Die Europäische Kommission hat bereits mehrmals auf Drängen von VermieterInnenverbänden sozialpolitische Regelungen im Bereich Wohnen in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten beanstandet. Einige konservative Regierungen nahmen das als willkommenen Anlass, um den Gestaltungsspielraum im sozialen Wohnbau deutlich zu beschneiden. Eine neue Initiative 27 Europäischer Städte will hier nun gegensteuern. Sie pocht auf die nationalstaatliche Autonomie in der Wohnpolitik und fordert eine breite Definition des sozialen Wohnbaus ein.
Grundsätzlich sind Wohnungsbau und –vermietung autonome Regelungskompetenz der einzelnen EU Mitgliedstaaten. Und so könnte man meinen, wer in einer mit Förderung errichten Wohnung wohnen kann und darf, bestimmen in Österreich die jeweiligen Bundesländer selbst. Leider ist dem aber nicht so, denn die EU genauer die EU Kommission als Exekutivorgan für das EU Recht nimmt immer stärker in den Bereich Wohnen Einfluss. Einerseits interveniert sie über das EU Wettbewerbsrecht und dessen Ausnahmen (das soziale Beihilfenrecht SGEI), andererseits über das Energierecht, das im Rahmen der geteilten Zuständigkeit auch Regelungskompetenz der EU ist.
In bereits zwei europäischen Mitgliedsstaaten sind die Bewohner mit tiefgreifenden Änderungen im Bereich des sozialen Wohnbaus konfrontiert – Schweden und Niederlande. In einem dritten – Frankreich – hat die nationale Regierung deutlich gemacht, dass sie die von der EU Kommission – aufgrund einer Beschwerde des französischen VermieterInnenverbandes – angestrengte Überprüfung der französischen Regelung des sozialen Wohnbaus als eine unangemessene Einmischung in innerstaatliches Recht betrachtet.
Präzedenzfälle, von Schweden …
In Schweden handeln VermieterInnen und MieterInnen das Mietniveau aus. Wenn keine Übereinstimmung erzielt werden kann, dann wird die Miete durch Schlichtungsstellen und Gerichte festgelegt. Der sogenannte angemessene Mietzins ist als Vergleichsmiete konstruiert. Dafür wurden bislang jene Wohnungen herangezogen, die gemeinnützigen Bauträgern gehören. In der Praxis kam es daher dazu, dass private Mieten nicht mehr als 5% teurer sein durften als die Mieten in gemeinnützigen Wohnungen. In den Beitrittsverhandlungen der Schweden zur EU wurde ausgehandelt, dass dieses System beibehalten werden darf.
Dennoch wurden zwei Beschwerden von der European Property Federation (EPF) bei der Kommission anhängig gemacht, die dieses System in Frage stellten. Diese forderten die Freiheit, den Mietzins nach eigenem Gutdünken festzulegen. Sie wollten weiters verhindern, dass dem gemeinnützigen Sektor Subventionen zufließen. Denn dies sei wettbewerbsverzerrend, weil es das Mietzinsniveau drücke. Unter anderem ging es auch um Darlehen der Gebietskörperschaften an gemeinnützige Wohnbaugesellschaften von über 200 Mio Euro pro Jahr, die als versteckte staatliche Subventionen betrachtet wurden.
Letztlich einigte sich die konservative schwedische Regierung mit der EU Kommission darauf, dass schwedische öffentliche bzw. gemeinnützige Vermieter (public housing companies) genau wie private, professionelle VermieterInnen auf dem Wohnungsmarkt nach Marktkriterien ihre Geschäfte führen müssen. Zusätzlich müssen seit Januar 2011, neben den Mieten der öffentlichen Bestände auch die Mieten des privaten Sektors zur Bestimmung des durchschnittlichen Mietpreises herangezogen werden. Die Folgen werden zwangsläufig steigende Mieten sein. Eine weitere Konsequenz der EU Intervention ist, dass derzeit keinerlei öffentliche Mittel in den Wohnbau fließen und dieser weit hinter den Bedarf zurückgefallen ist. Derzeit wartet man in Stockholm bzw Göteburg zwischen 10 und 20 Jahren auf eine Gemeindewohnung.
