Im Mai wird ein neues EU-Parlament gewählt und wir befinden uns daher mitten im Wahlkampf. Immerhin: Alle 5 Jahre werden europäische Themen auch nationale, was ja eigentlich nicht schlecht ist. Weil wir uns aber gar so selten mit der EU beschäftigen, kommen manchmal ein paar Dinge durcheinander. Da wird dann ein bunter Cocktail aus Halb-Informationen verschiedener Quellen gemixt und als „Neoliberalismus-Daiquiri“ zur politischen Happy Hour serviert. Bei dem kollektiven kribbelnden Schauer, der einen beim Genuss dieser Mixtur durchfährt, kann und will man die einzelnen Zutaten dann gar nicht mehr so richtig auseinanderhalten. Aktuell wird europaweit von einigen Bürgermeistern gegen den vermeintlichen Angriff „der“ EU auf den Sozialen Wohnbau gekämpft. Dieser Kampf wird formal wohl erfolgreich sein, denn bis dato macht die EU-Kommission keine Anstalten, sich in diesen Bereich einzumischen. Warum dann aber das Unbehagen mit der europäischen Wirtschaftspolitik? Wo sitzen die „bad guys“ der EU tatsächlich?
Vielleicht gleich zu Beginn: Es reicht nicht alleine die EU-Kommission zum Hort des neoliberalen Schreckens zu erklären, es sind schon ganz konkret die selbstgewählten Regierungen – aber allen voran sind es in Kommission und Regierung die Finanzer, denen der Staat nicht klein genug sein kann! Und die haben überproportional viel Macht – auf nationaler, wie auf EU-Ebene.
Europäisches Wettbewerbsrecht – eine Begriffsklärung
Die EU-Wettbewerbspolitik, verkörpert durch die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, gilt als Hort des Marktliberalismus. Nun, das „Mission Statement“ ist auch „Making markets working better“. An sich ist Wettbewerbsrecht aber noch nicht „Best of Böse“. Es geht dabei darum, harmonisierte Spielregeln für alle Mitgliedstaaten und Marktteilnehmer zu etablieren, wie sie auch im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (in den Artikeln 101-109) festgelegt sind. Zu solchen Spielregeln gehört im Übrigen auch die Frage, unter welchen Bedingungen staatliche Beihilfen erlaubt sind. Und damit kommen wir zu einem der spannendsten Punkte der Diskussion: Dem Europäischen Beihilfenrecht. Generell sind staatliche Beihilfen verboten. Davon gibt es jedoch Ausnahmen wie unter anderem Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder Beihilfen, um die Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder –gebiete zu fördern. Unter welchen Bedingungen diese Beihilfen konkret von der EU-Kommission als mit dem Vertrag vereinbar angesehen werden, legt die sie in Leitlinien und Mitteilungen fest. So beispielsweise die Leitlinien für staatliche Umweltschutzbeihilfen, für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, oder der Beihilferahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation usw. Diese Leitlinien unterliegen allerdings keiner Beschlussfassung im Rat und sind zwar kein Rechtsakt aber trotzdem für die Kommissionsentscheidungen relativ verbindlich. Ein demokratiepolitisches Problem, jedenfalls!
In ihrer Funktion als „Hüterin der Verträge“ kann bei der EU-Kommission wettbewerbsverzerrendes Verhalten „eingeklagt“, genauer gesagt: vorgebracht werden. Und zwar von jedem und jeder. Sicher, die europäische Politik ist schwierig zu durchschauen. Aber verglichen mit den makroökonomischen Politikvorgaben (Six-Pack, Two-Pack etc) ist das Wirtschaftsrecht geradezu schamlos offen: Da gibt es öffentliche Konsultationen zu Hauf und ein Recht auf Antwort auf jede Beschwerde.
So ist zB das deutsche Erneuerbare Energiegesetz (EEG) genau auf Basis einer solchen Beschwerde arg ins Trudeln geraten: Die EU-Kommission hat Zweifel an der Wettbewerbskonformität der großzügigen Ausnahme von der Finanzierung für die Industrie, zu Lasten von Haushalten und KMUs. Ein entsprechendes Verfahren wurde im Frühjahr 2014 eröffnet. Und zwar obwohl es sich bei Deutschland im europäischen Machtgefüge ja wohl eindeutig um einen mächtigen Player handelt. Die EU-Kommission hat damit unabhängig politischer Interventionen ein Verfahren eröffnet, das einen wesentlichen Teil eines nationalen Gesetzes in Frage stellt und möglicher Weise auf neue Beine gestellt werden muss – letztendlich zum Vorteil der privaten Haushalte.
Daseinsvorsorge
Und um auf den Sozialen Wohnbau zurück zu kommen: Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Daseinsvorsorgeaufgaben (Krankendienste, Wasserversorgung, öffentlicher Nahverkehr) sind keine staatliche Beihilfen! Auch wenn in der aktuellen Diskussion immer das niederländische EuGH-Urteil ins Treffen geführt wird, so geht es dabei doch nur um einen ganz bestimmten, konkreten Sachverhalt und ein konkretes Urteil, das nur die Niederlande betrifft. Es entfaltet keine darüber hinausreichende Wirkung und ist daher auf den österreichischen oder Wiener Sozialwohnbau nicht anwendbar – unter bestimmten Voraussetzungen.
