Zeit und Wohlstand: Für eine feministische Arbeits­zeit­verkürzung

06. März 2024

Frauen leisten in Österreich mehr unbezahlte Sorge- und Haus­arbeit als Männer und müssen deshalb negative Folgen wie Einkommens­verlust und Doppelbelastungen tragen. Um dies zu ändern, ist eine Arbeits­zeit­verkürzung, die den Wohl­stand aller erhöht, erforderlich. Dafür braucht es einen Mix an Maß­nahmen: eine Reduktion der täglichen Erwerbs­arbeit bei vollem Lohn- und Personal­ausgleich, eine stärkere Vergesell­schaftung sowie eine Um­verteilung unbezahlter Sorge- und Haus­arbeit und mehr selbst­bestimmte und gesunde Lebens­zeit während und nach dem Erwerbs­leben.

Wie verwenden wir unsere Zeit?

Zeit ist ungleich verteilt in unserer Gesellschaft. Zwar umfasst jeder Tag 24 Stunden, doch diese Zeit wird – durch verschiedene Rahmenbedingungen und Möglichkeiten – höchst unterschiedlich verwendet. Durch die neue Zeit­verwendungs­erhebung der Statistik Austria wissen wir, wie es aktuell um die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit steht, wer sich um Kinder­betreuung und Haushalt kümmert, wie viel sich die Menschen freiwillig engagieren und wie sehr sie unter Zeitdruck stehen. Grund­legend geändert hat sich seit der letzten Erhebung vor 13 Jahren allerdings wenig: Frauen übernehmen nach wie vor den Großteil der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit.

Frauen unter 65 Jahren arbeiten im Schnitt etwas mehr als Männer, wenn man bezahlte und unbezahlte Arbeit zusammen­zählt. Frauen arbeiten deutlich öfter unbezahlt in Form von Sorge- und Hausarbeit: Im Schnitt arbeiten Frauen von 7,6 Stunden täglich mehr als die Hälfte unbezahlt, Männer von 7,4 Stunden lediglich ein Drittel. In Familien, in denen das jüngste Kind unter 3 Jahre alt ist, übernehmen Frauen drei Mal so viel Zeit für die Kinder­betreuung wie Männer. Bezogen auf die Haus­arbeit wenden Frauen selbst dann mehr Zeit auf, wenn sie länger erwerbsarbeiten als ihre Partner. 

Wenig Ver­änderung in letzten Jahr­zehnten

Als Instrument für Frauen- und Gleichstellungs­politik schaffen Zeit­verwendungs­erhebungen eine wichtige Datenbasis. Historisch gab es in Österreich vor der aktuellen Erhebung drei Vor­gängerinnen: Die zwei ersten Erhebungen in den Jahren 1981 und 1992 erkannten bereits den Zusammenhang zwischen Geschlechter­rollen und Zeit­verteilung. Frauen, die vorwiegend für Hausarbeit und Sorgearbeit zuständig waren, litten durch die traditionelle Rollen­verteilung unter Zeit­druck – ihnen mangelte es an Zeit für Erholung, Freizeit und persönliche Interessen. In den Erhebungen 2008/09 und in der jetzigen ist diesbezüglich wenig Veränderung feststellbar.

Warum die Zahlen nicht die ganze Geschichte erzählen

Wie wir Zeit verwenden und welche Politik mit Zeit gemacht wird, ist stark von Normen abhängig. Unsere Vorstellung von Zeit basiert meist auf von Uhrzeiten eingeteilte Abschnitte unabhängig von biologischen oder sozialen Rhythmen. Die (männliche) Vollzeitnorm beläuft sich auf acht Stunden tägliche Erwerbsarbeit. Die Reduktion auf einen 8-Stunden-Tag war eine zentrale Forderung der Arbeit­nehmer:innen­bewegung im 19. und 20. Jahrhundert und wurde in Österreich 1919 eingeführt. Menschen brauchen jedoch individuell unter­schiedlich viel Zeit für die Erfüllung eigener Bedürfnisse und der Bedürfnisse derer, für die sie sorgen. 

