Der Leitartikel des Economist vom 13. Juli legte den Finger auf eine der zentralen Schwachstellen der Eurozone: Europas Finanzsystem ist in einem schrecklichen Zustand, und es wird nicht viel dagegen unternommen. Diesem Befund ist im Wesentlichen zuzustimmen. Es ist unbestreitbar, dass die Banken eine zentrale Rolle für die Zukunftsaussichten Europas haben. Während Banken in den USA rasch rekapitalisiert wurden, besteht die berechtigte Sorge, dass die EU – insbesondere die peripheren Volkwirtschaften – mit den japanischen Erfahrungen der 1990er Jahre konfrontiert werden könnte: Weder sind die Banken ausreichend gesund, um die Kreditversorgung und die wirtschaftliche Erholung zu fördern, noch sind sie schwach genug um zusammenzubrechen. Die Banken haben zwar mehr Eigenkapital als vor der Krise, aber die Bilanzen vieler Banken sind längst nicht bereinigt. Zu viele Leichen, so genannte „non performing loans“ schlummern im Keller, und die Stress-Tests durch die nationalen Aufsichtsbehörden waren bislang alles andere als überzeugend. Im Finanzsektor ist daher eine Reihe von Hausaufgaben zu erledigen.
Vorrangiges Ziel muss es sein, den Bankensektor wieder so auszurichten, dass er wie einst der Realwirtschaft dient. Vordringlich müssen die Nebelschwaden über die Risikopotenziale der Banken glaubwürdig gelichtet werden. Einigermaßen lebensfähige Banken müssen ihre Verluste realisieren und entsprechend kapitalisiert werden, während die kaputten Banken entweder restrukturiert oder aufgelöst werden müssen. Das setzt die Errichtung einer Bankenunion in geeigneter Form voraus. Ihre drei Säulen (europäische Bankenaufsicht, europäischer Abwicklungsmechanismus und europäische Einlagensicherung), die überall nach denselben Regeln arbeiten, sind rasch und in einem Schritt umzusetzen.
Regulierung des europäischen Bankensektors zu notdürftig
Das ist natürlich nur eine der notwendigen Maßnahmen. Vieles von dem, was bisher geschah, ist Stückwerk. Die Reregulierung und Redimensionierung des Finanzsektors erfolgte entweder gar nicht, im Regelfall zu unsystematisch, zaghaft und mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen. Finanzlobbies und/oder nationale Interessen sorgten für Verwässerungen. Es wird zwar unablässig reguliert, aber viel zu notdürftig, und Abwicklungen scheiterten zumeist am fehlenden Insolvenzrecht. Die Kosten für die europäischen Steuerzahler sind daher mit bisher 140 Mrd Euro entsprechend hoch. Der unzureichende Reformwille lässt sich aktuell auch an der Implementierung der Bankenunion zeigen.
Die Errichtung der gemeinsamen grenzüberschreitenden Bankenaufsicht bei der Europäischen Zentralbank scheint nun in der Zielgerade zu sein. Nach den ursprünglichen Plänen sollte sie alle Banken der Eurozone (mit einem opting-in für jene aus den Nicht-Eurostaaten) prüfen und damit schon zu Jahresbeginn 2013 begonnen haben. Starten wird sie voraussichtlich im Herbst 2014. Bis dahin ist zu befürchten, dass Insider ihre Schäfchen versteckt ins Trockene bringen können. Zudem erscheint die Lösung relativ kompliziert und schwerfällig. Der Richtlinienentwurf der Kommission für eine gemeinsame Einlagensicherung liegt seit Juli 2010 auf Eis. Für dessen Umsetzung wurde bisher noch nicht einmal ein Terminfahrplan entworfen. Und erst am 10. Juli 2013, also knapp fünf (!!) Jahre nach der Pleite von Lehman Brothers, hat EU-Kommissar Michel Barnier einen Vorschlag für einen europäischen Abwicklungsmechanismus vorgelegt.
Wie funktioniert die gemeinsame Bankenabwicklung?
