieder ausschließlich andere Männer für offene Positionen empfehlen. Im weiteren Verlauf versuchen viele Unternehmen, optimale Bedingungen für das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu schaffen. Sie machen es auch zum Thema für Männer, indem sie diese zu Karenzzeiten und zeitgemäßen Arbeitszeitmodellen ermutigen.
Zusätzlich werden für Technikerinnen im Unternehmen besondere Fortbildungsmöglichkeiten und Vernetzungsmöglichkeiten geschaffen – was auf Widerstand stoßen kann, da nicht alle Mädchen und Frauen als Exotinnen gelten wollen.
Die Grafik gibt einen detaillierten Überblick über alle Maßnahmen an den Stationen einer Berufsbiografie und möchte eine Diskussion und Ergänzung des Maßnahmenportfolios in der eigenen Organisation anstoßen.