Zeit­verwendungs­erhebungen erfassen die Ungleich­verteilung von Zeit, nicht aber, was in der Zeit alles passiert und wie genau sie verbracht und wahr­genommen wird.  Häufig werden mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig erledigt, Sorge- und Haushaltsarbeit benötigt viel Planungs- und Organisations­aufgaben („mental load“). Menschen in prekären Jobs oder in Scheinselbständigkeit verfügen häufig über wenig Autonomie über Zeitpunkt und Länge der Erwerbs­arbeit. Besserverdienende Haushalte können unbezahlte Sorge- und Hausarbeit auslagern – etwa an Babysitter:innen und migrantische Reinigungs­kräfte. 

Letztlich spielt auch das Einkommen beim Erleben von Zeit eine Rolle, insbesondere wenn es um die gesamte Lebenszeit geht. Laut einer Studie erreichen aufgrund eines verfrühten Todes bis zu einem Viertel der Männer im untersten Einkommens­dezil in Deutschland das gesetzliche Pensions­alter nicht, in der höchsten Einkommensgruppe stirbt ein Zehntel frühzeitig. Auch für Österreich wissen wir, dass Mindest­pensionist:innen vergleichs­weise früher sterben und sehr viele Menschen krank in die Pension gehen.

Eine Vier-Tage-Woche reicht nicht: Für kürzere Tages­arbeits­zeiten

In vielen Diskussionen über die Arbeits­zeit­verkürzung wird der Acht-Stunden-Tag nicht hinterfragt, stattdessen wird eine Vier-Tage-Woche gefordert. In der berühmten historischen Formel „Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung“ von Robert Owen bleibt das stetige Auf­kommen von Sorge­arbeit in dieser unberücksichtigt. Auch heute noch müssen Haushalte, in denen einer oder beide der Erwachsenen acht Stunden arbeiten, individuelle Lösungen finden, um die angefallene Sorge- und Haus­arbeit neben der Erwerbstätigkeit zu stemmen. Häufig mündet dies in der Mehrfach­belastung von Erwerbs- und Sorgearbeit bei Frauen.

In Haushalten der Mittel- und Ober­schicht stehen dabei häufiger als in ärmeren Haushalten zwei Optionen zur Verfügung: Teilzeiterwerbstätigkeit der Frauen oder Auslagerung. Teilzeit­erwerb wirkt sich nachteilig auf berufliche Aufstiegs­möglichkeiten und die Höhe der Pension aus und verstärkt die ökonomische Abhängig­keit vom Partner. Andere lagern unbezahlte Sorgearbeit an Familien­angehörige aus oder bezahlen – oft prekäre – Arbeitskräfte, die über­proportional migrantische Frauen sind.

Da Sorge- und Haus­arbeit täglich anfallen, sollten neben einem freien Wochentag auch mehr Flexibilität durch eine tägliche Erwerbs­arbeitszeit­verkürzung diskutiert werden (z. B. Sechs-Stunden-Tag mit Gleitzeit), um Erwerbs- und Sorge­arbeit besser vereinbaren zu können. Die Erwerbs­arbeitszeit sollte sich an Sorge-Verant­wortlichen ausrichten, nicht umgekehrt. Eine Verkürzung (und zu einem gewissen Grad auch Flexibilisierung) der Erwerbs­arbeits­zeit ist zwar eine notwendige, aber keine aus­reichende Bedingung für die gerechtere Verteilung von unbezahlter Arbeit. 

Sorge- und Haus­arbeit vergesellschaften und umverteilen

Eine tägliche Arbeitszei­tver­kürzung unter feministischen Vorzeichen benötigt zudem eine möglichst umfassende Ver­gesellschaftung und Umverteilung der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit. Öffentlich bereitgestellte und gut ausgebaute Kinder­betreuung sowie öffentliche Angebote in der Pflege ermöglichen eine tatsächliche Wahl­freiheit. Die nötige Ausweitung von Kinder­garten­öffnungs­zeiten und der Pflege darf allerdings nicht zulasten der Beschäftigten in diesen Sektoren erfolgen. Der Ausbau dieser Angebote sollte einhergehen mit einer Personal­erhöhung, Verbesserung der Betreuungs­verhältnisse sowie einer besseren Bezahlung. 

