Digitale Rechte und Grundsätze in der EU – kritisch-konstruktive Bemerkungen

07. Februar 2023

Homeoffice, e-Impfpass, Distanzlehre, digitaler Führerschein, Chatbots – die digitale Transformation ist in aller Munde. Die COVID-19-Pandemie hat den ohnehin schon schnellen Fortschritt nochmals beschleunigt: Mittlerweile kann sich kaum ein gesellschaftlicher Bereich der rasanten Veränderung durch das Internet entziehen. Auch auf europäischer Ebene ist die digitale Transformation im Rahmen der digitalen Dekade daher Thema, mit dem erklärten Ziel, den Menschen in den Mittelpunkt des digitalen Wandels zu stellen.

Ziele der Erklärung

Im Jänner letzten Jahres ist nach diesem Motto die Erklärung der Europäischen Kommission zu den digitalen Rechten und Grundsätzen für die digitale Dekade in Kraft getreten. Diese soll den digitalen Rechten und Grundsätzen der Kommission Rechnung tragen: Wahlfreiheit, Schutz und Sicherheit, Solidarität und Inklusion, Teilhabe und Nachhaltigkeit. Knapp ein Jahr später wurde nun der erste Kooperations- und Überwachungszyklus zur Erreichung der Digitalziele der EU für 2030 eingeleitet.

Dieser Wandel bringt aber nicht nur zahlreiche Chancen, sondern auch Risiken, die die Gesetzgeber weltweit beschäftigen. Bestehende Ungleichheiten werden vielfach noch verschärft, denn effektive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, von der Tischreservierung bis zur Bewerbung für einen Arbeitsplatz, hängt immer mehr von einer funktionierenden Internetverbindung und Digitalkompetenzen ab. So zeigt eine australische Studie, dass Menschen, die auf eine beschränkte Datenübertragungsgeschwindigkeit bzw. beschränktes Datenvolumen (z. B. ihres Mobilfunkanbieters) angewiesen sind, besonders oft vom Digitalen ausgeschlossen sind. Um solchen Problemen entgegenzuwirken, wurden Mobilfunkunternehmen in Südafrika schon dazu verpflichtet, insbesondere sozial benachteiligten Gruppen essenzielle Datenservices gratis zur Verfügung zu stellen. Daneben ist die Ebene des „Doing“ besonders wichtig: Die Zwei-Faktor-Authentifizierung beim Online-Banking, der Online-Antrag für die Handysignatur oder auch der Umgang mit FinanzOnline – all dies erfordert Routine und Kompetenzen, die viele Menschen an ihre Grenzen bringen.

Die Erklärung der Europäischen Kommission zu den digitalen Rechten und Grundsätzen soll daher auf unterschiedlichen Ebenen auf digitale Inklusion hinwirken. Die Erklärung beinhaltet vier Kernpunkte, die bis 2030 schrittweise umgesetzt werden sollen:

1. Verbesserung grundlegender und fortgeschrittener digitaler Kompetenzen

2. Verbesserung der Einführung neuer Technologien wie künstliche Intelligenz, Daten und Cloud in den Unternehmen in der EU

3. Förderung der Konnektivität sowie der Rechen- und Dateninfrastruktur in der EU

4. Bereitstellung öffentlicher Dienste und Verwaltung online

Die EU als Vorreiterin eines fairen digitalen Wandels

Trotz des Potenzials für Nachschärfung, das Expert:innen beispielsweise im Bereich der viel diskutierten europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) noch sehen, lässt sich die globale Vorreiterrolle der EU bei der Regulierung von digitalen Sachverhalten nicht abstreiten. Die Kernpunkte betreffen allesamt wichtige politische Handlungsfelder für den Abbau der digitalen Kluft, technologische Souveränität und Versorgungssicherheit. Gerade der öffentliche Sektor ist aufgefordert, seine Online-Angebote so zu gestalten, dass sie möglichst vielen möglichst einfach zugänglich sind.

