Anstatt die nachfragegetriebene Investitionsschwäche an der Wurzel zu packen und die Wirtschaftspolitik wenn schon nicht neu auszurichten, so doch zu reformieren, setzt die EU auf die „Segnungen“ dessen, was die letzten dreißig Jahre das große Leitthema war: (Neo-)Liberalisierung des Binnenmarktes. Anstatt fehlende öffentliche Investitionen in Bildung und Infrastruktur durch eine goldene Investitionsregel zu ermöglichen, ist die Union im Rahmen der sogenannten „Kapitalmarktunion“ nun fest entschlossen, die Investitionen ausgerechnet mit jenen Kapitalmarktinstrumenten wiederzubeleben, die nicht unerheblich zum Entstehen der Krise beigetragen haben – den Kreditverbriefungen. Statt weiterer Finanzmarktliberalisierung, Abbau von ArbeitnehmerInnenrechten und Austeritätspolitik ist eine wohlstandsorientierte Wirtschaftspolitik zur Stärkung der Nachfrage in Europa voranzutreiben.
Die sogenannte Kapitalmarktunion ist spätestens seit dem Bericht „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden der „5 Präsidenten“ (Kommissionspräsident Jean Claude Juncker, Präsident der Europäischen Rates Donald Tusk, Präsident der Euro-Gruppe Jeroen Dijsselbloem, EZB-Präsident Mario Draghi und Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz) in aller Munde. Sie sollte eine der Antwort auf die Investitionsschwäche in Europa sein. Konkretisiert wurde sie vergangenen September mit einem „Aktionsplan“. Darin wird genau auf jene angebotsseitigen Maßnahmen gesetzt, die wesentlich zur Entstehung der Finanzkrise beigetragen haben: Die Verbriefung und Verpackung von Kreditinstrumenten.
Investitionsförderung durch „Verschwinden-Lassen“ des KMU-Kreditrisikos auf den „Märkten?
Neu ist, dass nun insbesondere auf Kredite an Klein- und Mittelbetriebe (KMU) gesetzt wird. Gemäß dem „originate and distribute“ Modell soll es kreditgebende Institutionen ermöglicht werden, ausstehende Kredite zu bündeln und weiterzuverkaufen. Dadurch besteht bei der Kreditvergabe kaum mehr ein Anreiz, das Risiko adäquat zu prüfen, weil Kredite ja mit der Absicht vergeben werden, diese letztlich zu veräußern, und damit das Risiko aus der Bilanz der kreditvergebenden Institution „verschwinden“ zu lassen. Am „Markt“ – oder meist in Bilanzen anderer Banken – bleibt das Risiko aber weiter bestehen und wird zunehmend unkalkulierbar. Die dem Zusammenbruch von Lehman Brothers folgende Vertrauenskrise war Ausdruck dessen, dass kein Institut dem anderen Kredit geben wollte, weil nicht bekannt war, welche Risiken über die verbrieften Kreditpakete in den Bilanzen „schlummerten“.
Ein Verbriefung von KMU-Krediten ist aber auch aus rein praktischen Gründen fraglich: Wer soll AnsprechpartnerIn für die KreditnehmerInnen sein, wenn es zu vorübergehenden Liquiditätsengpässen kommen sollte? Eine Hausbank hat meist genügend Informationen über KreditnehmerInnen, um zu beurteilen, ob es sich um ein kurzfristiges Liquiditätsproblem oder um ein Solvenzproblem handelt. Und eine solche Bank ist meist auch flexibel genug, entsprechend darauf zu reagieren. Bei verbrieften Kreditpaketen ist dies nicht der Fall.
AnlegerInnen verfügen aber nicht nur nicht über gleich gute Information über KMU wie Banken, sondern haben auch weniger Möglichkeiten, das Risiko zu kontrollieren. Darüber hinaus stellt sich die Frage der Preisbildung für solche Instrumente, für die nicht genügend Liquidität beim Handel besteht. In einer solchen Situation verlässt man sich dann eher auf Ratings, was uns direkt zur „Kultur der organisierten Verantwortungslosigkeit“ führt.
Es könnte sich fast der Verdacht aufdrängen, dass der eigentlich Zweck der Übung darin besteht, jenen Finanzdienstleistern in der Londoner City wieder mehr Geschäft zuzutreiben, deren Geschäftsfelder seit der Krise ausgetrocknet sind.
Kapitalmarktunion – am eigentlichen Investitionsproblem vorbei
Wäre dem Aktionsplan eine Analyse der Investitionsschwäche vorangegangen, hätten sie sich einerseits mit der durch europäische Spar- und Wettbewerbspolitik induzierte Nachfrageschwäche beschäftigen müssen. Andererseits hätte man auf die Berichte zu den Finanzierungsbedingungen der Unternehmen des Europäischen Zentralbanksystems zurückgreifen können. Auch die Befragungen der Unternehmen stützten klar die makroökonomische Evidenz, dass es sich bei der Investitionsschwäche der europäischen Wirtschaft vorrangig um ein Nachfrageproblem handelt. So zeigt sich seit einigen Quartalen, dass das Problem neue Kunden zu finden nicht nur am öftesten angegeben wird, sondern auch jenes ist, das am stärksten zunimmt. Demgegenüber werden von den Unternehmen selbst Finanzierungsprobleme nicht nur geringer eingestuft, sondern verlieren auch an Dringlichkeit – und das über alle Unternehmensgrößen und über die gesamte Union hinweg (mit Ausnahme Griechenlands).
Zusätzlich hat sich die Finanzierungslücke, also die Gegenüberstellung des abgefragten Bedarf an externen Finanzmitteln und des Zugangs zu Finanzmitteln, geschlossen – auch in jenen Ländern, die besonders von der Krise betroffen waren oder sind (wieder mit der Ausnahme Griechenlands). Jene Gründe, bei denen noch ein Problem beim Zugang zu externen Finanzmitteln gesehen wird, sind der allgemeine wirtschaftliche Ausblick sowie der Zugang zu öffentlichen Mitteln (S19 f). Somit lässt sich das Hauptproblem der Investitionsschwäche – der restriktive makroökonomische Kurs in der Union – auch deutlich an den Umfrageergebnissen der Unternehmen erkennen.
Österreich: Investitionen aus Rücklagen leicht finanzierbar
Auch wenn man die Ausstattung der heimischen Unternehmen und ihre Finanzierung betrachtet, deutet einiges darauf hin, dass die Investitionsschwäche eher auf der Nachfrageseite zu suchen ist als beim Zugang zu Finanzmitteln. So verfügen die heimischen Unternehmen der Realwirtschaft (nichtfinanzielle Unternehmen) seit 2007 über mehr Einlagen, als sie durchschnittlich in einem Jahr für Bruttoanlageninvestitionen ausgeben.