Um Mehrfach­belastungen zu reduzieren, sollte die gesetzliche Reduktion der Normal­arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personal­ausgleich erfolgen, um bestehende Teilzeit­arbeit aufzuwerten und eine weitere Verdichtung am Arbeits­platz zu verhindern. Zudem braucht es ein Umdenken bei Männern, ihre Rolle in der Sorge­arbeit neu zu definieren. Innovative Modelle wie das ÖGB/AK Familien­arbeits­zeit­modell sowie eine stärkere Verpflichtung zur Väter­karenz können dabei helfen, alte Normen zu überwinden

Mehr selbstbestimmte und gesunde Lebenszeit

Eine gesunde Vollzeit durch eine Verkürzung der täglichen Erwerbs­arbeit sollte einhergehen mit einer besseren Planbarkeit, weniger Über­stunden und einer Ver­meidung von Arbeits­verdichtung. Denn stressige, ungesunde und prekäre Arbeits­bedingungen führen dazu, dass Menschen frühzeitig krank aus dem Erwerbs­leben ausscheiden und vermindern ihre Lebens­qualität im Alter massiv.  Nur 6 von 10 Beschäftigten über 45 Jahre glauben, ihren Job bis zum regulären Pensions­antritts­alter zu schaffen. Von denen, die die gegebenen Arbeits­bedin­gungen nicht dauerhaft stemmen können, wünschen sich fast zwei Drittel eine Arbeits­zeit­verkürzung, mehr als ein Drittel wünscht sich eine Verringerung der Stress­faktoren und psychischen Belastung. 

Neoliberale Vorschläge, wie die automatische Kopplung des Pensions­antritts­alters an die durch­schnittliche Lebens­erwartung, sind hingegen fehl am Platz. Das Ziel ist die Ausdehnung der selbst­bestimmten und gesunden Lebenszeit während und nach dem Erwerbs­leben. Während des Erwerbs­lebens sollte mehr Zeit für Aus­zeiten und Pausen sein. Dafür können betriebliche und gesetzliche zeitpolitische Maßnahmen helfen wie Sabbaticals und Karenz­zeiten, Recht auf Auszeiten oder Altersteilzeit.

Was noch für eine Arbeitszeitverkürzung spricht ...

Über die Verkürzung von Erwerbs­arbeits­zeit wurde schon viel geschrieben: Sie ist gut fürs Klima, kann Beschäftigungs­motor sein, ist inklusiv und gerecht. Sie entspricht den Wünschen und Bedürfnissen der Beschäftigten und wird von innovativen Betrieben bereits umgesetzt, in einzelnen Kollektiv­verträgen gibt es bereits innovative Modelle. Sie kann eine Antwort auf die massiven unbezahlten Über­stunden sowie der starken Belastung im Job sein.

Insbesondere der ÖGB zeigt, in welche Richtung wir nun gehen müssen: Im ÖGB-Programm 2023-2028 wird beispielsweise eine generelle Erwerbs­arbeits­zeit­verkürzung bei vollem Lohn- und Personal­ausgleich, mehr Zeit­autonomie und Plan­barkeit im Beruf, aber auch eine bessere Verein­barkeit von Berufs- und Familien­leben sowie eine gerechte Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern, gefordert.

… und wie sie umgesetzt werden kann

Was es für eine feministische Arbeits­zeit­verkürzung braucht, ist ein Mix an zeit­politischen Maßnahmen. Gesetzlich muss die tägliche und wöchentliche Normal­arbeitszeit verkürzt werden. Auf sozial­partner­schaftlicher Ebene kann eine Reihe an Maßnahmen entweder in Kollektiv­verträgen oder betrieblich eingeführt werden, die auch inner­betrieblich zu einer gerechten Verteilung führen. Gesellschaftlich ist die Umverteilung unbezahlter Arbeit notwendig. Nur dann kommt die Arbeits­zeit­verkürzung auch bei allen an und erhöht unseren Wohlstand durch die Verein­barkeit von verschiedenen Verant­wortungen.

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