Künstliche Intelli­genz: Regulie­rung, ja bitte!

04. Februar 2025

Die EU reguliert Künstliche Intelligenz (KI) – und Kritik daran wird laut. Die kommende KI-Verordnung hemme die Innovation, so der Tenor. Das Gegenteil ist der Fall: Gelungene Regulierung kann die rasante technologische Entwicklung steuern und KI zu einem Mehrwert für alle statt nur für einige große Digitalkonzerne und Tech-Milliardäre machen. Von sicheren Rahmenbedingungen profitieren auch Arbeitnehmer:innen, Start-ups und kleine und mittlere Unternehmen.

Kurzfristige Kosten, langfristiger Nutzen

Wirtschaftstreibende äußern häufig die Sorge, dass die KI-Verordnung, die ab dem 2. Februar 2025 in Teilen anwendbar wird, Innovation behindern und den Wirtschaftsstandort schwächen könnte. Die Verordnung sei zu kompliziert und verursache hohe Kosten. Österreich und die EU würden hinter den USA und China noch weiter zurückbleiben. Es gibt sogar Forderungen, die neuen Regeln nicht ernsthaft anzuwenden und bei Nichteinhaltung keine Strafen zu verhängen. Dieses Narrativ ist jedoch einseitig. Das sieht man schon daran, dass überall auf der Welt Gesetze zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz entstehen. Den kurzfristigen Kosten für die Einhaltung der Vorschriften stehen die positiven sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Rechtsvorschriften als langfristige Investition für die Gesellschaft gegenüber. Gerade die KI-Verordnung zeigt, dass Regulierung kein Selbstzweck ist und dass bei ihrer Entstehung sehr wohl unterschiedliche Interessen berücksichtigt wurden.

Die Gefahren unkontrollierter KI

Künstliche Intelligenz kann in einigen Bereichen großen Schaden anrichten, etwa in Medizin, Bildung oder Beschäftigung. Zum Beispiel kommen laufend KI-Systeme auf den Markt, die „algorithmisches Management“ ermöglichen. Dieses dient der Überwachung, Steuerung und Optimierung von Arbeitsprozessen und Mitarbeiter:innenleistungen oder der automatisierten Zuweisung von Arbeit. Diese Systeme erzeugen massive Mengen an Daten oder führen sie aus verschiedenen Anwendungen zusammen. Sie ermöglichen Arbeitnehmer:innen illegal zu beobachten, zu kontrollieren und letztlich ihre Menschenwürde zu verletzen. Vor allem die großen KI-Entwickler in den USA preschen voran und berücksichtigen diese Risiken nicht. Das bringt ihnen Vorteile im Wettbewerb: Ihre Produkte sind schneller am Markt und verdrängen Konkurrenz aus Europa, weil sie keine Ressourcen für gründliche Tests zur Gewährleistung von Produkt- und Cybersicherheit oder Datenschutz aufwenden. Die mangelnde Berücksichtigung der einschneidenden Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer:innen, die durch den Einsatz dieser Systeme entstehen, verschärft die Situation zusätzlich. Diese Entwicklung dürfte sich in den nächsten Jahren unter Präsident Trump noch verschärfen.

Was Regulierung von Künstlicher Intelligenz bringt

Regulierung soll vor KI schützen, die Sucht erzeugt, Emotionen beeinflusst, die Privatsphäre und die mentale Gesundheit gefährdet. Der europäische, menschenzentrierte Ansatz in der KI-Verordnung steht für ein Gegengewicht zu rein profitorientiertem Handeln und Datenmonopolen sowie für ein alternatives Modell der Datenwirtschaft. Digitale Technologien müssen demnach den Menschen dienen und ihr Wohlergehen verbessern. Entwicklung und Einsatz von digitaler Technologie sollen Werte wie Solidarität und Inklusion sowie die Wahlfreiheit im Internet berücksichtigen, die Beteiligung am digitalen öffentlichen Raum fördern, die Sicherheit erhöhen, Einzelne (vor allem junge Menschen) handlungsfähiger und kompetenter machen und die digitale Zukunft insgesamt nachhaltiger gestalten.