… über die Niederlande …
Im Fall Niederlande begann die EU Kommission im Jahr 2005 mit der Prüfung des niederländischen sozialen Wohnbausystems auf seine Vereinbarkeit mit den EU Wettbewerbsregeln. Anstoß nahm die EU Kommission insbesondere daran, dass bei den BewohnerInnen nur bei Bezug der Anlage das Einkommen kontrolliert wird. Nach Ansicht der EU Kommission sei der soziale Wohnbau nur der einkommensschwachen Bevölkerung vorbehalten. Zudem wurden die rund 600 „housing associations“ in Visier genommen, die 75 % des Mietwohnungsbestandes in den Niederlanden besitzen. Die EU Kommission war der Ansicht, dass diese Situation dem privaten Sektor keine faire Chance am Markt gibt. Nach der EU Kommission sei daher die Privatisierung der Wohnungen bzw Bauvereinigung anzustreben. Weiters wurde ein niedrigeres Einkommenslimit beim Zugang zum sozialen Wohnbau gefordert.
In der Folge brachte der Niederländische Verband der institutionellen AnlegerInnen (IVBN) eine Klage wegen Wettbewerbsverzerrung ein. Die Kommission gab der klagenden Partei im Dezember 2009 Recht. Daraufhin wurde in den Niederlanden die Einkommensgrenze für den Anspruch auf eine geförderte Wohnung von € 38.000 auf € 33.000 pro Jahr gekürzt (das mittlere Einkommen in NL beträgt etwa € 37.000). Allerdings muss hier hinzugefügt werden, dass die niederländische Regierung die Möglichkeit gehabt hätte, eine andere Einkommensgrenze festzulegen. Nachdem zu dieser Zeit allerdings eine liberal-konservative Koalition an der Macht war, der die Einflussnahme der EU recht gelegen kam, nutzte sie diese Möglichkeit nicht.
In den letzten 5 Jahren haben die niederländische Mietervereinigung Woonbond gemeinsam mit der Internationalen Mietervereinigung (IUT) in vielen zähen Verhandlungen endlich erreicht, dass diese Einkommensgrenze ab Juli 2014 wieder auf die 38.000,- angehoben werden wird.
… bis Frankreich
In Frankreich brachte der private VermieterInnenverband UNPI im Jahr 2012 eine Beschwerde bei der EU Kommission ein, worin es ebenfalls um die hohen, angeblich wettbewerbsverzerrenden Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau ging. Hier hatte allerdings die derzeit sozialdemokratische Regierung der EU Kommission geantwortet, dass dies eine nationale Entscheidung sei und keine Einmischung gewünscht werde. Seither liegt die Beschwerde auf Eis.
EU-Ziel Reduktion des sozialen Wohnungsbestandes?
In allen drei Beschwerden geht es zusammenfassend darum, die vorhandenen sozialen Wohnungsbestände zu reduzieren, den Zugang zu Sozialwohnungen auf sogenannte sozial benachteiligte Gruppen (idR Menschen, die in Armut oder Obdachlosigkeit leben) zu beschränken sowie die Förderung von sozialem Wohnbau durch Gebietskörperschaften weitestgehend zu unterbinden.
Zwar wird von den VermieterInnenverbänden ein freier Mietenmarkt gefordert, gleichzeitig wird aber anscheinend auch danach getrachtet, dass das Angebot an Wohnungen klein bleibt. Dort wo man tatsächlich von einem freien Markt sprechen könnte – also die MieterInnen tatsächlich unter einer ausreichenden Auswahl von Wohnungen aussuchen können und damit tatsächlich Mieten verhandelbar wären, dort hört man interessanterweise immer öfters den Begriff „Immobilienblase“.
Gegenwind durch neue Initiative für sozialen Wohnbau
Die BürgermeisterInnen vieler europäischer Städte sind daher mittlerweile mit Recht besorgt über die Zukunft des geförderten Wohnbaus – und damit auch um die soziale Durchmischung in den Städten. Problematisch wäre auch die Schwächung der Kaufkraft der Menschen, die bereits jetzt immer mehr für Wohnen ausgeben müssen. Daher sind insgesamt 27 BürgermeisterInnen der Initiative von Wiens Bürgermeister Dr Michael Häupl gefolgt und haben eine gemeinsame Resolution für die Stärkung des sozialen Wohnbaus in Europa veröffentlicht.
Die zentralen Forderungen sind die autonome Entscheidung über die Definition und Gestaltung des sozialen Wohnbaus durch die Mitgliedsstaaten und ihre Gebietskörperschaften sowie die rechtliche Unabhängigkeit vom EU-Wettbewerbsrecht.
Denn leistbares Wohnen für alle gehört zur Daseinsvorsorge (Service of General Economic Interest – SGEI) und darf weder Teil des Wettbewerbsrechts noch eingeschränkt auf die Ärmsten sein.