Die Unternehmen, die Daseinsvorsorgeaufgaben im Sinne von sozialem Wohnbau ausführen, dürfen Ausgleichszahlungen natürlich tatsächlich nur für diese Zwecke verwenden. Dh, wenn solche Unternehmen auch im allgemeinen Wohnbaumarkt tätig werden und damit teilweise im Wettbewerb mit anderen, privaten Wohnbaufirmen stehen, muss es getrennte Verrechnungskreise geben. Öffentliche Ausgleichszahlungen dürfen nicht zur Quersubventionierung der privaten Bauaktivitäten verwendet werden. Am besten wäre, wenn diese Daseinsvorsorgeaufgaben in Form einer gesetzlichen Verpflichtung transparent festgelegt werden. Dann können sie auch die soziale Integration umfassen, also das Ziel, verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu mischen, um etwa eine Ghettobildung zu vermeiden.
Binnenmarkt – Liberalisierungspolitik und Eigentumsverhältnisse
Häufig kommt in der Diskussion um die Frage, wo der neoliberale Geist am stärksten zum Ausdruck kommt, auch die Generaldirektion Binnenmarkt ins Spiel. Und hier entstehen tatsächlich jene Grundlagen, die zum Ziel haben, der europäischen Union einen möglichst ungestörten freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu bescheren. Im Übrigen entstehen hier auch alle Vorschläge zur Re-Regulierung und Bändigung der Finanzmärkte – seit 2008 ist hier die EU-Kommission im Gegensatz zu der Vor-Krisenzeit sogar durchaus marktkritisch, allein die begrüßenswerten Vorschläge werden vom Rat der Regierungschefs oft verwässert, wie zum Beispiel bei der Bankenabwicklungsrichtlinie oder der sogenannten MiFID II (Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente).
In der Generaldirektion Binnenmarkt werden all jene Liberalisierungsschritte entworfen, die der Idee des Funktionierens der Märkte zum Durchbruch verhelfen sollen. Dort, wo es keine solchen funktionierenden Märkte gibt, sollen sie geschaffen werden – wie im Bereich von Energie, Bahn, Post etc. Was hier in den letzten Jahren versucht wurde, basiert auf ökonomischen Überlegungen, dass es natürliche Monopole – gerade im Netzbereich – gibt, die Marktteilnehmer aufgrund der zu hohen Kosten davon abhalten, sich in diesen Bereichen zu engagieren. Daher werden diese Bereiche getrennt in das Monopol und einen Wettbewerbsteil. Das Monopol wird reguliert und – gerade in Österreich – funktioniert das auch relativ gut, was die Netztarife im Strom- oder Gasbereich betrifft. Was gar nicht funktioniert, ist der Wettbewerbsteil: Schaut man sich die EndverbraucherInnenpreise an, so merken die KonsumentInnen nichts von den Segnungen der Liberalisierung – diese kommen regelmäßig nur bei der Großindustrie an. Die Frage ist, ob das ökonomische Konzept „Markt zu spielen, wo es keinen Markt gibt“ nicht dringend überdacht gehört, wenn die Erfolge bescheiden, die Kosten (zB für die Regulierung) aber beachtlich sind.
Davon getrennt zu betrachten ist die Frage der Eigentumsverhältnisse: „Obwohl Kommunen hauptsächlich über Einrichtungen mit Netzen verfügen, privatisierten sie nach der Jahrtausendwende dennoch eifrig – getrieben von EU-Liberalisierungen und dem Glauben an einen schlanken Staat. Inzwischen jedoch scheint man die Maßnahmen vielerorts zu bereuen.“ (Josef Gepp im Falter 13/2014) Liberalisierung bedeutet nicht per se Privatisierung. Das würde sicher vielen wirtschaftsliberalen Denkern – von denen es in der Kommission mehr als genug gibt – in die Hände spielen, es ist aber vielmehr der zitierte ideologische Überbau, nämlich der „Glaube an den schlanken Staat“, der den Verkauf von öffentlichem Eigentum vorantreibt. Und der kommt mitnichten nur aus der EU-Kommission, sondern ist erklärter Wille des Rates der europäischen Staats- und Regierungschefs. Dabei ist der Staat ist per se unternehmerisch kein besserer oder schlechterer Eigentümer als der Private, er hat nur andere Aufgaben und steht in einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Scheinbar gehen Politik und Verantwortung aber in manchen Ländern schlecht zusammen, denn dort wollen die Regierungen ihre Unternehmen loswerden. In Österreich hat jedenfalls die Liberalisierung noch nicht dazu geführt, dass das öffentliche Eigentum an Energie, Post oder Bahn sich deshalb verändert hätte. Das hat zumeist andere Gründe.
Wo liegt das wirtschaftspolitische Problem in der EU?
Das Leitmotiv der europäischen Wirtschaftspolitik ist sicher jenes des Marktliberalismus. Ideologisch am freisten entfalten kann sich dieses Denken in der EU bei den Finanzministern, ihrem mächtigen Gremium dem EU-Finanzministerrate (ECOFIN, Rat Wirtschaft und Finanzen) und ihren Helfern in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen! Die Austeritätspolitik der EU, ökonomisch durch nichts mehr zu begründen, führt zu einer Zurücknahme des Staates und zu Privatisierungspolitik. Wertvolle Unternehmen mit zentralen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, wie etwa in der Daseinsvorsorge, werden zu Ausverkaufspreisen an rein profitorientierte Private verkauft. – Ein Staat, der schlecht geredet und finanziell ausgeblutet wird, kann sich natürlich nicht mehr als wirtschaftspolitischer Akteur bewähren. Im Grunde ist auch das das Problem der Bürgermeister: Nicht die Tatsache, dass sich die Kommission angeblich in den Sozialen Wohnbau einmischt, sondern, dass die Gemeinden ihn sich nicht mehr leisten können – das ist das politische Versagen. Es ist nicht durch “die“ EU verursacht, sondern durch die Regierungen jedes einzelnen Mitgliedstaates!