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Für eine sozial gerechte Union
Einen wesentlichen Fortschritt in der Sozialpolitik bringt die Mindestlohn-Richtlinie , die angemessene Mindestlöhne in den EU-Mitgliedstaaten festlegt und anstrebt, dass mindestens 80 Prozent aller Arbeitnehmer:innen durch Tarifverträge abgedeckt werden. Die Richtlinie zur Plattformarbeit soll Beschäftigte digitaler Plattformen wiederum besser vor Scheinselbstständigkeit schützen und ihnen Zugang zu arbeitsrechtlichen Bestimmungen wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Erholungsurlaub verschaffen. Die Lohntransparenz-Richtlinie zielt darauf ab, geschlechtsbedingte Einkommensunterschiede in Unternehmen effektiver zu bekämpfen. Das EU-Pflegepaket soll die Arbeitsbedingungen im Pflegesektor verbessern und mehr Menschen, insbesondere Männer, für diesen Sektor gewinnen. Zudem wurde ein Verbot unbezahlter Praktika auf EU-Ebene gefordert, ebenso wie verbindliche Qualitätsstandards für diese.
In diesem Kontext zeigt sich ein klares Bild: Die Fraktionen, die traditionell als lautstärkste Kritiker:innen der EU auftreten, lehnen insbesondere jene Initiativen ab, die die EU sozial gerechter gestalten könnten. Diese Taktik schwächt die EU von innen heraus und geht auf Kosten der Interessen der Arbeitnehmer:innen sowie sozialer Schutzstandards. Dies ist demokratiepolitisch bedenklich, da so Ängste vor sozialem Abstieg oder Politikverdruss geschürt werden.
Bei den Abstimmungen zu diesen Maßnahmen zeigt sich ein eindeutiges Bild: Die drei österreichischen Abgeordneten der FPÖ/ID lehnten jeden genannten Vorschlag geschlossen ab. Die Abgeordneten der ÖVP/EVP (mit Ausnahme von Othmar Karas) stimmten ebenfalls fast ausnahmslos gegen die Maßnahmen, außer bei der Mindestlohn- und Plattformarbeit-Richtlinie, die jedoch zuvor unter kräftiger Beteiligung der EVP erheblich abgeschwächt wurden. Die Lohntransparenz-Richtlinie wurde von der EVP zunächst abgelehnt, bis sie sich schließlich in der finalen Abstimmung enthielt. Die S&D, die Grünen und Renew Europe stimmten ausnahmslos für die Initiativen.
Ein sozial-ökologischer Umbau kann nur gelingen, wenn die Interessen aller Menschen berücksichtigt werden. Die Kommission hat sich das Ziel gesetzt, niemanden zurückzulassen . Da die Arbeitnehmer:innen durch ihre Arbeit diesen Umbau erst ermöglichen, ist es zwingend erforderlich, ihre Interessen zu berücksichtigen. Eine weitere Abschwächung des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes zugunsten der Gewinnmaximierung einiger weniger ist abzulehnen. Hinter Begriffen wie „bessere Rechtsetzung “ oder „Bürokratieabbau “ verbergen sich oft Forderungen nach weiterer Liberalisierung für europäische Unternehmen – zulasten von Arbeitnehmer:innenschutz und Transparenz . In politischen Diskussionen vorgebrachte Zusammenhänge zwischen unternehmerischen Berichtspflichten und der Verschlechterung des Lebensstandards für viele aufgrund von Teuerung entsprechen nicht den Fakten und tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenhängen.
Für eine nachhaltigere Union
Im Bereich der Nachhaltigkeit ist der Green Deal hervorzuheben, mit dem sich die EU ehrgeizige Klimaziele gesetzt hat: Bis 2050 soll die EU der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Das EU-Renaturierungsgesetz zielt darauf ab, geschädigte Ökosysteme in allen Mitgliedstaaten wiederherzustellen und somit zur Erreichung der Klima- und Artenschutzziele der EU beizutragen. Langfristig soll es auch eine stabile Ernährungssicherheit gewährleisten. Im Rahmen des Pakets „Fit for 55“ sollen neue Pkw und leichte Nutzfahrzeuge bis 2035 emissionsfrei werden, was umgangssprachlich als „Verbrenner-Aus“ bezeichnet wird. Weitere Initiativen sollen die EU auf die Klimaneutralität vorbereiten, darunter Gesetze für gesündere und nachhaltigere Lebensmittel, gegen Verpackungsmüll, Luftverschmutzung und Greenwashing. Die EU-Entwaldungsverordnung soll sicherstellen, dass relevante Produkte künftig entwaldungsfrei hergestellt werden, wenn sie in die EU importiert oder aus ihr exportiert werden.
