Gendern: Effektive Gleichstellungsmaßnahme oder reine Symbolpolitik?

07. März 2024

Selten erhitzen sich die Gemüter derart wie bei Debatten um die geschlechtssensible Sprache. Deshalb wird gendersensible Sprache im politischen Diskurs oft als „Dead Cat“ missbraucht – also als bewusster Aufreger zur Ablenkung von eigenen Fehlern oder Versäumnissen bei dringenden Problemen. Ein unaufgeregter Blick auf geschlechtsinklusive Sprache zeigt ihre Potenziale und ihre Grenzen. Die grundsätzliche Benachteiligung von Frauen drückt sich zwar auch in Sprache aus, kann aber nicht (allein) durch Sprachwandel überwunden werden. Ein konstruktiver Beitrag in einer polarisierten Kontroverse.

Das generische Maskulinum – Frauen miteinbezogen?

Das generische Maskulinum beschreibt die Verwendung der maskulinen Form als (scheinbar) geschlechtsneutrale Formulierung, die Frauen miteinbezieht. Etwa: „Alle Arbeitnehmer verdienen Respekt.“ Hier referiert das Wort „Arbeitnehmer“ auf kein Geschlecht im sozialen oder biologischen Sinne, sondern auf eine bestimmte Personengruppe und kann in einem sprachwissenschaftlichen Sinne bereits geschlechtsneutral sein. Gemeint sind hier also sowohl weibliche als männliche Arbeitnehmer:innen. Problematisch allerdings sind die kognitiven Auswirkungen. Das können wir durch ein kleines Gedankenexperiment gleich überprüfen:

„Dr. Mayer wohnt in Wien und hat einen Bruder in Salzburg, Prof. Mayer.
Prof. Mayer hat aber keinen Bruder in Wien. Wie kann das sein?“

Das (etwas abgewandelte) populäre Beispiel verdeutlicht, wie schnell wir tatsächlich Bilder von Männern vor unserem geistigen Auge haben, wird das generische Maskulinum angewandt. In den Köpfen der Menschen ist das generische Maskulinum meist also nicht geschlechtsneutral, sondern männlich konnotiert. Dazu gibt es eine Menge empirische Befunde, die die Koppelung des generischen Maskulinums an das biologische Geschlecht bestätigen. Das generische Maskulinum führt also zum „Male Bias“, einer systematischen Verzerrung zugunsten von Männern.

Genderfaire Sprache – was bringtʼs?

Bereits in den 1970ern und 1980ern kam es zu Forderungen nach einer antisexistischen Sprache und Überlegungen, wie diese aussehen könnte. In der Folge wurde auch überlegt, wie LGBTQ-Communitys besser abgebildet werden können. Dabei entstand mittlerweile eine Vielzahl von Varianten im Deutschen, um Frauen und non-binäre Personen besser abzubilden. Möglich sind unter anderem Beidnennungen (Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen), das Binnen-I (ArbeitnehmerInnen), Neutralisierung (Arbeitende), der Asterisk auch „Gender-Sternchen“ genannt (Arbeitnehmer*innen), der Doppelpunkt (Arbeitnehmer:innen), Unterstrich (Arbeitnehmer_innen) oder das generische Femininum (Arbeitnehmerinnen). Aber bringt das auch wirklich etwas oder wird dadurch Sprache nur unnötig verkompliziert? Die Studienlage zeigt durchaus Effekte einer geschlechterinklusiven Sprache. Hierzu einige interessante Beispiele:

  • Eine experimentelle Studie aus Deutschland zu den kognitiven Auswirkungen des generischen Maskulinums zeigte, dass Studienteilnehmer:innen vorwiegend männliche Beispiele angeben, wenn sie im generischen Maskulinum nach drei bekannten Personen aus Sport und Politik mittels Fragebogenerhebung befragt werden. Wurde aber beispielsweise explizit – mit Hilfe der Beidnennung – nach „Politikerinnen und Politikern“ gefragt, wurden Frauen etwas häufiger mitgedacht; und signifikant häufiger, als sie gebeten wurden, „PolitikerInnen“ (mit dem Binnen-I) zu nennen. Gendern kann also zu mehr Bewusstsein beitragen und tatsächlich bewirken, dass Frauen (und LGBTQ-Personen) sichtbarer werden.
  • Eine deutsche Untersuchung des Einflusses der Gestaltung von Stellenanzeigen auf Bewerberinnen zeigt positive Effekte einer geschlechtergerechten Ansprache bei Jobausschreibungen: Frauen wurden durch explizite Ansprache dazu ermutigt, sich zu bewerben – bei einer rein männlichen Formulierung schreckten sie eher davor zurück.
  • Eine weitere Studie der Freien Universität Berlin, die die Auswirkungen von genderfairen Jobbeschreibungen auf Kinder untersuchte, belegte, dass Kinder sich eher zutrauen, typisch männliche Berufe zu ergreifen, wenn diese in männlicher und weiblicher Form genannt werden und nicht ausschließlich im generischen Maskulin. Dieselbe Studie zeigt außerdem, dass Berufe dann aber als leichter, weniger wichtig und weniger bedeutend eingestuft wurden, wenn auch die weibliche Form genannt wurde.
  • Eine geschlechterfaire Ansprache kann aber durchaus mehr: Nicht nur, dass sich Frauen mehr zutrauen, spricht man sie direkt an, sondern sie performen auch besser, wenn sie direkt angesprochen werden. Zu dem Ergebnis kommt zumindest eine israelische Studie, die die Effekte gegenderter Sprache auf die Performanz von Frauen bei Mathematiktests untersuchte. In einem Experiment wurde gezeigt, dass sich der „Gender-Math-Gap“ reduziert, wenn Frauen explizit als solche adressiert werden. Werden Frauen nur mit der männlichen Anrede angesprochen, nehmen sie stärker wahr, dass Mathe nur für „Jungs“ sei, wodurch ihre Anstrengungen während des Mathe-Tests sinken.