Im Bereich der digitalen Plattformen finden sich mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act, die beide im Laufe des nächsten Jahres anwendbar werden, zwei bereits beschlossene Gesetzgebungsvorhaben, die sich ebenfalls mit Fragen der fairen Marktteilhabe und demokratiepolitischen Erwägungen im Zusammenhang mit Online-Plattformen befassen. Die neuen kartellrechtlichen Leitlinien, die klarstellen, dass Solo-Selbstständige unter bestimmten Voraussetzungen ihre Vertrags- und Arbeitsbedingungen kollektiv verhandeln können, sowie die noch nicht beschlossene, aus Arbeitnehmer:innen-Sicht jedoch dringend notwendige EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten sind ebenfalls in diesem Lichte zu sehen. Die EU ist sich ihrer entscheidenden Rolle also bewusst, setzt legislative Schritte und verbindliche Standards. Darüber hinaus ist die weltweite Verbreitung der europäischen Werte und Standards ein weiteres erklärtes Ziel der digitalen Dekade.

Überwachung der Umsetzung

Als bloße gemeinsame Erklärung der Kommission, des Europäischen Parlaments und des Rates hat die Erklärung rechtlich unverbindlichen Charakter, wird also nur als Richtschnur für die Praxis und Gesetzgebungsarbeit der europäischen Institutionen dienen. Einige Punkte sind bereits in bindenden Rechtsakten festgelegt, zu anderen gibt es bereits Vorschläge, wieder andere müssen zukünftig erst umgesetzt werden.

Die Erklärung sieht aber dennoch einen Mechanismus vor, der die Umsetzung der Ziele überwacht: Durch periodische Evaluierung in einem jährlichen Fortschrittbericht, dem „Stand der digitalen Dekade“, soll das Erreichen der Zielvorgaben transparent werden. Die Kommission wird dazu in den nächsten Monaten zentrale Leistungsindikatoren entwickeln, mit denen die Umsetzung überwacht wird. Deren Relevanz und Tragfähigkeit wird nicht zuletzt von der Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur:innen, insbesondere Datenschutzorganisationen, Arbeitnehmer:innenvertretungen sowie Konsument:innenschutzorganisationen, abhängen.

Auf nationaler Ebene sind die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, nationale strategische Fahrpläne auszuarbeiten und die Kommission in weiterer Folge über ihre Fortschritte zu unterrichten. Das Programm schafft außerdem einen Rahmen für Mehrländerprojekte, die einzelne Staaten allein nicht stemmen können, zum Beispiel in den Bereichen 5G, Quantencomputer und vernetzte öffentliche Verwaltung. Dieser gemeineuropäische Ansatz ist wichtig, um bestehende Disparitäten in der Union durch Digitalisierung zumindest nicht zu verstärken. Abgerundet wird der Mechanismus durch jährliche Bürger:innenbeteiligung in Form einer Eurobarometer-Umfrage.

Was bringt die digitale Zukunft?

Zunächst gilt es abzuwarten, welche zentralen Leistungsindikatoren die Kommission wählt, an denen das Erreichen der Ziele gemessen wird. Im Juni wird dann der erste Bericht über den Stand der digitalen Dekade veröffentlicht, auf dessen Basis erste Aussagen über den Fortschritt getroffen werden können.

Wesentlich für die Verwirklichung von digitalen Rechten und Grundsätzen in der EU wird es sein, Digitalisierung als Frage von Rechten, aber auch von Ressourcen und als sozialen Prozess zu verstehen. Neben tauglicher Hardware sind daher Zugang zum Internet und Nutzungschancen digitaler Angebote und Dienstleistungen zu berücksichtigen, damit Digitalisierung nicht exklusiv und ungleichheitsbegünstigend wirkt. Dies gilt auch für Beschäftigung und Qualifizierung, denn durch den aktuellen Strukturwandel ergeben sich vielfache Ab- und Aufwertungen von bestehenden Qualifikationen und Fähigkeiten – und Unsicherheiten. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, ist nicht nur gezielte Unterstützung, sondern auch Wertschätzung der bereits vorhandenen Kompetenzen wesentlich. Was die digitale Zukunft bringt, hängt daher vom politischen Commitment zu ihrer Gestaltung und den konkreten Governance-Strukturen ab.

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