Frauen leisten in Österreich mehr unbezahlte Sorge- und Hausarbeit als Männer und müssen deshalb negative Folgen wie Einkommensverlust und Doppelbelastungen tragen. Um dies zu ändern, ist eine Arbeitszeitverkürzung, die den Wohlstand aller erhöht, erforderlich. Dafür braucht es einen Mix an Maßnahmen: eine Reduktion der täglichen Erwerbsarbeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich, eine stärkere Vergesellschaftung sowie eine Umverteilung unbezahlter Sorge- und Hausarbeit und mehr selbstbestimmte und gesunde Lebenszeit während und nach dem Erwerbsleben.
Wie verwenden wir unsere Zeit?
Zeit ist ungleich verteilt in unserer Gesellschaft. Zwar umfasst jeder Tag 24 Stunden, doch diese Zeit wird – durch verschiedene Rahmenbedingungen und Möglichkeiten – höchst unterschiedlich verwendet. Durch die neue Zeitverwendungserhebung der Statistik Austria wissen wir, wie es aktuell um die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit steht, wer sich um Kinderbetreuung und Haushalt kümmert, wie viel sich die Menschen freiwillig engagieren und wie sehr sie unter Zeitdruck stehen. Grundlegend geändert hat sich seit der letzten Erhebung vor 13 Jahren allerdings wenig: Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit.
Frauen unter 65 Jahren arbeiten im Schnitt etwas mehr als Männer, wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammenzählt. Frauen arbeiten deutlich öfter unbezahlt in Form von Sorge- und Hausarbeit: Im Schnitt arbeiten Frauen von 7,6 Stunden täglich mehr als die Hälfte unbezahlt, Männer von 7,4 Stunden lediglich ein Drittel. In Familien, in denen das jüngste Kind unter 3 Jahre alt ist, übernehmen Frauen drei Mal so viel Zeit für die Kinderbetreuung wie Männer. Bezogen auf die Hausarbeit wenden Frauen selbst dann mehr Zeit auf, wenn sie länger erwerbsarbeiten als ihre Partner.
Wenig Veränderung in letzten Jahrzehnten
Als Instrument für Frauen- und Gleichstellungspolitik schaffen Zeitverwendungserhebungen eine wichtige Datenbasis. Historisch gab es in Österreich vor der aktuellen Erhebung drei Vorgängerinnen: Die zwei ersten Erhebungen in den Jahren 1981 und 1992 erkannten bereits den Zusammenhang zwischen Geschlechterrollen und Zeitverteilung. Frauen, die vorwiegend für Hausarbeit und Sorgearbeit zuständig waren, litten durch die traditionelle Rollenverteilung unter Zeitdruck – ihnen mangelte es an Zeit für Erholung, Freizeit und persönliche Interessen. In den Erhebungen 2008/09 und in der jetzigen ist diesbezüglich wenig Veränderung feststellbar.
Warum die Zahlen nicht die ganze Geschichte erzählen
Wie wir Zeit verwenden und welche Politik mit Zeit gemacht wird, ist stark von Normen abhängig. Unsere Vorstellung von Zeit basiert meist auf von Uhrzeiten eingeteilte Abschnitte unabhängig von biologischen oder sozialen Rhythmen. Die (männliche) Vollzeitnorm beläuft sich auf acht Stunden tägliche Erwerbsarbeit. Die Reduktion auf einen 8-Stunden-Tag war eine zentrale Forderung der Arbeitnehmer:innenbewegung im 19. und 20. Jahrhundert und wurde in Österreich 1919 eingeführt. Menschen brauchen jedoch individuell unterschiedlich viel Zeit für die Erfüllung eigener Bedürfnisse und der Bedürfnisse derer, für die sie sorgen.
Zeitverwendungserhebungen erfassen die Ungleichverteilung von Zeit, nicht aber, was in der Zeit alles passiert und wie genau sie verbracht und wahrgenommen wird. Häufig werden mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig erledigt, Sorge- und Haushaltsarbeit benötigt viel Planungs- und Organisationsaufgaben („mental load“). Menschen in prekären Jobs oder in Scheinselbständigkeit verfügen häufig über wenig Autonomie über Zeitpunkt und Länge der Erwerbsarbeit. Besserverdienende Haushalte können unbezahlte Sorge- und Hausarbeit auslagern – etwa an Babysitter:innen und migrantische Reinigungskräfte.
Letztlich spielt auch das Einkommen beim Erleben von Zeit eine Rolle, insbesondere wenn es um die gesamte Lebenszeit geht. Laut einer Studie erreichen aufgrund eines verfrühten Todes bis zu einem Viertel der Männer im untersten Einkommensdezil in Deutschland das gesetzliche Pensionsalter nicht, in der höchsten Einkommensgruppe stirbt ein Zehntel frühzeitig. Auch für Österreich wissen wir, dass Mindestpensionist:innen vergleichsweise früher sterben und sehr viele Menschen krank in die Pension gehen.
Eine Vier-Tage-Woche reicht nicht: Für kürzere Tagesarbeitszeiten
In vielen Diskussionen über die Arbeitszeitverkürzung wird der Acht-Stunden-Tag nicht hinterfragt, stattdessen wird eine Vier-Tage-Woche gefordert. In der berühmten historischen Formel „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“ von Robert Owen bleibt das stetige Aufkommen von Sorgearbeit in dieser unberücksichtigt. Auch heute noch müssen Haushalte, in denen einer oder beide der Erwachsenen acht Stunden arbeiten, individuelle Lösungen finden, um die angefallene Sorge- und Hausarbeit neben der Erwerbstätigkeit zu stemmen. Häufig mündet dies in der Mehrfachbelastung von Erwerbs- und Sorgearbeit bei Frauen.