Österreichische Abgeordnete der FPÖ/ID lehnten den Green Deal sowie alle oben genannten Maßnahmen ab, trotz eines erheblich differenzierteren Abstimmungsergebnisses der gesamteuropäischen ID im EU-Parlament. Auch Abgeordnete der ÖVP/EVP, mit Ausnahme von Othmar Karas, stellten sich gegen das EU-Renaturierungsgesetz, das „Verbrenner-Aus“ ab 2035, gesündere und nachhaltigere Lebensmittel sowie Maßnahmen gegen Verpackungsmüll. Die Entwaldungsverordnung wurde (trotz aktuell heimischer Kritik ) ursprünglich auch von der EVP befürwortet – einzig die ID stellte sich dagegen. S&D, Grüne und Renew Europe unterstützten die Initiativen, die jedoch aufgrund von Widerstand nationaler Minister:innen sowie Ankündigungen der EVP teilweise ins Wanken geraten sind.
Initiativen in diese Richtung abzuschwächen oder rückwirkend zu torpedieren , kostet die EU nicht nur Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre Klimaziele, sondern führt auch zu Verunsicherung bei nationalen Entscheidungsträger:innen. Dadurch fielen zuletzt auch Investitionen in europäische grüne Technologien deutlich zögerlicher aus als dort, wo der EU ein geeintes Auftreten gelingt, wie dies in Rüstungsfragen der Fall scheint. Anstatt Unsicherheiten durch Falschmeldungen noch weiter zu bestärken, muss die EU die selbst gesteckten Ziele konsequent umsetzen. Die künftige EU-Kommission steht in der Pflicht, sich klar zum Green Deal zu bekennen.
Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Biodiversität als Reaktion auf die Klimakrise rufen viele teils unterschiedliche Emotionen hervor. Tatsache ist jedoch, dass unsere ressourcenintensive Wirtschaftsweise nicht mehr zeitgemäß ist und grundlegend überdacht werden sollte, um ein funktionierendes und gesundes Ökosystem für uns und künftige Generationen nicht der Illusion grenzenlosen Wachstums zu opfern – ein Wachstum, das letztlich nur den Reichsten zugutekommt. Die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich, insbesondere extremer individueller Reichtum, wird mittlerweile auch von Millionär:innen selbst als demokratiepolitische Bedrohung anerkannt. Da die Reichen aber nicht die hauptsächlich Betroffenen der Klimakrise sein werden, ist mit unverbindlichen Empfehlungen bei diesen nichts gewonnen: Es braucht effektiv vollzogene Gesetze auf europäischer Ebene.
Für eine globale und demokratische Union
Das EU-Lieferkettengesetz soll künftig große Unternehmen dazu verpflichten, menschen- und umweltrechtliche Sorgfaltspflichten entlang ihrer Zulieferer einzuhalten, und sieht bei Verstößen strenge Haftungen vor. Die Zwangsarbeitsverordnung zielt darauf ab, sicherzustellen, dass Produkte ohne den Einsatz von Zwangsarbeit hergestellt werden. Obwohl diese Initiativen oft Bilder von Missständen im globalen Süden hervorrufen, sind Zwangsarbeit und mangelnde unternehmerische Sorgfalt auch innerhalb der EU verschwiegene Probleme, insbesondere im Sektor der Saisonarbeit .
Während das EU-Lieferkettengesetz von der EVP und der ID abgelehnt wurde, enthielt sich Renew Europe, während S&D und die Grünen zustimmten. Die Verordnung gegen Zwangsarbeit wurde hingegen von nur sechs der 705 EU-Abgeordneten abgelehnt, darunter die drei österreichischen Abgeordnete n der FPÖ/ID. Alle anderen Fraktionen begrüßten die Verordnung mit überwältigender Mehrheit.
Dieselben drei FPÖ/ID-Abgeordneten lehnten auch den Ausstieg der EU aus dem Energy Charter Treaty ab, der Investitionen in fossile Energien schützt und durch umstrittene Schiedsklauseln abgesichert ist. In der Abstimmung zum EU-Chile-Abkommen sprachen sich nur die EVP und Renew Europe dafür aus, während sich die Grünen enthielten und S&D sowie die ID das Abkommen ablehnten. Die AK kritisierte das Abkommen als neokolonial und neoliberal, da es neben einseitigen Liberalisierungspflichten auch Sonderklagerechte für Unternehmen und unverbindliche Nachhaltigkeitskapitel vorsieht; dies alles auf Kosten von Arbeitnehmer:innenrechten und Umweltstandards .