Regeln durchsetzen, menschenzentrierte Innovationen fördern

Die Herausforderung lautet, Innovation in Österreich und der EU zu fördern und gleichzeitig sicherzustellen, dass auch die Konkurrenz aus Übersee unsere Regeln über Produktsicherheit, Wettbewerbsrecht und Grundrechte einhält. Entscheidend dafür ist, die „digitale Souveränität“ wiederzuerlangen. Das bedeutet, die technologische Abhängigkeit von US-Unternehmen und Staaten wie China zu verringern und selbst mehr Einfluss auf die Entwicklung von KI und anderen Schlüsseltechnologien zu nehmen. Nur so kann gewährleistet werden, dass die eigenen Werte, Regeln und Gesetze auch gegenüber Unternehmen mit großer Marktmacht durchgesetzt werden können. Unternehmen, die ethisch handeln und sich an Gesetze halten, sollen keine Nachteile dadurch haben, dass die Nichteinhaltung von Regeln nicht sanktioniert werden kann.

Erreichen will das die EU einerseits durch strenge Pflichten und hohe Strafen für Tech-Giganten, die sich wettbewerbsverzerrend verhalten („Digital Markets Act“ und „Digital Services Act“). Andererseits mit einer aktiven Innovationspolitik und neuer Infrastruktur: Datenverfügbarkeit und Datenräume, AI Factories und Supercomputer schaffen die Grundlage für die verantwortungsbewusste KI-Entwicklung und für innovative, wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen. Europäische KI soll vertrauenswürdig und sicher sein, Menschen in den Mittelpunkt stellen und das Gemeinwohl nicht gefährden.

Der Schutz von Arbeitnehmer:innen

Die neue KI-Verordnung verfolgt das doppelte Ziel, den Schutz vor gefährlichen KI-Systemen zu garantieren und gleichzeitig Innovation zu fördern. Dies geschieht durch abgestufte Pflichten für die KI-Anbieter: Nur im Hochrisiko-Bereich, etwa bei Fahrzeugen und Medizinprodukten, gelten strengere Regeln. Für KI-Systeme mit geringem Risiko gelten wenige Vorgaben, etwa bezüglich Transparenz.

Für den Schutz von Arbeitnehmer:innen bedeutet das:

  • Verbotene Anwendungen: KI-Systeme zur Ableitung von Emotionen einer natürlichen Person am Arbeitsplatz und in Bildungseinrichtungen sind verboten.
  • Hochrisiko-KI-Systeme: Im Bereich Beschäftigung, Personalmanagement und berufliche Bildung (u. a. Bewerbungssysteme und automatisierte Entscheidungen im Arbeitsverhältnis wie Leistungsbeurteilung und Verhaltensbeobachtung) gelten strenge Vorgaben für die Entwicklung und Nutzung von KI. 
  • Transparenz: Vor der Inbetriebnahme oder Verwendung eines Hochrisiko-KI-Systems am Arbeitsplatz müssen Arbeitgeber:innen (d. h. die Betreiber:innen) die betroffenen Arbeitnehmer:innen darüber informieren, dass sie Gegenstand des Einsatzes eines Hochrisiko-KI-Systems sein werden.
  • KI-Kompetenzen: Betreiber:innen von Hochrisiko-KI-Systemen haben sicherzustellen, dass Personen, die in ihrem Auftrag mit dem Betrieb und der Nutzung von KI-Systemen befasst sind, über ein ausreichendes Maß an KI-Kompetenz verfügen. 

Andere Aspekte von KI in der Arbeitswelt werden durch die KI-Verordnung nicht geregelt. Arbeitnehmer:innenrechte und Mitbestimmung, die Regelungen zum Datenschutz, die Sozialpolitik und die nationalen Arbeitsrechtsvorschriften gelten auch beim Einsatz von KI-Systemen. 

Mehr Sicherheit hilft der Innovation

Die KI-Verordnung will also zugleich bereits bekannten Gefahren und Risiken begegnen und absehbaren schweren Folgen für die Gesundheit, Sicherheit und die Grundrechte von Menschen vorbeugen. Gelingt das, wird letztlich das Vertrauen in KI-Systeme gestärkt und ihre Akzeptanz erhöht. Auch das ist Grundlage für den Erfolg zukünftiger Innovationen. Die KI-Verordnung sieht aber zusätzlich auch konkrete Maßnahmen zur Innovationsförderung vor, wie die Einrichtung von KI-Reallaboren, das Testen unter Realbedingungen, die Erhöhung der KI-Kompetenz, Erleichterungen für KMU und Start-ups sowie Ausnahmen für Forschung und Open-Source-Entwicklung.

