Die EU-Kommission hat im Dezember 2017 ein umfassendes Paket zur „Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU)“ vorgelegt, welches aus weitreichenden und teils detailliert ausgeführten Vorschlägen in vier Bereichen besteht. Wir fassen diese zusammen, bewerten sie und zeigen, dass es sich dabei überwiegend um politische Weichenstellungen in die falsche Richtung handelt. Einige Vorschläge stehen nicht nur im Widerspruch zum EU-Recht, sondern würden in der vorliegenden Form einmal mehr ein Wirtschaftsmodell vertiefen, das den in den EU-Verträgen verankerten sozialen Zielen nicht gerecht wird.
Der Europäische Währungsfonds (EWF) – Stabilisierung bei Finanzierungskrisen
Nachdem in der Krise die Refinanzierung mehrerer Eurostaaten gefährdet war, wurde unter anderem der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) im Jahr 2012 eingerichtet. Er leistet Finanzierungshilfen, wie z.B. Darlehen (derzeit 74,2 Mrd. Euro von max. 500 Mrd. Euro vergeben), „wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes oder seiner Mitgliedstaaten zu wahren.“ Die Eigenkapitalausstattung des „Euro-Rettungsschirms“ speist sich aus der gemeinsamen Beteiligung der Eurostaaten. Aufgrund seiner hohen Bonität kann er günstig Fremdkapital aufnehmen.
Geht es nach der Europäischen Kommission, soll nun der ESM, der auf einem völkerrechtlichen Vertrag beruht, in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umgewandelt und im EU-Recht verankert werden. Der dazu vorgelegte Vorschlag für eine Verordnung des Rates soll bis Mitte 2019 angenommen werden. Die Strukturen des ESM bleiben im Wesentlichen erhalten. In vier Bereichen kommt es jedoch zu Änderungen. Erstens soll der EWF als Letztsicherung für den einheitlichen Banken-Abwicklungsfonds fungieren. Zweitens soll analog zum IWF eine schnellere Beschlussfassung für dringende Situationen ermöglicht werden, sodass für bestimmte Beschlüsse eine verstärkte qualifizierte Mehrheit (85 Prozent) ausreicht. Drittens soll es neben der Kommission zu einer direkteren Beteiligung des EWF bei der Verwaltung der Hilfsprogramme kommen. Viertens soll der EWF neue Finanzinstrumente entwickeln können.
Dass im Fall von Finanzierungskrisen robust eingegriffen wird, um Ansteckungseffekte zu vermeiden, scheint aus Perspektive der Finanzstabilität notwendig. Leider ist der EWF in der vorgeschlagenen Form aus mehreren Gründen jedoch kein zu unterstützender Vertiefungsschritt. Bereits seine Einrichtung im Wege des Sekundärrechtes ist europarechtswidrig. Vielmehr müsste diese – wie ursprünglich auch von der EU-Kommission angedacht und vom EU-Parlament gefordert – demokratisch entsprechend durch eine Änderung der Europäischen Verträge erfolgen. Zweitens sind keine Mitentscheidungsrechte des EU-Parlaments hinsichtlich der den Staaten auferlegten Finanzierungsbedingungen vorgesehen. Die Rechenschaftspflichten des EWF, etwa dass der geschäftsführende Direktor von den zuständigen Ausschüssen des EU-Parlaments gehört werden kann, sind keinerlei Ersatz dafür. Drittens reichen die Nachbesserungen im Zusammenhang mit den Finanzierungsbedingungen (z.B. eine Einschätzung sozialer Folgen) bei weitem nicht aus. Vielmehr ist es unabdingbar, dass die Europäische Säule sozialer Rechte und alle relevanten Bestimmungen der Grundrechtecharta als Kriterienkatalog für die Auflagen im Zusammenhang mit der Kreditgewährung in der Verordnung verankert werden. Viertens sind die Bereiche, in denen es beim EWF zu Änderungen kommen soll, keineswegs unproblematisch, etwa auch was die Letztsicherung betrifft. Schließlich lagen die Ursachen der Eurokrise vor allem in schwacher Finanzmarktregulierung, Ungleichverteilung und zwischenstaatlichen Ungleichgewichten. Und in diesen Bereichen besteht nach wie vor deutlicher Handlungsbedarf. Bereits eine entschlossene Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung würde die finanzielle Stabilität der WWU entscheidend erhöhen. Hier sind jedenfalls noch Diskussionen und weitreichende Korrekturen notwendig, um den vorgeschlagenen EWF zu einem guten Instrument einer vertieften WWU zu machen.