Das EU-Parlament unterliegt derzeit in Trilog-Verhandlungen zu künftigen Gesetzen allzu oft den Interessen der Mitgliedstaaten im Rat. Selbst innerhalb des EU-Parlaments ist aber eine mögliche Aufwertung der eigenen Institution scheinbar nicht überall erwünscht. In der Entschließung zur Reform der EU-Verträge , die ein „soziales Fortschrittsprotokoll “ und ein längst fälliges Initiativrecht für Gesetzesvorschläge für das EU-Parlament beinhaltet, lehnten die EVP und die ID den Vorschlag ab. Bestimmungen zur Stärkung der Sozialpartner sowie hin zu mehr budgetärem Spielraum bei öffentlichen Investitionen sind nur einige der Gründe, warum der Reformanstoß des Parlaments zu begrüßen ist.
Auch beim Thema Pressefreiheit, bei der Österreich im Ranking zuletzt seinen historischen Tiefstand erreichte, scheinen nicht alle Fraktionen die Dringlichkeit einer funktionierenden Medienlandschaft für eine intakte Demokratie erkannt zu haben: So lehnte die FPÖ/ID Maßnahmen zur Transparenz politischer Werbung, zum Schutz der Medienfreiheit und zum Schutz vor ausländischer Desinformation ab.
Das lange Zeit starke Selbstbild der EU als unangefochtener Hort der Demokratie wurde in den letzten Jahren durch Verfahren wegen rechtsstaatlicher Bedenken gegen Ungarn und Polen erschüttert. Ob wir bereit sind, für unsere „europäischen“ Werte einzustehen, bleibt angesichts der bedenklichen Arbeitsweise der mit 11,3 Milliarden Euro beispiellos großzügig ausgestatteten EU-Grenzschutz-Agentur Frontex offen. Initiativen zum Schutz demokratischer Institutionen und Praktiken sind daher umso wichtiger. Denn menschenrechtliche Errungenschaften bleiben nur erhalten, wenn wir aktiv für ihre Universalität eintreten und kämpfen.
Ausblick
Die Interessen der Arbeitnehmer:innen haben naturgemäß nicht immer denselben Stellenwert für die verschiedenen politischen Fraktionen im EU-Parlament und sind auch bei der Bevölkerung nicht immer das wichtigste Kriterium bei der Wahlentscheidung. Insofern soll dieser Artikel nicht als Wahlempfehlung missverstanden werden, sondern vielmehr einen informativen Überblick über das Abstimmungsverhalten österreichischer Abgeordneter im EU-Parlament in relevanten Themen bieten.
In Zeiten, in denen autoritäre Kräfte weltweit an Einfluss gewinnen, scheint es dennoch geboten, das Abstimmungsverhalten der österreichischen EU-Abgeordneten in die individuellen Überlegungen einzubeziehen. In den letzten Jahren war das EU-Parlament vergleichsweise arbeitnehmer:innenfreundlich ausgerichtet. Widerstand kam dabei vor allem von populistisch orientierten Regierungsvertreter:innen auf der Ratsebene . Wie sich das Europäische Parlament in der kommenden Legislaturperiode zusammensetzt, ist noch offen. Eine EU-weite Politik, die sich gegen soziale Sicherheit und Gerechtigkeit richtet, wäre nicht nur als wirtschaftliches Modell wenig nachhaltig, sondern würde auch langfristig das Funktionieren des demokratischen Apparates gefährden.
Wie aktuelle Umfragen zeigen, können wieder salonfähig gewordene autoritäre Präferenzen auch als Folge einer Unzufriedenheit mit vergangenen Entscheidungen und/oder mangelnder politischer Kommunikation verstanden werden. Die Gründe für die vielfältigen Formen der Unzufriedenheit über politische Entscheidungen der jüngsten Vergangenheit sind mannigfaltig.
Deshalb auf gesamteuropäischer Ebene nicht zu wählen oder aus Frust einer Partei seine Stimme zu geben, die sich zwar gegen ein selbstdefiniertes „Establishment “ richtet, aber gleichzeitig ein ambivalentes Verhältnis zu freier Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zeigt, würde langfristigen Schaden anrichten. Dies betrifft nicht zuletzt auch die eigene Lebensrealität: Denn eine destruktive politische Vorgehensweise führt letztlich dazu, dass diffuse Zukunftsängste zur self-fulfilling prophecy werden.
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Nur eine hohe Wahlbeteiligung kann sicherstellen, dass das EU-Parlament tatsächlich die Interessen aller EU-Bürger:innen vertritt. In diesem Sinne sind alle EU-Bürger:innen dazu aufgerufen, aktiv von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. In diesem Sinne möchten wir auf die gemeinsame ÖGB/AK Mobilisierungsinitiative „Stimme für Demokratie “ verweisen. Denn jede abgegebene Stimme kann dazu beitragen, eine gerechtere und solidarischere EU zu schaffen – sowie diese gegenüber autoritären und extremistischen Tendenzen zu stärken.
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