Geschlechterquote in deutschen Aufsichtsräten: Ambitioniert oder Symbolpolitik?

29. September 2020

Seit 2015 gilt für paritätisch mitbestimmte und zugleich börsennotierte Unternehmen in Deutschland eine Geschlechterquote von 30 Prozent für den Aufsichtsrat. Doch mittlerweile mehren sich die Stimmen, die gesetzlichen Vorgaben seien nicht ausreichend. Wie ambitioniert ist das Gesetz wirklich? Reicht dieser Schritt aus, um tatsächlich mehr Gleichstellung in den Führungsetagen zu erreichen? Wie wirken demgegenüber die Maßnahmen anderer europäischer Länder wie Österreich? Eine Erhebung des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) zeigt: Deutschlands Quote dokumentiert eher Symbolpolitik als wirklichen Willen zu Geschlechtergerechtigkeit.

Ein langer Weg zur Geschlechtergerechtigkeit

Deutschland ist nach wie vor weit entfernt von Geschlechtergleichstellung – auch in Aufsichtsratsgremien. Unter den 30 größten börsennotierten Unternehmen findet sich derzeit kein Kontrollgremium, das zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt ist. Während in diesen Aufsichtsratsgremien zumindest durchgängig Frauen vertreten sind, ist in einigen Vorstandsgremien noch nicht mal eine Frau zu finden. Dabei empfiehlt der Deutsche Corporate Governance Kodex börsennotierten Unternehmen bereits seit 2010 mehr Diversität in Führungspositionen. Doch Frauen wurden auch nach der Kodex-Empfehlung nur sehr überschaubar berücksichtigt. Verständlich deshalb, dass die Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung nicht verhallten, sondern immer lauter wurden.

Ein Gesetz für mehr Frauen im Aufsichtsrat

Nach der Bundestagswahl 2013 einigten sich die regierenden Parteien (CDU/CSU und SPD) auf eine gesetzliche Quote für Aufsichtsratsgremien. Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG) kam dann auch relativ zeitnah im März 2015. Es gilt seitdem für Unternehmen, die börsennotiert sind und zugleich einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat aufweisen. Damit bleibt es bei einem engen Geltungsbereich von rund 100 Unternehmen der deutschen Wirtschaft: Diese müssen seit 2016 mindestens 30 Prozent weibliche und 30 Prozent männliche Aufsichtsratsmitglieder im Gremium haben. Fünf Jahre nach Einführung des Gesetzes kann testiert werden: Das Gesetz wirkt. Aber: Ist es auch ein ambitioniertes Gesetz? Sind rund 100 Unternehmen nicht viel zu wenig? Wie regeln eigentlich andere europäische Länder die Gleichstellung in Führungspositionen? Zur Beantwortung der Frage haben wir vonseiten des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) im April 2020 folgende vergleichende Analyse erstellt: Ambition oder Symbolpolitik? Europäische Geschlechterquoten für Führungspositionen im Vergleich.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Ambitionsgrad von Quotenregelungen: Europa ist dreigeteilt

Wie die obige Abbildung zeigt, gibt es in zehn europäischen Ländern weder eine gesetzliche Regelung noch eine Empfehlung zur Berücksichtigung von Frauen in Führungsgremien (Bulgarien, Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Malta, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Zypern). In elf Ländern existieren immerhin Empfehlungen in Corporate-Governance-Kodizes, die jedoch allesamt nur einen empfehlenden Charakter haben und Abweichungen erlauben (Dänemark, Finnland, Griechenland, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Polen, Rumänien, Schweden, Slowenien, Türkei). Nur zehn Länder haben eine gesetzliche Vorgabe für mehr Frauen in Führungspositionen. Diese sind aber teils sehr unterschiedlich ausgestaltet (Belgien, Deutschland, Frankreich, Island, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Portugal, Spanien).

Gesetzliche Regelungen sind sehr unterschiedlich

Norwegen führt das Ranking an, unter anderem, weil es das erste Land war, das eine gesetzliche Quote eingeführt hat. Dennoch erreicht auch Norwegen nicht die maximal mögliche Punktezahl, da nur börsennotierte und staatlich kontrollierte Unternehmen zu 40 Prozent Frauenrepräsentanz verpflichtet sind und damit eine Mehrheit der Unternehmen nicht umfasst ist. Österreich belegt mit Platz 8 einen hinteren Rang: zum einen, weil die Quote erst seit 2017 gilt; zum anderen wurde nur der Aufsichtsrat mit 30 Prozent quotiert und nicht der Vorstand. Zudem wurde mit dem „leeren Stuhl“ ein relativ mildes Mittel als Sanktion definiert. Die Quote betrifft darüber hinaus nur private Unternehmen mit dauerhaft mehr als 1.000 Beschäftigten und börsennotierte Unternehmen ungeachtet ihrer Größe. Die deutsche Quotenregelung landet im europäischen Vergleich sogar auf dem letzten Platz.