Der Fiskalvertrag – starre Defizit- und Schuldenregeln für öffentliche Haushalte
Der Vertrag über die Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der WWU (SKS-Vertrag) – bekannt als Fiskalvertrag oder Fiskalpakt – trat am 1. Jänner 2013 in Kraft, nachdem er wie der ESM über das Völkerrecht eingerichtet worden war. Er sieht vor allem nationale Schuldenbremsen (bevorzugt in Verfassungsrang) und automatische Korrekturmechanismen bei Überschreitung der Fiskalregeln vor. Die Kommission schlägt nun vor, die Substanz des SKS-Vertrags im Rahmen einer Richtlinie in das EU-Recht zu übertragen, was ebenso bis Mitte 2019 angenommen werden soll.
Dies ist abzulehnen. Einerseits ist es europarechtswidrig, da es weder der Kommission noch dem Rat zusteht, die Mitgliedstaaten auf die Erlassung innerstaatlicher Haushaltsregeln oder die Einrichtung von Institutionen zu verpflichten. Zudem ist der Vertrag ökonomisch falsch konstruiert. Statt einer weiteren Verschärfung des fiskalpolitischen Regelwerks braucht es eine Ausweitung der Spielräume vor allem in ökonomischen Schwächephasen, bspw. durch die Einführung einer goldenen Investitionsregel. Diese Regel würde den offensichtlichen Widerspruch zwischen öffentlichen Investitionsnotwendigkeiten und EU-Fiskalregeln nachhaltig entschärfen.
Europäischer Minister für Wirtschaft und Finanzen – institutionelle Gestaltung
Ein weiterer Vorschlag sieht die Schaffung eines Europäischen Ministeramts für Wirtschaft und Finanzen vor, worüber auch bis Mitte 2019 eine Einigung erzielt werden soll. Diese/r MinisterIn soll als zentrale/r GesprächspartnerIn für Fragen der Wirtschafts-, Fiskal- und Finanzpolitik die wirtschaftspolitische Koordinierung stärken, die Formulierung und Umsetzung einer angemessenen Fiskalpolitik für das Euro-Gebiet als Ganzes unterstützen und die EU-Haushaltsinstrumente koordinieren. Er/Sie wäre gleichzeitig VizepräsidentIn der Kommission, würde den Vorsitz in der Eurogruppe innehaben und damit auch den Vorsitz im Gouverneursrat des EWF führen und hätte somit eine gewichtige Position.
Eine solche Funktion hätte den Vorteil, dass dadurch die informelle Euro-Gruppe, die sich aus den Euro-FinanzministerInnen zusammensetzt, zu mehr Transparenz verpflichtet würde und aufgrund der oben beschriebenen Doppelfunktion ein Misstrauensantrag gegenüber dem/der entsprechenden KommissarIn im EU-Parlament möglich wäre. Das neue Amt müsste aber Teil eines Gesamtpakets sein, das die Demokratiedefizite der wirtschaftspolitischen Steuerung und institutionelle Ungleichgewichte behebt. Unter vielem anderen mehr bräuchte es als Gegengewicht eine/n EU-Arbeits- und SozialministerIn auf der gleicher Ebene, welche/r z.B. für die Umsetzung und Überwachung der Europäischen Säule sozialer Rechte zuständig ist. Und dem Europäischen Parlament muss in der wirtschaftspolitischen Steuerung zukünftig eine Schlüsselrolle durch Mitentscheidung zukommen.
Vier neue Haushaltsinstrumente für ein stabiles Euro-Währungsgebiet?
Für ein gutes und stabiles Funktionieren der Währungsunion schlägt die Kommission vier neue Haushaltsfunktionen vor:
Erstens sollen sogenannte Strukturreformen verstärkt unterstützt werden. Geplant ist ein „neues Umsetzungsinstrument“, welches zunächst in einer „Pilotphase“ getestet werden soll. Das „neue Umsetzungsinstrument“ selbst soll beim nächsten mehrjährigen Finanzrahmen ab 2021 installiert werden. Es soll jenen Staaten zur Verfügung gestellt werden, „die sich im Dialog mit der Kommission zu Reformen verpflichten und diese in Reformzusagen vereinbart haben.“ Anhand des Mitteilungstextes kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Maßnahmen, die in Druck auf ArbeitnehmerInnen und Gewerkschaften resultieren, als „unterstützungswürdig“ erachtet werden. Alles spricht dafür, dass hinter diesem Vorschlag die Wiederbelebung des gescheiterten Versuchs der Kommission steckt, ein Instrument für Konvergenz und Wettbewerbsfähigkeit („Wettbewerbspakte“) einzuführen. Daher ist dieser Vorschlag abzulehnen.