KI fördern, aber richtig

Dennoch ist die KI-Verordnung aufgrund ihrer Komplexität und der hohen Compliance-Kosten insbesondere für KMU und Start-ups eine Herausforderung. Als neue Rechtsmaterie, die sich auf eine sich ständig im Umbruch befindliche Technologie bezieht, wird sie sich in der Praxis bewähren müssen. Vor allem in der ersten Zeit sind deshalb unterstützende Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung notwendig, wie zum Beispiel die Bereitstellung verständlicher Leitlinien und die Schaffung von sicheren Verarbeitungsumgebungen.

Statt die neuen Regeln zu bekämpfen, sollten sich österreichische KI-Entwickler:innen und -Anbieter:innen von der österreichischen Politik also Folgendes wünschen:

  • Ein innovationsförderndes Umfeld und eine gute Industriepolitik. Dazu gehören Reallabore, die die Einhaltung der Regeln für KI und Datenschutz erleichtern. KMU und Start-ups brauchen Kapazitäten und Unterstützung bei der Entwicklung vertrauenswürdiger KI.
  • Eine gute Datenstrategie, um wertvolle Daten, insbesondere aus dem öffentlichen Bereich, einfacher und datenschutzkonform verwenden zu können. So können neue Anwendungen im öffentlichen Interesse entwickelt werden, etwa für Verkehrsleitsysteme, für mehr Effizienz im Energiebereich oder in der Landwirtschaft und damit besseren Umweltschutz oder im Bereich Medizin und Gesundheitsschutz.
  • Rechtssicherheit, gleiche Regeln für alle und fairen Wettbewerb: Wenn die Regeln zur Produktsicherheit, zum Datenschutz oder im Wettbewerbsrecht insbesondere gegenüber den großen außereuropäischen Tech-Giganten nicht durchgesetzt werden, werden die eigenen Produkte und Dienstleistungen zu teuer. Wenn nur das Gesetz des Stärkeren gilt, verlieren kleinere Unternehmen und Beschäftigte und nehmen auch Demokratie und Rechtsstaat Schaden.
  • KI-Kompetenzen und digitale Bildung: Wettbewerbsfähige Unternehmen brauchen Beschäftigte, die Innovation vorantreiben, weil sie über persönliche Skills und KI-Kompetenz verfügen. Gerade Arbeitskräfte, deren Berufe sich verändern oder verschwinden, brauchen mehr Chancen durch digitale Aus- und Weiterbildung.

Fazit: Demokratische Regeln – oder die von Autokraten und Oligarchen?

KI ist ein mächtiges Werkzeug, das in den Händen von Technologiegiganten und Autokraten zu Machtkonzentration führen und grundlegende Rechte und Freiheiten gefährden kann. Aktuelle Entwicklungen wie das privat finanzierte „Stargate“-Projekt von OpenAI oder das neue chinesische KI-Modell „DeepSeek“ zeigen: Die Tech-Riesen bringen sich in Stellung, um ihren Vorsprung in Monopole umzumünzen – aber die Chancen für europäische KI sind offen. Nachhaltigere Systeme und wertebasierte KI sind möglich. Es braucht deshalb innovative Lösungen statt Angstmacherei.

Wer würde profitieren, wenn die KI-Verordnung nicht angewandt würde? Sicherlich nicht die europäischen Bürger:innen oder österreichischen Unternehmen. KMU und Start-ups, Beschäftigte und Konsument:innen würden allesamt verlieren, wenn der Rechtsstaat versagt und Autokraten oder Tech-Oligarchen willkürlich die Regeln setzen. Es ist deshalb wichtig, dass europäische und österreichische Entscheidungsträger menschenzentrierte, wettbewerbsfähige Anwendungen und Systeme fördern, die unsere Rechte achten und die uns allen zugutekommen.

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