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Aufholbedarf für Österreich und Deutschland

Deutschland und Österreich sind damit zwei von insgesamt drei Ländern, die ausschließlich Aufsichtsratssitze quotieren. Die übrigen sieben Länder, die eine gesetzliche Quote praktizieren, verpflichten beide Führungsgremien (Aufsichtsrat und Vorstand bzw. das gesamte Board). Auch die Nichtbesetzung von Aufsichtsratsposten stellt – wie in Österreich – keine harte Sanktion dar. Die Erhebung „Strahlungsarmes Quötchen – Geschlechterverteilung in Aufsichtsrat und Vorstand 2019“ zeigt jedoch, dass der „leere Stuhl“ als Sanktion für den eng gefassten Geltungsbereich ausreichend ist, da die gesetzliche Quote von beiden Geschlechtern erfüllt ist. Die Quote betrifft in Deutschland, im Gegensatz zu Österreich, jedoch nur börsennotierte und zugleich paritätisch mitbestimmte Unternehmen. Kein anderes Land mit einer Geschlechterquote erfasst so wenige Unternehmenstypen. In der Analyse sticht zudem heraus: Deutschland verwendet als einziges Land ein Merkmal zur Bestimmung des Geltungsbereiches des Gesetzes, das voraussetzt, dass man sich mit den deutschen Mitbestimmungsgesetzen auskennt.

Es fehlt – immer noch – eine europäische (Mindest-)Regelung

Auch im Jahr 2020 verfügen 21 europäische Länder über keine gesetzliche Regelung. Zwar haben elf von ihnen eine Empfehlung in nationalen Kodizes, diese gelten jedoch nur für ausgewählte (meist börsennotierte) Unternehmen. Das zeigt: Es bedarf dringend einer europäischen Richtlinie für eine Mindestquote. Die derzeit amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte bei ihrem Amtsantritt 2019 an, dass es unter ihrer Präsidentschaft einen neuen Anlauf für eine europäische Regelung geben soll. Der erste Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2012 wurde nämlich nicht abgeschlossen; aber Ursula von der Leyen hat Wort gehalten. Im März 2020 hat die Europäische Kommission ihre Strategie vorgestellt. Zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter werden für den Zeitraum von 2020 bis 2025 sechs Arbeitsschwerpunkte in der Kommissionsmitteilung genannt. Eine davon, mit dem Titel „Gleichberechtigte Führungsverantwortung in der Gesellschaft“, weist darauf hin, dass es Ziel ist, „die Kommission auf die Annahme des Vorschlags von 2012 für eine Richtlinie zur Gewährleistung einer ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in den Leitungsorganen von Unternehmen zu drängen‚ der festlegt, dass mindestens 40 Prozent der nicht geschäftsführenden Mitglieder des unterrepräsentierten Geschlechts in den Leitungsorganen von Unternehmen vertreten sein müssen“. Doch leider: Seitdem gibt es keine neuen Entwicklungen auf EU-Ebene.

Status quo in Deutschland

Während der Diskussionsprozess auf europäischer Ebene ruht, verläuft die deutsche Diskussion in Wellen. Anfang des Jahres 2020 gaben Bundesfrauenministerin Franziska Giffey und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (beide SPD) einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung. Das bestehende Gesetz soll reformiert werden. Geplant ist die Ausweitung der Geschlechterquote für Aufsichtsräte und ergänzend eine Vorgabe, dass Vorstandsgremien ab vier Personen künftig bei Nachbesetzungen eine Frau enthalten sollen. Die Ressortabstimmungen, die sich bis in den Sommer hinzogen, ergaben jedoch keine Zustimmung von den unionsgeführten Ressorts, unter anderem dem Wirtschaftsministerium mit Peter Altmaier (CDU). Ende August 2020 haben die Koalitionspartner (CDU/CSU und SPD) nun beschlossen, dazu eine Arbeitsgruppe einzusetzen. Zu Recht kritisiert Elke Hannack, stellvertretende DGB-Vorsitzende, dieses Vorgehen als Verschleppungstaktik. Es ist zu erwarten, dass vor dem Jahreswechsel 2020/21 kein Arbeitsgruppenergebnis vorliegen wird. Sollte dem so sein und sich die Regierung nicht zügig einigen, droht der Entwurf aufgrund der anstehenden Bundestagswahl 2021 und der Wahlkämpfe nicht mehr verabschiedet zu werden.

Fazit

Dabei würde es dringend eine Novellierung des deutschen Gesetzes brauchen, wie der europäische Vergleich eindrucksvoll zeigt. Es war zwar richtig, dass die deutsche Bundesregierung 2015 eine gesetzliche Vorgabe für die Berücksichtigung von Frauen in Aufsichtsräten gemacht hat, leider war der erfasste Kreis von Unternehmen beschämend gering: rund 100 Unternehmen der deutschen Wirtschaft. Auch die Quotenhöhe von 30 Prozent war nicht gerade mutig gewählt. Zudem blieben die Vorstandsgremien von einer festen Quotierung völlig unberücksichtigt. Das Kriterium „paritätisch besetzter Aufsichtsrat“ zur Bestimmung der Unternehmen, die die gesetzliche Quote zu erfüllen haben, war zudem eine unnötige Barriere. Jetzt besteht die Chance, mit dem neuen Gesetzesentwurf, dass Deutschland mutig nachbessert – dies gelingt hoffentlich zügig.

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