Digitale Inklusion als Hebel gesellschaftlicher Teilhabe

05. August 2021

Die Corona-Krise hat zu einem Digitalisierungsboom in vielen Bereichen geführt. Neben neuen Formen von Konsum, Kommunikation und Erwerbsarbeit waren die öffentliche Verwaltung und der Gesundheitssektor ganz vorne mit dabei: Amtswege erledigen wir praktisch digital per Handy-Signatur, zur Impfung melden wir uns ebenfalls mobil an. Auch bei den daheim durchgeführten PCR-Gurgeltests ist das Handy mit Kamera nicht mehr wegzudenken. Von diesen Fortschritten des digitalen Wandels profitieren aber nicht alle.

Ganz im Gegenteil: Der Zugang zu Internet, zuverlässige Hardware und Nutzungschancen sind ungleich verteilt.

Warum Rufe nach digitaler Inklusion immer lauter werden

Hohe Anforderungen an Nutzer*innen und fehlende Basisbildung führen zu digitaler Scheu unter marginalisierten Gruppen, darunter vor allem: Ältere (65+), Frauen, Behinderte, Menschen mit niedriger formaler Bildung und Menschen, die in Haushalten mit geringem Einkommen leben. Mögliche Ansatzpunkte für einen gerechteren Zugang zur digitalen Welt haben die Autor*innen im AK Policy Paper Digitale Inklusion formuliert.

Dekoratives Bild © A&W Blog
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Rufe nach „digitaler Inklusion“ – also einem digitalspezifischen Zugang zu Teilhabe – werden immer lauter. Kein Wunder, sind doch eigenständige und selbstbewusste Internetnutzung sowie der Besitz der notwendigen Hardware mittlerweile zur Voraussetzung von sozialer, politischer und beruflicher Teilhabe geworden. Digitale Teilhabe ist aber heute nicht mehr nur mit „online“ und „offline“ zu fassen: In der Forschung ist mittlerweile die Rede von einem „Zugangsregenbogen“, der Zugang und Nutzung des Internets multidimensional adressiert und unterschiedliche, sich gegenseitig verstärkende Hindernisse in den Fokus nimmt. Aus dem binären „Digital Divide“ wurde auch im deutschsprachigen Raum „digitale Ungleichheit“, denn neben technischen Zugangsfragen (Hardware, Qualität der Internetverbindung) müssen auch Fragen nach räumlichen Möglichkeiten, Kontrolle und Überwachung gestellt werden bzw. nach Verfügbarkeit von Unterstützungsangeboten und den unterschiedlichen Fähigkeiten und Kompetenzen, das Internet für sich vorteilhaft zu nutzen.

Normkritische Inklusion

Inklusion wird hier nicht als ein Mittel zur Effizienz- und Profitsteigerung oder als Einpassen von Vielfalt in rigide Normgitter gesehen. Vielmehr sollte marginalisierten Menschen(gruppen) strukturell die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Prozessen ermöglicht werden, damit eben diese Normen brüchig und unsere Gesellschaften inklusiver werden. Normen sind nämlich nur so „normal“, stabil und unveränderlich wie die Menschen, die sie tagtäglich aufs Neue erschaffen und verfestigen. Normkritische Inklusion ist damit nicht Selbstzweck oder Business-Chance, sondern Modell für gesellschaftliche Teilhabe mit tiefgreifendem Veränderungspotenzial.

Was braucht es, um in der digitalen Welt teilhaben zu können?

Die Grundvoraussetzung für Teilhabe im digitalen Raum ist – auch wenn es banal klingt – eine stabile Internetverbindung sowie ein funktionierendes Endgerät. Für viele Menschen ist aber oft weder das eine noch das andere leist- und verfügbar. Um diesem Problem zu begegnen, bieten Projekte von sozialen Unternehmen (wie „SoCom“ in St. Pölten) beispielsweise Refurbishment von Laptops und Smartphones an, die dann wiederum Menschen mit geringem Einkommen kostengünstig zur Verfügung gestellt werden können. Ein Ausbau von Gratis-WLAN im öffentlichen Raum und von öffentlichen Institutionen kann ebenfalls ein wichtiger Schritt in Richtung Schließung des Digital Divide sein. Eine Studie aus Australien zeigt, dass Menschen, die auf das beschränkte Datenvolumen ihres Mobilfunkanbieters angewiesen sind, besonders oft von digitaler Teilhabe ausgeschlossen werden.