Zweitens sollen Nicht-Euro-Mitgliedstaaten auf Wunsch bei der Vorbereitung auf ihren Euro-Beitritt durch eine besondere Konvergenzförderung unterstützt werden. Eine spezifische zusätzliche Euro-Beitrittshilfe ist jedoch nicht notwendig, zumal die Euro-Kandidaten, abgesehen von Dänemark, Schweden und Großbritannien, jene Staaten sind, die ohnehin (bezogen auf ihr Bruttoinlandsprodukt) den größten Anteil aus den EU-Strukturfondsmitteln erhalten. Demgegenüber würde die Schaffung von Voraussetzungen für eine Angleichung der Staaten nach oben (etwa durch eine stärkere Lohndynamik, Ausbau sozialer Mindeststandards, Ausweitung öffentlicher Investitionen etc.) die Attraktivität des Euro-Währungsgebiets erhöhen und damit wohl auch den Euro-Beitritt der Euro-Kandidaten beschleunigen.
Drittens soll der EWF die geplante gemeinsame Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds (SFR) übernehmen. Dabei gibt es bereits über den ESM Möglichkeiten zur Stützung von Finanzinstituten. Kommt nun die Funktion als Letztsicherung für den SRF hinzu, so verschiebt sich der Charakter noch weiter weg von einer Stabilisierungseinrichtung für Staaten hin zu einer Stabilisierungseinrichtung für den Finanzsektor. Vor diesem Schritt bedarf es jedoch grundsätzlich einer nachhaltigen Stabilisierung des Finanzsektors selbst, wie das vor allem durch eine umfassende Bankenstrukturreform, bei der das Risiko des Investmentbankings von jenem des Geschäftsbankenteils getrennt wird, sicherzustellen wäre. Zudem muss gewährleistet sein, dass die Kosten der Letztsicherung letztlich ausschließlich vom Bankensektor selbst getragen werden.
Und viertens ist sinnvollerweise die Einführung einer Stabilisierungsfunktion geplant, um bei großen asymmetrischen Schocks die Stabilisierungsaufgaben nationaler Haushalte zu ergänzen. Diese Funktion soll auf Basis festgelegter Parameter wie etwa „eine große vorübergehende Abweichung von den Trends bei Arbeitslosigkeit und Investitionen“ automatisch ausgelöst werden, was wir ausdrücklich begrüßen. Zusätzliche Konditionalität ist bei diesem Instrument (also die Koppelung der Unterstützung an die Einhaltung bestimmter Kriterien) weder notwendig noch sinnvoll, weil damit der Automatismus zwangsläufig geschwächt würde. In erster Linie soll es darum gehen, EU-Mittel für Investitionen und zur Abfederung stark steigender Arbeitslosigkeit rasch zur Verfügung zu stellen. Im Hinblick auf die Dotierung dieser Funktion, die nach Schätzungen der Kommission ein größeres Volumen als der reguläre jährliche EU-Haushalt aufweisen müsste, sind allerdings noch viele Fragen offen.
Eine WWU der verbesserten Lebens- und Arbeitsbedingungen
Die Vertiefung der WWU ist kein Selbstzweck, sondern muss sich an Zielen orientieren. In ihrem Reflexionspapier zur Vertiefung der WWU vom 31. Mai 2017 listet die Kommission u.a. folgende Ziele auf: „Arbeitsplätze, Wachstum, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Konvergenz und finanzielle Stabilität“. Diese Ziele spiegeln sich in den Vorschlägen der Kommission nur marginal wider. Eine ähnliche Formulierung findet sich auch in der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum oben angeführten Reflexionspapier. Allerdings müsste dieser Zielkatalog aus unserer Sicht zumindest noch um Wohlstand und ökologische Nachhaltigkeit ergänzt werden.
Um diese Ziele zu erreichen, braucht es Fundamente für ein besseres Europa (lohnpolitische Koordinierung, symmetrischer Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte) – auch im Wege einer Vertragsreform (Demokratisierung, soziales Fortschrittsprotokoll, wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik, goldene Investitionsregel, Anwendung der Brückenklausel des EUV). Damit könnten ausgeglichene Haushalte, wirtschaftliche Dynamik, soziale Ausgewogenheit, Wohlstand und eine Aufwärtskonvergenz in der WWU deutlich vorangetrieben werden.