Forderungen nach einer gleichen Aufteilung von Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern sind so alt wie aktuell zugleich. Diese liegt in Österreich jedoch weiterhin in weiter Ferne: Frauen unter 65 Jahren verbringen täglich durchschnittlich fast zwei Stunden mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit als Männer. Zudem ist der Fokus auf das reine Stundenausmaß aus der Gleichstellungsperspektive unzureichend. Denn auch bei der Qualität der Zeitnutzung gibt es deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede.
Die Vermessung der Zeit
Die Frage, wie wir unsere Zeit verbringen, beschäftigt nicht nur uns selbst, sondern auch die Wissenschaft. Statistik Austria hat im Jahr 2021/22 eine Zeitverwendungserhebung durchgeführt, bei der rund 8.000 Personen an zwei Tagen ein Zeittagebuch geführt haben. Darin dokumentierten die Befragten in 10-Minuten-Einheiten u. a., welche Aktivität sie gerade ausführen (Haupttätigkeit), was sie nebenbei machen (Nebentätigkeit), wo die Aktivität stattfindet und wer anwesend ist. Diese Tagebücher ermöglichen nicht nur eine Berechnung der für verschiedene Tätigkeiten aufgewendeten Zeit, sondern auch, Fragen der Zeitnutzung und Zeitfragmentierung zu erforschen. In diesem Beitrag werden rd. 11.500 Tagebücher von rd. 5.700 Personen im Alter zwischen 20 und 64 Jahren analysiert. Es wurde versucht, sich der Qualität der Zeit über die Fragmentierung von Aktivitäten und Zeitverläufen sowie der gleichzeitigen Ausübung von unterschiedlichen Tätigkeiten zu nähern und anschließend unterschiedliche Qualitätsmerkmale von Zeit nach Geschlecht auszuwerten.
Der zerstückelte Tag
Fragmentierung oder Zerstückelung von Tagesabläufen bedeutet, dass eine Tätigkeit in kleinere Teile zerlegt wird, die zu verschiedenen Zeiten ausgeführt werden. So macht es qualitativ einen Unterschied, ob eine Person eine Stunde am Stück ein Buch liest oder über den Tag verteilt sechsmal zehn Minuten ein Buch aufschlägt, um ein paar Seiten zu lesen. Wie fragmentiert ein Tag ist, wird anhand der Anzahl der Episoden gemessen. Als Episode wird jener Zeitraum definiert, in dem eine Aktivität ohne Unterbrechung durchgeführt wird.
Frauen haben insgesamt eine höhere Anzahl an täglichen Episoden und weisen somit fragmentiertere Tagesabläufe als Männer auf.
Im Durchschnitt beläuft sich die Anzahl der Episoden bei Männern auf 16,3, während Frauen etwa 4,1 Episoden mehr pro Tag verzeichnen. Bei Eltern vergrößert sich die Anzahl der Episoden und der Unterschied zwischen den Geschlechtern: Mütter haben im Schnitt 22,2 Episoden pro Tag, was 2,7 Episoden mehr sind als bei Frauen ohne Kinder. Auch für Väter steigt die Anzahl der Episoden im Vergleich zu Männern ohne Kinder, allerdings nur geringfügig um 1,1 Episoden.
Die Verdichtung von Sorgearbeit …
Frauen haben nicht nur fragmentierte Tagesabläufe, sondern geben auch häufiger in den Zeittagebüchern an, zwei Tätigkeiten parallel auszuführen (sogenanntes Multitasking).
Des Weiteren zeigt die Auswertung, dass Frauen häufiger unterschiedliche unbezahlte Tätigkeiten gleichzeitig ausführen als Männer. Während etwa jede fünfte Frau angibt, verschiedene Haushaltstätigkeiten gleichzeitig auszuführen (z. B. Kochen und nebenbei Geschirr abwaschen), trifft dies bei Männern nur auf knapp jeden Zehnten zu. Die durchschnittliche Dauer all jener, die Hausarbeitstätigkeiten gleichzeitig ausüben, unterscheidet sich nur geringfügig zwischen den Geschlechtern – beide verbringen im Schnitt etwa eine Stunde täglich mit kombinierten Haushaltsaktivitäten.
… trifft vor allem Mütter
Die Notwendigkeit, verschiedene Sorgearbeiten zu kombinieren, ergibt sich oft aus der Mehrfachbelastung durch die Elternschaft. Rund 30 Prozent der Mütter geben an, unter der Woche Hausarbeit in der Haupttätigkeit mit Kinderbetreuung zu kombinieren (z. B. Kochen und nebenbei das Kind versorgen und beaufsichtigen), wobei dieser Anteil am Wochenende auf etwa 17 Prozent sinkt. Deutlich seltener kombinieren Väter Hausarbeit und Kinderbetreuung (5 Prozent unter der Woche und 9 Prozent am Wochenende). Betrachtet man die Haupttätigkeit Kinderbetreuung fällt auf, dass Mütter auch deutlich häufiger als Väter Kinderbetreuung mit Haushaltstätigkeiten oder parallele Aufgaben der Kinderbetreuung ausführen.