In Haushalten der Mittel- und Oberschicht stehen dabei häufiger als in ärmeren Haushalten zwei Optionen zur Verfügung: Teilzeiterwerbstätigkeit der Frauen oder Auslagerung. Teilzeiterwerb wirkt sich nachteilig auf berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und die Höhe der Pension aus und verstärkt die ökonomische Abhängigkeit vom Partner. Andere lagern unbezahlte Sorgearbeit an Familienangehörige aus oder bezahlen – oft prekäre – Arbeitskräfte, die überproportional migrantische Frauen sind.
Da Sorge- und Hausarbeit täglich anfallen, sollten neben einem freien Wochentag auch mehr Flexibilität durch eine tägliche Erwerbsarbeitszeitverkürzung diskutiert werden (z. B. Sechs-Stunden-Tag mit Gleitzeit), um Erwerbs- und Sorgearbeit besser vereinbaren zu können. Die Erwerbsarbeitszeit sollte sich an Sorge-Verantwortlichen ausrichten, nicht umgekehrt. Eine Verkürzung (und zu einem gewissen Grad auch Flexibilisierung) der Erwerbsarbeitszeit ist zwar eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung für die gerechtere Verteilung von unbezahlter Arbeit.
Sorge- und Hausarbeit vergesellschaften und umverteilen
Eine tägliche Arbeitszeitverkürzung unter feministischen Vorzeichen benötigt zudem eine möglichst umfassende Vergesellschaftung und Umverteilung der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit. Öffentlich bereitgestellte und gut ausgebaute Kinderbetreuung sowie öffentliche Angebote in der Pflege ermöglichen eine tatsächliche Wahlfreiheit. Die nötige Ausweitung von Kindergartenöffnungszeiten und der Pflege darf allerdings nicht zulasten der Beschäftigten in diesen Sektoren erfolgen. Der Ausbau dieser Angebote sollte einhergehen mit einer Personalerhöhung, Verbesserung der Betreuungsverhältnisse sowie einer besseren Bezahlung.
Um Mehrfachbelastungen zu reduzieren, sollte die gesetzliche Reduktion der Normalarbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich erfolgen, um bestehende Teilzeitarbeit aufzuwerten und eine weitere Verdichtung am Arbeitsplatz zu verhindern. Zudem braucht es ein Umdenken bei Männern, ihre Rolle in der Sorgearbeit neu zu definieren. Innovative Modelle wie das ÖGB/AK Familienarbeitszeitmodell sowie eine stärkere Verpflichtung zur Väterkarenz können dabei helfen, alte Normen zu überwinden
Mehr selbstbestimmte und gesunde Lebenszeit
Eine gesunde Vollzeit durch eine Verkürzung der täglichen Erwerbsarbeit sollte einhergehen mit einer besseren Planbarkeit, weniger Überstunden und einer Vermeidung von Arbeitsverdichtung. Denn stressige, ungesunde und prekäre Arbeitsbedingungen führen dazu, dass Menschen frühzeitig krank aus dem Erwerbsleben ausscheiden und vermindern ihre Lebensqualität im Alter massiv. Nur 6 von 10 Beschäftigten über 45 Jahre glauben, ihren Job bis zum regulären Pensionsantrittsalter zu schaffen. Von denen, die die gegebenen Arbeitsbedingungen nicht dauerhaft stemmen können, wünschen sich fast zwei Drittel eine Arbeitszeitverkürzung, mehr als ein Drittel wünscht sich eine Verringerung der Stressfaktoren und psychischen Belastung.
Neoliberale Vorschläge, wie die automatische Kopplung des Pensionsantrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung, sind hingegen fehl am Platz. Das Ziel ist die Ausdehnung der selbstbestimmten und gesunden Lebenszeit während und nach dem Erwerbsleben. Während des Erwerbslebens sollte mehr Zeit für Auszeiten und Pausen sein. Dafür können betriebliche und gesetzliche zeitpolitische Maßnahmen helfen wie Sabbaticals und Karenzzeiten, Recht auf Auszeiten oder Altersteilzeit.
Was noch für eine Arbeitszeitverkürzung spricht ...
Über die Verkürzung von Erwerbsarbeitszeit wurde schon viel geschrieben: Sie ist gut fürs Klima, kann Beschäftigungsmotor sein, ist inklusiv und gerecht. Sie entspricht den Wünschen und Bedürfnissen der Beschäftigten und wird von innovativen Betrieben bereits umgesetzt, in einzelnen Kollektivverträgen gibt es bereits innovative Modelle. Sie kann eine Antwort auf die massiven unbezahlten Überstunden sowie der starken Belastung im Job sein.
Insbesondere der ÖGB zeigt, in welche Richtung wir nun gehen müssen: Im ÖGB-Programm 2023-2028 wird beispielsweise eine generelle Erwerbsarbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, mehr Zeitautonomie und Planbarkeit im Beruf, aber auch eine bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben sowie eine gerechte Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern, gefordert.
… und wie sie umgesetzt werden kann
Was es für eine feministische Arbeitszeitverkürzung braucht, ist ein Mix an zeitpolitischen Maßnahmen. Gesetzlich muss die tägliche und wöchentliche Normalarbeitszeit verkürzt werden. Auf sozialpartnerschaftlicher Ebene kann eine Reihe an Maßnahmen entweder in Kollektivverträgen oder betrieblich eingeführt werden, die auch innerbetrieblich zu einer gerechten Verteilung führen. Gesellschaftlich ist die Umverteilung unbezahlter Arbeit notwendig. Nur dann kommt die Arbeitszeitverkürzung auch bei allen an und erhöht unseren Wohlstand durch die Vereinbarkeit von verschiedenen Verantwortungen.