Gerade bei Rollen- und Berufsbezeichnungen ist es also sinnvoll, alle Geschlechter zu adressieren, was auch tatsächliche Auswirkungen haben und somit ein Beitrag in Richtung mehr Geschlechtergerechtigkeit sein kann.

Gendern: Mehr als Symbolpolitik – aber mit Grenzen!

Nichtsdestotrotz wird eine rein sprachliche Anpassung die vielfältigen Benachteiligungen von Frauen alleine nicht auflösen, da ihre Wurzeln strukturell bedingt sind. Dafür spricht auch, dass Gesellschaften, in denen Sprachen gesprochen werden, die grammatikalisch absolut geschlechtsneutral sind (bspw. Thailändisch), trotzdem patriarchal und teils auch misogyn sind.

Interessant ist es außerdem, sich noch einmal das Ergebnis der oben zitierten Studie der Freien Universität Berlin in Erinnerung zu rufen, in der Kinder Berufe gleichzeitig als einfacher, weniger wichtig und weniger bedeutend einstufen, wenn diese durch weibliche Nennung auch als Frauenberufe gedacht werden können. Das Problem ist, dass die grundsätzliche Abwertung des Weiblichen noch immer tief in unserer Gesellschaft verankert ist. Diese Abwertung drückt sich zwar auch in Sprache aus, kann aber durch Sprachwandel allein nicht überwunden werden.

So werden weiblich konnotierte Berufe wesentlich schlechter bezahlt als klassische Männerberufe, obwohl sie aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken sind. Branchen und Berufe ändern sogar mit Zu- bzw. Abwanderung von Frauen ihre Wertigkeit in der Gesellschaft und mit ihr ihre Entlohnung. Das ist kein Argument gegen eine geschlechtergerechte Sprache, wie häufig auch in Streitgesprächen angeführt, sondern eine Erinnerung daran, dass tatsächliche Gleichstellung ein vielfältiges Maßnahmenbündel braucht – welches im Kern auf die wirtschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern und die gleichberechtigte Teilhabe abzielen muss!

Was es also braucht:

Geschlechtergerechte Sprache kann auf jeden Fall ein wertvoller Beitrag eines Maßnahmenbündels für eine gleichberechtigte und diskriminierungsfreie Gesellschaft sein – vor allem, um Bewusstsein zu schaffen. Einiges deutet darauf hin, dass die Potenziale durchaus darüber liegen, etwa sich die Performanz von Frauen in männlich konnotierten Domänen verbessert, weil durch explizite gendersensible Ansprache tief eingeschriebene Geschlechterdualismen aufgelockert werden können. Das allein sollte schon Grund genug für die Politik und den öffentlichen Dienst sein, mit gutem Beispiel voranzugehen und eine geschlechterinklusive Sprache zur Norm zu machen. Immerhin hat die tatsächliche Gleichstellung in Österreich Verfassungsrang und es sollte nichts unversucht bleiben, diesem entfernten Ziel endlich näherzurücken. Auch die Betriebe können hier einen Beitrag leisten und inklusive Leitfäden erstellen und somit alle Geschlechter bewusst ansprechen. Allenfalls lohnt sich, darauf zu achten, wenn plötzlich durch Debatten rund ums Gendern wieder einmal polarisiert wird, was dadurch intendiert wird, um schließlich nicht einer Debatte rund um eine tote Katze auf den Leim zu gehen.

Was es aber auf alle Fälle braucht, ist die angemessene finanzielle Aufwertung von „typischen“ Frauenberufen, dann kommen gesellschaftliche Wertschätzung und der Respekt ganz bestimmt. Zudem:

  • eine der gesellschaftlichen Bedeutung angemessene Bewertung von Arbeit
  • einen kollektivvertraglichen Mindestbruttolohn von 2.000 Euro pro Monat
  • die schnelle und effektive Umsetzung der EU-Lohntransparenzrichtlinie
  • eine neue „gesunde Vollzeit“ durch das Recht auf regelmäßige 4-Tage-Woche (mit verkürzter Wochenarbeitszeit) mit dem Ziel der besseren FAIRteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern
  • den flächendeckenden Ausbau von Kinderbildungs- und -betreuungseinrichtungen sowie von Pflege- und Betreuungsplätzen
  • Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Geburtstag 
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