Die Analyse zeigt, dass Frauen und vor allem Mütter nicht nur deutlich mehr Zeit mit unbezahlter Sorgearbeit verbringen, sondern diese auch häufiger mit anderer Sorgearbeit kombinieren. Die zeitliche Verdichtung erfolgt für Frauen vermehrt unter der Woche, was als Bewältigungsstrategie im Kontext der Mehrfachbelastung durch Erwerbsarbeit und unbezahlte Sorgearbeit interpretiert werden kann. Männer hingegen kombinieren am Wochenende häufiger verschiedene Sorgearbeiten als unter der Woche.
Frauen haben weniger reine Freizeit und kombinieren Freizeit häufiger mit unbezahlter Arbeit
Freizeit, also Zeit für soziale Kontakte, Hobbys, Unterhaltung und Erholung, ist ein wichtiger Indikator für die Qualität der Zeitnutzung. Die Literatur unterscheidet hier zwischen „reiner Freizeit“, also jener Zeit, die ausschließlich Freizeitaktivitäten gewidmet ist, und „kontaminierter Freizeit“, also Freizeitaktivitäten, welche gleichzeitig mit Hausarbeit oder Kinderbetreuung ausgeführt werden. Unter der Woche haben Männer und Frauen ähnlich viel reine Freizeit (je ca. vier Stunden). Am Wochenende beträgt die reine Freizeit für Männer fast sieben Stunden – eine Stunde mehr als für Frauen.
Die Freizeit von Frauen ist häufig mit unbezahlter Arbeit verflochten. Fast jede dritte Frau kombiniert – unabhängig vom Wochentag – Freizeit mit Hausarbeit und/oder Kinderbetreuung. Männer tun dies deutlich seltener: 16 Prozent von ihnen kombinieren unter der Woche Freizeit mit unbezahlter Arbeit, am Wochenende sind es 19 Prozent. Wenig überraschend geht Elternschaft mit weniger „reiner Freizeit“ (etwa eine Stunde) und mehr „kontaminierter Freizeit“ einher. Knapp 40 Prozent der Mütter und 30 Prozent der Väter kombinieren Freizeit mit Aufgaben der Kinderbetreuung oder Hausarbeit.
Insgesamt verdeutlicht die Analyse, dass Frauen nicht nur weniger Zeit für Freizeit haben, sondern auch ein höherer Anteil ihrer Freizeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung kombiniert wird, was sich auf die Qualität von (selbstbestimmter) Freizeit auswirken kann.
Fazit: Es kommt nicht nur auf die Quantität, sondern auch auf die Qualität an
Die Analyseergebnisse zeigen, dass Forderungen nach Gleichstellung auch die Qualität der Zeitnutzung im Blick haben müssen. Frauen haben im Schnitt zerstückeltere Tagesabläufe, führen häufiger unterschiedliche Tätigkeiten der Hausarbeit und/oder Kinderbetreuung gleichzeitig aus und haben weniger ungestörte Freizeit als Männer. Frauen tragen aufgrund der Mehrfachbelastungen häufiger einen „Mental Load“, empfinden mehr Zeitdruck und sind stärker in ihrer Gesundheit beeinträchtigt.
Ein Bündel an Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen ist notwendig, um eine gleichere Verteilung von Sorgearbeit zu fördern:
- Der Ausbau von qualitativ hochwertigen Kinderbetreuungs- und Pflegeeinrichtungen.
- Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Geburtstag.
- Arbeitszeit- und Anreizmodelle, die eine faire Aufteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern fördern, wie das ÖGB/AK-Modell der Familienarbeitszeit.
- Anreize zur Erhöhung der Väterquote bei Kinderbetreuungsgeld und Karenz.
- Bewusstseinskampagne für Halbe-Halbe, um Männer bei der Care-Arbeit in die Pflicht zu nehmen.
Darüber hinaus ist ein gesellschaftliches Bewusstsein erforderlich, das nicht nur die reine Stundenzahl von Sorgearbeit und Freizeit in den Fokus rückt, sondern auch eine umfassende Debatte darüber anstößt, wie wir als Gesellschaft unsere Zeit gestalten und Aufgaben gerecht verteilen. Nur so kann allen Menschen, unabhängig vom Geschlecht, ein ausreichender Zeitwohlstand ermöglicht werden.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete und gekürzte Fassung eines Artikels, der demnächst im Kurswechsel zum Thema „Zeit und Wohlstand“ erscheint.