Dieser neue Mechanismus wird die zentrale Bankenaufsicht bei der EZB ab Jänner 2015 ergänzen. Er gilt für alle Staaten, die auch an der gemeinsamen Aufsicht teilnehmen. Die Federführung bei der Abwicklung von Banken geht von der nationalen auf die europäische Ebene über, womit der Fragmentierung der Behörden ein Ende gesetzt werden soll. Zuständig für die Abwicklung wird ein Abwicklungsgremium unter der Leitung eines Ausschusses, dem „Single Resolution Board“, sein. Dieses Gremium besteht aus VertreterInnen der Kommission, der EZB sowie VertreterInnen der nationalen Abwicklungsbehörden. Es bereitet die Abwicklung einer Bank vor, wobei letztlich die Entscheidung der Abwicklung bei der Kommission liegt. Die Abwicklung selbst erfolgt von den nationalen Behörden unter Aufsicht dieses Gremiums.
Zur Finanzierung von Restrukturierungen von Banken wird innerhalb von zehn Jahren ein einheitlicher Bankenabwicklungsfonds mit einem Volumen von rund 55 Mrd Euro (entspricht 1% der gesicherten Einlagen aller Banken) geschaffen. Dieser unterliegt der Kontrolle des „Single Resolution Board“ und wird aus Beiträgen des Bankensektors gespeist. Bei der Festlegung der Beiträge wird das Risikoprofil der Banken mitberücksichtigt.
Zu den Abwicklungsinstrumenten gehören die Unternehmensveräußerung, die Errichtung eines Brückeninstituts, die Ausgliederung von Vermögenswerten und vor allem das Bail-in. Letzteres definiert die Haftungskaskade, nach der die SteuerzahlerInnen entlastet werden sollen. Demnach kommen im Insolvenzfall zuerst die AktionärInnen, GläubigerInnen und EinlegerInnen über 100.000 Euro in die Ziehung. Das Bail-in sollte nach den Zielvorstellungen in den meisten Fällen die Kosten der Abwicklung insolventer Banken decken. Danach wird auf den Abwicklungsfonds zurückgegriffen. Erst wenn alle Stricke reißen, soll der Staat gerade stehen. Das Bail-in wird allerdings erst 2018 vollständig in Kraft treten.
Zielverfehlung und Verwässerung vorprogrammiert
Aus mehreren Gründen ist anzuzweifeln, dass der Barnier-Vorschlag geeignet ist, die Steuerzahler bei der Bankenrettung zu entlasten. In der Aufbauphase reicht der Fonds bei weitem nicht aus, selbst im Endausbau ist das Volumen bescheiden. Bis zur Anwendung des Bail-in Instruments im Jahr 2018 werden weiterhin die Steuerzahler in Vorlage treten müssen. Darin besteht der Skandal des Entwurfs, der sichtlich den Einfluss mächtiger Finanzlobbies widerspiegelt. Die Entscheidung über die Notwendigkeit und das Wie der Abwicklung einer insolventen Bank soll nicht durch die Kommission, sondern durch eine unabhängige Behörde getroffen werden, die auf europäischer Ebene entscheidet. Eine Entscheidung durch die Kommission ist nicht weit reichend genug. Die Kommission argumentiert, dass nach EU-Rechtsprechung verbindliche Ermessensentscheide nur ein EU-Organ fällen darf, nicht aber ein unabhängiges Gremium.
Hinzu kommt, dass der deutschen Regierung der Entwurf viel zu weit geht. Obwohl sich alle europäischen Staaten bei den Gipfeln des Europäischen Rates im Juni und Dezember 2012 für eine gemeinsame Abwicklungsbehörde ausgesprochen haben, will Kanzlerin Angela Merkel nichts mehr davon wissen. Sie behauptet nun, dass der Vorschlag von Barnier mit den Verträgen nicht vereinbar sei. Dem widerspricht nicht nur der Binnenmarktkommissar Barnier, sondern auch ein von den deutschen Grünen (Bundestag und Europaparlament) in Auftrag gegebenes Gutachten zur rechtlichen Machbarkeit. Dieses zeigt, dass die Argumente der Kanzlerin nicht haltbar sind, und es sich dabei somit um ein politisches Ablenkungsmanöver in Wahlkampfzeiten handelt. Auch die deutschen Banken laufen Sturm gegen die Vergemeinschaftung von Mitteln des deutschen Restrukturierungsfonds. Einmal mehr treten nationale vor europäische Interessen. Mit entsprechenden Verwässerungen der Bankenabwicklung ist daher zu rechnen. Für die Sanierung des Bankensektors ist das kontraproduktiv. Die Eurozone wird sich mit ihrem maroden Bankensektor weiterwursteln. Wie lange noch?