Digitale Teilhabe erfordert Selbstbewusstsein und Sicherheit in der digitalen Welt. Das ist voraussetzungsvoll, insbesondere für Menschen, die keine „Digital Natives“ sind. Sie müssen bei der Erschließung des digitalen Raums begleitet werden. Diese Begleitung wiederum sollte analog passieren: Die Vermittlung eines spielerisches Zugangs und der Vorteile von digitalen Tools braucht Austausch und persönliche Begleitung, die gerade für Menschen mit digitaler Scheu nicht digital passieren kann. #diginclusion, ein vom Digitalisierungsfonds Arbeit 4.0 der AK Wien unterstütztes Projekt von arbeit plus, hat sich zuletzt diesen Themen gewidmet und vor allem aufgezeigt, dass es hier noch sehr viel mehr Angebote braucht.

Auch für Digital Natives kann der Zugang zu digitalen Dienstleistungen herausfordernd sein: Zwei-Faktor-Authentifizierung beim Online-Banking, der Online-Antrag für die Handysignatur oder auch der Umgang mit FinanzOnline: All das erfordert Routine und Kompetenzen, die viele Menschen an ihre Grenzen bringen. Gerade der öffentliche Sektor ist aufgefordert, seine Angebote zu vereinfachen, um sie möglichst vielen möglichst einfach zugänglich zu machen. Ein wichtiger Schritt kann beispielsweise die Übersetzung in einfache Sprache sein. Professionelle Unterstützung in diesem Bereich bietet beispielsweise das soziale Unternehmen Capito. Nutzer*innen sollten in die (Weiter-)Entwicklung der Angebote eingebunden werden, um Schwierigkeiten vorzubeugen.

Digital inklusiver Strukturwandel

Ein Fokus auf einen guten Platz in internationalen Rankings der Top-„Digital Nations“ wird die Standortqualität nicht heben. Auch der technische Fortschritt allein ermöglicht noch nicht den digitalen Zugang zu entscheidenden Informationen und den Auf- und Ausbau von Kompetenzen, die nicht nur Voraussetzung für einen verantwortungsvollen und selbstbewussten Umgang mit neuen Geräten und Technologien ist, sondern auch für die gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung.

Durch den gegenwärtigen Strukturwandel, in dem Digitalisierung, Dekarbonisierung und Neuaufstellung von Wertschöpfungsketten zusammenspielen, ergeben sich permanent Ab- und Aufwertungen von bestehenden Qualifikationen und Fähigkeiten – und Unsicherheiten. Um dieser Unsicherheit zu begegnen, ist nicht nur gezielte Unterstützung, sondern auch Wertschätzung der bereits vorhandenen Kompetenzen wesentlich. Für die Vermittlung digitaler Kompetenzen ist eine praxisorientierte Einordnung von unbedingt notwendigen Basiskompetenzen (z. B. Anlegen einer E-Mail-Adresse) und weiteren, berufsspezifischen digitalen Standardkompetenzen in allen Branchen hilfreich. Das Wiener Frauenbarometer hat gezeigt, dass gerade in „klassischen Frauenberufen“ eine digitale Grundausbildung oft fehlt. Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik stehen vor der Herausforderung, niederschwellige und passgenaue Zugänge zu Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Schulungsmaßnahmen zu schaffen.

Abseits der notwendigen Bildungsarbeit und der Neuorientierung von Aus- und Weiterbildung braucht es aber vor allem ein Bewusstsein für die Gestaltbarkeit der Digitalisierung bei den politischen Entscheidungsträger*innen: Wir sind Technologie nicht ausgeliefert: Apps und Websites werden von Menschen entwickelt und umgesetzt; selbst künstliche Intelligenz ist menschengemacht und damit von Menschen beeinfluss- und gestaltbar. Es braucht eine bewusste Entscheidung dafür, die Vorteile der Digitalisierung allen zugänglich zu machen und die negativen Nebeneffekte abzufedern. Zum größtmöglichen Nutzen von Beschäftigten, Arbeitslosen und benachteiligten Gruppen müssen Antidiskriminierung und Inklusion in diesen Prozessen leitende Prinzipien sein.

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